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Interviews

Hinter den Kulissen: Wir haben mit dem Regisseur der Cobain-Dokumentation gesprochen

Brett Morgen hatte uneingeschränkten Zugang zum Archiv des Nirvana-Sängers und konnte Dinge über Kurt herausfinden, die nicht mal dessen engste Freunde wussten.

Es ist jetzt 16 Jahre her, seit der Filmemacher Brett Morgen das letzte Mal beim SXSW war—damals rührte er dort die Werbetrommel für seine Boxdokumentation On The Ropes. Während seines Aufenthalts besuchte er damals auch die Vorführung des Films eines Freundes in einem 320 Sitze umfassendem Kino in Austin namens The Paramount. Neben Morgen befanden sich noch acht weitere Zuschauer im Saal, darunter auch seine zukünftige Frau. Manchmal scherzen die beiden darüber, dass sie sich vielleicht nie kennengelernt hätten, wäre das alljährliche SXSW Film- und Musikfestival damals schon so unglaublich überfüllt und versoffen gewesen wie heute. Drei Kinder und sieben Filme später kehrt Morgen, inzwischen 46 Jahre alt, für die Premiere seines Films Kurt Cobain: Montage of Heck nach Austin zurück—der ersten offiziell abgesegneten Kurt-Cobain-Dokumentation. Courtney Love und seine Familie öffneten dem Regisseur Cobains private Archive und gaben ausführliche Interviews. Ebenfalls zu Wort kommen Krist Novoselic und Kurts Ex-Freundin, Tracy Marander. Frances Bean Cobain ist ausführende Produzentin. (Dave Grohl wiederum ist auffällig abwesend. Leider waren seine Interviews zu spät durchgeführt worden, um sie im Schnitt noch zu berücksichtigen.)

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Morgen ist im Geschäft kein Fremder: On the Ropes wurde für den Oscar nominiert und sowohl The Kid Stays in the Picture über die berüchtigte Hollywoodlegende Robert Evans als auch Crossfire Hurricane von 2012, für den er die gigantischen Archive der Rolling Stones plünderte, wurden in den höchsten Tönen gelobt. Mit seinen Vorführungen beim Sundance-Festival, bei der Berlinale und einem Trailer, der viral ging, als er vor ein paar Wochen im Internet auftauchte, ist das erwartungsvolle Gerede über Montage of Heck, sowohl auf den Straßen Austins als auch generell, nicht zu überhören. Auch 21 Jahre nachdem Kurt Cobain sich dafür entschieden hat, sein Leben zu beenden, wird der Sänger noch immer verehrt und bleibt ein Rätsel, das wohl nie ganz gelöst wird—ein immer wieder untersuchtes tragisches Genie. Währenddessen findet Nirvanas musikalischer Output auch bei den nachfolgenden Generation Anklang. Morgen versichert jedoch, dass dieses über zwei Stunden lange Opus nicht nur für hartgesottene Grunge-Fans gedacht ist.

„In diesem Film geht es nicht unbedingt um einen Punksänger und seine Band. Es geht um einen Jungen und seinen Weg durchs Leben“, führt Morgen aus. „Bei all meinen Filmen versuche ich, das Universelle zu finden, die Sache, die den ganzen Gegenstand übersteigt.“

Unter Morgens Führung wird dem Zuschauer ein exklusiver Blick in Cobains chaotisches Leben gewährt: seine ersten Gehversuche, seine schwierige Jugend und seine Phase der Teenage Angst, die Anfänge von Nirvanas Aufstieg, die Beziehung zu Courtney, der Geburt von Frances und den letztendlichen Abstieg—als der Druck seines Ruhms und Drogenkonsums ihm über den Kopf wuchsen und ihn über den Rand der Besinnungslosigkeit beförderten. Wir betreten seine Welt durch Heimvideo-Aufnahmen, Audio-Aufnahmen, Tagebucheinträge, Skizzen und Gedichte—und wir stellen fest, dass Kurt viel mehr ist, als wir uns immer vorgestellt haben. Montage… ist eine unglaublich intensive Erfahrung, manchmal öffnet einem die Doku eiskalt die Augen, an anderer Stelle ist sie so persönlich, dass es schmerzt.

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Auch wenn die Entscheidung, dies zu tun, abschreckend war, entschied sich Morgen dafür, Teile von Cobains Gemälden und Tagebucheinträgen zu animieren—als würde der Sänger vor deinen Augen etwas niederschreiben. An anderer Stelle wird Cobain als skizzenhafter Avatar zum Leben erweckt, während seine Stimme die Story und seine Gefühle beschreibt. Diese Methode ist beeindruckend und einzigartig, hätte in Verbindung mit mit den traditionelleren Elementen der Dokumentation leicht holprig erscheinen können. Hier funktioniert sie perfekt.

Ich treffe Morgen im Four Seasons Hotel in Austin, vor der SXSW-Premiere, die am Nachmittag stattfinden soll. Die Schlange der begeisterten und leidenschaftlichen Fans, die schon seit den frühen Morgenstunden geduldig vor dem Kino warten, reicht bereits einmal um den Block. In seinem leicht ramponierten schwarzen Anzug mit der schlecht sitzenden dünnen Krawatte und seinen braunen Leder-Chucks macht Morgen einen müden Eindruck—allerdings nicht die Art von Müde, bei der man schlafen gehen will. Trotz der ganzen positiven Aufregung, die seinen Film umgibt, hat der Regisseur deswegen gemischte Gefühle.

„Natürlich bin ich froh darüber, dass der Film überall so gut aufgenommen wird, aber es ist auch ein sehr emotionales Projekt, verstehst du?“, erklärt er. „So richtig Grund zum Feiern habe ich irgendwie nicht. Kurt ist nicht mehr unter uns und das schwebt wie eine dunkle Wolke über allem.“

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Morgen ist der Meinung, dass die wahre Geschichte Kurt Cobains vor Montage … noch nie erzählt worden ist. Wir unterhalten uns darüber, wie es war, die Kunst und die Archive des Sängers zu durchstöbern, über Missverständnisse, die Vielschichtigkeit seiner Person und vieles mehr.

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Kurt und Frances Bean Cobain. Alle Bilder aus Montage of Heck mit freundlicher Genehmigung von HBO Documentary Films.

Noisey: Herzlichen Glückwunsch zu dem Film! Ich habe ihn geliebt. Vor Kurzem hast du gesagt, dass die nächste Generation eine Kurt-/Nirvana-Dokumentation machen wird, die noch mal anders wird als deine. Inwiefern unterscheidet sich die Sicht meiner Generation auf Kurt von deiner? Wir haben Nirvana ja erst gehört, als Kurt schon tot war …
Brett Morgen: Nun ja, ich denke, dass es lediglich ein kultureller Unterschied ist, da wir Kurt zu seiner Zeit als jemanden wahrgenommen haben, der diesen Wechsel in der Kulturlandschaft herbeigeführt hat. Es war, als wären Nirvana aufgetaucht und hätten Bush und Reagan aus dem Weißen Haus geschmissen. Dann ist Kurt gestorben und die Republikaner übernahmen wieder die Macht. Der Grund, warum er so gut bei uns ankommt, ist allerdings der Gleiche, aus dem ihn auch deine Generation zu schätzen weiß. Kurt wird immer Aushängeschild und Trostspender für die Freaks, die Geeks, die Entrechteten, die Geschlagenen, die Außenseiter und die Abgehängten sein.

Kurt schaffte es, die Erfahrungen aus seiner Teenagerzeit durch seine Musik und seine Texte besser auszudrücken, als das irgendjemand anderes in den letzten 40 Jahren vermocht hat. Vielleicht sogar jemals. Es wird immer Teenager geben, die sich einsam und verloren fühlen. Es hilft natürlich, dass er verdammt gut aussieht, keinen Tag mehr altern wird und seine Musik einfach umwerfend ist. Er hatte ein unglaublich gutes Gespür für Songs. Wenn du das alles miteinander kombinierst … Also es gibt wohl eine Sache, die niemand jemals über Kurt sagen würde, nämlich die, dass er ein Sellout war. Das war er nicht. Er hatte diese Reinheit, die in der Popmusik unglaublich selten ist. Popmusik erfordert nämlich in der Regel bestimmte kreative Kompromisse. Das war aber kein Teil von Kurt.

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Du glaubst also nicht, dass Kurt auf Ruhm aus war—dass seine Intentionen reiner als das waren?
Kurt ging es vor allem um Akzeptanz. Ursprünglich suchte er diese durch Familie, dann durch die Band—damals, als er anfing Bands zu gründen—dann durch Tracy, seine Freundin, und schließlich mit Courtney. Ich glaube, er war durchaus ehrgeizig und suchte auch Akzeptanz durch Ruhm, aber wusste andererseits nicht, was das wirklich bedeutete. Es ist nun mal so: Wenn du selbst nicht gerade zufrieden mit dir bist, hilft es nicht wirklich, wenn die ganze Welt dir sagt, dass du wunderschön und toll bist. Tatsächlich macht es das nur schlimmer. Kurts Problem mit Ruhm war, dass er selbst nicht wirklich wusste, was das eigentlich bedeutete. In seinem Kopf war für eine Band wie Nirvana bei 200.000 verkauften Alben das Ende der Fahnenstange erreicht—wie bei Sonic Youth. Er hatte einfach keine Ahnung—bei ihm gab es kein Szenario oder einen Plan für 600.000 verkaufte Alben innerhalb einer Woche.

Es gibt so viele Missverständnisse über Kurt, was einem vor allem klar wird, wenn man den Film gesehen hat. Welches davon ist in deinen Augen das größte?
Es gibt bestimmte Leute, die ihn ablehnen—einfach nur weil sie der Meinung sind, dass zu viel über ihn geredet wird. In ihrer Vorstellung ist das jemand, der lediglich drei Alben gemacht hat. Warum sollte er also noch immer Thema sein? Diese Leute stempeln ihn als jammernden, weißen Typen ab, der unglaublich berühmt wurde und sich dann darüber beschwert. Hoffentlich werden diese Leute, wenn sie den Film sehen und an diesen Punkt kommen, an dem sich Kurt einige dieser Verhaltensweisen aneignet, es etwas anders sehen. Was du aus diesem Film ziehen kannst, ist nicht einfach nur ein Kerl, der den Medien gegenüber feindlich gestimmt ist, um besonders Punk rüberzukommen—oder weil er ein weinerlicher weißer Typ ist. Er ist ein Künstler und er will seine Kunst nicht erklären müssen. Er will viel mehr, dass die Leute sie erleben. Ich glaube nicht, dass Kurt, nachdem er 600.000 Alben in einer Woche verkauft hat, das Gefühl hatte, noch mehr verkaufen zu müssen. Die Vorstellung, einen Interviewtermin zu organisieren, um weiter Werbung zu machen … Er brauchte nicht noch mehr Werbung. Dadurch fühlte sich die Musik für ihn wie ein Job an. Sie hatte ihre Unschuld verloren. So sehe ich das jedenfalls. Wechseln wir das Thema. Das Sounddesign des Films ist umwerfend. Es fängt die dunkle Vorahnung über Kurts Geschichte perfekt ein.
Ich finde, dass von all den verschiedenen Medien, mit denen Kurt gearbeitet hat, die Soundcollage die reinste Form seines Ausdrucks war. In gewisser Weise war sie fast so persönlich wie seine Musik, wenn nicht sogar persönlicher. In seinen Klangcollagen konnte er das volle Spektrum seiner Persönlichkeit offenlegen—und nicht nur einen Aspekt. Für uns bestand ein Teil der Dokumentation von Kurts Leben darin, durch seine Klangcollagen zu gehen. Die meisten Teile des Sounddesigns, die das Publikum hören kann, sind von Kurt gemacht. Wir haben sie überlagert und unterteilt, aber die Sounds selbst sind alles Sachen, die Kurt selbst aufgenommen oder mit denen er selbst gespielt hat. Das hat eine bestimmt Unschuld, die, davon bin ich überzeugt, wahrscheinlich niemand hätte einfach nachbilden können. Ich finde, dass es dir das Gefühl gibt, als würdest du dich tatsächlich in seinem Kopf befinden.

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Der animierte Kurt

Hattest du große Bedenken, Kurt als Zeichentrickfigur darzustellen?
Ich hatte sehr große Bedenken, Kurt so zu zeigen. Es war eigentlich nie Teil des Plans, aber an einem bestimmten Punkt, besonders wegen der Story und dem Teil über seine Kindheit, [wurde uns klar], dass wir eine Art visuelle Repräsentation von Kurt erschaffen müssen. Dann las ich das Skript für, sagen wir, die Jungfräulichkeits-Szene und sobald die Tonspur geschnitten war, musste ich das visuelle Skript dazu erstellen. Ich arbeitete zusammen mit Hisko Hulsing, meinem Zeichner, der auch unser Storyboard-Künstler ist, und gab ihm eine Liste mit Einstellungen. Manchmal waren diese sehr konkret, andere Male steckte viel Interpretation darin. Es gibt da eine Sache, die bislang niemand kommentiert hat, aber in der Geschichte redet Kurt darüber, wie er an den Bahnschienen langgeht, zwei Betonblöcke auf sich legt und darauf wartet, dass der 9-Uhr-Zug ihn erfasst. Nun ja, so haben wir es auf jeden Fall nicht dargestellt …

Er liegt neben den Schienen!
Er liegt nicht mal! Er sitzt auf der Böschung neben den Schienen. Damit wollten wir suggerieren, dass das, was tatsächlich passiert ist, vielleicht doch etwas anders abgelaufen war, als das, was er erzählte. Seine eigene Wahrnehmung und das Gefühl der Story ist meiner Meinung nach allerdings zu 100 Prozent wahr. Ich habe keinen Grund, zu denken, dass diese Erzählung falsch ist, abgesehen von der Tatsache, dass ich das Gefühl habe, dass Kurt gerne Dinge etwas ausgeschmückt hat. Kurz gesagt, es war immer mit einem kleinen Augenzwinkern zu nehmen. Fast hätte ich die ganze visuelle Darstellung nicht gemacht. In einer ersten Version war ich eigentlich sehr glücklich damit, im Schnittraum zu sitzen und mir den Film mit einem großen schwarzen Loch darin anzuschauen. Aber man kann nicht einfach ein siebenminütiges Loch in seinem Film haben. Irgendetwas musste also passieren und es sollte garantiert keine Standaufnahme sein.

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Es sollte etwas sein, das die ganze Erfahrung erweitert—nicht von ihr ablenkte. An diesem Punkt erkennt man dann: „OK, wir müssen das machen. Die Szene kommt auf jeden Fall in den Film. Wir müssen sie mit etwas füllen.“ Dann akzeptiert man es irgendwann. Wir haben etwa drei Monate damit verbracht, Storyboards zu machen und dann immer wieder vor und zurück zu gehen, mehr als uns lieb gewesen wäre.

Courtney gab dir „die Schlüssel zum Lager“. Inwieweit hat sich das Durchstöbern von Kurts Archiv davon unterschieden, durch das von Robert Evans oder das der Rolling Stones zu gehen?
Wenn du so ein Archiv betrittst, ist das immer ein bisschen wie Weihnachten. Alles, was du dort findest, bringt dich ein Stück näher an dein Ziel. Das Stones-Archiv war einfach gigantisch. Es befindet sich in England und besteht aus ein paar Lagerhallen voll mit Kram. In einer davon stehen 25 Autos, all ihre Bühnenrequisiten bis zurück in die 60er und es gibt einen gekühlten Safe, in dem jede einzelne Aufnahme aufbewahrt wird, die die Stones je gemacht haben, von 63-64 an. Das von Kurt war sehr anders. Es waren einfach nur ein paar Kisten—in gewisser Weise war es wirklich wie Geschenke auspacken. Man hatte keine Ahnung, was man dort finden würde. Du machst also eine dieser Kisten auf und darin sind dann hunderte Kassetten mit ungehörten Aufnahmen, dann machst du die eine andere auf und sie ist voll mit Videokassetten. Langsam entsteht dadurch ein Bild.

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Gab es irgendwelche Dokumentationen, die du dir während der Produktion von Montage… angeschaut hast und die dich stilistisch inspiriert haben?
Ich mache so etwas nicht. Hätte ich eine Dokumentation gesehen, die mit den Tagebüchern ähnlich umgegangen wäre wie ich, dann wäre das einzige Ergebnis wahrscheinlich gewesen, dass ich das von meinem Zettel gestrichen hätte. Nicht weil ich so ein Nonkonformist bin, sondern weil ein Teil des Anreizes, eine Dokumentation zu erschaffen, für mich darin liegt, verschiedene Annäherungen an die Form und das Medium zu erforschen, die sehr persönlich sind und sehr von dem eigentlichen Thema abhängen. Viele Menschen sprechen über Form und Inhalt und versuchen eine Vereinigung zwischen beidem zu finden. Das ist etwas, das man bei nichtfiktionalen Sachen selten sehen kann, und wenn doch, dann ist es eine wundervolle Sache. Es ist etwas, das mir unglaublich wichtig ist.

Ich habe eine bestimmte Methode, mit der ich an meine Filme herangehe. Ich mache eine Liste mit Adjektiven, die das Thema beschreiben und verwende diese Worte dann als Vorlage dafür, wie ein Zuschauer den Film wohl beschreiben würde. Du siehst also keinen Film über Robert Evans, sondern du siehst einen Film, der Robert Evans ist—die Personifizierung von Bob Evans.

Hast du Nirvana jemals live gesehen?
Ich habe sie ein paar mal gesehen. An das erste Mal kann ich mich aber nicht wirklich erinnern. Es war in meinem College, dem Hampshire College, und ich war betrunken. Ich glaube, er trug da ein Kleid. Als ich [mit Montage of Heck] anfing, war ich mehr ein Gelegenheitsfan, aber natürlich hatte Kurts kulturelle Signifikanz meine Generation stark geprägt. Als Courtney mir dann von seinen Kunstwerken erzählte, erkannte ich, dass es die Gelegenheit gab, etwas Einzigartiges zu machen: Ich konnte Kurts Geschichten weniger durch seine Worte, sondern mehr durch seine Erfahrungen in Form seiner Kunst erzählen. Der Film ist in gewisser Weise eine Reise durch sein Leben anhand seines Innenlebens. Das klingt wie eine verrückte Dokumentation. Wie willst du das Leben eines Menschen dokumentieren? Vor allem das von jemandem, der so vielschichtig war wie Kurt und der sich in so vielen verschiedenen Medien ausgedrückt hat wie Kurt—Musik, Klangcollagen, Malerei, Super 8 Filme, Comics, Kurzgeschichten, Spoken Word. Einfach alles. Wenn du diese Vorstellung hast—und die habe ich—dass jeder Künstler mit seiner Kunst eine Biographie erstellt, dann werden dort all unsere Erfahrungen eingebettet und reflektiert. Ich würde sagen, dass Kurt eine der umfassendsten Autobiographien meiner Generation hinterlassen hat.

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Es ist alles da. Menschen haben seit 20 Jahren versucht, das Mysterium zu lüften, sollte es denn überhaupt eins geben. Eine Menge Autoren und Filmemacher haben es versucht, aber auf bestimmte Weise ist und bleibt er unglaublich schwer zu fassen. Andererseits gibt es kaum Leute die noch weniger mysteriös in Bezug auf ihre Arbeit sein könnten: Kurts Arbeit ist einfach so umfangreich.

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Würdest du nach dem Film immer noch sagen, dass er ein Mysterium ist?
Ich glaube nicht, dass du jemals irgendjemanden richtig kennen kannst. Die meisten Menschen kennen sich ja noch nicht einmal selbst. Würde ich also andeuten, dass ich Kurt jetzt kennen würde, wäre das die Form von Größenwahn und Arroganz, die man sonst vielleicht von Russell Brand erwarten würde. Ich persönlich würde einfach sagen, dass ich ihm wohl so nah gekommen bin, wie ich nur kommen konnte.

Bis zu einem Grad konnte ich Dinge herausfinden, die selbst seine engsten Freunde nicht wussten. Und es gab andersherum natürlich Sachen, die sie erlebt hatten und ich nicht. Selbst Menschen, die unglaublich viel Zeit mit ihm verbracht haben, haben von ihm nur einen Teil des Bildes bekommen und nicht das Ganze. Dazu kommt außerdem, dass ich bei Kurt das Gefühl habe, dass er dir wahrscheinlich sagen konnte, wie er sich fühlt, aber nicht unbedingt warum er sich so fühlt. Er konnte dir sagen, dass er sich davor fürchtete, dass man sich über ihn lustig macht. Es fehlte ihm aber an Eigenwahrnehmung, um damit einen Schritt weiter zu gehen—etwas, das in der Regel mit der Nüchternheit einsetzt. Wenn du Drogen nimmst, erschaffst du etwas wie einen Puffer.

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Warum war er wohl übersensibel gegenüber Erniedrigungen?
Dafür müssen wir ein ganzes Stück zurückgehen. Wir wissen, dass der Grund, warum er sich mit 14 umbringen wollte, Erniedrigung war. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er 10 war, und ihm war das peinlich und er schämte sich deswegen—das ist auch ein sehr ungewöhnliche Art und Weise eine Scheidung zu erleben. Die meisten Menschen geben sich eher selbst die Schuld dafür, wenn ihre Eltern sich trennen und fühlen sich alleingelassen. Scham und Verlegenheit sind aber etwas komplett anderes. Wir wissen also, dass diese Gefühle schon damals existierten. Also gehen wir noch ein Stück zurück, um das zu verstehen. Wir finden heraus, dass sein Vater, als Kurt sieben war, ihn damit aufzog, dass er sich nicht wie ein Erwachsener verhielt. Er schämte sich schlicht und einfach für das, was er war.

Können wir sogar noch weiter gehen?
Wir können noch weiter zurückschauen. Ich finde, dass der Film einem das ermöglicht. Im Gegensatz zu den meisten Filmen, in denen dann einfach ein Psychologe hingesetzt wird, der den ganzen Subtext nimmt, ihn an die Oberfläche befördert und solche Fragen auflöst, versuche ich es das Publikum selbst erfahren zu lassen. Ich würde sagen, dass alle Fragen, die behandelbar sind, in diesem Film behandelt werden.

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Brett Morgen, fotografiert beim SXSW von Peter Yoo.

Ich weiß, dass du planst, begleitend zu dem Film ein Buch und eine CD zu veröffentlichen. Hat das Spaß gemacht oder war es nervig?
Das hat nicht so wirklich Spaß gemacht, wenn ich ehrlich sein soll. Jetzt bin ich aber absolut begeistert, von dem was wir haben. Ich finde, dass das Buch eine wunderbare Begleitung zu dem Film ist. Darin sind die vollständigen Transkripte meiner Interviews mit Kurts Familie enthalten, die zuvor noch nie interviewt worden waren. Es ist also wirklich eine Schatztruhe voller Bilder und Geschichten von Kurts Familie. Es erscheint am 5. Mai.

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Du sagtest vorhin, dass es trotz des Erfolgs des Films momentan wenig Grund zum Feiern für dich gibt, da das Thema am Ende einfach sehr düster ist. Nichtsdestotrotz waren die Reaktionen überwältigend positiv.
Es ist unglaublich erfreulich zu lesen, was die Leute über den Film denken. Ich sage extra lesen, denn heutzutage erfahre ich genauso viel, wenn nicht sogar mehr, wenn ich Twitter-Kommentare lese, wie wenn ich mit den Menschen in einem Raum stehe. Wenn du nämlich im Raum stehst, dann kommen nur die Menschen zu dir, denen dein Film gefallen hat. Auf einem Filmfestival kommt niemand zu dir und sagt dir, dass dein Film scheiße ist. Man muss also alles mit Vorsicht genießen. Bei Twitter aber posten die Leute ihre ersten Gedanken schon, bevor die Lichter im Saal wieder angehen—ich liebe das!

Ich habe mich an dem Tag bei Twitter angemeldet, als Crossfire Hurricane auf HBO ausgestrahlt wurde. So etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Ich sitze da, während die Sendung läuft, und lese die Kommentare der Leute. Irgendwann werde ich dann richtig sauer. Warum schaut ihr euch nicht den verdammten Film an? Ihr könnt doch auch twittern, wenn er vorbei ist (lacht)!

Die Sache, die ich wirklich am Fernsehen hasse, ist die, dass du was fürs Fernsehen machst und dann mit einem Freund, deiner Frau oder wem auch immer zuhause sitzt, es läuft, vorbei ist und sich nichts verändert hat. Mit Twitter aber wird das zu einer interaktiven Erfahrung, bei der du unmittelbares Feedback auf eine Art bekommst, die ungefilterter ist, als beim Kinopublikum. Ich bin von diesen Unterhaltungen fasziniert, davon wie die Menschen den Film wahrnehmen.

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Bei diesem Film verfolge ich das in der Regel auch, wenn ich bei einer Vorführung mal nicht dabei bin—wenn sie in einem anderen Land oder Teil der Welt stattfindet. Ich weiß dann die Zeit, zu der die Vorführung vorbei ist und schaue mir an, wie die Leute darauf reagieren. Ich gebe einfach „Montage of Heck“ in die Suche ein. Hashtags habe ich nie verstanden.

Ich finde es super, dass du die Reaktionen bei Twitter liest.
Ach weißt du, weil bei diesem Film die Veröffentlichungsinformation so wirr war, kommen die Leute ständig zu mir an, um herauszufinden, wo sie den Film sehen können.

Du antwortest den Leuten gerade!
Hier, lass uns das mal gerade machen. OK. Dann schauen wir uns mal ein paar Tweets an.
„Any chance we can get in without a badge? Big Nirvana fans in here in Austin.” So, dann guck mal, was ich antworte. „I’ve got 20 tickets for you.”

Du gibst also gerade kostenlose Tickets für Fans in Austin raus?
Yep.

Das ist cool. Kennst du die Person?
Nee, noch nie von ihm gehört.

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Kurt Cobain: Montage of Heck ist ab dem 9. April für kurze Zeit im Kino zu sehen.

Das begleitende Buch kannst unter Anderem hier bestellen.

Peter Sholley würde gerne seinem Bruder George danken. Folgt Peter bei Twitter.

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