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Captain Ashi—Unterwegs im räudigen Band-Kosmos

Sechs kuriose Typen, mit denen du dir als Band den Backstage teilst

„I DID SO MUCH FUCKING COCAINE LAST NIGHT NOW I'M SO FUCKING SCARED MAN!“

Wenn man sich in das Abenteuer Tourleben hineinwirft, wird man in regelmäßigen Abständen mit interessanten Gestalten förmlich bombardiert. Man stößt hinter den Brettern, die die Welt bedeuten, nicht nur auf Clubbesucher, Fans, Barkeeper oder Veranstalter, sondern auch auf jede Menge Vorbands, DJs und Hauptacts. Von völlig verpeilten Goa-Ravern, bis zu prätentiösen Künstlervögeln mit Folk-Gitarre teilt man sich die Backstages mit jeder erdenklichen Form von Musikschaffenden. Da man im Backstage mitunter wahnsinnig viel Zeit verbringt und den größten Teil davon auch noch mit rumsitzen und warten füllt, kommt man zwangsläufig fast immer miteinander ins Gespräch. In den ersten zwei-drei Jahren meiner Bandgeschichte konnte ich gar nicht genug davon kriegen, verdrogte DJs und versiffte Rockmusiker kennenzulernen, weshalb ich mich euphorisch mit kreativen Eisbrechern an jedem Kennenlernen abarbeitete, bis ich die nächste neue, merkwürdige Persönlichkeit in mein imaginäres Poesiealbum kleben konnte. Irgendwann aber siegte auch bei mir die Gewöhnung über die Offenherzigkeit.

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Nach fünf Tagen Tour mit fünf verschiedenen Vorbands schiebt sich eine eiserne Barriere aus Insidergags und Wolfspack-Feeling zwischen deine Crew und die der local heroes, die nur langsam und mühselig mit viel Schnaps und einem gemeinsamen Abendessen am Catering-Buffet abgetragen werden kann. Durch das stete Kennenlernen und Beobachten von Support-Acts und Mucker-Kollegen in allen erdenklichen Formen hat sich in mir allerdings noch etwas verändert: Wenn ich zum ersten Mal z.B. den Backstage eines kleinen Festivals in der Provinz betrete, springt in meinen Augen ein Terminator-ähnlicher Infrarot-Scanner an, der die anwesenden Kollegen sofort in einige wenige Kategorien unterteilt. Den Betroffenen steht natürlich frei, ihre Schublade im Laufe des Abends zu verlassen und mich eines Besseren zu belehren, aber für die ersten paar Minuten bin ich mir ziemlich sicher, sie und ihre Band durchschaut zu haben. „Dich hab ich schon mal getroffen! Oder einen deiner Doppelgänger!“ Im Folgenden: Ein Blick auf einige auserwählte Kategorien aus dem schier endlosen Sammelsurium mysteriöser Backstage-Gestalten.

Band mit Hut

In meiner Sammlung von unnötigen Vorurteilen, die es zu widerlegen gilt, hält sich eines ganz besonders stark seit mehreren Jahren: Wenn der Bassist schon im Backstage Fedora-Hut oder Melone trägt und das auch zu seinem Bühnenoutfit gehört, stelle ich mir sofort vor, wie die dazugehörige Band klingt und wie sie entstanden ist. Sie haben sich auf einer Musikschule in einem Vorort von Hannover kennengelernt, haben ein paar Jahre lang aktuelle Hits auf Dorffesten gecovert und gehen jetzt mit „eigenem Material an den Start“. Den Slot im Lineup haben sie durch ein Online-Voting ergattert, bei dem die ganze Kleinstadt fleißig mit geklickt hat. Sie beherrschen ihre Instrumente ausgezeichnet und nutzen sie, um ihren ganz eigenen Mix aus Funk und Rock und Gute Laune zu verbreiten. Hin und wieder rappt der Sänger ein paar Zeilen darüber, dass man seinen eigenen Weg gehen muss und seine Freiheiten genießen soll, was der Hut tragende Bassist mit einem frech geslappten Solo untermalt. Irghs.

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Gleich kommt der Song über die eine große Party, die sie irgendwann mal alle zusammen feiern wollen und dann battlet sich der Keyboarder mit dem Gitarristen in einem zweiminütigen Kampf der Giganten. Wichtig ist dabei, dass einer von beiden einen Gitarrengurt oder zumindest einen Gürtel trägt, auf den Noten und Bassschlüssel gedruckt sind. Musik ist nämlich ihr Leben! Nach der Show wird die Band eine Stunde lang über nichtige Fehler im Set diskutieren und sich gleichermaßen energisch für besondere Leistungen auf die Schulter klopfen: „Aaaalter Matze, wie du bei 'Freiheit' heute noch mal die Oktave gewechselt hast! IRRE!“ Solltest du auf so ein Exemplar treffen, sträube dich trotzdem nicht davor, deinen Becher zu heben und kurz „Coole Show!“ zu nuscheln, denn auch wenn du ihr buntes Treiben für komplett geschmacklose Scheiße hältst, sind sie dir mit ihrem oft grenzenlosen Engagement und der Vernarrtheit in ihr Instrument zumindest in zwei Dingen voraus.

Verdrogte Raver

Da ich mit meinem eigenen Projekt am Tellerrand einer Suppe schwimme, die in den letzten 10 Jahren unter dem Begriff „Ravepunk“ serviert wurde, hatten und haben wir es nicht selten mit Ravern zu tun—klar. DJs, die Bollertechno auf 160BPM samplen, Punks, die ihre Umhänge-Keyboards in besetzten Häusern zertrümmern, Nerds, die mit gepimpten Gameboys musizieren. In diesen Kreisen spielten chemische Drogen häufig eine nicht zu unterschätzende Rolle, die das Kennenlernen im Backstage besonders spannend machten, weil wir Langweiler vom Dorf uns ängstlich von besagten Rauschmitteln fern hielten. Geschichten wiederholten sich zum Teil drei mal, weil der Erzählende die ersten zwei Durchläufe sofort wieder vergaß. Man musste sich bei jeder Begegnung neu vorstellen, da winzige Randinformationen wie Namen und Gesichter immer wieder im Pep-Staub untergingen. Überall hektisch zuckende, verschwitzte Gesichter und irgendwo ein Macbook voller Lines. Alles Dinge, die man noch amüsiert unter L wie Lebenserfahrung abbuchen kann. Wirklich unangenehm wird es erst, wenn man spontan den Job des Sozialhelfers übernimmt, weil der angesagteste DJ des Abends nicht mehr klar kommt. Mit gigantischen, angsterfüllten Augen starrte mich dieser braun gebrannte Typ auf unserer Amerika-Tour im letzten Jahr an, seine zittrigen Hände hielten fest meinen Arm umklammert: „Hännes! Hännes!“

„Wha… whats up?“ stotterte ich entgegen. „What time do I go up!?“ „You mean, when do you play?“ „Yeah, yeah!“ „I think… you go up at 3:30.“ „Hoooly shit.“ fluchte der DJ, fasste sich an den Kopf und begann wild im Kreis zu laufen. „I can't do it, I can't do it, I can't do it.“ wiederholte er wie besessen. Ich versuchte, ihn zu beruhigen: „Aww, come on, I'm sure you can…“ „I DID SO MUCH FUCKING COCAINE LAST NIGHT NOW I'M SO FUCKING SCARED MAN!“ Keine Chance. Der Terminator-Scanner sagt: Nimm dich in Acht! Schublade zu.

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Verwöhnte, viel zu junge Lümmel

Besonders in den südlichen Gefilden des Landes trifft man sie ganz gerne mal im Vorprogramm von Live-Venues und Festivals: Teenager, deren früh erkannte Talente von reichen Eltern gefördert wurden, damit sie nun als junge, aufstrebende, sexy Lümmel in Lederjacken und Tanktops durch die Clubs touren können. Das erste Majorlabel ist schon hellhörig geworden und pusht die Welpen viel zu früh in eine Sphäre, in der es tatsächlich schon einen Hauch von Fame regnet. Die verwöhnten Bengel sind daran zu erkennen, dass sich ihr Look an den derzeit hippen Acts von Übersee orientiert und sich ihre sorgfältig auf ungestyled gestylten Haare sich böse mit den postpubertären Hautproblemen beißen, die das Leben als Teenie so mit sich bringt. Du hast allerdings auch als Blinder eine gute Chance, die Kategorie schnell festzulegen, wenn du in den Backstage stolperst. Die verwöhnte Ex-Schülerband fällt nämlich auch durch die volle Bandbreite ihrer Dialogthemen auf: „Boah, i hab heut gleich zweiii Bitches auf der Gästelistn!“ „Haha, du bist halt eh der krasseste Typ!“ „Muss seiiiin!“ „Sauguad.“ Pädagogische Pflicht wäre es an dieser Stelle, den ergrauten, alten Tourhasen zu spielen und der Jugend auf die Finger zu klopfen. Aber niemand will freiwillig „der Alte“ sein. Also lässt du die Kiddies machen, fragst dich, ob du endgültig den Draht zur nächsten Generation verloren hast und beschwerst dich später in einer Kolumne über deine schreckliche Begegnung.

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Die Schülerband von nebenan

Du erkennst sie sofort daran, dass sie zwei Köpfe kleiner sind, als der Backstage-Durchschnitt, und ein bisschen so aussehen, wie die verwöhnten Lümmel von Punkt 3, bevor man ihnen den goldenen Löffel ins Maul geschoben hat. Die örtliche Schülerband, mit der du dir hier und da die Bühne teilst, wird sich erst vorsichtig an dich heranpirschen, sich freundlich vorstellen und zaghaft um dich tänzeln. Aber Obacht, wenn du jetzt den Finger hin hältst und interessiert reagierst, fressen sie dir die ganze verdammte Hand ab! Die Schülerband wird dich in den nächsten Stunden vor allen Dingen mit Fragen löchern. Vielen, vielen Fragen. „Hast du schon mal einen von Jennifer Rostock getroffen!? Stimmt es, dass Torsun von Egotronic auf Tour in einem Cryo-Tank schläft!? Wie teuer war das Gerät? Und das da? Ey, wart ihr echt schon mal in Tokio!?“ Du wirst dich geschmeichelt fühlen und gönnerhaft jede kleine Frage beantworten, denn du warst auch mal so drauf. Aber warts ab: Irgendwann rammt dir die Schülerband eiskalt das Messer in den Rücken! „Hast du Bock kurz 'nen Shoutout in die Kamera zu sagen? So, dass wir 'ne coole Band sind und so? Und kann ich mal was von deinem Schnaps?“ „Uff, also wisst ihr…“ Ab hier kann man nur noch verlieren. Wer einknickt und sich zu dem Schabernack überreden lässt, wird schnell zum offiziellen Paten einer halbgaren Aula-Kapelle. Wer ablehnt, wird auf dem örtlichen Schulhof als arrogante Diva gebrandmarkt, was sich über Nacht negativ auf deine Facebook-Likes auswirkt. Carola Schmidt: „hab gehört die solln voll arrogante assis sein.“ 4 Likes
Benni Meyer: „stimmt!!!! hab die jungs kennengelernt ZUM KOTZEN. Und sie schlafen wegen den ganzen drogen auf tour in einem CRYOTANK!!!“ 2 Likes

Die authentischen Straßenmusiker

Was auf Festivals in keinem VIP-Zelt fehlen darf, ist eine Band, die sich irgendwo im Catering-Bereich mit Akustikgitarre und Bongotrommel breit macht und lautstark musiziert. In Strickpullover und Cordhose sitzen Band und Crew auf einer zusammengeschobenen Couch-Ecke vor leeren Tellern und SINGEN. Auf, dass sie jeder hören möge, der gerade auf die dumme Idee kommt, sich eine Kelle Curryhühnchen abzuholen. Erst sind es die eigenen Hits, dann die von irgendeinem amerikanischen Singer-Songwriter und am Ende auch mal die von Bon Jovi. Wenn ich das sehe, droht der Terminator-Scanner schon, zu explodieren. Die Kategorie „authentische Straßenmusiker“ steckt so tief drin ihrer Leidenschaft Musik, dass ihnen die 40 Minuten Spielzeit auf der Bühne und die Dauerbeschallung drumherum eben nicht ausreichen. Da kann es keine Hürde sein, dass 13 andere Bands – oder zumindest ein verbitterter Penner, der von seinem Hangover geplagt wird (ja, ich meine mich)—gerade zähneknirschend im selben Raum abhängen. Spricht man die johlende Truppe auf ihr inbrünstiges Geklimper an, hört man oftmals folgende Erläuterung: „Wir machen halt noch ehrliche Musik.“ Erinnert mich dran, dass ich „Ehrliche Musik“ am Ende des Jahres zum räudigsten Buzzword der deutschen Musiklandschaft küre.

Echte Stars

Logisch, auf dem Scheunenfest Open Air in Bad Eisenkappel bist du mit deinen 7000 Facebook Likes der Star, der sich mit den Coverbands und Realschul-Kapellen die VIP-Area teilt. Wenn du dann zwei Tage später aber auf einer Veranstaltung aufläufst, auf der du der kleine Support-Act bist, steckst du ganz schnell selbst in der Haut der Verdammten. Die Stars des Abends erkennst du hauptsächlich daran, dass sie in einem fetten Nightliner anrollen, sie auch hinter der Bühne aussehen wie ein wandelndes Pressefoto, sie eine riesige Crew hinter sich herziehen und die eiserne Wand der Kontaktaufnahme schon so dicht gelötet ist, dass du dich geradezu peinlich durch die Ritzen quetschen musst, wenn du ihnen auch nur eine Begrüßung entlocken willst. Wenn es sich bei besagter Band auch noch um eine Truppe handelt, die du persönlich schätzt und feierst, wird’s brenzlig. Plötzlich bist du der Affe aus der Schülerband, der eigentlich nur einmal am Fame derer schnüffeln will, die schon mal so was wie einen Hit hatten. Aber an der Entourage aus Managern, Roadies und Stagehands kommst du nicht vorbei. Du kannst versuchen, deine Toiletten-Gänge so zu timen, dass du zwangsläufig einen der Stars beim Pinkeln triffst. Und dann? Dann kannst du endlich all die spannenden Fragen stellen: „Wart ihr echt schon mal in Tokio? Stimmt das, dass eure Sängerin in einem Cryo-Tank schläft? HAST DU BOCK 'NEN SHOUTOUT IN MEIN IPHONE ZU SPRECHEN!?“ Da schließt sich der Kreis. Schämen sollst du dich für deine Vorurteile! Und für deinen blöden Scanner!

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