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Captain Ashi—Unterwegs im räudigen Band-Kosmos

Warum dein letzter Konzertbesuch eine gnadenlose Enttäuschung war—Ein Erklärungsversuch

Ashi von Captain Capa erklärt euch, warum ihr von eurem letzten Konzertbesuch nur ein zermürbendes Gefühl der Enttäuschung mit nach Hause genommen habt.
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Foto via Flickr | Eva Rinaldi | CC BY-SA 2.0

Dinge, die man als Konzertbesucher gerne von einer Show mit nach Hause nimmt: Bandshirts, eine Schallplatte, eine nette Erinnerung, einen Ohrwurm, eine Telefonnummer, einen angenehmen Bierrausch. Dinge, die man nicht so gern mit nach Hause nimmt: Das zermürbende Gefühl der Enttäuschung, wenn die Show deiner Lieblingsband schlicht und einfach beschissen war. Die Gitarre war die ganze Zeit aus dem Takt, der Sänger hat jeden zweiten Ton versemmelt, die Drums hat man erst gar nicht gehört und statt einer Zugabe gabs zum Schluss nur ein lausiges „Thank you, Berlin“ vom Bassisten. Wie konnte das passieren? Warum war das Konzert deiner musikalischen Helden gerade so eine Katastrophe? Die Antwort klingt abgedroschen, ist aber wahr: Musiker sind auch nur Menschen und das Tourleben ganz nüchtern betrachtet auch nur ein Job. Ein ausgefallener, wilder Job, aber eben ein Job. Logisch also, dass hinter und auf der Bühne—genau wie bei deiner nine-to-five Beschäftigung im Büro oder in der Autowaschanlage oder wo auch immer—hin und wieder mal was schiefläuft. Ich erkläre euch gern, wo genau die Fehlerquellen liegen. Und zwar aus der Egoshooter-Perspektive. BAMM BAMM.

Der Sound

Ich würde—ganz ohne empirische Grundlage, aber aus Erfahrung—folgende Zahl in den Raum werfen: 85% aller gescheiterten Konzerterfahrungen sind auf das alte Schwein, den Sound, zurückzuführen. Klar ist es wichtig, dass eine Band weiß, was sie auf einer Bühne anstellt und halbwegs mit ihren Instrumenten zurechtkommt. Ein schlechter Soundmix oder eine beschissene Anlage kann allerdings dem talentiertesten Goldkehlchen und dem virtuosesten Gitarrenmonster einen derben Strich durch die Rechnung ziehen. Da verwandeln sich die pumpenden Bassläufe, für die dein Lieblings-Elektro-Act so bekannt ist, gerne mal in ein dröhnendes Gewitter unkenntlichen Krachs. Sanftes Gitarren-Genudel wird zu einem stechenden Tinnitus und alle 30 Sekunden gibt das Mikrofon ein grauenerregendes „FFFIIIÜÜÜÜÜUUUUU“ zum Besten. Dass der Artist an diesem Abend einfach nicht klingen mag, wie auf seinem glanzvoll abgemischten, überproduzierten Album, kann an einem unerfahrenen Tonmeister hinterm Mischpult liegen, an veralteter Schrott-Technik im Club oder an der Tatsache, dass der Künstler zu spät zum Soundcheck gekommen ist. Der Penner! Das Schlimmste daran ist: Die Musiker auf der Bühne kriegen überhaupt nicht mit, wie furchtbar es für die Besucher da unten gerade klingt. Der Sound, das alte Schwein, hat nämlich noch einen kleinen Bruder.

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Der Bühnensound

Was vorne aus den Boxen ballert und was die Band auf der Bühne hört, sind zwei völlig verschiedene Welten. Das muss so, schließlich will der Sänger mehr Stimme hören, der Gitarrist mehr Gitarre, der Drummer mehr Drums, etc. Das Ganze nennt sich dann Monitorsound. Wenn der dann mal so richtig schön scheiße klingt, weil beim Soundcheck zu wenig Zeit war oder sich am Vorabend jemand in die altertümlichen Monitorboxen erbrochen hat, kriegt das Publikum zwar erst mal nichts davon mit, es wird aber nach zwei, drei Songs merken, dass mit der Band heute irgendwas nicht stimmt. Die Vocals liegen durchweg einen Halbton daneben, als habe die Sängerin urplötzlich verlernt, wie man überhaupt singt und der Bassist steigt jedes verdammte Mal eine Sekunde zu spät in den Takt.

Und jetzt kommt ihr! Habt ihr mal mit Kopfhörern auf dem Ohr laut zu eurem Lieblingssong mitgesungen und euch dann gewundert, warum euch alle drumherum anschauen, als wollten sie euch die Stimmbänder aus der Kehle reißen? Das liegt meistens daran, dass du dein eigenes Gekrächze nicht hören kannst, wenn dir die Kassierer mit 80db in die Kopfhörer brüllen. Genau so geht es dir als Sänger einer Band, wenn du dich auf der Bühne einfach mal nicht hörst. Du kannst Mikrofon-Glücksrad spielen und versuchen, dich „blind“ durch die Töne zu navigieren, sei dir aber sicher, dass dabei nicht jeder Schuss ein Treffer wird. Wenn du dich dann durch ein ganzes Konzert mit grausigem Monitorsound gequält hast, wundere dich nicht über das gezwungene Lächeln der Die-Hard-Fans in der ersten Reihe. Grinse ihnen freundlich zu, verabschiede dich mit einem hektischen Winken von der Bühne und geh einen großen Bogen um die Youtube-Videos, die von deinem Stimmen-Gewackel morgen im Internet landen.

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„Krankschreibung, bitte!“

Versetzen wir uns kurz zurück in den Winter 2009. Das Top-Thema in den Medien: Schweinegrippe. Unsere kleine Band war noch absolut grün hinter den Ohren und im Rücken hatten wir ein einziges, winziges Album, das allerhöchstens als Geheimtipp in eingeschworenen Ravepunk-Kreisen durchgereicht wurde. Die Chance, die absoluten Koryphäen des aggressiven Ravepunks aus Deutschland, nämlich Egotronic, in einer so coolen Stadt vor 600 Leuten zu supporten, konnten wir uns also unter keinen Umständen entgehen lassen. Schade, dass sich in den Tagen vor dem Konzert eine widerliche Erkältung in meine Systeme geschlichen hatte, die mich langsam aber sicher von innen auffraß, wie einen alten, mürben Butterkeks. „Hannes du siehst furchtbar aus. Wird das was mit dem Konzert?“ „K… klar… d…das läuft.“ antwortete ich meinem Bandkollegen Maik mit kalten Schweißperlen auf der Stirn und einem Daumen nach oben. „Sag mal, hast du Schweinegrippe?“ „Blödsinn! Obwohl. Muss ich jetzt sterben!?“

Auf der Fahrt zur Show saß ich zitternd in meinen Mantel eingewickelt auf dem Beifahrersitz. Jeder Sekundenschlaf wurde von grässlichen Fieberträumen heimgesucht, in denen ich peinliche, wimmernde Laute von mir gab. Maik warf mir besorgte Blicke zu. „Egal… K… Konterschnaps im Club und g… gut ist.“ Inzwischen war ich überzeugt davon, dass mich the one and only Schweinegrippe in ihren schmierigen Klauen hatte. Sollte man mit Schweinegrippe auf die Bühne gehen? Sollte man mit Schweinegrippe überhaupt unter Leute gehen? Egal, wir waren im Vorprogramm von Egotronic und der Laden schon bei Ankunft berstend voll. Nur Weicheier sagen ein Konzert wegen laufender Nase ab! Also zwei Tüten Aspirin Complex in die Birne und einfach auf die Bühne schieben lassen. Was dann passiert ist, ist mir bis heute nicht ganz schlüssig. Nach 40 Minuten Konzert im Vollautomatik-Modus, in denen ich hin und wieder unangenehm ins Mikrofon hustete, einmal hinter dem Keyboardstativ wegklappte und mir zwischendurch zu 100% sicher war, ich würde gerade schweben, fiel ich nämlich klitschnass in den Backstage und konnte mich an exakt nichts mehr erinnern. Was erklärt, warum die Show laut Zeugenberichten zu den schlimmstem Momenten unserer Live-Historie zählt. Bevor ihr also das nächste Mal euer Geld zurückverlangt, weil ihr ein echt mieses Konzert abgegriffen habt, habt Mitleid: Der Typ da oben hat vielleicht Schnupfen und wird bald sterben.

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„I'm just really not a live-act. Oops.“

Folgendes Szenario: Hobby-Rapper XYZ lädt auf Soundcloud seinen ersten, fertigen Track hoch, wird von einem hippen Blog entdeckt, von der Indie-Polizei zufrieden durchgewunken und explodiert über Nacht zur HipHop-Hoffnung des Jahres. Im stillen Kämmerlein feilt er daraufhin weiter Song um Song—jeder zweite davon ein gnadenloser Volltreffer. Stereogum, Pitchfork und die Schülerzeitung der 7b Clausthal-Zellerfeld feiern MC Schie$mich†od in den Himmel. Was dazu führt, dass das rappende Kellerkind ohne Social Skills früher oder später auf Tour muss. Und da stehst du jetzt, mit deinem 35 Euro-Ticket in der Hand in irgendeinem Touriefänger-Club in der Hauptstadt und wartest auf seinen großen Auftritt. Das 18-jährige Wunderkind kommt nach 40 Minuten Verspätung unter tosendem Applaus auf die Bühne und greift zum Mikrofon, die Videoshow im Hintergrund flackert wild los, ein besonders verliebtes Fangirl fällt jetzt schon in Ohnmacht. Und dann? Dann startet das Playback, die Stimme kommt vom Band, der Rapper schnauft ein lahmes Karaoke-Spiel ins Mikrofon. „Umm, I'm sorry, but, we've been partying so hard these days… touring is pretty hard, you know? Umm, anyways… HUST, RÖCHEL, SCHNAUF, let's have some fun, yeah!? Fuck…“ Verdutzt schaust du dem ausgelaugten Jungspund beim Singstar spielen zu, während aus den Boxen unspektakulär das Debütalbum wabert. Keine Liveband, kein DJ, keine Show. Ein Tränchen staut sich in deinem linken Auge, während du deinen geliebten Nachwuchs-Rapper klammheimlich von deinem iPod entfernst.

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Es hat schon seinen Grund, dass die meisten guten Live-Acts erst mal jahrelang durch die schlimmsten Clubs der Welt geprügelt werden, bis sie erfahrene Entertainment-Schweine sind. Auf diesen ersten, schrecklichen Touren vor vier zahlenden Gästen lernt man eben, wie man mit dem Publikum spricht, auf einen Verstärker klettert, ein Mikro in die Luft wirft und generell seine Hemmschwelle senkt. Wer vom Homestudio direkt in ausverkaufte Läden springt, übergeht dabei ein paar wichtige Unterrichtsstunden in der Welt da draußen. Wenn das Publikum genau das merkt, ist es meistens schon zu spät für einen Rettungsversuch: „Sorry, I'm just really not a live-act. I'm going to cry in my studio now. Drinking champagne, counting your money. Farewell!“

„Wie sind wir hier gelandet?“

Nicht immer sind die versoffenen Künstler, die unvorbereiteten Techniker oder die Sparmaßnahmen des Veranstalters Schuld an einer katastrophalen Konzerterfahrung. Es kommt durchaus vor, dass die Band einfach mal komplett fehl am Platz ist. Stellt euch vor, ihr seid Booker einer aufstrebenden Band und bekommt folgende Anfrage:

Wer würde da schon nein sagen? Die Situation vor Ort ist dann wie folgt: Zwischen stumpfem Techno-Geballer und zwei Minimal-Floors teilst du dir die Hauptbühne mit der Coverband aus dem Nachbardorf und irgendeinem gefallenen Stern der Castingshow-Ära. Es sind genau vier deiner Hardcore-Fans anwesend, denen die Tickets für das Mini-Festival nicht zu teuer waren. Außerdem steht der Sohn des Veranstalters begeistert in der ersten (und einzigen) Reihe. Während die Disco-Zelte aus allen Nähten platzen, weil die Elektro-Gemeinde vom Land deine Musik nur mit Kopfschütteln beantwortet, schart sich vor der gigantischen Bühne, bestückt mit feinster Technik, nur eine winzige Traube enttäuschter Seelen. Egal, wie viel Mühe du dir bei dieser Show gibst: Es ist gelaufen. Die Situation ist für alle Beteiligten beschämend. Ihr schämt euch, das Fünf-Mann-Publikum schämt sich, der Veranstalter schämt sich. Was für ein schreckliches Konzert. Aber der Sohnemann ist happy!

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„Kacke, das Acid fängt an zu wirken!“

So erfahren mancher Pseudo-Rockstar im Umgang mit Rauschmitteln auch sein mag, schießt die Wahrscheinlichkeit der völligen Selbstüberschätzung gerade an lustigen Show-Abenden gerne mal immens in die Höhe. „Lass mich nur noch eine einzige, kleine vor dem Gig, damit's ein bisschen spannend wird!“ sind dann oft die letzten Worte vor dem Debakel. Mit geschwollenen Augen betritt der Star der Nacht das Scheinwerferlicht, hebt die Hand und begrüßt das Publikum. Der Beat setzt ein, der Bass rumort, jetzt nur noch ins Mikro schreien und der Laden explodiert! Doch gerade, als der Protagonist zum fulminanten Höhlenschrei ansetzt, werden die Pupillen schlagartig handtellergroß, die Droge der Wahl kickt mit voller Härte ein. Dem Mann der Stunde wird schwarz vor Augen, der Kreislauf streikt, die Galle wird schon fleißig in Richtung Norden gepumpt. Die Fans warten immer noch schockiert auf ihre geliebte erste Songzeile, doch ihr Prophet singt heute nur noch für die Sanitäter vor Ort.

Auch bei weniger überzogenem Drogenmissbrauch kann die falsche Droge zur falschen Zeit on stage allen Anwesenden das Konzert vermiesen. Wenn ihr nicht gerade in einer psychedelischen Stonerrockband spielt oder Goa auflegt, solltet ihr euch also zumindest ein Grundlevel von Klarheit bewahren, damit sich eure Setlist nicht in eine schwammige, unrhythmische Druffie-Jamsession verwandelt und allen Beteiligten außer euch den Abend versaut.

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Ihr seid Schuld! Ja, ihr!

Genug der Schuldzuweisungen zwischen Bandmitgliedern und Stagehands, zwischen Crew und Veranstaltern. Das wird jetzt hart und unangenehm, aber wir können ja ehrlich miteinander sein: Manchmal ist schlicht und einfach die Crowd schuld. Eine Liveshow ist immer auch ein Geben und Nehmen und von nix kommt nix. Dass beim ersten Song noch keiner aus der Haut fährt und Refrains mitbrüllt, ist völlig verständlich und kein Problem. Wenn in einem vollen Haus bei glasklarem Sound aber nach der ersten Hälfte des Gigs immer noch keiner mit den Füßen wackelt, drosselt das die Motivation der Kapelle natürlich in den Keller. Es gibt wenige Situationen, die beklemmender sind, als auf einer Bühne zu stehen und wie ein angestochenes Rhesusäffchen rumzuhampeln, nur um einem stocksteifen Publikum ein leises Klatschen abzumelken. Wenn ihr euch eines Tages in jenem stocksteifen Menschenknäuel befindet, tut zum Wohle eurer Lieblingsband das einzig richtige: Zündet eine Handgran… äh, nein! Nutzt die Tücken der Gruppendynamik, seid mutig und werdet selbst zum Rhesusäffchen! Denn tickt erst mal einer, dann ticken bald zwei… ihr kennt das ja. Die Band wird euch auf ewig dankbar sein und je nach Grad der Verzweiflung vor euch auf die Knie gehen. DANKE.

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