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Interviews

KMPFSPRT spielen vor blutenden Hulk-Skinheads

Japanische Kampftrinkspiele, die existenzielle Leere der YOLO-Generation und die Premiere des neuen Musikvideos zu „Atheist”—KMPFSPRT im Interview.

„Hart, schnell, nach vorne und auf die Fresse.” Die deutsche Hardcore-Gruppe KMPFSPRT haben keine Zeit für Vokale—jedenfalls nicht im Bandnamen. Das ist doch kein Name für 'ne Band, stellten die vier Kölner auf ihrer ersten EP vor zwei Jahren schon selbstironisch fest, sangen von „Affengeld” und „Staubsaugerlungen”.

Bevor es im Interview mit Gitarrist David um ihr gerade erschienenes Album Jugend mutiert, japanische Kampftrinkspiele und die existenzielle Leere der YOLO-Generation geht, legen wir euch aber noch die exklusive Premiere des neuen KMPFSPRT-Musikvideos zu „Atheist” ans Herz. Amen:

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Noisey: Lass uns mal gleich zum Punkt kommen: was ist denn die krasseste Tourgeschichte eurer jungen Band?
David: Da wir wahrscheinlich die un-VICE-ey-esteste Band sind, die ihr je interviewen werdet—keine Drogen, keine Groupies—kann ich da eigentlich nur von einem unserer vielen Trips in die deutsche Provinz erzählen. Neulich, irgendwo hinter Dresden. Wie sich herausstellte, war das „Festival” ein Schulfest. Die Security bestand aus Dynamo-Hools, die uns zur Begrüßung „Cologne, Cologne, die Scheiße vom Dom” vorsangen. Als wir spielten, waren alle im Raum komplett besoffen. Auf einmal sah ich aus dem Augenwinkel Leute durch die Gegend fliegen. Mitten im Raum stand ein Skinhead mit blutiger Nase, der gerade wie Hulk sein Shirt zerriss und dem Typ vor ihm ohne mit der Wimper zu zucken in den Hinterkopf boxte. Dann stürzte sich die Security auf ihn. Konnten ihn zu fünft gerade so aus dem Raum tragen. Dort riss er sich los und ging auf zwei gerade eingetroffene Bullen los, die ihn—zusammen mit der Security—irgendwie überwältigten. Dann brach er zusammen und ließ sich unter Tränen raustragen. Wir spielten das Set zu Ende, setzten uns in den Bus und kamen nie mehr wieder. Schön, das mal teilen zu können. Gründet keine Bands!

Jugend mutiert heißt euer erstes Album. Wozu mutiert sie denn?
Ist die Frage, wie du den Titel interpretierst. Für mich geht es darin eher um meine eigene Jugend, die zu etwas anderem mutiert: Auf einmal bist du—zumindest auf dem Papier—erwachsen, musst deine Rechnungen bezahlen, Versicherung und den ganzen Scheiß, der dich vorher nicht interessiert. Aber nur weil du älter bist, hörst du ja nicht auf zu leben. Jugend mutiert, aber sie endet nicht. Ich fühle mich noch genauso jugendlich wie mit 16, bin das aber de facto einfach nicht mehr. Also, Mutant and proud!

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„Am Ende Hell” fand ich beim ersten Hören textlich am stärksten. Erzähl uns doch ein bisschen zu dem Song, worum es geht, was er anklagt?
„Am Ende Hell” ist im Prinzip eine Art persönlich-politisches Manifest. Es geht darin um den Kapitalismus und wie er die Welt zerstört. Ich bin davon überzeugt, dass es keine menschenfeindlichere Idee geben kann. Überall Kriege, Chaos, Zerstörung, Unterdrückung, Mauern, Unfreiheit und Tod. Das kann doch nicht sein, dass es dazu keine Alternative gibt. Also schreien wir in dem Song alles raus, was uns an dem System abfuckt—sagen aber im Refrain, dass wir die Hoffnung haben, es ändern zu können. Sonst könntest du dich ja gleich umbringen oder Heroin schießen und Avicii hören.

Was sind denn dann eure politischen Forderungen? Auch an unsere Generation.
Ich kann hier nicht für die gesamte Band sprechen, da wird ja nicht alle komplett gleichgeschaltet sind. Aber ich denke, dass Dinge wie die Abschaffung eines Systems, das Rassismus, Sexismus, Nationalismus und Homophobie aufrecht erhält und fördert, ganz vorne auf der Tagesordnung stehen sollte.

Wie kaputt ist eigentlich alles?
Auch nicht mehr als früher, aber trotzdem sehr.

Trotzdem gibt es immer noch genügend Fortschrittsgläubige. Stichwort YOLO und Engelmann-Hype.
Dieses Engelmann-Video habe ich angefangen zu gucken, als es mir 100 Leute auf einmal in die Timeline posteten. Musste allerdings nach zwei Minuten aus Gründen akuter Langeweile wieder ausmachen. Deswegen konnte ich weder die Pro- noch die Kontra-Aufregung wirklich verstehen. Schön, nicht zu jedem Scheiß eine Meinung haben zu müssen. Ähnliches gilt für YOLO. Ich sah heute noch, wie jemand das Foto seines Mittagessens getweetet hatte. Mit der Bildunterschrift YOLO. Nudeln mit Tomatensoße, you only live once! Da war ich ganz froh, dass manche Leute nicht noch ein zweites Mal leben.

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Wie findest du es, dass ein recht belangloser Text über mal wach bleiben und auf Hausdächer steigen anscheinend Millionen bewegt, während die digitale Totalüberwachung eigentlich keinen wirklich kratzt? Im Gegenteil wir kaufen ja sogar selbst freudig die Geräte, mit denen wir kontrolliert werden.
Belanglos ist halt in. Die Leute reden nur noch über Dinge wie das Dschungelcamp oder feiern ironisch schlechte Musik ab. Niemand macht mehr ein ernsthaftes Statement und lehnt sich meinetwegen auch mal aus dem Fenster und sagt: „Ich will dies und dies und das nicht, dafür aber jenes.” Dazu gehört echter Mut, aber der ist im Moment halt einfach nicht hip. Lieber stundenlang darüber diskutieren, ob Larissa jetzt eine nervige Bitch ist—oder doch total edgy und cool, weil ihr alles egal ist. Da kann ich den Überwachern ja nur gratulieren. Besonders viel Subversives werden sie beim Kontrollieren der Geräte nicht finden.

David, du hast ja einige Zeit in Japan verbracht. Wie kam's dazu und was hast du dort gemacht?
Ich habe vier Jahre in Tokio gelebt, nachdem ich Japanologie studiert hatte. Ich fand Japan schon immer geil, irgendwie schien da alles extremer zu sein als hier. Hör' dir nur mal die ganzen HC-Bands an: Ich hatte damals eine 7" mit 666 Songs drauf. Darauf spielte der Drummer so schnell er konnte, und dann haben sie im Studio seine Spuren doppelt so schnell abgespielt. Sowas fasziniert mich. Dazu kam die Literatur, die Filme, all das. Deswegen hab ich das studiert und dann lange da gelebt.

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Was ist das Schönste und was das Verstörendste an der japanischen Kultur?
Am schönsten fand ich, wie friedlich alles war. Niemand, der einen auf der Straße anprollt, weil er deine Haare nicht mag. Und dann die Partys! Karaoke, All-you-can-drink-Punkrock-Bowling … Das war schon wirklich großartig. Aber klar, es gibt auch die schlechten Seiten. Mich hat ziemlich abgefuckt, dass—auch nach vier Jahren und trotz fließend beherrschter Sprache—ich als Ausländer niemals integriert war. Immer bist du höchstens geduldet. Auf Dauer war das dann nichts mehr für mich.

Was sind eure musikalischen Einflüsse?
Bewusste Einflüsse haben wir eigentlich keine. Also, dass wir denken würden „Wir müssen jetzt wie Band XY klingen” oder so. Aber all die Bands, die wir seit jeher hören, beeinflussen einen natürlich sehr. Bei mir sind das HC-Bands wie Gorilla Biscuits, Minor Threat und Black Flag genauso wie meinetwegen Weezer, The Smiths und Sunny Day Real Estate. Irgendwie alles, was melodisch ist, aber doch Edge und Attitüde hat.

Was macht ihr denn tagsüber, wenn ihr gerade nicht den bitteren Zustand unserer Doppelmoral-gepeinigten Zeit besingt?
Max und Richard arbeiten als Lehrer mit behinderten Kids, Dennis ist Chefredakteur beim FUZE Magazine und ich bin Journalist, meistens bei der Sportschau.

Wie habt ihr euch denn gegründet? Und wieso heißt ihr KMPFSPRT?
Unser Gründungsmythos geht auf glückliche Zufälle zurück: Dennis und Richard hatten gerade mit Fire In The Attic aufgehört, Max war nicht mehr bei Days In Grief und ich kam gerade aus Japan zurück. Da wir schon immer als beste Freunde zusammen in einer Band spielen wollten, dachten wir uns: Warum nicht jetzt? Dabei hatten wir eigentlich gar nicht mehr vor, als ab und zu mal hier und da eine Show zu spielen und—wenn es ganz gut läuft—vielleicht mal eine Platte aufzunehmen. Was danach passierte, war für uns beim besten Willen nicht zu erwarten. Der Name sollte andeuten, worum es bei uns als Band geht: Hart, schnell, nach vorne und auf die Fresse. Deswegen KMPFSPRT. Die Vokale haben wir dann weggelassen, damit das Wort nicht so prollig aussieht und die Leute damit nicht die deutschen Biohazard oder so assoziieren. Obwohl die natürlich geil sind!

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Was ist in der Zukunft geplant? Gibt's Shows?
Zunächst gehen wir mit A Wilhelm Scream auf Tour, danach bestenfalls nochmal mit einer weiteren Band, dann kommen die Festivals, dann noch eine Tour und hoffentlich bald das nächste Album! Im Prinzip kann für die Band alles genauso weitergehen und ich bin glücklich.

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