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Interviews

Lest das letzte Interview, in dem Kindness den bescheuerten blauen Hut trägt

Wir haben den englischen Pop-Provokateur so oft auf seinen Hut angesprochen, dass er ihn irgendwann verdammt hat.

Kindness in London im September 2014. Alle Fotos von Rebecca Miller Es gibt nicht viele Leute, die einen blauen Hut mit riesiger Krempe tragen können, ohne damit total albern auszusehen, aber der Alt-Pop-Produzent Kindness schafft genau das, als wäre es ein Leichtes. Anmutig positioniert er seine schlaksigen Gliedmaßen, kippt den blauen Filz Richtung Kamera und und schaut mit pflichtbewusster Intensität in das Objektiv—müde, vielleicht von den vielen Fotoshootings, den vielen Interviews und den vielen Kommentaren über das, was auf seinen langen, gewellten Haaren thront. Es ist zwar nicht Pharrells Riesenhut, aber er ist einschüchternd, wie ein paar Kurzgeschichten von Dostojewski, die auf den Kopf einer dünnen Gazelle geschnallt wurden. Er sagt: Ich bin anders. Er sagt: Ich bin selbstsicher. Er sagt: Stell mir keine dummen Fragen.

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Also mache ich natürlich genau das.

„Kann ich ihn aufsetzen?“

Ich setze mir den Hut auf den Kopf. Ich sehe total albern aus. „Es braucht nur Selbstvertrauen“, sagt er. Aber ich trage nicht die dazu passenden kornblumenfarbenen Socken, die zwischen einer weißen Hose und Converse aus weißem Leder hervorblitzen, um diesen Look wirklich angemessen aussehen zu lassen. Es ist diese Detailbesessenheit, ob nun bei Kleidung oder im Studio, die Kindness zu einem Künstler macht, an dessen Oberfläche du kratzen willst. Sein 2012er Debüt World, You Need A Change Of Mind war voller fast schon wissenschaftlicher Verweise auf Prince, Arthur Russell, Jimmy Jam und Terry Lewis, Chic, 80er Boyband-Soul und die Washingtoner Go-Go-Funk-Truppe Trouble Funk, zusammengestellt mit der Hilfe von Philippe Zdar von Cassius, um daraus verdammt funkigen Lo-Fi-Disco-House zu machen. Es war das Ergebnis davon—so sagt es Kindness—, ein riesiger Musik-Nerd zu sein und hat ihn als seltsamen Pop-Provokateur etabliert—jemand, der sich nichts dabei denkt, die Titelmelodie der englischen Seifenoper EastEnders zu covern und das auch noch auf dem Debütalbum zu veröffentlichen.

Du gewinnst allerdings auch den Eindruck, dass Kindness schon immer anders und eigenartig war. Er wurde als Adam Bainbridge geboren und ist in einer englischen Kleinstadt aufgewachsen, die Familie seiner Mutter bestand aus indischen politisch Vertriebenen aus Südafrika; sein Vater ist, wenn man Kindness’ Instagram-Account glauben kann, der heißeste Dad überhaupt. Er ist mit 18 von Zuhause ausgezogen und hat mit Londoner Indie-Noise-Bands in Pennsylvania, wo er eine Künstlerresidenz für das Philadelphia Institute for Advanced Study hatte, und in Berlin gelebt, wo er sich eine Wohnung mit seinem Freund aus Kindheitstagen, dem House-Produzenten Heatsick, geteilt hat. Er hat sich nie einer bestimmten Szene oder einem bestimmten Sound zugehörig gefühlt—außer vielleicht dem, den er seit World, You Need A Change Of Mind geholfen hat zu kultivieren—mit einem Haufen „Freaks“ und Future-Pop-Enthusiasten von Sean Nicholas Savage bis Sampha. Heute dreht er sowohl Musikvideos für Luaka Bops Projekt Willian Onyeabor, nimmt oder tritt mit seinem besten Kumpel Dev Hynes (aka Blood Orange) auf, geht mit Solange ins Studio oder macht Musikdokumentationen mit seiner Freundin, der Künstlerin Pauline Beaudemont (sie leben zur Zeit zusammen in Genf).

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Heute sitzen wir in London, in einem der letzten überlebenden Soho Members Clubs, in dem Bücher, die von den exzentrischen Mitglieder geschrieben wurden, wahllos auf einem Kaminsims gestapelt liegen und Männer und Frauen an dichten Tischen in Diskussionen über Menschenrechte vertieft sind. Aber selbst hier bewahrt sich Kindness einen überwältigenden Sinn an Andersartigkeit. Auch wenn er Teil einer künstlerischen Community geworden ist, fühlt er sich in der breiteren Musik- und Kunstwelt immer noch wie ein Outsider.

„Ich glaube nicht, dass ich mich jemals wie ein Insider fühlen werde“, sagt er nonchalant. „Bedenk doch nur, dass ich in vielen Umgebungen einfach nicht richtig aussehe; wahrscheinlich wäre der ideale Ort für mich eine Indie-Gitarrenband. Wenn ich mich also in anderen Bereichen bewege—besonders in der Popmusik—hast du diesen semi-androgynen Todd Rundgren-Typ, der im Studio herumschlurft. Und das verwirrt die Leute einfach oft.“

Auch wenn Kindness selbst sich zuallererst als Pop-Produzenten sieht, tun andere dies nicht. Er spricht über ein paar Sessions, die er mit [große Rap-Künstler bitte hier einfügen] gemacht hat, nachdem er von ihren Produzenten engagiert wurde. „Ich kann dir sagen, nur meine Erscheinung und die Art, wie ich mich kleide, haben sie so sehr verwirrt, dass sie mich nicht noch einmal fragen würden, wenn ich die besten Ideen der Welt hätte. Es klingt ein bisschen weinerlich, aber ich wollte wirklich, dass diese Sessions erfolgreich sind, und nicht wieder eingeladen zu werden, ist niederschmetternd. Aber gleichzeitig lasse ich mich durch die Art, wie ich aussehe, oder das Artwork oder die Videos, die ich mache, nicht aufhalten. Ich werde mir nicht die Haare schneiden oder anfangen, Rocawear zu tragen, um meine Beziehung zu HipHop oder Funk oder R'n'B verständlicher zu machen.“

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Es ergibt daher Sinn, dass er sein neues Album Otherness—Andersartigkeit—genannt hat. Es ist von Soul, Jazz, R'n'B, Elektro und sogar afrikanischem Folk beeinflusst („For the Young“, das auf einem wunderbaren Sample von Herbie Hancock und Foday Musa Susos Folk-Liedchen „Moon/Light“ basiert). Trotzdem wurde es durch Kindness’ Ohr für musikalische Andersartigkeit gefiltert—und bedient sich dabei dezenten Einflüssen der Vergangenheit, von den 70ern Princes bis zu den 2000ern Timbalands, während es gleichzeitig so klingt, als würde es mit beiden Beinen in der Zukunft stehen.

Er beschreibt die Entstehung von World, You Need A Change Of Mind als eine einsame Erfahrung, während Otherness das totale Gegenteil war. Es ist eine kollaborative Platte, von Kindness selbst produziert, aber in Zusammenarbeit mit Freunden und gleichgesinnten Künstlern entstanden wie Hynes, Robyn, Kelela, Tawiah und dem ghanaischen Rapper M.anifest. Als Produzent war der R'n'B-Studio-Veteran Jimmy Douglas involviert, der Mann, der Timbalands Genre-definierende Songs von Aaliyah und Missy Elliott perfektioniert hat. Ihre Unterstützung hat ihm geholfen, sich „noch wohler mit dem zu fühlen, was ich mache“ und mit ihnen jeden Tag ins Studio zu gehen, war eine angenehme sogar freudige Erfahrung. Vielleicht weigert er sich deshalb, darüber zu sprechen, da die Freiheit des Albums es in gewisser Weise noch persönlicher macht. „Es gibt keinen schützenden Verband; es liegt alles blank“, sagt er und lässt für einen Moment seine Deckung außer Acht.

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Der Albumtrack mit Robyn mit dem Titel „Who Do You Love?“ hat auch zu einem eigenständigen Projekt mit Jimmy Jam und Terry Lewis geführt, dem Produzenten-Duo hinter Janet Jacksons größten Hits. Es war zu spät, um noch für Otherness zusammenzuarbeiten, sagt Kindness, aber wenn Terrys Gedanken über „Who Do You Love?“ von Bedeutung sind, dann wird ihre nächste Zusammenarbeit wahrscheinlich, naja, weniger merkwürdig.

„Robyn und ich haben ihnen den Song vorgespielt und Terry hat einfach nur gelacht über das Drum-Arrangement—ein obskurer von Bob und Lola Blank produzierter Break aus LaChandras „Shy Girls“, der hin und her schwankt—„weil er dachte, er wäre daneben.“ Ist das eine angemessene Beschreibung? „Ich würde sagen chaotisch“, bietet er an.

Die vorrangige Kritik an World, You Need A Change Of Mind war, dass die Platte hyper-referentiell sei, aber trotz dieses vermeintlichen Chaos’ ist Otherness weniger darum bemüht, offen mit Einflüssen zu prahlen. Es gibt dieses Mal zumindest kein Äquivalent zu „Anyone Can Fall In Love“. Zwar taucht der 1985er Track „Moments In Love“ der britischen Synthpop-Gruppe Art Of Noise—eine „zehnminütige instrumentale Ode an die Sinnlichkeit“, wie die Wikipedia-Seite der Band verrät—bei „With You“ auf, bei dem Kelela ihre Stimme über einen verführerischen Downtempo-Sound legt. Aber abgesehen von diesen paar Referenzen und einer Kuhglocke, die genauso klingt wie die in Massive Attacks „Unfinished Sympathy“—worüber er ebenfalls nicht sprechen will—ist das Album nicht voller historischer Fußnoten.

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„Ich denke, ich bin dieses Mal weniger plakativ“, gibt Kindness zu. „Ich mag die Vorstellung, Leute herauszufordern, indem ich subversive Elemente in die Popmusik einbringe, aber ich denke, die Songs waren schon so komplex genug—es musste nicht noch eine weitere Ebene der Ablenkung geben. Ich will einfach, dass die Leute zu schätzen wissen, dass Pop warm und freundlich sein kann, selbst wenn es nicht so klingt, wie sie es gewohnt sind. Ich weiß, dass hunderte von Referenzen und Verweise da drin sind, aber sie springen dir nicht ins Gesicht.“

Nicht, dass er die Besonderheiten seiner Musik groß diskutieren will. Tatsächlich redet er lieber über traditionelle jüdische Kleidung, seine Snapback-Sammlung und eine lange Liste an Dingen, die er dir wie einem alten Freund anvertraut, von denen er aber in herzlich bedrohlicher Art sagt, dass sie „vertraulich“ seien. Musikalische Themen und Ideen und all die Dinge, die er in dieser Woche bereits in unzähligen anderen Interviews gesagt hat—was er mehrere Male betont—stehen nicht auf seinem Plan.

Trotzdem will er über die Verallgemeinerungen, die andere für ihn und seine Musik verwenden, sprechen. Besonders verärgert ist er über ein britisches Musikmagazin, das ihn kürzlich als den „weißen Prince“ bezeichnet hat.

„Ich bin ein Typ mit multiethnischem Hintergrund, der bequem in der britischen Gesellschaft lebt. Dinge falsch zu vereinfachen, finde ich also unangenehm. Es fördert diese ganzen Kurzschlussreaktionen, bei denen Leute alles an meiner Musik darauf zurückführen, wie ich aussehe.“

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Ebenso erstaunt ist er über einen Artikel des New Yorker von Sasha Frere-Jones über Kelela, FKA Twigs und die sogenannte „New Wave of Alternative R'n'B“. „Ich erinnere mich, dass bei Kelelas erster Pressemitteilung für ‚Cut 4 Me‘ der Begriff R'n'B vollständig weggelassen wurde“, sagt er, wobei eine Strichzeichnung des Gesichts der Sängerin sein T-Shirt ziert, das er stolz glatt streift. „Diese beiden Frauen sind eher wie Björk, als irgendeine Mainstream R'n'B-Sängerin, also wieso werden sie nicht so wie Björk gesehen? Warum können sie nicht einfach experimentelle Elektro-Musikerinnen sein? Das ist eine gefährliche Vereinfachung mit Hilfe von Genrenamen, um die Künstler in deine Sichtweise einzuordnen—damit bin ich nicht einverstanden. Ein Artikel, der diese beiden Frauen hauptsächlich auf Grundlage ihrer Hautfarbe zusammenfasst, ist für mich fauler Journalismus. Sorry, Sasha.“

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Manchmal schafft es Kindness, so begriffsstutzig rüber zu kommen, dass ich seinen blauen Hut nehmen und darauf treten will. Aber er wirkt dieser Ausstrahlung mit einer liebenswerten Unbeholfenheit entgegen. Im Video zu einer seiner ersten Single „House“ war nicht einmal der ganze Song zu hören, stattdessen sah man wie Kindness einem Jungen zeigt, wie man Klavier spielt. Und im Video zu seiner neuesten Single „This Is Not About Us“ gibt er eine merkwürdige Tanzeinlage neben einer glamourösen Frau zum Besten, wobei seine Gliedmaßen aussehen, als könnten sie sich ineinander schlingen wie Spaghetti. Es ist nicht dandyhaft, es sieht aus wie jemand, der auf die Norm scheißt.

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„Was mich immer wieder beschäftigt, ist, warum Andersartigkeit von manchen Leuten für etwas Negatives gehalten wird“, erklärt er. „Und meine Intention war, zu sagen: Vielleicht ist das nichts für jeden, aber es sollte geschätzt werden. Es benötigt nur einen anderen Blickwinkel auf die Dinge. Und das ist meine Herangehensweise für mein Leben und auch für das, was ich mit meiner Musik mache.“

Ich sollte dich wahrscheinlich etwas anderes zu deinem Album fragen.

„Nein, musst du nicht.“

Ich lege meinen Zettel mit Fragen, die ihm schon tausend Mal gestellt wurden, beiseite, aber ich gucke mir immer noch diesen verdammten Hut an. Wem stehen Hüte besser? Dir oder Dev?

„Dev. Er hat eine viel breitere Palette an Hüten.“ Er steht auf, um zu gehen, streift ihn vom Stuhl und setzt ihn sich auf. „Das ist das letzte Shooting, das ich jemals damit machen werde.“

Otherness ist gerade bei Pias Coop / Female Energy (rough trade) erschienen. Holt es euch bei Amazon oder iTunes.

Kate Hutchinson ist Journalistin, Redakteurin und vielseitiges Juwel aus London. Außerdem kann sie Hüte tragen. Folgt ihr bei Twitter.

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