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Wie Keshas Karriere von der Männer-dominierten Industrie zerstört wurde

Das passiert, wenn eine Frau einen der mächtigsten Männer der Musikindustrie des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.

Macht ist für Frauen im Pop eine Illusion. Zumindest gilt dies für aufsässige und rebellische Damen wie Kesha, die letzten Oktober gegen ihren Produzenten Dr. Luke eine Klage wegen sexueller Belästigung und Vergwaltigung eingereicht hat und seither in einer beinahe ausweglosen Karriere-Sackgasse steckt. Dr. Luke hat auf Keshas Klage wiederum mit einer Klage wegen Erpressung reagiert. Anfang der Woche wurde bekannt, dass Kesha aufgrund ihrer vertraglichen Verpflichtungen mit Dr. Luke und Sony (die nichts unternehmen, damit sie ihre Karriere weiter verfolgen kann, solange der Streit andauert) nicht auf Tour gehen, Musik aufnehmen oder sonstige Karriereinteressen wahrnehmen kann und als Ergebnis „irreparablen Schaden“ nimmt. Das, so scheint es, passiert offenbar, wenn eine Frau einen der mächtigsten Männer der Musikindustrie des gewaltsamen sexuellen Kontakts beschuldigt.

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Falls du nicht genau weißt, wer Dr. Luke ist: Denk an diesen Nummer-Eins-Hit, den du so liebst. Er hat ihn wahrscheinlich produziert. „Teenage Dream“ und „I Kissed A Girl“ von Katy Perry. „Party In The U.S.A.“ und „Wrecking Ball“ von Miley. Kelly Clarksons „Since U Been Gone.“ Britneys „Till The World Ends“. Und natürlich Keshas „Tik Tok“. Kesha und Dr. Luke schienen eine professionelle Langzeitbeziehung zu führen, von der beide profitiert haben (er hat ihre Hits produziert, sie hat sie verkauft), bis sie ihn 2014 beschuldigt hat, dass er „sich ihr aufgezwungen hat“. Sie hat darüber hinaus noch gesagt, dass er seinen sexuellen Missbrauch als Druckmittel genutzt habe, um ihre Arbeitsbeziehung zu kontrollieren und sie vertraglich zu manipulieren. Sie hat impliziert, dass Sony ihn dabei stützt.

Dr. Luke und Sony haben schnell dementiert und Kesha erpresserisches Verhalten unterstellt. In ihrer Klage heißt es, dass sie sich dadurch aus ihrem Vertrag befreien wolle und „Kesha und Pebe [Keshas Mutter] eine Kampagne inszenieren und falsche und schockierende Anschuldigungen gegen [Dr. Luke] Gottwald öffentlich machen, damit Kesha aus dem Vertrag mit Gottwald entlassen wird“. Sie haben den Fall außerdem weiter verkompliziert, indem sie ein Gericht in New York auf Basis einer Klausel in Keshas Vertrag urteilen lassen haben, der in Kalifornien gemacht wurde, wo auch ihre Klage eingereicht wurde. Klingt wie unverständlicher, bürokratischer Nonsens? Genau das ist es im Prinzip auch und als Resultat sind Keshas eigentliche Anschuldigungen in den Hintergrund geraten: dass Dr. Luke sie sexuell belästigt hat. Dies macht den traurigen Zustand eines Rechtssystems sichtbar, das eine Kultur am Leben erhält, in der das Opfer verantwortlich gemacht wird und nicht der Täter.

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Natürlich steht zur Zeit noch nicht fest, ob Dr. Luke wirklich schuldig ist. Das Ergebnis der gegenseitigen Klagen bleibt so, dass Kesha zum Stillstand gezwungen wurde, während Dr. Luke weiter Erfolg mit seiner Arbei hat. Seit die Klage gegen ihn im Oktober 2014 eingereicht wurde, hat er unter anderem Songs für Nicki Minaj, Usher, Pitbull, Maroon 5, Ciara, Fifth Harmony, Chris Porter, Flo Rida produziert. Anstatt Kesha aus ihrem Vertrag zu entlassen, haben Dr. Luke und Sony sie nicht nur weiter an sie gebunden, sondern sie halten sie außerdem aktiv davon ab, zu arbeiten. Wer erpresst hier also wen? Das ist die unzumutbare Last für Frauen: Wenn sie jemandem Missbrauch vorwerfen, dann gelten sie oft so lange als schuldig, bis sie für unschuldig befunden werden. Kesha, mit geringerem Standing, weniger Ressourcen und ohne Ausweg, ist in diesem Fall allerdings die einzige, die leidet. Deshalb hat Keshas Anwalt am Freitag einen Antrag eingereicht, durch den sie von ihren vertraglichen Pflichten gegenüber Dr. Luke und Sony entbunden werden soll. Wie das Gericht entscheidet, bleibt abzuwarten.

Jetzt bei VICE: „Selbst wenn eine Frau nackt und betrunken übers Oktoberfest läuft, hat niemand das Recht, sie anzufassen."

Im Moment ist Twitter voll mit Unterstützern, die #FreedomForKesha twittern, aber ein Hashtag wirkt sich auf die Realität eben nicht zwangsläufig aus. Immerhin erzeugt es aber Aufmerksamkeit für ein Problem, das für jede Frau, die eine Vergewaltigung anzeigt, leider an der Tagesordnung ist: Sie verliert ihre Freiheit und so geht es vielen Frauen: Sie werden von einem bösartigen, mächtigen, weißen und männlichen Patriarchat ausgeschlossen und geächtet, wenn sie versuchen, gegen ihren Angreifer aufzubegehren.

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Kesha verkörpert die Quintessenz der aufsässigen Frau. Sie stellt ihre Sexualität offen zur Schau und Dr. Luke und Sony haben beide stark von ihrem gewagten Image profitiert. Sie haben aber auch genau dieses Image benutzt, um sie aufgrund ihrer offenen Sexualität implizit als mitschuldig darzustellen. Kesha ist eine Frau, die—bis jetzt—immer gehandelt hat und nicht nur einfach als eigenständige Songschreiberin und Sängerin aufgetreten ist. Sie hat mit ihrem Image, ihrem öffentlichen Aktivismus und ihren Texten wiederholt altmodische Auffassungen der weiblichen Sexualität herausgefordert. 2013 hat sie „Dirty Love“ veröffentlicht, eine Ode an Frauen, die Sex als simplen Akt offen genießen. Ihre Texte drehen sich entweder darum, Sex zu haben oder mit Glitzer um sich zu werfen, wie bei „Who’s Next?“, wo sie singt: „You know I just can't get enough/ Who’s next/ Who’s next fun time n sex.” In einer Publikation des LGTB-Netzwerks GLAAD wurde sie erwähnt, weil sie zu ihrer eigenen Bisexualität steht, zu der sie sich in einem Interview so geäußert hat: „Ich liebe nicht nur Männer. Ich liebe Menschen. Es geht nicht nur um ein Geschlecht“. Sie hat öffentlich über ihre Depressionen, ihren Drogenentzug und ihre Essstörung gesprochen (die angeblich durch Dr. Luke gefördert wurde, der ihr gesagt habe, sie sehe aus „wie ein Kühlschrank“).

Kesha hat während ihrer ganzen Karriere das Kräfteverhältnis zwischen den Geschlechtern herausgefordert und die Grenzen weiblicher Anständigkeit auf eine Weise gesprengt, die furchtlos und inspirierend war. Und dann hat Kesha es gewagt, sich gegen das Patriarchat zur Wehr zu setzen. Sie hat es gewagt, verletzt zu sein und das auch zu sagen, und dafür wurde sie bestraft. Es ist unfassbar, wie sich die Sexualität einer Frau nutzen lässt, um damit eine Menge Geld zu verdienen und sie dann gewaltsam gegen sie zu verwenden, wenn es „notwendig“ wird.

Keshas Fall sollte bei jeder Frau für Unbehagen sorgen. Er fördert die gefährliche Vorstellung davon, dass eine Frau, die „dreckige Liebe“ will—die viele Sexualpartner hat und kurze Röcke trägt—implizit mehr Schuld an einem sexuellen Übergriff hat als der wahre Täter. Auch wenn dies nicht explizit von Dr. Luke oder Sony so geäußert wurde, ist die Botschaft klar: Wenn du dich gegen den Status Quo auflehnst, wirst du zerstört. Keshas Fall steht symbolisch für die Verbreitung der Rape Culture. Dr. Luke gilt, so lange ihn kein Gericht verurteilt hat, als unschuldig. Kesha hatte nicht so viel Glück und muss ihre Strafe bereits absitzen.

Kat George ist eine Autorin aus Brooklyn. Folgt ihr bei Twitter.

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