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Interviews

„Jeder kennt diese eine Freundschaft, die man verkackt hat"—KaynBock im Interview

Drei Jahre nach der „Neuen Reimgeneration“ hat KaynBock sein Debütalbum veröffentlicht. Zeit für ein Parkbank-Gespräch. Bielefeld-Style.

Foto: Julian Essink

„Du kommst aus Bielefeld? Bielefeld gibt’s doch gar nicht“. Ne, gibt es auch nicht, du Idiot. Da wo Bielefeld sein sollte, ist eigentlich ein riesengroßer Vergnügungspark in dem sich Dr. Oetker, Oliver Welke und Casper gemeinsam mit Elvis, John F. Kennedy und Tupac von Geishas massieren lassen. Dort, wo Witzbolde wie du uns nicht auf den Sack gehen können.

Aber mal ehrlich, es gibt nichts besseres, als in Bielefeld aufzuwachsen. Die Stadt ist eine der lebenswertesten Städte in ganz Deutschland. Ihr glaubt uns nicht? Dann fragt mal KaynBock, der in Bielefeld geboren, aufgewachsen und tatsächlich immer noch sesshaft ist.

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Der Rapper kam 2011 mit seinem Mixtape Trümmertetris auf die Bildfläche und fand sich neben Leuten wie Cro, Olson, Ahzumjot und Rockstah in einer Diskussionsrunde wieder, die Falk Schacht zur „Neuen Reimgeneration“ ausgerufen hatte. Damals standen diese Jungs stellvertretend für eine neue Welle im Deutschrap, die unverkrampft über eigene Problemen wie das Erwachsenwerden reflektierten, wenn man Cro mal außen vor lässt. Statt die Aufmerksamkeit zu nutzen und einen Schnellschuss abzufeuern, setzte sich Kai mit seinem Produzenten Awe hin um an seinem Debütalbum zu arbeiten. Drei Jahre später hat er nun Astronaut herausgebracht, ein reifes aber eben nicht prätentiöses Zeugnis des Erwachsenwerdens.

Wie sich das für zwei Bielefelder gehört, haben wir ein ausführliches Gespräch auf einer Parkbank vor Kais Wohnung geführt.

Noisey: Warum hast du dich entschieden, in Bielefeld zu bleiben und nicht wie fast jeder Kreative aus dieser Stadt nach Berlin zu ziehen?
KaynBock: Das musste ich bis jetzt einfach nicht. Ich habe viele Kontakte und Freunde in Berlin, zu denen ich immer hinfahren kann. Wenn ich da bin, ist es wie Urlaub in der Rapwelt. Danach kann ich wieder zurück in mein behütetes Heim nach Bielefeld, wo alles in Ordnung ist und ich meine Ruhe habe.

Fühlt man sich hier nicht etwas außen vor?
Es ist einfach so, dass 95 Prozent der Szene sich in Berlin abspielt. Dadurch, dass ich da nicht aktiv teilhabe, merke ich schon, dass ich da bisschen außen vor bin. Auch wenn ich überall mit offenen Armen willkommen bin und mittlerweile in einer gewissen Liga mitspiele. Das ist aber kein Grund zu sagen: Boah, ich muss da aber zugehören. Aus dem Alter bin ich raus.

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Ich stelle mir das sehr schräg vor: Auf der einen Seite Rapper-Highlife, auf der anderen Seite Bielefeld.
Das ist total witzig. Wenn Leute einen fragen, wen man denn als Rapper kennt und man erzählt, dass man sich mit Savas über Whattsapp schreibt und mit Cro im Backstage Fußball spielt, dann gucken die einen an wie Aliens. Aber das gehört halt auch zu meinem Rapberuf dazu. Ich finde es schön von Leuten umgeben zu sein, für die das nicht normal ist. Die nehme ich dann gerne mit, damit die das auch mal miterleben.

Wie würdest du Bielefeld jemandem erklären, der noch nie da war?
Bielefeld ist so eine Alles und Nichts Stadt. Du hast hier irgendwie alles und gleichzeitig gar nichts. Das ist schwierig zu erklären.

Ich glaube auch, dass die Bielefeld Verschwörung dadurch entstanden ist, dass Bielefeld so durchschnittlich ist.
Ein sehr schönes Zitat über Bielefeld ist: Menschen, die aus Bielefeld kommen, haben es schwer woanders zu leben. Und Menschen die von woanders herkommen, haben es schwer, hier zu leben. Wegen diesem Alles und Nichts-Ding. Wenn man hier aufgewachsen ist, dann mag man dieses Mittelmaß. Im Mittelmaß kann man ja auch sehr zufrieden sein. Wenn du anderes gewöhnt bist, ist es schwierig.

War deine Kindheit in Bielefeld also auch von mittelständischem Mittelmaß geprägt?
In Stieghorst, wo ich ich aufgewachsen bin, musste ich mich schon ab und zu mal umdrehen. Das war kein Ghetto, aber es gab schon Situationen, wo es unangenehm war. Aber ich bin ganz froh drum.

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Wolltest du in deiner Kindheit wirklich Astronaut werden?
Das Weltraumding hat mich wirklich fasziniert, aber niemand konnte es mir wirklich erklären. Deswegen wollte ich es selber erkunden und dann dachte ich mir: Du wirst Astronaut.

Wann hast du dich von dem Traum verabschiedet?
In meiner jugendlichen Depression (lacht). Irgendwann hat meine Mutter gesagt, dass ich was Vernünftiges machen sollte. Das habe ich dann auch probiert.

Was hast du gemacht?
Ich war Beamter im öffentlichen Dienst.

Nicht dein Ernst! Welcher Bereich?
In der Ausbildung musst du alles durchlaufen. Ich habe es nach der Ausbildung geschmissen, weil es die Hölle war. Ich bin auch die letzten Monate gar nicht mehr hingegangen. Ich habe es richtig gehasst.

Was war so schlimm daran?
Dieses graue Büro. Jeden Tag das Gleiche. Du kannst null kreativ sein oder dich irgendwo einbringen. Zum Schluss war ich in der Ausländerabteilung, wo es dann um Abschiebung und solche Geschichten ging. Da kam ich dann mit meinem Denken gar nicht drauf klar. Die haben da auch bewusst Leute hingesetzt, die es gerne machen. Aber müssen die wahrscheinlich auch. Irgendwer muss den Job ja machen. Ich jedenfalls nicht.

Hat dir diese Zeit trotzdem was gebracht?
Durch die Zeit habe ich viel Struktur in mein Leben bekommen, weil ich mir davon viel abgeschaut habe. Aber vor allem habe ich gesehen, wie ich nicht leben möchte. Da waren Leute, die mit 18 in die Ausbildung gegangen sind, jetzt Mitte vierzig sind und in ihrem ganzen Leben nichts erlebt haben. Außer mal nach Teneriffa zu fahren.

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Als Beamter müsstest du dir heute keine Sorgen mehr machen.
Du kannst dir vorstellen, wie die Reaktion im Elternhaus war. Danach habe ich erstmal nur mein Leben genossen und in Discos an der Bar gearbeitet. Aber ich habe auch mein Abi nachgeholt. Ich war vorher mit Schule und Ausbildung immer in irgendwelchen Regeln drin. Plötzlich hatte ich meine eigene Wohnung und war völlig frei. Das wollte ich auf jeden Fall ein paar Jahre ausnutzen. Trotzdem habe ich nie Chilly Willy gemacht, weil meine Eltern mich auch nicht finanziert haben. Ich habe immer gearbeitet. Ich würde mich schämen, wenn ich zu meinen Eltern gehen müsste und nach Geld für die Miete fragen müsste.

Viel wurde über die Neue Reimgeneration gesprochen, die Falk Schacht vor drei Jahren ausgerufen hat. Du saßt in dieser Runde neben Cro, der im Laufe der nächsten Monate zum Superstar aufgestiegen ist. War das für dich schwierig zu sehen, weil du mit deiner Musik nicht sofort den gleichen Erfolg haben konntest?
Man hat natürlich den Gedanken, dass wenn man was anderes machen würde, es einfach schneller gehen würde. Aber ich mache nun mal die Musik, die ich mache und ich kann nichts anderes erzwingen. Astronaut war das Album, dass ich drei Jahre lang machen wollte. Ich wusste, dass das keine kommerzielle Platte wird, weil du mit so nachdenklicher Musik schwieriger Menschen erreichen kannst. Es ist viel von den Leuten verlangt, sich auf dich einzulassen, wenn sie vorher nichts von dir gehört haben und du nicht den einen Hit hast, den sie vorher schon kannten.

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Was wolltest du denn für ein Album machen? Immerhin ist es dein Debüt.
Ich wollte meine Jugendzeit einfangen, bis zu dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Aber ich glaube, dass sich viele Menschen darin wiederfinden. Ich habe unglaublich lange Mails bekommen, die mir genau das bestätigen. Von Jüngeren aber auch Älteren, die ihre Jugend mit meinem Album reflektieren.

Viele deiner Themen sind ja noch aktuell. Ist es schwierig, diese so zu behandeln, dass sie nicht zu sehr aus dem Moment heraus wirken? So dass sie in zehn Jahren immer noch Gültigkeit haben?
Da vertraue ich auf mein Gefühl. Wenn es sich beim Schreiben richtig und gut anfühlt, dann ist es auch richtig gewesen. Ich habe noch Themen, die krasser sind, als die, die ich auf dem Album behandelt hat. Aber die haben sich beim Schreiben noch nicht richtig angefühlt, deswegen habe ich die Themen noch nicht gemacht. Auch bei dem „Steine”-Song habe ich ewig hin und her überlegt, wie ich das Thema behandeln sollte. Irgendwann saß ich bei Olson in der Küche und wir haben darüber gesprochen. Als er dann duschen gegangen ist, kam alles raus und als Olson wieder kam, habe ich ihm den ersten Part vorgerappt.

Auf dem Song sprichst du von einer alten Freundschaft, die zu Bruch ging. Jeder kennt ja die Songs von einer alten Liebe, aber man hört kaum Songs von einer Freundschaft, die nicht funktioniert hat.
Eine Freundschaft ist auch größer und emotionaler. Diese ging über viel mehr Jahre als jede Beziehung, die ich jemals hatte. Und jeder kennt diese eine Freundschaft, die man verkackt hat.

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Was ist damals passiert?
Ich war damals einfach ein Idiot. Ich konnte mit ihm nicht am Wochenende weggehen, weil wir uns um seinen kranken Bruder kümmern mussten. Das habe ich gerne gemacht und ich habe nicht viele andere Freunde gehabt. Als ich dann ältere Leute kennengelernt habe, die mich irgendwohin mitnehmen wollten, war das natürlich sehr reizvoll. Irgendwann habe ich ihn vernachlässigt und ihn mit seiner Situation alleine gelassen. Für Leute, die überhaupt nicht meine Freunde waren. Danach habe ich mitgekriegt, dass in der Zeit, in der ich nicht da war, sein Bruder gestorben ist. Das sind die Fehler, die man sich sein Leben lang vor Augen führt.

Habt ihr danach nochmal gesprochen?
Nein, nie. Aber ich glaube, dass es ihm gut geht. Ich habe ihn mal bei Facebook gefunden und er hat einen guten Eindruck gemacht.

Wie würde er auf den Song reagieren?
Ich hoffe, dass er irgendwann das „Steine”-Video sieht. (überlegt) Manchmal hoffe ich es auch nicht. Ich weiß es nicht. Ich bin manchmal hin- und hergerissen.

Ehrlich gesagt wüsste ich auch nicht, wie ich es finden sollte, wenn so ein Song von mir da draußen wäre…
… der sogar von Curse auf Eins Live gespielt wurde. Wenn er den Song und meine heutige Sicht gehört hätte, dann glaube ich nicht, dass es überhaupt noch was zu reden gäbe. Eigentlich ist mit dem Song alles gesagt.

Du kannst Astronaut auf Amazon und iTunes bestellen.

Infos zu Live-Dates von KaynBock findest du hier.

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