FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

Vor Chiraq gab es Fayettenam: J. Cole nimmt uns mit in seine Heimatstadt

Der Rapper erklärt uns, wie er mit seinem Erfolg umgegangen ist und warum Heimat für ihn so wichtig ist, dass er sein altes Elternhaus zurückgekauft hat.

„AND COULD I BE A STAR?
DOES FAME IN THIS GAME HAVE TO CHANGE WHO YOU ARE?
OR COULD I BE THE SAME ONE WHO CAME FROM A FARAWAY LIFE,
JUST TO MAKE IT IN THESE BROADWAY LIGHTS?”

Wir schreiben das Jahr 2009 und ein 24 Jahre alter Jermaine Lamarr Cole hat seit gerade drei Monaten einen Plattenvertrag mit Roc Nation. Irgendwie ist er mit Jay Z und Beyoncé im Studio gelandet und steht unter dem unglaublichen Druck, direkt vor ihren erwartungsvollen Augen eine Strophe zu schreiben. Nachdem seine Nerven sich langsam wieder beruhigt haben, wartet er den ganzen Sommer über darauf, ob er es auf die finale Version von Jay Zs „A Star Is Born“ geschafft hat. Der Produzent No I.D. hatte ihn schon darauf hingewiesen, dass Jay überlegt hat, alle drei Strophen selbst zu rappen. Der große Moment der Wahrheit kam dann, als er, wie alle anderen auf der Welt, die Tracklist zu Jays Blueprint 3 im Internet entdeckte: „A Star Is Born“ by Jay Z ft. J Cole.

Anzeige

Während ich ihm gegenüber sitze, hat J. Cole einen Moment der Erkenntnis. „In der ganzen Strophe geht es eigentlich nur darum, ob ich erfolgreich werden und trotzdem Jermaine bleiben kann. Ich weiß es nicht, wir werden sehen.“ Es waren aber genau diese Zeilen, die ihn schlagartig berühmt gemacht haben. „Ja, das war total abgefahren! Verstehst du, was ich meine? Das war ein verrückter Moment. Das war total arg! Ich glaube nicht, dass ich es so sehr zu schätzen gewusst habe, wie ich es eigentlich hätte tun sollen. Wenn ich jetzt darauf zurückschaue, denke ich nur: Verdammte Scheiße, ich war auf dem Jay Z-Album. Und ich habe in meiner ersten Feature-Strophe direkt einen Shoutout an meine Ville gebracht. Ich habe in dieser Strophe den ganzen Scheiß vorhergesehen. Die komplette Entwicklung meiner Karriere.“

Die „Ville“ bezeichnet Fayetteville, einen kleinen Ort in North Carolina, in dem Cole aufwuchs, nachdem er die ersten acht Monate seines Lebens auf einer Militärbasis in Frankfurt verbracht hatte. Dieser Ort ist so elementar für Coles Musik wie Compton für Dr. Dres oder Brooklyn für Biggies. Um Cole wirklich zu verstehen, musste ich ihn also in seinem Heimatort treffen. Schon wenn man an Bord eines Flugzeuges nach Fayetteville geht, wird klar, dass das Militär dort eine große Rolle spielt. Der sich ganz in der Nähe befindende Militärstützpunkt Fort Bragg ist einer der größten und wichtigsten des ganzen Landes und zieht eine Menge Patrioten in Tarnkleidung an, die in den kleinen Maschinen aus der Hauptstadt hierher fliegen. Cole nennt den Stützpunkt „das Brot und die Butter“ der Stadt. Der Flughafen ist übersät mit Gemälden von Soldaten, Schäferhunden, Maschinengewehren, Helikoptern, Adlern, Stars and Stripes und es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Taxifahrer, der dich in die Stadt fährt, ein Kriegsveteran ist. Man merkt schnell, warum der Stadt der Spitzname Fayettenam, eine Kombination aus Fayetteville und Vietnam, verliehen wurde.

Anzeige
undefined

„Im ganzen Bundesstaat North Carolina gelten wir als die schlimmste Stadt—die Stadt mit der meisten Kriminalität, die gefährlichste Stadt. Wenn du irgendwo anders hinfährst und den Leuten sagst, dass du aus Fayetteville stammst, dann kommt meistens ein ‚Ach du Scheiße, oha!’ zurück. Das ist der Ruf hier.“ erklärt Cole. Über den Spitznamen Fayettenam sagt er: „Es gibt diesen Namen seit Jahren, Chiraq ist noch relativ neu, aber diese Scheiße hier heißt schon mein ganzes Leben lang Fayettenam.“ Bei einer Taxifahrt durch die Stadt ist es schwer, die ganzen geschlossenen Stripclubs, die Pfandleiher und Parkplätze nicht zu sehen, vor denen mich Cole gewarnt hatte. „Mitten in Downtown gibt es einen Ort, der Market House heißt“, sagt er. „Früher wurden genau an dieser Stelle Sklaven verkauft. Es ist das einzige Wahrzeichen, das wir hier in Fayetteville haben—wenn du die Stadt googelst, taucht das als erstes auf.“

Im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern mit Eltern in der Army ist Cole nicht viel rumgereist. Seine Mutter trennte sich von seinem Vater, verließ das Militär und hielt sich mit verschiedenen Jobs über Wasser, um Jermaine und seinem Bruder Zach ein möglichst angenehmes Leben zu ermöglichen. Bis Cole elf wurde, lebten sie in verschiedenen kleinen Häusern und auf Trailerparks—Orte, die Cole als „Super Hood“ beschreibt. Zach fährt mich zu einem der Häuser an der Lewis Street, das nur ein klein wenig größer als eine Hütte ist. In dem winzigen Haus mit zwei Zimmern mussten die beiden Brüder quasi übereinander leben.

Anzeige

Das alles hat sich geändert als Coles Mutter wieder geheiratet hat und die Familie in ein viel schöneres Haus auf dem Forest Hills Drive gezogen ist—die Adresse, die zum Titel seines dritten Albums werden sollte, das bei den Billboard Awards 2015 den Award für das beste Rap-Album gewonnen hat. „Wir konnten uns das Haus leisten, weil es ein zweites Einkommen gab“, erklärt Cole. „Mein Stiefvater war in der Army, meine Mutter hatte einen Job bei der Post. Mit zweimal 30.000 Dollar im Jahr ging es bergauf.“ Das Erste, was auffällt, wenn man sich der Adresse Forest Hills Drive 2014 nähert, ist der ganze Platz. Es gibt einen riesigen Vorgarten und das Haus ist von einem weiteren Garten umgeben. Bei einem Gang durch das Haus mit drei Schlafzimmern wird deutlich, warum ein junger Mensch begeistert davon ist, hier einzuziehen.

undefined

„Ich habe sieben Jahre in diesem Haus gelebt, von elf bis achtzehn. Das ist also das Haus, in dem ich angefangen habe zu rappen, meinen ersten Beat gemacht habe, meinen ersten Song geschrieben habe, meine erste Freundin hatte, meine ersten nächtlichen Gespräche, meinen ersten Job, hier habe ich es ins Basketball-Team geschafft; es hängen so viele tolle Erinnerungen an dem Haus.“

Bei einem Blick aus dem Küchenfenster in den hinteren Garten, der voller riesiger Bäume ist, fällt es leicht, sich vorzustellen, wie die Pitbulls seines Stiefvaters dort angeleint zornig ungebetene Eindringlinge ferngehalten haben. Cole und sein Bruder haben zu ihm aufgeschaut. Er war ein Rap-Fan—das hielten sie für cool. Nachdem Cole auf die Universität wechselte, ging die Ehe der Mutter erneut in die Brüche. Sie konnte es sich nicht mehr leisten, in dem Haus zu wohnen, und es wurde zwangsversteigert.

Anzeige

Am Abend fahren wir zum nahegelegenen Round-A-Bout Skating Center, einem weiteren wichtigen Teil des Lebens auf dem Forest Hills Drive. Der helle gelbe Raum mit roten Lichtern und einer Discokugel sieht aus wie eine Mischung aus einem Jugendclub und Kindergeburtstag; Kinder und Jugendliche drehen ihre Runden auf Rollschuhen, während ein DJ die neuesten Drill- und Trap-Songs spielt. Cole hat früher so viel Zeit dort verbracht, dass ihm irgendwann ein Job angeboten wurde und nachdem er sich seinen Weg durch die Fans gebahnt hat, zeigt er flankiert von jungen Anhängern seine Rollschuh-Skills.

undefined

Das Gespräch mit Cole ist anders als die Interviews mit den meisten anderen Künstlern, die die O2-Arena problemlos füllen. Du fühlst dich im Gespräch mit ihm sofort sehr wohl, es gibt keinen Druck. Er ist ein sehr ehrlicher, normaler Typ und du hast hinterher das Gefühl, dass du wirklich eine Unterhaltung mit Substanz geführt und keine Promo-Masche hinter dir hast. Es wird deutlich, dass Ruhm dich nicht verändern muss—um die Frage in seiner „A Star Is Born“-Strophe zu beantworten. Auch wenn dies bei J. Cole fast der Fall war.

Obwohl sein Mixtape The Come Up von 2007 noch größtenteils unbeachtet blieb, erschien 2009 zur Zeit seines Jay Z-Features The Warm Up, gefolgt von Friday Night Lights, das von der Kritik gefeiert wurde. Zwischen den beiden Tapes, die von Majorlabel-A&Rs noch unberührt blieben, wurde Cole zu einem König der Rap-Blogs. In den Kommentarspalten wurde Cole als „The Truth“ und als Anführer einer neuen Schule gepriesen, was ihn auf eine Stufe mit Kendrick Lamar gestellt hat—für den er ‚HiiiPoWeR‘ produziert hat und mit dem er zusammen ein Mixtape aufnehmen wollte—und die Erwartungen für sein Majorlabel-Debüt hochgeschraubt hat.

Anzeige

Auch wenn auf Cole World: The Sideline Story ein paar solide Tracks zu finden sind, so wurde es doch durch die Majorlabel-Auflagen zurückgehalten, die bei seinen vorherigen Veröffentlichungen keine Rolle gespielt hatten. Eine Radio-Single, das Jay Z-Feature, Songs für den Club, check check check. Das Album war zwar ein kommerzieller Erfolg, aber nicht das, was die Fans von ihm erwartet hatten. Auf dem zweiten Album, Born Sinner, hat Cole das Gewicht der Frustration des Geschäfts auf seinen Schultern getragen: „Henny don’t really kill the pain no more, now I’m Cobain with a shotgun aimed at my brain cos I can’t maintain no more“, rappt er in „Rich Niggaz“. Er spricht bei „Let Nas Down“ auch über das Gefühl, eines seiner persönlichen Idole enttäuscht zu haben. In dem Song geht es darum, zu erfahren, dass der Rapper aus Queensbridge seine Single „Work Out“ überhaupt nicht mochte. Er erklärt, dass es Druck vom Label gab, einen Radiohit zu schreiben, damit sein Album grünes Licht bekam und dass ein Freund ihm gesagt habe, er solle „das Spiel mitspielen, um das Spiel zu ändern“. Nas hat daraufhin mit einem Remix geantwortet, in dem er Cole sagt: „It’s just part of the game, becoming a rap king, my nigga you ain’t let Nas down.“

undefined

Während den Aufnahmen zu seinem zweiten Album hat Cole sich in dem Kampf, trotz des Ruhms seine Identität zu behalten, verloren gefühlt. Das Rampenlicht, das Geld und die Frauen haben ihren Einfluss auf ihn gehabt, aber nicht auf typische Art und Weise. „Du kannst durch die Songs eindeutig hören, dass mir das bewusst war“, gibt er zu. „Ich sehe die Gefahr und mache gleichzeitig bei der Gefahr mit. Schwimme mit dem Strom. So war es, aber es war auch ein Symbol dafür, vom eigenen Weg abzukommen. Bei Born Sinner war mir das Dilemma nicht bewusst. Mir war nur das Problem bewusst. Mir war die Gefahr, mich selbst zu verlieren, bewusst. Bei 2014 Forest Hills Drive hatte ich es raus, ich hatte eine Antwort.“

Anzeige

Was hat sich also geändert? „Ich musste von zu Hause weglaufen, um zu lernen, dass meine Heimat letztendlich genau dort ist. Ich sehe mein Leben jetzt aus der Vogelperspektive und es ist absolut notwendig, dass all das in meiner Karriere passiert ist; jeder Schritt war für mich notwendig, um zu dem Verständnis zu gelangen, das ich jetzt habe und das viel mehr auf Liebe und Wertschätzung beruht.“

undefined

Zwei Wochen vorher angekündigt und ohne eine Single ist die Platte als Projekt erschienen, das die Fans von Anfang bis Ende erleben. Sie hat seine vorherigen Verkaufszahlen in der ersten Woche mit 371.000 verkauften Exemplaren übertroffen, die Streaming-Bestmarke von One Direction geschlagen und mit 15,7 Millionen Nutzern, die das Album über Spotify gehört haben, die 11,5 Miilionen von Musikmogul Simon Cowells Truppe in den Schatten gestellt. Letztendlich wurde sie zum ersten HipHop-Album seit Vanilla Ices To The Extreme von 1989, das ohne ein einziges Feature Platin-Status erreicht hat.

Kurz bevor das Album erschien, hat Cole entdeckt, dass das alte Haus der Familie wieder auf dem Markt ist. Mit dem Geld, das er durch die Jay Z-Strophe und frühere Platten verdient hatte, konnte er sich das Anwesen leisten und so konnte er einfach nicht widerstehen.

„Es war Gerechtigkeit, dass ich das Haus zurückgekauft habe, weil mir nie gefallen hat, wie sie uns das Haus weggenommen haben. Es ist ein Symbol für Heimat und dafür, dein Leben besser zu verstehen; was wirklich glücklich macht. Ich war nie eine materialistische Person, aber ich war in der Karriere gefangen und habe mit Erfolg konsumiert. Meine Zufriedenheit hat auf meinem Erfolgslevel basiert und nicht darauf, dass ich zu schätzen wusste, was ich habe, meine Beziehungen und meine Familie. Es ist also ein Symbol dafür, sich damit wieder in Einklang zu bringen.“

Anzeige

Er hat sein altes Kinderzimmer wieder so eingerichtet wie vor fünfzehn Jahren, als er noch dort gewohnt hat. Die Wände sind voller Poster von HipHop-Alben aus den späten 90ern, die seinen Style beeinflusst haben; 2 Pac, DMX, Foxy Brown und Black Star, aber auch Bomm Sheltuh aus Fayettesville, eine lokale Gruppe, bei der J. Cole später unter dem Pseudonym Therapist mitgewirkt hat.

undefined

Das kleine Haus ist nun ein Denkmal für den Teil seiner Vergangenheit, den er jetzt versteht, mit dem er wieder im Einklang ist und durch den er stärker geworden ist, aber dort zu leben würde für ihn keinen Sinn mehr ergeben. Vor fünf Monaten hat Cole seine Pläne für das Haus gegenüber einem Rap-Podcast aus Brooklyn namens The Combat Jack Show bekanntgegeben; es soll ein sicherer Ort für alleinerziehende Mütter aus der Gegend sein, die mit mehreren Kindern in unpassenden Wohnverhältnissen leben und dort bis zu zwei Jahre mietfrei wohnen dürfen. „Ich will, dass ihre Kinder sich dort so fühlen, wie ich, als wir das Haus bekommen haben“, hat er dem Podcast gesagt. Diese vier Wände haben den Rapper, den wir heute sehen, geformt und der Trost und die Liebe, die von 2014 Forest Hills Drive ausgehen, kommt denen zugute, die es nötiger haben als J. Cole.

Folgt Grant bei Twitter.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.