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Interviews

Rhye über Liebe. Und Kapitalismus.

Rhye-Sänger Mike Milosh gibt nicht viel auf Reichtum, Konsum und Kapitalismus, allerdings ist er kein Kommunist. Wie waren wir nochmal auf das Thema gekommen? Ach ja, es ging um Liebe.

Dass Rhye schöne Musik machen, war mir klar, bevor ich sie live gesehen hatte. Aber als Sänger Mike Milosh anfängt zu singen, passiert etwas, was wirklich nicht bei jedem Konzert der Fall ist—es haut mich um. Und zwar ab dem ersten Ton, der aus Mikes Kehle kommt. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Sanftheit. Klar lässt das Gefühl im Laufe des Konzert nach, man gewöhnt sich an Schönes genau wie an Hässliches. Schade eigentlich. Aber ein beeindruckendes Live-Erlebnis sind Rhye trotzdem.

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Lange Zeit war das in L.A. lebende Duo aus einem Kanadier und einem Dänen ein Mysterium—eine Band von der es keine Bilder gab und auf die sich vielleicht gerade deshalb so viele Journalisten und Blogger stürzten. Und natürlich wegen ihrer Musik, die sie vornehmlich übers Internet in die Welt trugen. Seit Neuestem lichtet sich allerdings der Nebel um Mike Milosh und Robin Hannibal, was vor allem daran liegt, dass sie mit Woman gerade ihr erstes Album veröffentlicht haben, damit endgültig die Aufmerksamkeit von Musikinteressierten rund um die Welt auf sich gezogen haben und gerade für ein paar Konzerte in Europa waren, bevor sie dann nächste Woche ihre USA-Tournee starten. Und so kam ich ebenfalls in den Genuss, die Band live zu erleben und Sänger Mike Milosh am Morgen danach zum Interview zu treffen.

Noisey: Normalerweise frage ich nicht nach Bandnamen. Aber in diesem Fall habe ich versucht herauszufinden, wofür Rhye steht und habe nichts gefunden. Also, was ist Rhye?
Mike Milosh: Ich hasse es, dir das sagen zu müssen, aber ich werde es dir nicht verraten. Robin und ich haben uns darauf geeinigt, dass wir es nie jemanden erzählen werden.

Wirklich? Niemals?
Ja.

Also ist dies eines der großen Geheimnisse um Rhye? Das offensichtlichste.
Ja, du darfst es nicht wissen. Entschuldige …

Was, wenn es jemand rausfindet, was, wenn ich zum Beispiel einfach rate und es stimmt?
Natürlich kannst du raten! Es ist sogar interessant, wenn du rätst und deine eigene Bedeutung dafür findest. Das wäre toll, weil ich glaube, dass es genau darum in der Musik geht—persönliche Interpretation. Wie du dich fühlst, was du über Rhye und unsere Musik denkst, ist einzig und allein dein Ding. Ob du es magst oder nicht, welche Gefühle es in dir auslöst, ob diese anders sind, als die von uns … Was auch immer du darüber denkst, ist auf eine bestimmte Art auch die richtige Antwort. Was wir machen soll uns ja verlassen und da raus gehen, um eine eigene Erfahrung zu werden.

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Auf die Art gibst du allerdings auch alle Kontrolle ab.
Ja, ich denke, du musst akzeptieren, dass du überhaupt nicht kontrollieren kannst, was die Leute über dich denken. Oder was die Leute von deiner Musik halten. Du kannst nur ganz kleine Aspekte deiner Musik kontrollieren, wir haben uns zum Beispiel entschieden, unsere Gesichter nicht zu zeigen. Und zwar ganz einfach, weil wir nicht wollten, dass Rhye etwas wird, bei dem es darum geht, wie wir aussehen oder uns präsentieren oder so … Ich wollte, dass es ungewiss bleibt, nicht, dass wir etwas verheimlichen, aber dass Leute ihre eigene Erfahrung mit einbringen können, ihre eigene Interpretation. Das war eine sehr bewusste Entscheidung.

Warum?
Ich liebe ganz persönlich, wenn Musik so ist. Die erste Schallplatte, die ich je hatte, war Pink Floyds Darks Side of the Moon und ich habe diese Platte wirklich gemocht. Da war ich noch sehr jung und es war so cool, weil ich so viele Ideen erschaffen habe, was Pink Floyd ausmachte, bevor ich überhaupt jemals irgendwas darüber erfahren hätte, wie diese Band überhaupt war. Ich würde jetzt nicht sagen, dass meine Erfindung besser gewesen wäre als die Realität, aber da war so viel Kraft! Ich finde es erstaunlich, wie viel Kraft sich entwickelt, wenn man Kontrolle abgibt und die Leute ihre eigenen Erfahrungen machen können und sie ihre eigenen Assoziationen und Gefühle entwickeln.

Du hast bereits erklärt, warum es von euch kaum Bilder gibt und ich verstehe das. Aber ihr seid nicht wirklich konsequent—ich sehe dein Gesicht jetzt und ich habe dich gestern auf der Bühne gesehen. Du versteckst dich nicht.
Nein, weil ich das affig fände. Das wäre völlig übertrieben, kitschig. Ich will mich auch nicht hinter einem schwarzen Vorhang verstecken oder so. Ich bleibe, wer ich bin und live passiert einfach, was live passiert. Es darf niemals albern werden, aber keine Fotos von uns zu veröffentlichen, finde ich nicht albern. Aber die Leute sehen dich live und machen Handy-Fotos und irgendwann weiß jeder, wie du aussiehst.
Ja, na klar. Aber das ist nicht schlimm. Wenn Fotos von unserer Show im Internet auftauchen, hat es eine vollkommen andere Bedeutung als von uns bewusst inszenierte Pressebilder. Es ist nicht so schick, so poliert, wo das Licht perfekt ist und alle sind geschminkt und nachher wird noch gephotoshopped. Ich möchte diese Art von Celebrity-Building nicht mitmachen. Ich möchte, dass es um die Musik geht. Es wäre irgendwie traurig, wenn Leute entweder unsere Musik hören oder nicht hören, weil ihnen gefällt oder nicht gefällt, wie wir aussehen.

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Ich taucht auch nicht in euren Musikvideos auf. Wollt ihr das ebenfalls beibehalten?
Bei Rhye ja. Bei meinen Solo-Sachen ist es anders, da werde ich auch in den Videos sein, aber bei Rhye würde es sich anfühlen, als würde ich der Band die Beine amputieren. Robin und ich haben ganz zu Beginn darüber gesprochen und wir wollten, dass Rhye etwas eigenes ist, das ohne unsere Gesichter auskommt. Es gibt Live-Videos und so, ich möchte nur vermeiden, dass wir ihn einem offiziellen Musikvideo spielen, mit perfekten Kameras, Licht, Regie—das ist das gleiche wie mit den Pressebildern.

Es hat mich vor diesem Hintergrund überrascht, wie du auf der Bühne bist. Du scheinst dich da sehr wohl zu fühlen und es sehr zu genießen, im Rampenlicht zu stehen und alle Augen auf dir zu spüren.
Dieses Live-Erlebnis ist für mich ein bisschen anders als Rhye auf der Platte. Ich fühle mich auf der Bühne einfach besser, wenn ich ein bisschen rumscherze und mit dem Publikum spiele. Unsere Musik hat ein sehr ernsthaftes Element an sich und wenn wir sie ohne Witzchen rüberbringen würden, könnte es schnell zu ernsthaft werden. Und eigentlich handeln viele der Songs auch von fröhlichen Dingen, davon glücklich und freudig zu sein. Das ist es, was auf der Bühne passiert: Wir haben Spaß.

Das sieht man.
Die Crowd gestern hat es uns aber auch sehr einfach gemacht. Wir waren davor in Paris und irgendwas war komisch, keine Ahnung, sie haben die ganze Zeit miteinander geredet … es hat ihnen offensichtlich nicht so gefallen. Ein komisches Publikum. Letzte Nacht hier in Berlin, habe ich nach fünf bis zehn Sekunden gefühlt, dass es cool wird. Die Stimmung war total relaxt. Also dachte ich, hey, lasst uns ein bisschen Spaß haben.

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Lass uns nochmal kurz die Fakten durchgehen—du kommst aus Kanada, Robin kommt aus Kopenhagen und ihr lebt inzwischen beide in L.A. Wie kommt das alles, wo habt ihr euch überhaupt kennengelernt?
Damals lebte ich für den Zeitraum von zwei Jahren hier in Berlin. Robin hatte eine Band und ich wollte einen Remix machen, aber statt einen klassischen Remix zu machen, sang ich einfach auf den Track. Robin war total angetan und fragte, ob er noch ein paar Dinge zufügen dürfte und irgendwie wurde dann ein eigener Song daraus. Und weil es so nah von Kopenhagen nach Berlin ist, fragte er, ob ich nicht zu ihm kommen wollte, damit wir ein paar Songs zusammen schreiben. Ich war fünf Tage da und wir schrieben drei Songs, die alle jetzt auf dem Album sind: „Woman“, „The Fall“ und „Major Minor Love“.

Wieso dann L.A.?
Er ist nach L.A. gezogen, weil er sich in eine Frau aus L.A. verliebte. Dann besuchte ich eine Freundin in L.A., Alexa, die jetzt meine Frau ist. Robin und ich waren also beide in L.A. und hatten dort ein Meeting mit einem kleinen Label und sie fragten, ob wir ein Album machen wollten … irgendwie passierte einfach alles.

Das Leben passierte.
Ganz genau (lacht). Es war überhaupt nichts geplant.

Scheint als hätte die Bandgeschichte von Rhye viel mit Liebe zu tun. Das spiegelt sich ja auch in der Musik wider.
Ja, ich möchte Songs über etwas schreiben, das ich wirklich fühle, etwas, das sehr, sehr echt in meinem Leben ist. Ich finde es wirklich schrecklich, wenn Leute ein Liebeslied schreiben und es klingt wie ein Liebeslied aus der Werbung. Oder jemand anderes hat es geschrieben und sie singen es nur. Das ist so unauthentisch, dass es mich wirklich nervt. Ich glaube, dass du als Künstler etwas machen musst, das du auch wirklich fühlst. Und was in unseren Songs passiert, das habe ich gefühlt.

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Wenn ich Rhye höre, klingt für mich die Liebe immer durch. Aber was auch immer transportiert wird, ist eine gewisse Traurigkeit. Ist diese Traurigkeit immer ein Teil der Liebe?
Es ist deine Interpretation, nicht meine. Es ist vollkommen nachvollziehbar, wenn du unsere Songs traurig findest. Ich würde sie eher gentle nennen und ich finde, dass schon immer die meiste Musik, die Menschen als traurig bezeichnen, sehr schöne Musik ist. Ich liebe Melodien in Moll. Und sie klingen vielleicht trauriger, aber für mich sind sie vor allem wunderschön. Mozarts Stück Adagio in C-Moll, natürlich ist das irgendwie traurig, aber es ist das schönste Lied der Welt. (lacht) Das möchte ich erreichen!

Manchmal wird man ja gerade dann traurig, wenn man sich wunderschönen Dingen gegenüber sieht.
Das ist möglich, weil man nie nur ein Gefühl erlebt. Man fühlt immer mehrere Dinge zugleich. Okay, pass auf: Beim Konzert gestern Abend habe ich beim Singen meine Frau angesehen und sie weinte. Und es fühlte sich wirklich toll an, weil ich wusste, dass sie nicht aus Traurigkeit weinte. Der Körper ist verrückt—du siehst aus als wärst du traurig, aber eigentlich drückst du ein Anerkennung für diese Schönheit aus.

Was beeinflusst dich neben der Liebe beim Schreiben deiner Songs?
Ich glaube, dass dich, wenn du in einem kreativen Prozess steckst, alles beeinflusst, was du mitbekommst. Wenn du ein Buch liest, wird es dich beeinflussen, genau wie die Musik, die du zu der Zeit hörst. Egal welche. Wenn du zum Beispiel eine Band im Radio hörst und du findest sie schrecklich—mach es sofort aus. Es setzt sich in deinem Gehirn fest. Also hör es dir nicht an. Das ist auch der Grund, warum es mir so wichtig ist, Dinge zu schreiben, die ich wirklich fühle und erlebt habe. Denn wenn du jemals in den Mainstream reingerätst, wirst du Leute mit deinen Text beeinflussen und überzeugen. Wenn du über Schlampen und Huren singst, oder Geld hier, Geld da, beginnen die Leute irgendwann, genauso zu denken. Ich würde es sehr gut finden, wenn Künstler ein bisschen verantwortungsbewusster handeln würden und sich etwas mehr Gedanken über die Wirkung ihrer Texte machen würden. Es ist gefährlich, was sie machen. Und es kann bei den Leuten wirklich etwas verändern.

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Haha, kennst du den Song von Will.I.Am und Natalia Kills, in dem es nur darum geht, dass sie die Taschen voller Geld haben und unbedingt shoppen gehen wollen? Ich frage mich seit Jahren, welche Firma dahintersteht!
Jajaja, das stimmt. Die Industrie wird diesen Song lieben! Ich könnte locker zehn Stunden mit dir über dieses Thema diskutieren. Ich glaube, dass die Kommerzialisierung der Musik eng mit der Kommodifizierung von allem verknüpft ist. Musik spielt eine extrem wichtige Rolle in der Werbung, in der Beeinflussung von Menschen. Sobald zu anfängst, darüber zu singen, wie schön es ist, Geld auszugeben, wollen deine Fans das auch. Und du machst diese Menschen kleiner, weil du ihnen zu verstehen gibst, dass sie nichts wert sind, außer wenn sie losgehen und ihr Geld ausgeben. Und dann gibt es noch Deals mit der Industrie und die Fans sehen, was für Kleidung der Künstler trägt oder was für Produkte er bewirbt … Ich weiß nicht. Ich gebe nicht so viel auf materielle Werte, ich glaube, das ist falsch. (lacht) Ich möchte das nicht.

Aber du musst wissen, Will.I.Am ist wirklich reich.
(lacht) Das ist er. Aber was bedeutet reich überhaupt? Geld ist doch nur eine Idee, ein Stück Papier, dass die Kraft etwas zu erwerben, darstellt. Es wird von Menschen kontrolliert und es funktioniert nur, weil die Menschen an dieses Konzept glauben. Eigentlich bedeutet es gar nichts. Es ist seltsam, ein seltsames Konzept. Aber klar, du wirst reich und wir leben natürlich in einer Welt, in der Geld wichtig ist. Du brauchst es, um deine Miete zu bezahlen und ich verstehe den Sinn, aber wo macht man den Strich? Als jemand, der in L.A. lebt, kann ich dir ehrlich sagen, dass ich nie so viel Geld und Armut zur gleichen Zeit erlebt habe. In derselben Straße über jemand in einem Ferrari für 300.000 Dollar einen Mexikaner in einem alten Pick-Up, vollgeladen mit Rasenmähern—und er mäht für den Ferrari-Typen den Rasen, für einen Hungerlohn. Das ist doch grotesk. Ich möchte nicht superreich werden, das ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, Songs zu schreiben und Leuten Dinge zu erzählen und ihnen ein gutes Gefühl zu machen. Ich möchte Leute zusammenbringen, damit sie schöne Momente haben.

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Du scheinst dich viel mit dem Thema zu beschäftigen. Da deiner Meinung nach Songtexte einen hohen Einfluss auf Leute haben, hast du jemals darüber nachgedacht, ein kommunistisches Manifest zu vertonen?
Nein auf keinen Fall. Ich bin auch gar kein Kommunist. Ich glaube auch nicht an den Kommunismus. Ich finde, es gibt im Kommunismus interessante Ideen und es gibt im Kapitalismus interessante Ideen. Wenn Kommunismus jemals überhaupt funktionieren sollte, müsste die Gesellschaft es wirklich wollen, es müsste von unten wachsen als ein natürlicher Prozess. Aber Kommunismus wie wir ihn kennen, war immer auch eine Diktatur. Ich glaube der Kommunismus wird niemals in einer Gruppe funktionieren, in der sich die Menschen nicht für die anderen einsetzen. Wie sind wir denn bei diesem Thema gelandet? Ach ja, also ich würde keine kommunistisches Manifest singen, weil ich einfach kein Kommunist bin. Aber ich stimme mit einem sehr viel sozialistischer geprägten System überein. Andererseits habe ich bei einem amerikanischen Label einen Vertrag unterschrieben und jetzt sitzen wir hier …

Und es ist ein Major.
Ja, auch noch ein Major (lacht). Das zeigt, wie schwierig es heute ist, seinen Weg zu finden. Man muss alle Aspekte betrachten und es sind so viele, dass man kaum den Überblick behält. Diese Thema ist so groß, wir könnten zehn Stunden darüber sprechen.

Das ist wohl wahr, leider haben wir keine zehn Stunden mehr. Ich danke dir für das Gespräch.
Danke dir!

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Rhyes Woman ist bei Polydor/Universal erschienen. Kauft es hier.

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Ayke pumpt beim besten Willen nicht Tag und Nacht Rhye, aber er empfiehlt jedem, sich mal auf die Musik der beiden einzulassen. Warum erklärt er bei Twitter: @tamidemusic

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