FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

„Ich habe viele Künstler gesehen, die abgestürzt sind“—Ein Gespräch mit Chefket

Für Chefket äußert sich Glück nicht in materiellem Besitz, sondern in der Liebe zur Musik. Deswegen sprechen wir über die wichtigen Dinge im Leben: Autos, Geld und Frauen.

Es ist so heiß wie noch nie in diesem Jahr. Die Sonne provoziert Freizügigkeit und in den sozialen Netzwerken wird mit voller Inbrunst über den „scheiß Sommer“ gejault. Während die Mittagssonne im Zenit steht, bin ich mit dem „Nachtmensch“ Chefket am Berliner Spreeufer verabredet. Ob das passt? Der Titel des neuen Chefket-Albums lässt vermuten, dass einem gleich eine übermüdete Gestalt mit dicken Augenringen gegenüberstehen wird. Doch es passiert das Gegenteil: Chefket kommt mit einem breiten Grinsen um die Ecke, wirkt wacher als die meisten ausgelaugten Touristen um uns herum und fühlt sich in der Mittagshitze „ziemlich wohl.“ Sagt er.

Anzeige

Auf Nachtmensch dagegen geht es nicht immer so gutlaunig zu. Eher melancholisch. Chefket erzählt Geschichten, skizziert sein eigenes Innenleben und gibt Einblicke in das Berlin zwischen „Tanz“ und „Kater“. Neben Melancholie und der Liebe zur nächtlichen Einsamkeit ist Chefket aber vor allem eins: von Grund auf zufrieden. Er ist der „glücklichste Rapper der Welt“. Dieses Glück äußert sich nicht etwa in materiellem Besitz, sondern hauptsächlich in der innigen Liebe zur Musik. Denn seine Passion wurde zum Beruf und finanziert mittlerweile die Miete.

Das lief nicht immer so rosig in seiner mittlerweile über zehn Jahre andauernden Karriere. Noch während der Produktionsphase der Identitäter EP von 2013, hatte Chefket nicht mal eine Wohnung, duschte bei Freunden und schlief im Studio. Luxus geht anders. Umso dankbarer ist er für den jetzigen Wohlstand nach seiner eigenen Definition. Um Materielles geht es nach wie vor nicht, genauso wenig wie um Geprotzte und Hedonismusgehabe. Luxus ist, wenn man nicht über das Geld fürs Flugticket zur Familie in die Türkei nachdenken muss. Luxus ist, Musik machen zu können. Eine Gesunde Einstellung in einem Genre, das vom Gerede über Besitztümer dominiert wird. Während wir also kontinuierlich auf einen Sonnenstich hinarbeiten, sprechen wir über die wichtigen Dinge im Leben: Autos, Geld und Frauen.

Noisey: Wäre es für dich angenehmer gewesen, das Interview nachts zu führen?
Chefket: Ich weiß ja nicht wie deine Arbeitszeiten aussehen. Bist du auch ein Nachtmensch?

Anzeige

Wahrscheinlich schon.
Hätte ich das gewusst, dann hätten wir uns wirklich irgendwo nachts treffen können. Aber ich muss mich in dem Punkt ein bisschen nach gesellschaftlichen Normen richten. Ich kann ja nicht einfach nachts um zwei Interviews geben.

Müssen sich Rapper denn an gesellschaftliche Normen halten?
In dem Fall schon. Es wäre doch unhöflich, dich mitten in der Nacht aus dem Bett zu rütteln und zu sagen: „Hey, interviewe mich. Ich habe jetzt Bock!“ Man muss auch sagen, dass dieses Nachtmensch-Ding während ich die Platte geschrieben habe noch viel präsenter war als jetzt. Damals habe ich den Biorhythmus etwas schleifen lassen und war tagsüber nicht am Start. Mittlerweile ist es etwas ruhiger geworden.

Was stört dich am Tag?
Um Gottes Willen, mich stört daran gar nichts. Aber es ist hektischer. Vor ein paar Wochen bin ich nachts mal wieder ins Studio gefahren: die komplette Frankfurter Allee war leer. Ich konnte mit meinem Skateboard diese riesige Straße entlangfahren. Das ist schon geil. Und dann pennst du im Studio ein, wachst irgendwann auf und draußen ist HalliGalli. Krankenwagen, Autos, Lärm. Du denkst dir nur: „Fuck, nachts macht es hier mehr Spaß.“

Hätte das Album anders geklungen, wenn du jeden Morgen um acht geweckt worden wärst?
Gute Frage. Ich weiß es nicht. Ein Hauptgrund, weswegen ich nachts aufgenommen habe war, weil auf der Frankfurter Allee viele Krankenwagen rumfahren. Die Sirenen sind dann in der Aufnahme zu hören. Der Aufnahmeprozess war aber gar nicht so ausschlaggebend für den Titel. Ich habe den Track „Nachtmensch“ irgendwann wiederentdeckt und dann war plötzlich klar, dass alles zusammenpasst. Bei mir geht es einfach oft um die Nacht.

Anzeige

Wie wird man denn ein Nachtmensch—warst du das auch schon in Heidenheim?
Dort bin ich schon nachts Skaten gegangen. Etwas zu machen, wenn alle anderen schlafen, hat für mich eine gewisse Magie.

Heidenheim war Provinz, Berlin ist das Gegenteil. Hier konzentriert sich viel auf die Nacht, auf „Tanz“ und „Kater“. Ist es wichtig, von Letzterem wieder zurück in die Realität getreten zu werden?
Der Kater ist der Nullpunkt. Schlimmer geht es nicht. Danach kann der Tag nur noch besser werden. Ich habe noch nie gedacht: „Oh man, scheiß Kater!“ Ich habe mich ja einen Tag zuvor dafür entschieden. Es ist nicht zufällig passiert. Ich freue mich wirklich, dass es den Kater gibt.

Kannst du es nachvollziehen, dass Leute nach Berlin ziehen und ausschließlich für „Tanz“ und Exzess leben, aber das Runterkommen vor sich herschieben?
Ich kann es nachvollziehen. Wären mein Charakter und meine Prinzipien nicht so gefestigt, wäre ich hier mit Sicherheit auch lost. Ich will das gar nicht verurteilen. Manche Leute kriegen das super hin, gehen voll viel feiern und machen sich kaputt. Ihre Jobs bekommen sie trotzdem noch auf die Reihe. Ich würde das nicht schaffen. Bei mir ist das immer Phasenweise. Die letzten drei Monate habe ich zum Beispiel gar keinen Alkohol getrunken.

Gab es vorher zu viel „Tanz“?
(lacht) Ja, irgendwann ist es dann auch mal wieder gut. Dann habe ich keine Lust mehr, mache viel Sport, ernähre mich gesund und stehe wieder früh auf. Es ist wichtig, die Balance zu finden.

Anzeige

Du hast von Prinzipien gesprochen. Welche braucht es, um nicht als eine weitere verlorene Seele in der Großstadt zu enden?
Ich bin ja nicht hierher gekommen um Party zu machen, sondern für die Musik. Daran habe ich immer geglaubt. In den letzten zehn Jahren hier, habe ich viele Künstler gesehen, die abgestürzt sind. Obwohl sie talentiert waren, haben sie sich von den ganzen Party ablenken lassen. Man kann das schon mitnehmen und das ist auch das Geile an Berlin: Du hast die Wahl. Die hast du in einer Kleinstadt wie Heidenheim nicht. Du hast gar nichts. Da gibt es mal eine Party und auf der sind alle. Hier kannst du auch mal „Nein“ sagen und es fühlt sich gut an. Ich finde, man sollte einfach in der Lage sein, zu selektieren und nicht die ganze Zeit durchfeiern. Das ist doch kein Leben.

Ein „Zeitfressmonster“, wie du es nennst, bleibt Berlin aber.
Berlin ist ein Monster. Wenn du von A nach B willst, um irgendwo einen Brief hinzubringen, kann das schon mal eine Stunde dauern. Oder wenn du einfach einen Kumpel in einem anderen Bezirk besuchen willst. Es ist anders als in der Kleinstadt: Da bleiben Menschen an der roten Ampel stehen, obwohl kein Auto kommt. Man merkt einfach, dass die Leute mehr Zeit haben. Hier nicht.

Trotzdem bist du der „Glücklichste Rapper der Welt“. Oft geht es in Rap aber nach wie vor um Materielles oder „viel ficken“. Als „glücklich“ outet sich dagegen kaum jemand.
Früher in der Schule gab es die Jungs, die ständig über Sex geredet haben und darüber, wie viele Frauen sie abschleppen. Diese Jungs hatten genau das nicht. Ich denke, je mehr man über Themen wie Sex und Geld spricht, umso mehr möchte man irgendwas kompensieren. Vielleicht ist es bei mir auch so, dass ich der Traurigste bin und deswegen das Gegenteil sage. Nein, im Ernst: Alles, was in den letzten Jahren passiert ist, war so krass für mich. Ich hatte keinen Plan, wohin die Reise gehen wird, wusste nur: Ich will Mucke machen. Während der Identitäter EP hatte ich zum Beispiel keine Wohnung, habe im Studio geschlafen und bei Freunden geduscht. Da habe ich mir gedacht: „Ok, ich muss einfach geduldig bleiben.“ Jetzt ist es endlich soweit, dass ich mir um die Miete keinen Kopf mehr machen muss. Das weiß ich sehr zu schätzen und deswegen bin ich so glücklich. Ich bin wirklich der Glücklichste. Worüber soll ich mich denn beschweren?

Anzeige

Über einen Mangel an materiellen Dingen, wie andere Rapper zum Beispiel.
Materielle Dinge sind ja immer eine Form von Anerkennung in einer kapitalistischen Gesellschaft in der du nichts Wert bist, wenn du nicht gewisse Sachen besitzt. Dann konzentrieren sich Leute eher darauf, was sie haben, als was sie sind. Ich konzentriere mich darauf, was ich bin. Ich habe zum Beispiel gar keinen Bock auf ein teures Auto und nicht mal einen Führerschein. Mich juckt das alles nicht.

Nachtmensch kommt über Universal und nicht über dein eigenes Label. Eine gewisse Rolle hat der Geldfaktor schon gespielt, oder?
Höhere Reichweite und Geld sind auf jeden Fall zwei Punkte, die für Universal sprechen. Trotzdem war ich skeptisch. Es kreisen um Major-Label ja die übelsten Geschichten. Es öffnet sich ein Tor zur Hölle und deine Seele wird darin gefangen, oder so ähnlich. Das ist natürlich Quatsch. Ich wollte nur nicht, dass mir jemand in meine Musik reinredet. Deswegen war ich auch bei keinem Major-Label. Die Platte war aber längst fertig. Universal hat gesagt: „Finden wir geil, wir releasen das.“ Was gibt es Besseres? Die Leute mit denen wir da arbeiten, sind alle Musikliebhaber und nicht irgendwelche Monster, die dir dein Blut aussaugen. Und zum Thema Geld: Letztens gab es in meiner Familie einen Todesfall. Ich musste schnell in die Türkei zur Beerdigung, weil das bei muslimischen Beerdigungen innerhalb von 24 Stunden passiert. Ich war so froh darüber, dass ich Geld hatte und mir ohne nachzudenken ein Ticket kaufen konnte, um für diese Menschen da zu sein. In diesen Fällen ist Geld einfach wichtig. Aber als Mittel, um sich dadurch zu profilieren, verstehe ich es nicht.

Anzeige

Besteht deine Band immer noch ausschließlich aus Frauen?—Ein weiterer Punkt in dem du gegen den Strom geschwommen bist.
Es sind nur noch die Backroundsängerinnen dabei. Die anderen haben mittlerweile eigene Projekte.

Kannst du dir den geringen Frauenanteil in der „Rapwelt“ erklären?
Als Mann ist es für mich schon schwierig gewesen zu sagen, dass ich jetzt Rapper bin. Dann kam oft: „Ah, Rapper. Und was machst du sonst noch?“ Das ist in der Gesellschaft noch gar nicht angekommen. Das Durchschnittsalter liegt bei über 50: wir sind alt! In so einer Gesellschaft Rapmusik zu machen, ist erst jetzt ein bisschen anerkannt, weil sie mittlerweile im Mainstream verankert ist. Dazu kommt das Frauenbild in Deutschland: Vor 30 Jahren durften Frauen noch nicht mal Wählen. Jetzt entwickelt es sich langsam, dass die Frau dem Mann auch karrieremäßig gleichgestellt ist. Gleichzeitig werden oft nur befristete Arbeitsverträge vergeben, weil klar ist, dass sie schwanger werden. Wie soll eine Frau unter diesen Bedingungen dann eine Rapkarriere anstreben? Vor allem, wenn sie Kinder haben will, ist das schwer.

Theoretisch müsste man sich an der Qualität der Musik orientieren, nicht am Geschlecht.
Es gibt da ja ein paar Erscheinungen, die gefühlt seit einem halben Jahr Musik machen und plötzlich sehr präsent sind. Aber über lange Jahre geduldig dranzubleiben und an der Karriere zu arbeiten, fällt sicher nicht so leicht. Die ganzen Mechanismen drumherum erschweren das.

Wolltest du dieser Ungerechtigkeit mit deiner Band entgegenwirken?
Das war eher Zufall. Sie waren schon vorher alle um mich herum, dann habe ich mal nachgefragt, was sie von einer Band halten und sie hatten Lust. Sogar für den Ton war eine Frau verantwortlich. Das war schon eine gute Erfahrung. Für mich sind sie alle wie Schwestern gewesen. Ich kenne das von früher, weil ich mit drei älteren Schwestern aufgewachsen bin. Deswegen ist ein guter Vibe entstanden. Außerdem rülpst und furzt niemand im Tourbus. Was will man mehr?

Nachtmensch erscheint am 14. August. Du kannst es bei Amazon und iTunes bestellen.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.