FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

„Vielleicht war ich damals eine verdammt undankbare, kleine Fotze“—Ein Interview mit Frank Carter

Wir haben mit Frank Carter über seine alte Band Gallows, seine neue Band Frank Carter & The Rattlesnakes und seinen Weg zum Glück gesprochen.

Als das Major-Label Warner im Jahre 2008 die hart tourenden, aber weitesgehend unbekannten Gallows einen Vertrag für eine Million Pfund unterschrieben ließ, hatten sie wohl auf die neuen Sex Pistols gehofft —auf radiotauglichen Punk für verunsicherte Teenies. Stattdessen bekamen sie Grey Britain, ein Konzeptabum über den Untergang der britischen Gesellschaft: hässlich, brutal und direkt. Trotz sehr positiver Kritiken verkaufte es sich schlecht. Warner ließ Gallows fallen. Diese grinsten im Angesicht ihrer Welt-umspannenden Tourpläne, ihrer unangetastenen Kredibilität und ihrer düsteren Videos, in denen Polizisten grundsätzlich als Schweine verkleidet sind, dreckig und breit —freundlich finanziert hatte all das nämlich das nun enttäuschte Label. 2011 war das Grinsen zumindest bei Gallows-Sänger Frank Carter jedoch verschwunden. Aufgrund kreativer Differenzen verließ er die Band, um wenig später die deutlich melodischeren Pure Love zu gründen und nochmal von vorne anzufangen. Es schien, als habe Carter genug Wut abgelassen und wolle lieber eingängigere Songs singen. Umso größer die Überraschung, als im Frühling 2015 plötzlich der Track „Fangs“ von Frank Carter & The Rattlesnakes erschien, der wie das geplante Kind von Gallows und Pure Love klang: treibend, aggressiv und trotzdem verletzlich melodisch. Ende August soll endlich das Debüt der neuesten Frank Carter-Band erscheinen (auf Youtube kann man es eine Woche lang in voller Länge zu hören—als 34-minütiges Musikvideo). Eine gute Gelegenheit also, sich mal mit Carter zu treffen, Kokoswasser zu schlürfen und über sein Verhältnis zu Gallows, die Zeit nach der Trennung und Dankbarkeit zu sprechen.

Anzeige

Noisey: Als du das erste Musikvideo zu „Juggernaut“ veröffentlicht hast, war das Feedback extrem gut. Hast du das so erwartet?
Frank Carter: Ich erwarte eigentlich nichts mehr, sondern tue einfach, was ich will und haue es raus. Aber ich habe das Video gemocht, also war ich zuversichtlich. Vielen scheint zu gefallen, dass du wieder angepisst bist.
Ja, das scheint wohl so zu sein. Was okay ist. Ich versuche immer, ehrlich zu mir selbst zu sein. Wenn Leute das mögen, ist das cool, wenn nicht, sollen sie zur Hölle fahren (lacht).

Hattest du das Bedürfnis, wieder zu schreien?
Pure Love war Spaß, es war eine Party-Band. Aber ich hatte keine Lust mehr auf Feiern. Ich wollte etwas Ernsthafteres machen. Für mich bedeutet das immer, eher einen gewalttätigeren Musikstil zu spielen. Also habe ich meinen Freund gefragt, ob er mit mir gewalttätige Musik spielen will. Er meinte „Fuck yeah, schick mir ein paar Songs!“ Also schickte ich ihm „Fangs“ und „Paradise“ und das war’s.

Der Sound erinnert schon ein bisschen an die alten Gallows, die du vor vier Jahren verlassen hast. Wie war es für dich seitdem?
Es waren tolle vier Jahre. Ich hatte einen Plattendeal, spielte mit meinen Freunden in einer spaßigen Band, habe gelernt, zu singen und wurde ein besserer Performer. Als ich Gallows verließ, haben die Leute diese Band sehr geliebt. Es war dadurch einfach für uns, an gute Shows zu kommen. Über Nacht bin ich dann aber von weit oben runter auf den Boden gefallen. Dann habe ich Gigs für 60 Leute gespielt und versucht, sie davon zu überzeugen, dass das, was ich jetzt mache gut ist. Dadurch wurde mir bewusst, was ich vorher alles hatte. Manchmal ist es gut, zu verstehen, was du verloren hast, um es wirklich wertzuschätzen, wenn du es wieder hast.

Anzeige

Als ich in New York war, habe ich ein bisschen tätowiert, aber im Prinzip vor allem genossen, ein Erwachsener zu sein, der keinerlei Verantwortung hat. Dann bin ich nach England zurückgezogen. Hier habe ich geheiratet, ein Haus und einen Hund gekauft und ein Kind bekommen. Es waren vier tolle Jahre.

Wie war es für dich erstmalig als Außenstehender auf deine alte Band zu…

…ich habe das nicht wirklich verfolgt. In dem Moment, als ich gegangen bin, war Gallows für mich vorbei. In vielerlei Hinsicht hatte ich mich als wesentlicher Teil dieser Band gesehen. Nicht nur wegen der Performance oder meiner Stimme. Ich hatte ja die verdammten Texte geschrieben und mich als die kreative Kraft hinter der Band gesehen. Nach meinem Abgang habe ich mich nicht mehr für Gallows interessiert. Ich könnte dir keinen einzigen Songtitel nennen… Es ist jetzt einfach eine andere Band.

Wie bei einer Ex-Freundin: Du willst nicht wirklich wissen, mit wem sie jetzt zusammen ist?
Richtig. Leider war es nicht so intim und zum Glück nicht so herzzerreißend. Ich war eher damit beschäftigt, mein Ding mit Pure Love durchzuziehen und war nicht so besorgt, was sie jetzt tun würden. Ich glaube eher, sie waren besorgt, was sie jetzt tun sollten (lacht). Mit Pure Love hast du ja einen ganz anderen Ton angeschlagen als vorher mit Gallows. Bist du also wirklich wegen kreativen Differenzen ausgestiegen?
Ja, ich mochte die Musik nicht, die die anderen machen wollten.

Anzeige

Weil du mehr in die Richtung Pure Love gehen wolltest?
Gott, nein. Ich wollte klingen wie Rattlesnakes. Es sollte ein stetiger Prozess hin zu einem Platz sein, an dem ich mich selbst weiterentwickeln, mehr tun und musikalischer sein konnte. An dem ich nicht eingeschränkt werde. Mit meiner neuen Band wollte ich aber keinen Sound der eigentlich genau wie Gallows klingt, das wäre verdammt sinnlos gewesen. Also habe ich etwas anderes probiert. In Gallows habe ich mich immer ein wenig wie ein Clown gefühlt. Die Leute kamen nicht nur der Musik wegen zu den Shows. Bei Pure Love war das anders, die Leute konzentrierten sich auf die Songs.

Und jetzt? War es das nun mit Pure Love?
Ich weiß es nicht, ich habe lange nicht mehr mit Jimmy [Jim Carrol, Gitarrist von Pure Love] gesprochen. Wer weiß, im Moment ist es vorbei, weil ich mich auf Rattlesnakes konzentriere. Vielleicht werden wir aber irgendwann wieder zusammensitzen und neue Songs schreiben.

Du meintest gerade, dass du dich wie ein Clown gefühlt hast. Rückst du dich aber nicht erst recht in den Fokus, wenn du deine Band Frank Carter & The Rattlesnakes nennst?
In meinen Bands habe ich mich gefühlt, als ob es immer um Frank Carter and Gallows oder Frank Carter and Pure Love ging. Als ob die Leute nur mit mir über die Bands reden wollten. Jetzt war die Zeit, sich nicht hinter einem Namen zu verstecken. Ich fühle mich jetzt so wohl und es war mir wichtig zu sagen: „Hier bin ich und das ist meine Band. Das sind unsere Songs, was haltet ihr davon?“

Anzeige

Die Songs klingen ziemlich rau und direkt. Was war die Idee für diesen Sound?
Es gab keine Idee. Ich habe zu unserem Produzenten [Thomas Mitchener, Bassist der Rattlesnakes] gesagt, dass ich nicht auf einen Click spielen will. Es sollte klingen, als ob wir einen Gig spielen würden. Also haben wir die Songs fünf oder sechsmal im Studio gespielt, eine kurze Pause gemacht, auf Play gedrückt, sie dreimal aufgenommen und die beste Version ausgewählt. Für mich war Hardcore und Punk-Musik immer wie Ebbe und Flut. Du kannst das Tempo anziehen oder wieder rausnehmen, abhängig davon wie verflucht aggressiv oder erschöpft du bist. Diese Freiheit gibt dem Ganzen die Kraft. Das verlierst du, wenn du auf Click spielst. Dann verliert die Aufnahme komplett die Atmosphäre. Wenn ein Song sehr schön eingespielt und aufgenommen wurde, klingt er nett und niemand schert sich einen Scheiß darum. Ich will, dass du dich von meinen Aufnahmen angegriffen fühlst, mitten ins Gesicht. Du sollst dich klaustrophobisch fühlen. Und das haben wir geschafft, denke ich.

Am Ende von „Loss“ hört man dich ausspucken.
Wir wollten, dass es sich echt anhört und das war eben echt. Viele Songs haben wir als One-Take aufgenommen. Ich wollte sehen, ob ich es schaffe, durchzusingen. Wir haben ja nicht wirklich geprobt, sondern die Songs zusammen im Studio gelernt. Nach Pure Love musste ich meine Stimme wieder ans Schreien gewöhnen, um das auch live zu schaffen. Stehen denn nach dem Release ausgedehnte Touren an?
Ja, auch wenn ich heute wählerischer bin. In meinen alten Bands ging es eigentlich nur darum, so viele Shows wie möglich zu spielen. Das ist cool, wenn du 21 bist und kein wirkliches Zuhause hast. Jetzt bin ich 31 und habe ein Kind und eine Frau, die ich ungern verlasse. Deswegen zählen die ausgewählten Shows jetzt viel mehr.

Anzeige

Ich habe viele Touren mitgemacht, die ich nicht wirklich machen wollte, habe mit Bands zusammengespielt, die ich nicht wirklich mochte. Nur weil mir gesagt wurde, dass das eine gute Sache wäre. Das war es verdammt nochmal nie! Wir konnten uns eine halbe Stunde lang austoben und wurden dafür bezahlt. Das war scheiße. Jetzt will ich mit Bands, die ich mag, in kleinen Clubs spielen. Ich verstehe, dass es wichtig ist, auf einem Festival zu spielen, aber eine 200-Besucher Punkrock-Show in einem Club, bei dem wir alle Leute treffen können, ist immer besser. Für mich ist genau das wichtig.

Du hast 2011 mit Gallows auf dem With Full Force gespielt. Ich musste leider früher abreisen. Damals hat es in Strömen geregnet und Freunde haben mir erzählt, dass du extrem angepisst gewirkt hättest.
Ja, das war eine harte Zeit. Ich war nicht wegen des Gigs schlecht gelaunt, sondern wegen dem, was in der Band abging. Ich hatte eigentlich schon mit der Band abgeschlossen, musste aber die Tour beenden. Sie haben nicht mehr mit mit gesprochen und außerdem war ich richtig, richtig krank. Irgendeine verrückte Grippe, die mich später in Belgien ins Krankenhaus gebracht hat. Das war ein schlimmer Sommer.

Ich war echt traurig, als wenig später die Meldung über deinen Weggang kam, weil ich dich nie mit Gallows live gesehen habe.
Aber jetzt kannst du mich in meiner besten Form sehen. Ehrlich, es fühlt sich an, als ob Gallows, Pure Love und alles andere zwangsläufig zu dem hier führen mussten. Als das mit Pure Love vorbei war, war ich echt mitgenommen. Weil ich nichts geplant hatte und eigentlich nie mehr Musik machen, sondern mich aufs Tätowieren konzentrieren wollte. Aber in Wahrheit war das natürlich Quatsch —ich wollte unbedingt weiter Musiker bleiben. Das war der absolute Tiefpunkt für mich. Jetzt bin ich so glücklich, hier zu sitzen und mit dir über meine neue Band zu reden. Ich war noch nie glücklich. Keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil ich damals eine verdammt undankbare, kleine Fotze war. Als ob ich es eben verdient hätte. Dabei kannst du alles so schnell wieder verlieren. Deswegen will ich jetzt so viel wie möglich über meine neue Band reden und spielen. Ich will so hart, laut und schnell spielen, wie das eine fünfköpfige Band eben kann. Blossom erscheint am 28. August. Du kannst es bei Amazon und iTunes vorbestellen. Weitere Info's zur Band gibt es auf Facebook und Twitter. Tour Dates 21.09. Köln - MTC
22.09. München - Backstage Club
23.09. Dresden - Chemiefabrik
24.09. Berlin - Cassiopeia Julius ist auch bei Twitter: @Bedtime_Paradox

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.