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Interviews

Dealen und Überwachung—Insiderinfos von Frankfurts Rapper Hanybal

Drogen, Dealen und Abhöraktionen gehören in Deutschlands Drogen-Hauptstadt Frankfurt am Main für viele zum Alltag. Rapper Hanybal weiß das nur allzu gut.

In Frankfurt am Main gibt es nicht nur Wirtschaftskriminalität. Ach was. Die Straßenkriminalitätsrate ist im Vergleich zu anderen Großstädten wie Hamburg, Berlin und Köln zwar am niedrigsten, doch bei Rauschgiftdelikten ist die Mainmetropole mit großem Vorsprung Erster. Jede Menge Drogen gehen aus den Händen der Dealer in die der Abnehmer. Dafür muss kommuniziert werden, und zwar so unauffällig wie möglich. Das war vor zehn Jahren noch einfacher als heute—könnte man meinen. Zumindest die Zugriffsmöglichkeiten auf das ganz private Handy sind deutlich gestiegen. Haben sich die Kommunikationswege von großen und kleinen Dealern und ihrer Kundschaft also durch die neuen Abhörmethoden verändert? Und wie sieht der Alltag in diesem Drogenumfeld aus?

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Hanybal hatte während seiner Promophase zu seinem Debütalbum Weg von der Fahrbahn auch für solche Fragen Zeit und gibt uns einen Einblick in das Leben der Drogendealer. Die Rapplatte des 32-Jährigen erschien vor kurzem über Azzlackz, dem Label von Haftbefehl. Wie der Labelchef ist auch Hanybal im Rhein-Main-Gebiet groß geworden. Und zwar in Frankfurt am Main—der Stadt, um die es sich hier dreht.

Noisey: Wie wurde früher noch kommuniziert, um illegale Geschäfte abzuwickeln, wie es heute niemand mehr machen würde?
Hanybal: Ich würde noch nicht mal sagen, dass das was mit der Zeit zu tun hat. Früher waren die Leute nicht wirklich lockerer oder haben am Telefon viel mehr preisgegeben. Es kommt halt auf die Leute an. Es gibt Jungs, die waren schon vor zehn oder fünfzehn Jahren übervorsichtig. Andere haben aber sehr offen geredet: „Wo bist du?”, „Ja, ich brauch paar 100 Gramm, komm da und da hin.” Und das gibt's heute immer noch. Es gibt immer noch Idioten, die viel am Telefon reden und es gibt immer noch die, die schlau sind. Außerdem kann man auch verschiedene Kreise voneinander unterscheiden. Es gibt solche, in denen wird halt so gearbeitet, dass alles ein bisschen offener ist, weil da vielleicht auch gar nicht so viel zusammenbrechen kann. Aber sobald man vielleicht in einen Kreis kommt, wo viel zusammenbrechen könnte, muss man automatisch die Arschbacken zusammenkneifen und ein bisschen schlauer arbeiten.

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Würdest du sagen, dass sich in diesen Kreisen überhaupt noch Kleinkrimnelle befinden?
Was ist klein-, was ist großkriminell?

Unter kleinkriminell fallen eigentlich so Sachen wie Ladendiebstahl.
Also ich sage dir ganz ehrlich: Wenn man sagt, dass paar Zehner verchecken noch kleinkriminell ist und hundert- oder zweihundertgrammweise oder kiloweise nicht mehr, dann ist auch das wieder eine Relationssache. Für den einen ist es schon krass, wenn er Zehn-Gramm-Kunden hat, die bei dem täglich zehn oder 20 Gramm holen. Ein Anderer verkauft vielleicht am Tag fünf Kilo, wird dann aber wieder von dem Nächsten ausgelacht. Es gibt immer einen Kleineren und einen Größeren. Ich denke mal, die Grenzen zwischen Klein- und Großkriminellen sind aber auch fließend. Und was klein und was groß ist, muss auch jeder selber wissen.

Glaubst du, dass neue Abhörmethoden manche Leute daran gehindert haben, mit Dealen anzufangen?
Nein. Also wenn jemand das machen will und die Möglichkeiten dazu hat, dann wird er es machen. Er wird schon wissen, dass man natürlich abgehört werden kann, aber dass ihn das wirklich abhält, glaube ich nicht.

Ist denn der Anreiz, das zu machen eher, dass man es machen will oder dass man es machen muss?
Also was heißt „muss”? Das ist schon ein echt hartes Wort. Ich denke, dass keiner in Deutschland verhungern würde, wenn er nicht dealt oder so. Es gibt natürlich manchmal Situationen, in denen Geld dringend benötigt wird—auf jeden Fall. Wenn jetzt auch nicht, um satt zu werden, sondern für andere Sachen wie Schulden zum Beispiel. Dann kann man schon sagen: „Er musste das jetzt tun." Trotzdem ist es irgendwie auch eine Mischung zwischen Müssen, also Geld brauchen, und Wollen. Ich habe aber auf jeden Fall auch schon Leute gesehen, die nicht mal was dabei verdient haben und es trotzdem gemacht haben. Weil die halt einfach cool sein wollen oder es einfach mögen, ans Telefon zu gehen und von vielen Leuten angerufen zu werden. Die haben ja zumindest finanziell nichts davon. Da kann man natürlich nicht von Müssen reden.

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Was ist denn mit denjenigen, die trotz umfassender Abhörmethoden immer noch dabei sind und früher vielleicht noch sicherer waren? Würdest du sagen, dass viele paranoider geworden sind?
Da gibts auf jeden Fall Fälle. Ich hab einige Jungs kennengelernt, für die das alles im Endeffekt zu viel war, obwohl die vielleicht nicht mal die ganz großen Dinger gedreht haben. Die bekommen dann halt kleine Verfolgungsängste oder richtigen Verfolgungswahn. Wenn dann noch starkes Gras dazu kommt—manche haben vielleicht noch Nasen gezogen—ist das oft so ein Cocktail, der manchen Leute schlagartig verrückt werden lässt. Bei uns in der Gegend gibt‘s davon viele.Wir sagen dazu „Chicken”, wenn einer so'n bisschen abdreht, Psychosen kriegt. Es gibt auf jeden Fall viele Chickens bei uns in Frankfurt.

Das liegt dann also nicht wirklich daran, dass sie sich von der Polizei gejagt fühlen, sondern eher daran, dass sie selbst Drogen nehmen und…
…sich eigene Filme machen. Genau. Wir sagen zum Beispiel auch immer, dass Koks ziehen und Facebook-Account nicht zusammen passt. Wenn man druff ist, postet man halt nur irgendeine Scheiße, die nicht gerade von Vorteil ist. Es gibt viele Sachen, die nicht zusammenpassen. Zum Beispiel eben auch Dealen und selber high sein.

Findest du es eigentlich verständlich, dass Polizei und Sicherheitsdienste all die Methoden zur Überwachung benutzen, die ihnen heute zur Verfügung stehen? Kann man ja irgendwie schon nachvollziehen.

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Nachvollziehen kann ich das schon. Also nachvollziehen können wir das, denke ich, alle. Wir können ja alle nachdenken—ist ja logisch: Es geschieht etwas Verbotenes und der Staat muss dagegen vorgehen. Nur mittlerweile—was heißt mittlerweile, war bestimmt immer schon so—ist alles so verlogen und so viele Insidejobs gehen von Staaten, um danach die Sicherheitsschlaufe enger ziehen zu können.

Was meinst du damit?
Also ich kann schon verstehen, dass man als Staat versucht, für Sicherheit zu sorgen. Aber im Endeffekt nutzen die es halt für sich aus. Wenn dem Volk zum Beispiel vermittelt wird: Wir müssen euch abhören, weil es um Terrorabwehr oder um eure Sicherheit geht, dann bin ich da auf jeden Fall skeptisch. Es kann ja sein, dass es echt um Terrorabwehr geht. Natürlich will keiner Bomben haben oder dass irgendwas hochgeht, aber in das Raster der Abgehörten fallen so viele Unschuldige. Klar gibt es auch viele Leute, denen es völlig egal ist, wenn sie abgehört werden. Die sagen dann: Ich habe ja nichts zu verbergen, sollen die mich ruhig abhören. Ich denke mir dann: OK, das ist erst der Anfang. Du hast vielleicht echt nichts zu verbergen, aber trotzdem hat meiner Meinung nach der Staat nicht das Recht in deine Privatssphäre einzugreifen, weil du schon was zu verbergen hast. Sonst würden wir ja alle ohne Gardinen leben. Jeder hat eine Privatssphäre. Und ich glaube, vielen Leuten ist das noch gar nicht bewusst, wie sehr ihre Privatssphäre durch diese ganze Abhörerei vom Staat beschnitten wird. Vor allem weiß man halt nicht, wie sich das alles in Zukunft noch entwickelt.

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Du sagst also, man sollte sich davor auch schützen, wenn man nichts Illegales macht?
Auf jeden Fall. Man weiß ja nie. Selbst wenn Leute sagen, dass sie nichts zu verbergen haben und meinen, dass ja alles ganz schön ist in Deutschland und hier ja niemandem großes Unrecht angetan wird. Die sollen doch glauben, was sie wollen. Du weißt aber nicht, wie es in 20 Jahren hier aussieht. Man weiß ja nicht, wie sich die Politik entwickelt. Jetzt kommen sich die Leute hier noch einigermaßen sicher vor und haben noch einigermaßen Vertrauen in den Staat, zumindest viele Leute. Das kann sich aber auch ändern. Wenn die Gesetze erstmal durch sind und das Sicherheitsnetz so gut wie zugezogen ist, dann ist es bestimmt auch schwer, da wieder raus zu kommen.

Es gibt ja so einige Tricks, wie man Abhörmethoden umgehen kann. Man kann aber doch sagen, dass sie nicht besonders effektiv sind, oder?
Also ohne da jetzt eine bestimmte Jahreszahl zu nennen, ab wann man spätestens erwischt wird—irgendwann wird jeder mal bestraft. Und es ist egal, ob nun vom Gesetz oder vom Leben. Jeder, der was Schlechtes macht, ob nun Dealen oder sonst was, wird irgendwann geballert—auf jeden Fall.

Aber es gibt doch bestimmt auch Methoden, die sich bewährt haben und gegen die zumindest die Polizei nichts machen kann?
Ich sehe es ja—manche Leute sind immernoch da. In Frankfurt ist es aber auch noch relativ locker. Da wollen die Cops nur die großen Fische. In Darmstadt wird es da schon schwieriger.

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Ist denn die Vorratsdatenspeicherung für manche womöglich ein Grund, nicht mehr kriminell zu sein? Oder bleibt das Geld zu verlockend?
Das Geld ist auf jeden Fall zu verlockend, würde ich mal sagen. Also wenn Leute aufhören, dann aus anderen Gründen. Wenn aber jemand gebustet wurde—ob nun Dealer oder Abnehmer—und in U-Haft sitzt, dann kann es schon sein, dass so ein Kreis für ein paar Monate oder ein paar Wochen zumindest nichts mehr macht und auch gar keinen Kontakt mehr zu anderen hat. Aber dass dann alle so richtig aufhören … nein, das ist schon schwer.

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