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Ich habe meine Transsexualität vor meiner christlichen Hardcore-Band verheimlicht

Ich versteckte mein wahres Ich, weil ich davor Angst hatte, meine Band und meine Fans zu enttäuschen.

So tanzen Leute bei Hardcoreshows. Foto: Suzy S Photography | Flickr | CC BY 2.0

Als jemand, der damit aufgewachsen war, in einer christlichen Hardcoreband zu spielen, kam es mir nie in den Sinn, dass Transsexualität eine Sünde sei, die ich jemals beichten könnte. In jungen Jahren gehörten Wichsen an einem Sonntag und Fluchen noch zu meinen schlimmsten Sünden. Mit der Zeit wurde aber aus dem leisen Bedürfnis, Make-Up zu tragen oder mir die Beine zu rasieren, das unausweichliche Hinterfragen meiner geschlechtlichen Identität.

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Die Canadian Psychological Association definiert Transsexualität als „Unzufriedenheit, die manche Menschen bezüglich ihrer körperlichen Geschlechtszugehörigkeit oder Geschlechterrolle verspüren.“ Wie so viele Trans-Menschen verheimlichte auch ich meine wahres Ich und zahlte dafür einen hohen Preis.

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Anstatt meine Identität mit offenen Armen zu akzeptieren, wurde ich zu einem Sprachrohr für Gott und verwendete heimlich die Lyrics meiner Band, Bibelzitate und Predigten, um mich zu „heilen“. Jetzt, da ich mich langsam aber sicher auf die 21 zubewege, liegen mein Glaube und seine Auswirkungen auf meine Gesundheit hinter mir. Trotzdem kann ich nicht einfach ignorieren, dass ich es nicht geschafft habe, dazu beizutragen, eine Gemeinschaft zu reformieren, die mich in meiner wahren Identität noch immer diskriminiert.

Ich würde nicht sagen, dass sich viele Menschen unsere Musik angehört haben oder dass man uns viel Beachtung geschenkt hätte. Wir waren jung, spielten in kleinen Gemeindezentren, Clubs und Kirchen. Nichtsdestotrotz verpasste ich die Gelegenheit, mit der Glaubensgemeinschaft, mit unseren Fans und anderen Musikern über meine Sexualität zu sprechen—und heute habe ich mit ihnen nichts mehr zu tun. Hätte ich gewusst, dass meine Gedanken nicht einfach wieder verschwinden würden—geschweige denn, dass ich überhaupt das Recht habe, solche Gedanken zu haben—, hätte ich sie sofort geäußert.

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Meine Kindheit war eintönig. Bis zur Pubertät bin ich nie aus der Reihe getanzt. Meine Familie besuchte regelmäßig eine anglikanische Kirche, nur wenige Minuten von unserem Haus in den Suburbs von London, Ontario, entfernt. Ich kann mich nicht mehr an die genaue Stelle aus der Predigt erinnern, aber wir verließen diese Gemeinde, nachdem der Reverend die Handlung von Spider Man 2 mit Jesus' Kreuzigung verglichen hatte. Danach blieben wir Sonntags zuhause, wo ich dann auf eigene Faust das Neue Testament und den Leitfaden der Jugend für Christus las.

Jahre gingen vorüber und Zitate wie, „Friends may fail me, foes assail me / He is with me to the end“, ließen mich die Gottesdienste vermissen. Gott war gnädig, aber ich brauchte eine Gemeinde. Zu der Zeit spielte ich gerade mit einem anderen christlichen Freund zusammen in einer Speed Metal-Band Schlagzeug. Als zwei weitere Gläubige dazukamen, fingen wir an, auch religiöse Texte zu verfassen—unseren Gitarristen und unseren Bassisten, die beide Agnostiker waren, schien das nicht zu stören.

Ich kann bis heute nicht sagen, warum die Leute unsere Musik überhaupt gemocht haben. Wir waren furchtbar. Unseren Sound hatten wir von anderen Bands abgekupfert—aber mit „noch mehr Heavy Parts.“ Unsere Fanbase war wahrscheinlich nur so groß, weil unser Sänger alle mit Ankündigungen zuspamte. Für eine lokale Hardcoreband waren unsere Konzerte aber eigentlich immer gut besucht.

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Wir versuchten, andere Bands nachzuahmen, die Erlösung und die absolute Hingabe zur heiligen Dreifaltigkeit predigten. Ich werde nie vergessen, wie wir ein Konzert mit unseren Vorbildern Texas In July und A Plea For Purging gespielt haben. Unser Publikum bestand keineswegs nur aus religiösen Menschen, aber trotzdem kletterten sie alle bei unseren Shows übereinander und brüllten, „He brings us redemption.“ Wir nannten uns selber, „die Stimme der Stimmlosen“—als hätte eine der größten Weltreligionen nicht schon genug Mittel und Wege, um ihre Botschaft unter die Menschen zu bekommen. Ansonsten waren wir eher moderate Gläubige, aber unsere Proben jeden Freitag waren ein Zeit, bei der uns unser Glauben richtig Spaß machte. Ich vermisse diese Zeit auch heute noch.

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Als wir 14 waren, hatte sich unsere Band schon einen kleinen lokalen Ruf erarbeitet und wir hingen mit anderen christlichen Musikern vor Ort ab. Kurz danach trat meine Transsexualität zu Tage. Ich hasste meine Klamotten, drahtige Gesichtshaare sprossen von meinem Kin und meine Hände wurden schwielig. Die Augen waren der einzige Teil meines Körpers, von dem ich mich angemessen repräsentiert fühlte. Meine Bandkollegen begrüßten ihre langsame Mannwerdung, aber für mich fühlte sich das alles nur falsch an.

Als die Diskussionen um gleichgeschlechtliche Ehen auch im Mainstream immer mehr Rückhalt erfuhr, gingen einige in meiner Gemeinde gegen das Erstarken der „Freaks“ auf die Barrikaden.

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Ich hörte von meiner lesbischen Tante, dass sie jetzt von ihrer Arbeitsunfähigkeitsversicherung lebte, nachdem sie ihren Job aufgrund von Belästigungen verlassen musste. Schulfreunde drohten, homosexuelle Menschen zusammenzuschlagen, sollten sie sie anfassen, und meine Bandkollegen hielten sich zu der ganzen Entwicklung ziemlich bedeckt—man rezitierte zwischendurch mal „Love man, hate sin.“

Rückblickend kann ich sagen, dass ich unglaubliche Angst hatte.

Ich ging jeglichen Verdächtigungen aus dem Weg, indem ich strategisch sichere Anziehsachen aus der Frauenabteilung kaufte. Enge Jeans und Shirts gingen auch als Männerklamotten durch, aber allein durch die Tatsache, dass sie eigentlich für Frauen gedacht waren, fühlte ich mich besser.

Immer, wenn ich meiner Transsexualität nachging, überkam mich ein unglaubliches Schuldgefühl. Ich fühlte mich so weit entfernt von Gott und suchte Rat.

Es dauerte nicht lange, bis ich Material für religiöse Beratung für LGBT-Menschen in den Händen hielt. Auf den Pamphleten wurde Transsexualität als „Krankheit“ bezeichnet, die man durch entsprechende Frömmigkeit heilen kann. Ich habe nie eine dieser Beratungsstellen besucht, aber allein diese Bemerkung beförderte mich in einen Teufelskreis.

Mit 16 versuchte ich dann, meinem inneren Bedürfnis mit Auftritten, Bibelstunden und Gebeten entgegenzutreten, aber es war schwer. Ich fand immer wieder Ausreden, um mir meine Nägel lackieren oder die Beine rasieren zu können, nur um mich dann damit zu bestrafen, dass ich den Nagellack mit einer Schere abkratzte, lange Jeans während drückender Hitzewellen trug oder mir nicht erlaubte, zu essen. Ich war depressiv und voller Selbsthass.

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Wenn es einen Grund gab, warum ich weiter auftrat und eine Theologie predigte, die mein Selbst derartig attackierte, dann war es wahrscheinlich die Angst davor, eine Enttäuschung zu sein. Ich hatte Angst davor, meine Familie, meine Band, die Fans und diese höhere Macht hängenzulassen. Ich hatte mich nie mit etwas mehr identifiziert, als mit der christlichen Gemeinde, und ich vertraute ihrer Sicht auf meine Transsexualität.

Mit der Zeit bekamen Mitglieder meiner Band—inklusive mir—immer mehr religiöse Zweifel. In einer letzten Anstrengung, meinen Glauben aufrechtzuerhalten, verließ ich die Band, um mich einer anderen Gruppe von Evangelikalen anzuschließen. Ein Großteil von ihnen hatte schon irgendeine Form der Abhängigkeit hinter sich—von Gras bis zu Schmerzmitteln war eigentlich alles dabei—und ich bewunderte sie dafür, wie sie ihrem Verlangen standhielten. Vor allem der Sänger beeindruckte mich, der es schaffte, die „Stimmen“ in seinem Kopf zu ignorieren. Ihren Glauben äußerten sie darin, Texte aus dem alten Testament damit zu kombinieren, ihre Instrumente über die Bühne zu schleudern.

Meine Transsexualität nahm aber schon bald Priorität ein. Ich begann damit, Veranstaltungen zu besuchen, die sich selbst als Schutzraum verstehen. Dort wimmelte es nur so von Freunden, die mich dazu ermutigten, meine weibliche Identität mit offenen Armen zu begrüßen. Ich driftete in eine andere Welt—zwischendurch hörte ich nochmal von alten Freunden, die ihrem Glauben treu geblieben waren. Einer von ihnen ließ mal einen Gig sausen, nachdem er eine Plakatwand als vorrausschauendes Zeichen dafür gedeutet hatte, nach Hause zu gehen. Das war eine eher komische Erinnerung an diese absolute Hingabe, die ich selber inzwischen verloren hatte.

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Es macht einen nicht wirklich zu einem besonders gefestigten Menschen, wenn man für so lange Zeit auf eine falsche Fährte gelockt und dazu angehalten wird, eine nichtexistente Krankheit zu behandeln. Es verwandelte meinen eher moderaten Glauben in ein labiles Gedankenkonstrukt. Manchen wird meine frühere Angst vor dem Höllenfeuer vielleicht lächerlich vorkommen, es fehlte mir aber lange Zeit schlicht und einfach an einer Gegenseite. Ich war mir außerdem nicht bewusst, dass sich auch andere Diskriminierungen ausgesetzt sahen.

Ich habe gesehen, was für tolle Dinge die christliche Gemeinde auf die Beine gestellt hat: Sie hat den Obdachlosen, den Süchtigen und anderen Menschen neue Hoffnung gegeben. Die LGBT-Gemeinschaft scheint dabei allerdings eine Ausnahme zu sein. Erst vor Kurzem bezeichnete das Oberhaupt der katholischen Kirche die Gender-Theorie als eine so große Gefahr für die Menschheit wie die Atombombe.

In der Zwischenzeit haben die säkularen Medien ihre Berichterstattung zu LGBT-Themen aber erheblich ausgeweitet. Mit Caitlyn Jenner auf dem Cover der Vanity Fair und der Tatsache, das Transsexualität in meiner Gegend langsam nicht mehr als psychische Störung angesehen wird, kann man schon sagen, dass unsere Gesellschaft Fortschritte macht. Es hat mich auch dazu ermuntert, mein Geschlecht mehr denn je zu erkunden, und ich lerne jeden Tag dazu. Wir haben alle unsere eigenen Vorurteile, die wir aufbrechen müssen—vor allem in jungen Jahren. Ich frage mich aber immer, ob es damals jemand anderes wie mich gab, und ob die Botschaften, die auch ich damals mit meiner Band verbreitete, bei dieser Person vielleicht einen eigenen Teufelskreis in Gang gesetzten haben. Die Vorstellung macht mir auf jeden Fall Angst.

Dass ich nie den Mund aufgemacht habe, lässt mich nachts nicht schlafen. Ich wünschte, ich hätte es getan. Nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen.

Folgt Al Downham bei Twitter—@AlexLDownham

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