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Ich, du und Chris Brown

Chris Brown zu haten, ist nicht explizit ein Modephänomen, denn das würde ein Hang zur Belanglosigkeit implizieren. Es ist eine Mixtur aus einem Meme und einem nationalen Hobby.

In den Lyrics von „Fine China“, der ersten Singleauskopplung von Chris Browns neuem Album X, findet sich folgende Textzeile: „It’s alright, I’m not dangerous, when you’re mine, I’ll be generous“. Der Song, der diesen Monat veröffentlicht wurde, scheint wie eine Versöhnungsgeste für die Attacke, die vor vier Jahren Browns Auto von innen mit Blutspritzern versaute. Wie Brown hat die Öffentlichkeit diese Tat nicht vergessen. Obwohl Rihanna und Chris Brown höchsterfolgreiche Karrieren verfolgen und ihre Beziehung wieder aufgefrischt haben, bestimmt dieser Zwischenfall nach wie vor den Blickwinkel, unter dem man die beiden betrachtet. Der Hergang der Attacke bleibt bis heute weitestgehend im Dunkeln, auch der zurückhaltende Polizeibericht brachte keine neuen Details ans Tageslicht. Eine folgerichtige Verurteilung wegen häuslicher Gewalt sollte unmissverständlich sein. Aber bestimmte Kräfte scheinen sowohl die Narration in den Medien, als auch die öffentliche Wahrnehmung der involvierten Stars zu beeinflussen.

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Rihanna war im Gegensatz zu den sonst üblichen Opfern von Gewalt Prominenter bereits selbst eine Person des öffentlichen Lebens. Das Foto ihres blutunterlaufenen Gesichts ist im letzten Jahrzehnt zu einem popkulturellen Artefakt geworden, das schockierend ist und im Internet schnell ungeheure Verbreitung fand. Kombiniert man das, um künftig ein Bewusstsein für solche Angriffe zu gewährleisten, sollte das einen unverfrorenen Ekel in der Mitte der Gesellschaft gegenüber Gewalt an Frauen hervorrufen, so dass diese nicht länger toleriert wird. Zumindest fast.

In der Folge entwickelten sich zwei Gruppierungen: die Musikindustrie und das „Team Breezy“, Chris Browns loyale Fangemeinde. Anfang des Jahres 2012 verteidigte der leitende Produzent des Grammy-Awards, Ken Ehrlich, Browns Rückkehr auf die Bühne der Veranstaltung: „Wie du vielleicht mitbekommen hast, war Brown in den letzten Jahren nicht bei den Grammys eingeladen. Für uns hat es eine Weile gedauert darüber hinwegzukommen, dass auch wir das Opfer von dem sind, was geschehen ist“. Selbst wenn Ehrlichs Worte eher Ausdruck schlechten Geschmacks als latenter psychischer Störungen sind, so artikulieren sie doch den Anschein einer Industrie, die gewalttätige Straftäter aufgrund ihrer kommerziellen Bedeutsamkeit rehabilitieren lässt.

Es gibt viele, die denken, dass die sechs Monate gemeinnützige Arbeit keine ausreichende Bestrafung darstellen und dass sein kommerzieller Stellenwert ihn gerade nochmal so davon kommen ließ—eine Wahrnehmung, die von Betrugsvorwürfen zementiert wird, ob er seine Strafe überhaupt vollzogen hat. Auch die Staatsanwaltschaft spricht sich für ein erneutes Aufrollen des Falls aus. Diejenigen, die sich mit Browns reueloser Einstellung abgefunden haben, wenden ihre Energie nun darauf auf, Rihanna zu maßregeln, weshalb sie ihre Karriere und die Beziehung mit Brown trotzdem aufrechterhalten hat. So lang Rihanna darauf beharrt, dass es ein hypersexualisierter Übergriff ist, offenbar um sich vom gedemütigten Opfer-Image zu befreien, wird sie weiterhin ein vernichtendes Urteil erfahren.

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Im Januar erzählte Lena Dunham, Schöpferin der HBO-Serie Girls, dem Moderator des amerikanischen Radiosenders WNYC Alec Baldwin folgendes: „Ich denke nur gerade daran, wie viele kleine Mädchen da draußen von Rihanna besessen sind, über ein Maß hinaus, das ich nicht einmal verstehe. Und dann kommt sie wieder mit Chris Brown zusammen. Das lässt mein Herz in zwei Teile zerbrechen und fühlt sich so an, als wäre ich 95 Jahre alt“. So tragisch Dunhams verfrühtes Altern auch wäre, sie moralisiert diese Angelegenheit von Grund auf und versteckt sie hinter ihrem Scharfsinn – ein Chor, in den sich das weiße Amerika regelmäßig befugt fühlt, einzustimmen. Zuletzt als die Redakteurin Tina Brown vom Daily Beast Rihanna als „dicke fette Null als Vorbild“ titulierte.

Amerikas Sorge, eine Botschaft von stillschweigender Zustimmung oder sogar Absolution von häuslicher Gewalt auszusenden, veranlasst einen Zorn gegenüber Brown, der als Fallbeispiel für die Art und Weise angesehen werden kann, mit der wir uns heutzutage über etwas schämen. In London klebte auf Browns Album Fortune (RCA) aus dem Jahr 2012 ein Sticker mit der Aufschrift: „Kaufe dieses Album nicht! Dieser Mann schlägt Frauen“. Eben dieses Album bekam vom Kritiker der unabhängigen Wochenzeitung Iowas City View folgende, sechs Wörter umfassende Rezension: „Chris Brown schlägt Frauen. Genug gesagt“! Gibt’s mal nichts Aufregendes für amerikanische Comedians zu twittern, so können sie immer eine fade Stichelei gegen Brown posten, um eine befriedigende Anzahl an Favorisierungen und Retweets zu erhalten. Die Twitter-Komikerin Jenny Johnson neigte zu einem ausgeprägten Hang zum Widerstand gegen Brown, indem sie jeden seiner Tweets mit einer Antwort versah, die auf den Übergriff Bezug nahm. Er zwitscherte: „Can I wow you?“, und sie antwortete: „Du hast ‚die Scheiße aus dir rausprügeln‘ falsch geschrieben“. Brown schrieb: „#GibNichtAufWeil du etwas Besonderes bist“, Johnson fügte: „#GehInDenKnastWeil du Frauen schlägst“ hinzu. Das ging jahrelang bis zum November 2012, als Johnson auf Browns Tweet: „Ich seh aus als wäre ich verdammt alt! Ich bin doch gerade mal 23…“, folgendes antwortete: „Ich weiß! Ein wertloses Stück Scheiße zu sein, lässt wirklich jeden altern“. Brown reagierte zum ersten Mal auf ihren Kommentar, indem er ihr schrieb, sie solle gewisse sexuell explizite Dinge tun, was dazu führte, dass Browns Account gesperrt wurde. Dem Glamour-Magazin, das letzten Monat Johnson für den klaren Ausdruck ihrer Gedanken beglückwünschte, sagte sie: „Keine Art von Vergewaltigung sollte je toleriert werden“.

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Chris Brown zu haten, ist nicht explizit ein Modephänomen, denn das würde ein Hang zur Belanglosigkeit implizieren. Es ist eine Mixtur aus einem Meme und einem nationalen Hobby, mit all der Tiefgründigkeit des ersteren und mit dem Grad an Engagement des letzteren. Von den Übertragungen des Facebook-Status zu Freunden und Mitarbeitern, zu öffentlich geteilten Tweets – der Angriff auf Rihanna wird umso bedeutender dadurch, dass er in einer Ära stattfand, in der 140 Zeichen schnell als virale, selbstgerechte Dogmen betrachtet werden. Browns Kritiker, die ja nicht Unrecht haben, werden als Helden gefeiert und ihnen wird ein Mut zugeschrieben, den sie wahrscheinlich nicht bekommen hätten, wenn sie sich nicht auf einen von Amerikas am stärksten verunglimpften Popstar gestürzt hätten.

Während eine Menge weißer Celebrities wohl Frauen, die weniger als eine Fußnote auf ihrer IMDB-Seite vorweisen können, angegriffen haben, wuchs Browns Diffamierung zu einem Grundrauschen im Internet an, das dem Verarschen von Nickelback oder dem Liken von minderjährigen YouTube-Stars ähnelt. Die Abscheu, die Brown hervorruft, kann nicht von den eindeutigen Umständen, die sie nährten, abgekoppelt werden: Er verewigte sich mit einem brutalen Angriff auf eine Frau, der sie ins Krankenhaus beförderte; diese Frau war Rihanna; das Foto von Rihannas Gesicht wurde nach dem Überfall veröffentlicht; Brown benimmt sich seither nicht wesentlich gebessert; seine Musik ist letztlich nicht ausschlaggebend.

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Diese mildernden Umstände erklären jedoch trotzdem nicht die Diskrepanz zwischen den Reaktionen, die von Chris Brown hervorgerufen wurden und dem verhältnismäßig auffälligem Schweigen, mit dem ähnliche Zwischenfälle von weißen Schauspielern betrachtet werden. Chris Brown veranschaulicht die fortwährende Begrenztheit der Vorstellungskraft des weißen Amerikas in Bezug auf schwarze Männer, wenn Brown kulturell eher als Sündenbock resoniert, als z. B. Michael Fassbender, Sean Penn, Bill Murray, Sean Connery oder Charlie Sheen. Dazu sei gesagt, dass Chris Brown in seiner Kindheit selbst Opfer häuslicher Gewalt wurde.

Es ist nicht so, dass Brown für sein taktloses Auftreten und seine anstößigen Bekundungen in der Öffentlichkeit keine Kritik verdient. Die Botschaft, dass wir als Gesellschaft Männer verschmähen, die Frauen Gewalt antun, ist längst überfällig. Aber der Widerwillen der Medien auch über Fälle zu berichten, die weiße Berühmtheiten mit der Beschuldigung von häuslichem Missbrauch konfrontiert sehen, beweist, dass dies scheinbar noch nicht der Fall ist. Gewisse Narrative haben eine kulturelle Salienz, d.h. sie sind leichter zugänglich, während es andere nicht sind – das Unterscheidungsmoment scheint die ethnische Herkunft zu sein.

Wenn ethnische Voreingenommenheit in diesem Fall zu weit hergeholt scheint, weil es auf eine Schuld anspielt, mit der du dich nicht identifizieren kannst, rufe dir den Fall Charlie Sheen ins Gedächtnis. Im Jahre 2009, also in dem Jahr als auch Chris Brown auf Rihanna losging, wurde Sheen dafür verhaftet, dass er seine damalige Frau Brooke Mueller angegriffen hat. Nach Aussage Muellers fesselte Sheen sie ans Bett und hielt ihr ein Messer an die Kehle, nachdem er gehört hat, dass sie sich von ihm scheiden lassen will. Das war jedoch nicht der erste Zwischenfall. Im Jahre 2006 erstattete Denise Richards Anzeige gegen Sheen aufgrund seiner „beleidigenden und bedrohlichen Art“. Zehn Jahre zuvor schlug Sheen seine Ex-Freundin Brittany Ashland zu Boden – die geplatzte Lippe benötigte sieben Stiche. Im Jahr 1990 schoss Sheen Kelly Preston, die er zu dieser Zeit datete, mit einem Revolver in den Arm. Für seinen Angriff im Jahre 2009 wurde Sheen zu 30 Tagen Entzugsklinik, 30 Tagen auf Bewährung und zu 36 Stunden Aggressionsbewältigung verurteilt. Die Rechtsanwältin Gloria Allred äußerte sich damals wie folgt: „Es war eine ernste und lebensgefährliche Situation, die folgenreiche Konsequenzen mit sich tragen sollte – im Gegensatz zu dem sehr milden Strafmaß, das ihm widerfahren ist“.

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Anstatt, dass man Sheen als bedrohlich und gefährlich betrachtet, wird er als verstört und exzentrisch dargestellt – er bekam eine Einladung zu Comedy Central, machte eine Tour als Stand-Up-Comedian, eine Werbung von Fiat Abarth fiktionalisierte sein Hausarrest mit ihm zujubelnden Models (am Ende der Werbung erscheint folgender Spruch: „Not all bad boys are created equal“) und seine auf Two And A Half Men folgende Sitcom wurde für 100 Episoden von der Fox Entertainment Group geordert. Der Name: Anger Management – Aggressionsbewältigung.

Brown hingegen wird nicht als lädierte Persönlichkeit rehabilitiert, die unserer belustigten Aufmerksamkeit oder unserem gemäßigten Mitleid wert ist. Seine Partizipation an der Kultur ist im Allgemeinen auf zwei Dimensionen limitiert: Popstar und Verbrecher. So bleibt er ein leicht zu treffendes Ziel.

Die Analyse des Kontexts voranzutreiben ist kein Beitrag dazu, den Angriff auf Rihanna in irgendeiner Weise zu rechtfertigen. Der Versuch die fortlaufenden Reaktionen in der Öffentlichkeit zu verstehen, soll Brown von seinen Gewalttaten zu keinem Zeitpunkt freisprechen oder auch nur entlasten. Wenn man es einmal herunterbricht, dann sagt uns die Art, wie wir Brown und Rihanna durch ihren Ruhm als Einheit der öffentlichen Konsumption ansehen, und wie wir damit umgehen, eine Menge über uns selbst.

Vielleicht benötigt es eine gewisse Distanz, um kulturelle Narrative zu hinterfragen, die selbst diejenigen nicht einnehmen können, die den involvierten Künstlern vollkommen gleichgültig gegenüber stehen. Vielleicht ist das Thema der häuslichen Gewalt auch zu schwerwiegend und zu sehr mit emotionalem Ballast beladen, als dass man sich ein wohlüberlegtes Urteil über den Kontext, in welchem es wahrgenommen wird, erlauben kann. Vielleicht ist es einfach zu kompliziert, die Interaktion von Stereotypen männlicher, schwarzer Gewalt und der weiblichen, schwarzen Opferrolle mit der Berichterstattung über Chris Browns Angriff auf Rihanna zu diskutieren. Aber vielleicht ist es notwendig.

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Im Oktober 2012 erhielt die Waverly High School in New York nationale Aufmerksamkeit für eine Pep Rally, die als Programmpunkt in einem Sketch-Wettbewerb eine Nachstellung von Browns Angriff auf Rihanna darbot. Drei schwarz angemalte weiße Schüler ahmten den physischen Überfall vor lachenden und applaudierenden Mitschülern und Lehrkräften nach. Die Reaktionen der Gäste, die die Veranstaltung besucht haben, waren überwiegend von Irritation gezeichnet – nicht aufgrund des widerlichen Revivals einer alten Tradition, sondern aufgrund der negativen Presseberichterstattung, die darauf folgte. Eine Schülerin der High School gab achselzuckend ihre Meinung kund: „Es ist doch wirklich passiert. Chris Brown hat Rihanna doch wirklich geschlagen.“

Ayesha A. Siddiqi ist Kulturkritikerin und Autorin. Folge ihr bei Twitter (@pushinghoops) und Tumblr.

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