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Ich bin nach Armenien geflogen, um mir System of a Down anzuschauen

System of a Down sind in Armenien Volkshelden, haben dort aber noch nie ein Konzert gespielt. Letzte Woche war es endlich soweit.

Wenn es um Armenien geht, wissen viele nicht einmal, wo genau der kleine Staat denn überhaupt liegt. Bitteschön, hier. Es gibt auch nicht viele Prominente mit armenischem Background, die Band System of a Down gehört aber definitiv dazu. Zwar ist die gesamte Besetzung in Amerika aufgewachsen, sie alle sind aber Nachkommen von Überlebenden des Genozids an den Armeniern, dessen Beginn sich vor ein paar Tagen zum hundersten Mal jährte. Die Ereignisse—Hinrichtungen, Gefangenschaften, Todesmärsche—werden von vielen als der erste systematische Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Rund 1,5 Millionen Menschen kamen dabei um. In vielen Ländern sind die Geschehnisse bis heute nicht als Völkermord anerkannt. Als Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Gedenkrede erstmalig (!) klar von einem Völkermord sprach, reagierte das türkische Außenministerium erbost: „Das türkische Volk wird dem deutschen Präsidenten Gauck seine Aussagen nicht vergessen und nicht verzeihen.“

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System of a Down engagieren sich seit langem für die Anerkennung als Genozid, selbst in ihren Texten ist das Thema allgegenwärtig. Dieses Bemühen macht sie zu Staatshelden der Armenier. Jeder kennt sie, jeder hört sie. Deswegen ist es auch merkwürdig, dass die Band nie eine Show in Armenien gespielt hatte. Letzte Woche, am Vorabend des Volkermordgedenktags am 24. April, war es dann endlich soweit. SOAD spielten ihr historisches Konzert in der Haupstadt Yerevan. Als ich von #wakeupthesouls, wie die aktuelle Tour der Band heißt, hörte, habe ich sofort alle Termine gecheckt. London und Köln waren die einzigen Konzerte in der Nähe. Im Annoncing-Video zur Tour war aber nur von dem Konzert in Armenien die Rede. Also hab ich die Flugpreise rausgesucht: 250 Euro hin und zurück. Gekauft.

Das Konzert fand auf dem Platz der Republik statt, der in etwa so groß wie ein Stadion ist und den zentralen Punkt von Yerevan darstellt. Rund um den Platz befinden sich Regierungsgebäude, Fünf-Sterne-Hotels und Museen, die nachts unglaublich schön beleuchtet werden. Ich musste mich während des Konzerts immer wieder umdrehen, um die Kulisse richtig fassen zu können.

Angesetzt war das Konzert für 20 Uhr. Der ganze Platz war schon Tage vorher gesperrt worden, um die Bühne aufzubauen. Das Konzert war gratis, aber es gab nur einen einzigen Eingang, wo man sich ewig anstellen musste. Jeder, wirklich jeder, wollte rein. Da es in Yerevan so viel Polizei gibt, dass so gut wie jeder zweite Polizist ist, kannten meine armenischen Freunde jemanden, der uns durch eine Straßensperre auf das Gelände einschleuste.

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Nachdem ein kurzer Film gezeigt wurde, der die Geschehnisse rund um den Armenier-Genozid in Comic-Form erzählte, ging es dann endlich los. Die Band erschien und positionierte sich auf den vier typischen Armenier-Teppichen, die bei den System of a Down-Shows stets auf der Bühne liegen. Serj Tankian kam mit einem derartig breiten Lächeln im Gesicht auf die Bühne, dass klar war: Das hier ist der Moment seines Lebens. Und sein Lachen gab mir das Gefühl, dass es auch meiner ist. Selten habe ich etwas Schöneres gesehen.

Die ersten Songs wurden—entgegen meiner Erwartungen—ohne Begrüßung oder Ansprache in Armenisch rausgehauen. Der Gitarrist Daron wies das Publikum zwischenzeitlich allerdings kurz darauf hin, dass es sich nicht einfach um ein Rock’n’Roll-Konzert handelt, sondern um „REVEEEENGEEEE!“. Als ich mich über den heftigen Regen beschwerte, erklärte mir meine armenische Freundin Kristina, dass es jedes Jahr am Tag des Gedenken regnen würde. Sie rechnet dem eine höhere Bedeutung zu. Das gab mir das Gefühl, noch mehr ein Teil des Ganzen zu sein, als ich es ohnehin schon war. 16 Songs später folgte Part II des Films, in dem auf den Holocaust im Zweiten Weltkrieg eingegangen und ein Satz von Hitlers Obersalzberg-Rede vom 22. August.1939 zitiert wurde: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ Hier in Yerevan redeten viele darüber. Als „Sartarabad“, ein traditionelles armenisches Volkslied gesungen wurde, war das Publikum ruhig. Die Leute waren perplex und gerührt.

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Während ich völlig überrascht davon war, dass es nach 28 Songs sogar noch einen dritten Teil des Films gab, fielen mir einige Besonderheiten auf: Zum einen sind Armenier sehr klein. Ich konnte mit meinen 165 cm Körpergröße im leichten Zehenspitzen-Stand alles gut überblicken. Außerdem fehlten die leuchtenden Smartphones. Die Handys, die ich auf meiner Armenien-Reise in Verwendung gesehen habe, waren alle aus der Generation, die nur über eine völlig unbrauchbare Kamera verfügten. Am darauffolgenden Tag hat mir sogar die Mutter meiner Freundin in einem Armenisch-Russischen-Hände-und-Füße-Spachmix erklärt, dass Nokia das einzig Wahre sei.

Nach 37 Songs (in Worten: siebenunddreißig!) und dem Ende des Konzerts hatte ich noch immer nicht ganz realisiert, dass ich tatsächlich dabei gewesen war. Kristina war es nicht anders ergangen. Sie hatte Tränen in den Augen und war nicht im Stande ein einziges Wort heraus zu bringen. Alle Anwesenden hatten das Gefühl, eine historische Stunde erlebt zu haben. Als Abschluss möchte ich nochmals betonen: Ich liebe System of a Down.

Seht hier das Konzert in voller Länge:

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