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Bekenntnisse eines Lenny Kravitz-Fans

Ich mag Drake nicht, halte ‚Yeezus‘ für ein Brechmittel und feiere Lenny Kravitz. Wie zur Hölle habe ich es in eine Musikredaktion geschafft?

Ich habe einen fürchterlichen Musikgeschmack. Das ist eine Tatsache, an der sich nichts beschönigen lässt. Aber das ist vollkommen in Ordnung so.

„Deine CD-Sammlung sieht aus, als hätte ein Geistesgestörter einen Plattenladen ausgeräumt“, wurde mir unlängst konstatiert. „Ich weiß“, seufzte ich und strich zärtlich über meine Bravo Hits 16, die sich an das ABBA Gold Jubiläumsalbum, Die Antwoords Donker Mag, einer Maxi-CD von Saschas „If you believe“ und TLCs Fanmail reihte. Tatsächlich schiebe ich meinen ausgesprochen fragwürdigen Musikgeschmack zum Großteil auf frühkindliche Prägung. Mit ungefähr vier Jahren bewunderte ich so ziemlich alles an meiner großen Schwester, damals im Teenageralter, war immer ihrer Meinung, experimentierte mit ihrer ozeanblauen Mascara und sang mit inbrünstiger Begeisterung die Hits des Eurodance-Imperiums mit. Haddaway, Snap, Ace Of Base—ich kannte sie alle. In Sachen Textsicherheit und korrekter Abfolge der Tanzmoves des Macarena kann mir bis heute absolut Niemand das Wasser reichen. Gern gesehene Stimmungskanone bin ich daher tatsächlich aber nur auf Bad Taste Partys.

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Ich kann auch dem aktuellen Konsens bezüglich gutem HipHop und R’n’B nicht zustimmen. Ich weiß zwar, wer der Babo ist, aber es gibt nur sehr wenig, was mir noch egaler ist. Ich habe mich dem Hype um Drake nie angeschlossen. Ich halte den selbsternannten „Yeezus“ für ein natürliches Brechmittel. Und ich finde, dass Beyoncé bei Weitem nicht die beste Stimme von Destiny’s Child war. Mein Verständnis von guten Stücken jener Genres endet irgendwo Anfang der 2000er, als En Vogue noch en vogue waren, Outkast der guten Rosa Parks die Ehre gaben und Missy Elliott tatsächlich noch brav Platten produzierte.

Es ist mir daher bis heute rätselhaft, wie und warum ich es in eine Musikredaktion geschafft habe. Vermutlich ist an Muttis unermüdlicher Weisheit „Geschmäcker und Ohrfeigen sind verschieden“ doch was dran. Ich kann es meinen Kollegen allerdings nicht übel nehmen, wenn sie mich mit dem Ausdruck des puren Entsetzens angesichts meiner ehrlichen Begeisterung über den neuen Song von Scooter anstarren und sich zwischen Empörung und Belustigung nicht entscheiden können, wenn ich im Brustton der Überzeugung verkünde, dass Mumford & Sons großartige Musik machen. Und ganz vehement verteidige ich—und hier offenbare ich nun meine Achillesferse—Lenny Kravitz. Immer. Damals wie heute. Besonders wie heute, wo selbst in mir der flüsterleise Zweifel seufzt, ob er sich (oder überhaupt irgendjemanden) mit seinem neuen Album Strut tatsächlich einen Gefallen getan hat. Aber Zweifel kann man niederringen, und das ist in diesem Fall auch notwendig.

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Denn Lenny ist toll. Lenny ist geil. Lenny ist mein unangefochtener Traummann (zumindest seit Patrick Swayze nicht mehr unter uns weilt). Lenny kann man immer hören. Mit Lenny wird jeder Tag ein bisschen toller, die Sonne strahlt wärmer, die Vögelchen zwitschern verzückter, Krankheiten werden geheilt und die Welt wird zu einem besseren Ort. Das ist Fakt. Es macht nichts, dass Lenny Kravitz’ erstes Album erschien, als ich im zarten Alter von einem Jahr vermutlich vollauf damit beschäftigt war, Apfelmus in Windelinhalt zu verwandeln. Wahrscheinlich lief Lenny dabei im Hintergrund, weshalb das Ergebnis sicher mehr als zufriedenstellend war. Meine gesamte Kindheit, Teenagerzeit und Studienjahre über lieferte er konstant gute Musik. Zuverlässig wurde alle paar Jahre ein neues Album veröffentlicht, das ich euphorisch in meine Sammlung aufnahm—zuletzt Strut, das im September erschienen ist. Klar, es ist keine hochgeistige Musik, aber dieser Anspruch wird eigentlich auch nicht gestellt. Wer nach tiefgründigen Texten und instrumentalen Glanzleistungen sucht, der wird nicht fündig werden. Es sind seine ohrwurmträchtigen Melodien, die rockigen Anwandlungen, die simplen Gitarrenriffs, die eingängigen Texte, die den Erfolg von Lenny Kravitz ausmachen. Es ist poppige Rockmusik—und es ist anmaßend zu behaupten, dass Musik nur dann als „gut“ gelten darf, wenn sie sich abseits des Mainstreams bewegt. Womit ich um Himmels Willen nicht jeder Chartmusik ihre Daseinsberechtigung einräumen möchte… aber dann wiederum: Sollte wirklich ausgerechnet ich darüber urteilen?

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Ich vertrete die Auffassung, dass jeder, der nicht mindestens einmal zu „Again“ geknutscht oder nach dem sechsten Viertel den Refrain zu „Fly Away“ mitgegröhlt hat, einfach nicht richtig gelebt hat. Oder darüber lügt. Sehr wahrscheinlich einfach lügt. „Again“ war übrigens auch jener Song, der 2000 meinem 12-jährigen Ich den entscheidenden Schubs in Richtung Pubertät und sexuelle Interessen verpasst hat, nämlich als man im Video seine Arschbacke aufblitzen sah.

Und halloooo! Sein neues Video zu „The Chamber“ hat sämtliche Youporn-Vorschläge aus meiner Adresszeile verdrängt—mehr Anregung brauch ich nicht, niemals wieder! Dafür verzeihe ich ihm sogar das fütterungsbedürftige Model im Clip und auch, dass er mit Denise Fucking Huxtable verheiratet war und mit ihr eine Tochter gezeugt hat, die in meinem Alter ist. Könnt ihr glauben, dass dieser stählerne Sexgott im nachfolgenden Video schon 50 (ausgeschrieben: fünfffffzig) Jahre alt ist? Ich nämlich auch nicht.

Traurigerweise muss ich immer wieder feststellen, dass meine glühende Leidenschaft in erster Linie von gelangweilten Muttis Mitte—nunja…—Fünfzig geteilt wird. Es ist mir aber tatsächlich so unverständlich, wie man Lenny wirklich nicht gut finden kann, dass ich immer aufs Neue fassungslos über die mitleidigen Blicke und belächelnden Kommentare bin.

Lenny ist übrigens gerade auf Tour. Ich bin dann wohl mal ne Weile weg. Vielleicht kauf' ich mir ein T-shirt um meine Verehrung noch ein wenig offensichtlicher zu machen. Weiß ja jetzt eh jeder.

Lenny Kravitz — Strut-Tour 2014
12.11. Wien – Stadthalle

Tickets könntet ihr hier kaufen, sollte euch endlich die Einsicht überkommen.

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