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HipHop ist offiziell die neue Pop-Musik

Warum kein Genre soviel gestreamt wird wie Rap-Musik.

Foto via Flickr | Lunchbox LP | CC BY 2.0

Natürlich war die Feststellung dieser Tatsache längst nur noch reinste Formsache. Eine riesengroße kulturelle Kraft, die vor allem den US-amerikanischen Mainstream auf vielfältige Weise prägt, ist HipHop nun schon lange. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mit 15 zum ersten Mal in Manhattan einen 40-Jährigen im Sean John-Trainingsanzug sah und erstmal dachte: Wie cool sind denn bitte diese Amerikaner, wenn hier selbst die alten Herren in Puff Daddy-Klamotten rumrennen?

Ebenfalls würde heute wohl kaum noch jemand auf die Idee kommen, in Frage zu stellen, dass Kanye West tatsächlich der gottverdammte Steve Jobs der Popkultur ist. Auch ist die Feststellung, dass schon seit Jahren niemand das Internet so leidenschaftlich zur Bewerbung seiner Selbst nutzt wie die Rapper, längst nicht mehr neu—wodurch folgende Neuigkeit nicht wirklich überrascht, sondern vielmehr bestätigt, was wir längst ahnten:

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Keine Musik wird über Streaming-Dienste so viel gehört wie HipHop. So wurden die Songs auf What a Time To Be Alive von Drake Future, obwohl es qualitativ durchaus eine durchwachsene Angelegenheit ist, mehr als 40 Millionen Mal gestreamt—zu diesem Zeitpunkt war die Platte ausschließlich auf Apple Music verfügbar.

Insbesondere diese jüngste Zusammenkunft zweier Rap-Superstars hat selbstverständlich von der blitzschnellen Generierung eines riesig großen Internet-Buzzs proifitiert. Erst wurden geschickt ein paar Gerüchte gestreut und Instagram-Photos geteilt. Das komplette Rap-interessierte Web tuschelte und tuschelte so intensiv, dass die Ankündigung des Releases ein paar Tage vor seiner Veröffentlichung letztlich keine Überraschung mehr war. Dennoch war What a Time To Be Alive ein dank der Rapper-Brands Drake und Future, sowie wegen seines Meme-tauglichen Titels Musik-unabhängig ein sicherer Garant für Millionen von Streams, schon bevor irgendwer auch nur einen Song davon gehört hatte.

Mehr gestreamt wurden bis dato nur die letzten Alben von Taylor Swift und The Weeknd, sowie If You're Reading This It's Too Late und How To Pimp A Butterfly. Und Dr Dres Compton schaffte immerhin auch 25 Millionen Streams. Alles Zahlen, von dem einem schwindelig wird. Offen bleibt die Frage, warum die erfolgreichsten Rapper so viel mehr über Spotify und Co. gehört werden als Musiker anderer Genres wie zum Beispiel Mumford & Sons, die in der Veröffentlichungs-Woche auf acht Millionen Plays kamen.

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Natürlich spielen die eben genannten Vermarktungs-Aspekte dafür eine nicht unerhebliche Rolle. Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten Menschen Musik heute entweder auf dem Weg zur Arbeit im Auto hören (und dabei aufs gute, alte Radio zurückgreifen) oder via Smartphone beziehungsweise Laptop, während sie primär anderen Dingen nachgehen (aka auf Facebook abhängen), dann gewinnen anno 2015 natürlich zum einen die mit den Radio-Hits (in Deutschland sind Cro und Sido die perfekten Beispiele) und zum anderen die mit den meisten digitalen Followern. Zum Beispiel der Fall Drake: Wie wir alle wissen, spielt es für Aubrey und seinen Erfolg, ganz gleich, wie gut auch seine Musik ist, eine immens große Rolle, dass er uns ständig auch mit Dingen füttert, über die man sich verdammt gut amüsieren kann. So ist Drake, genauso wie Kanye, konstant Gast in unseren Timelines.

Machen wir uns nichts vor: Selbstverständlich werden unsere Geschmacksnerven auch durch kommerzielle Interessen beeinflusst und das nicht mal sonderlich subtil. Hätten dieselben Millionen What a Time To Be Alive gehört, wenn die Songs einfach auf Datpiff gedroppt wären (immerhin sprechen wir hier von einem fix zusammengeschusterten Mixtape und nicht von einem mit hohen Ansprüchen gestalteten Langspieler)? Natürlich nicht. Trotzdem: Marketing können auch andere, nicht nur die Rapper. Und irgendwo spielt die Kunst dann natürlich (glücklicherweise) doch noch eine Rolle.

Zuallererst machen Drake, Future, Dr. Dre und Kendrick Lamar alle Musik, die das Zuhören belohnt. Viel wichtiger als die musische Qualität ihrer Werke dürfte es aber wohl sein, dass diese Künstler den Zeitgeist treffen. Drake und Future verkörpern durch ihre Musik einen hedonistischen Blick aufs Leben, der völlig überzogen auf die Spitze bringt, was zahllose junge Menschen zwischen Berlin und Los Toronto leben. Dr. Dre wiederum ist natürlich ein Sonderfall, der zum Teil mit dem gleichen Bravado wie die beiden eben genannten arbeitet und zum anderen seiner Ghostwriter zum Dank gesellschaftspolitische Themen aufgreift. Darin ähnelt er wiederum Kendrick Lamar, dessen großartiges Album Texte beinhaltet, auf denen der junge Rap-Dichter so nachvollziehbar und stark davon erzählt, was es heißt, dieser Tage ein junger, schwarzer Amerikaner zu sein, dass dagegen selbst die meisten Schriftsteller verblassen.

Folgerichtig sind die Rapper nicht deshalb die großen Gewinner des Streaming-Siegeszugs, weil sie mehr auf Twitter und Instagram abhängen—zumindest nicht nur—sondern weil sie uns in unserer komplexen Gegenwart einfach mehr zu sagen haben, als vollbärtige Folk-Songwriter, die romantisch-anheimelnd von Zwischenmenlichem erzählen oder psychedelische Rockbands, die mit ihrer Musik die Pop-Vergangenheit romantisieren. Und deshalb überragt HipHop aktuell vollkommen zurecht alle anderen Genres.

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