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Interviews

Helge Schneider ist ein agiler Opa

Helge Schneider feiert das 20. Jubiläum seines Megahits „Katzeklo“—ein tolles Lied, wie er heute findet. Zwischenzeitlich war das ganz anders.

Alle Fotos: Ina Niehoff

Helge Schneider gibt schon den ganzen Tag Interviews und wirkt ein wenig erschöpft, allerdings auf so eine höflich-zurückhaltende Weise, die mir ohne Worte signalisiert: Ich bin etwas kaputt, aber das liegt auf keinen Fall an dir oder deinen Fragen. Im Gegenteil, es wirkt tatsächlich so, als freue er sich auf dieses Gespräch, was—wenn man mal ehrlich ist—wohl eher ein Hinweis auf seine Professionalität ist. Ist aber immer noch angenehmer als divenhafte Überheblichkeit, die sich dieser Mann auch leisten könnte. Seit etwa 40 Jahren steht Helge Schneider auf der Bühne, allerdings arbeitete er ziemlich lange im Untergrund, bevor mit einem Lied der absolute Mainstream-Durchbruch gelang. Nun, 20 Jahre später erscheint zur Feier des Jubiläums die Live-Platte Helge Schneider Live At Grugahalle—20 Jahre Katzeklo.

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Damit die Welt von diesem Release erfährt, ist Helge für einen langen Interviewtag in Berlin, direkt nach unserem Gespräch wird er sich ins Auto setzen und nach Hamburg fahren. Der Promoter macht daher ein wenig Druck, aber Helge bleibt relativ entspannt. Ganauso wie seine beiden Hunde, eine etwas dickliche Mischlingshündin, die sich auf einem Sofa direkt neben ihrem Herrchen zum Schlafen gelegt hat und ein Rüde, der aussieht wie ein viel zu warm gewaschener Löwe und der sich offenbar sehr darüber freut, dass ständig neue Leute kommen, die er freudig begrüßen kann.

Noisey: Du veröffentlichst ein neues Live-Album mit dem Untertitel „20 Jahre Katzeklo“. Zwischenzeitlich hattest du dich vom Lied „Katzeklo“ distanziert.
Helge Schneider: Das ist aber schon lange her, das war ganz am Anfang. Das macht man dann so…

In dieser Zeit ist der Begriff des „Straf-Jazz“ entstanden.
Mmh. Ja, das Publikum war zu unruhig, aber das liegt auch daran, dass es früher eben diese tollen Verstärker-Anlagen noch nicht gab. Also, wir hatten auf jeden Fall diese Möglichkeit nicht. Ich hatte so eine kleine Anlage und wenn du dann auf einmal berühmt wirst und dann kommen viele Leute, mit denen du gar nicht rechnest, und du hast da so eine kleine Anlage, dann verstehen die Leute dich nicht. Hören nix, sind sauer, grölen und dann habe ich schon mal gesagt: Gut, dann spielen wir eben nur Jazz. Aber das ist wirklich 20 Jahre her. Deshalb war ich auch manchmal in dieser Zeit so ein bisschen angesäuert, wegen dem Lied…

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Weil es so erfolgreich geworden ist?
Ja, auf einmal kamen die vielen Leute, die wollten nur das eine Lied hören. Da habe ich gedacht, das kann doch nicht sein. Aber nach einer Zeit, habe ich das akzeptiert.

Darauf wollte ich hinaus, denn damit, dass du dieses Album nun 20 Jahre später wieder nach dem Song betitelst, scheinst du ja endgültig deinen Frieden damit gemacht zu haben.
Ja klar. Ist ja auch ein tolles Lied!

Ist allerdings auch ein relativ simples Lied.
Ja, das sind die besten.

Du hast dich also damals nicht von dem Lied abgewendet, weil du findest, dass du eigentlich als Musiker weitaus mehr kannst, als ein Lied wie „Katzeklo“ zu schreiben?
Naja, was heißt das, du kannst mehr als Musiker? Man muss ja als Musiker nicht rausstellen, was man kann. Es geht um die Musik, um das, was dabei rauskommt. Und wenn du zum Beispiel „Katzeklo“ musikalisch analysierst, ist das gar nicht so ein einfaches Stück, zum Beispiel was die Rhythmik betrifft, die wechselt total schnell. Das ist schon … das ist Musik!

Textlich verbirgt sich bei „Katzeklo“ hinter der albernen Oberfläche eine durchaus traurige Botschaft.
Manchmal vielleicht, je nachdem, was der Katze passiert.

Sie stirbt regelmäßig bei Live-Shows.
In der Version, die auf der Schallplatte ist, ja. Aber es ist dann nicht die Katze, sondern eine andere.

Die stellvertretend für die Katzen der Welt steht?
Nein, nein. In dieser Live-Version aus der Grugahalle singe ich von einer Katze, die überfahren wird, aber dann stellt sich nachher raus: Es war eine andere Katze.

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Diese Idee, dass du das Lied immer wieder ausbaust, spontan anders singst und den Text regelmäßig anders interpretierst, entsteht die live?
Ja, das ist alles Improvisation. Das ist immer anders, mal kommt was dazu, mal fällt was weg. Oder es sitzt ein Kind in der ersten Reihe, dann denke ich: „Oh, jetzt singe ich aber nicht, dass die Katze überfahren wird.“ Dann singe ich etwas ganz anderes.

Du denkst ernsthaft darüber nach, was für ein Publikum gerade anwesend ist und ob es eine brutale Version verträgt?
Ja klar, wenn da Kinder sitzen… das ist dann ein Automatismus.

Du hattest damals vor 20 Jahren einen mittlerweile legendären Auftritt bei Wetten, Dass..?, der diese Entwicklung, dass „Katzeklo“ so durch die Decke ging und plötzlich so viele Leute zu den Konzerten kamen, erst richtig angeschoben hat. Wie hast du diesen Auftritt heute in Erinnerung?
Den Auftritt selber kaum. Ich weiß, wir sind live aufgetreten, was immer schwierig ist. Die wollen ja eigentlich gern Vollplayback oder Halbplayback, weil sie bei so großen Liveshows natürlich auf Nummer sicher gehen wollen. Ich kann mich an das Hotel erinnern, da waren dann auch Take That und dadurch jede Menge kleine Mädchen, die sich im Hotelflur aufhielten, gefragt haben, ob sie da schlafen können. An Take That selbst kann ich mich auch noch erinnern, nette Jungs, die sind, glaube ich, direkt vor mir aufgetreten. Mehr weiß ich nicht, aber ich habe da irgendwie Spaß gehabt.

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20 Jahre später ist Take That Geschichte und Thomas Gottschalk auch, Wetten, Dass..? so gut wie und du…
Ich nicht … (lacht)

Bemerkenswert, finde ich.
Ach, ich habe schon damals gewusst, mein Beruf ist mein Beruf und was die machen, ist halt mehr Zeitgeist. Abgesehen davon hat Thomas Gottschalk noch immer diesen Beruf und Take That gibt es auch noch.

Bevor du dich im letzten Sommer mit einem neuen Album und einem neuen Film zurückgemeldet hast, war eine ganze Zeit nicht so viel von dir zu hören.
Ja, ich habe eine ganze Weile keine Platte veröffentlicht, weil ich immer auf Tournee war und deshalb gar keine Zeit dafür hatte. Nachdem ich dann das neue Album und den Film gemacht habe, wollte ich eigentlich ein bisschen kürzer treten, aber dann habe ich gedacht, ich habe gerade so eine tolle Band zusammen, da machen wir noch eine Tournee. Und daraus ist dann auch diese Live-CD entstanden. Nun kommt noch eine Tournee im Sommer, die im September in Berlin endet und danach ist erstmal Schluss. Da mache ich mindestens anderthalb Jahre Pause. Vielleicht sogar noch länger.

Du hast schon einmal eine Tournee abgebrochen, damals war in der Presse von Burnout die Rede.
Nein, da hatte ich einen Virus. Wir waren hier in Berlin und ich war krank, und dann hat der Arzt gesagt, ich dürfte nicht auftreten. Das hat sich auf die Lunge gesetzt und so.

Du bist wirklich viel unterwegs, das ist ja auch eine ziemlich Belastung.
Ja, wenn du jeden Tag woanders bist, klar. Du bist in verschiedenen Hotels, manchmal kannst du nicht schlafen, musst trotzdem weiterfahren, auftreten. Das Auftreten selber ist keine Belastung, nur das Drumherum. Aber letztes Jahr ging alles ziemlich gut, und dieses Jahr war bisher auch sehr gut. Auf den Sommer freue ich mich, denn Open Air ist was ganz anderes, da ist frische Luft, die Stimmung ist ganz anders. Man gibt sich anders, die Musik wird anders, das weiß ich jetzt schon.

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Du sagst, du hast gerade eine sehr gute Band zusammen, mit der es viel Spaß macht.
Ja, das sind alles Leute, die sich als Musik-Heinis nicht so wichtig nehmen. Es gibt ja so Leute, die wollen sich immer darstellen oder dargestellt wissen. Und jetzt habe ich Leute in der Band, die einfach das Gesamtbild sehen, das finde ich gut.

Hättest du als Chef nicht eh die Macht, hart durchzugreifen?
Eigentlich schon, aber wenn du mit Musikern zusammenarbeitest, bei denen du weißt, dass sie hochsensibel sind, bist du vorsichtig. Die achten auf ihre Außendarstellung. Dazu gehört auch, dass sie bestimmte Sachen anziehen wollen, die aber in meiner Show eigentlich scheiße sind. Dann passt das nicht. Dann kannst du nicht mit den Leuten arbeiten. Das geht nicht.

Du spielst auf deinen Live-Konzerten viel Jazz.
Ein bisschen Jazz ist immer dabei.

Ich habe mal auf einem deiner Konzerte ein zwanzigminütiges Schlagzeugsolo erlebt.
Aber nicht von mir, oder?

Haha, nein, nicht von dir.
Das war Pete York… Das war dann vermutlich zu lang, oder?

Ich fand das eigentlich ganz interessant, weil ich sowas noch nie erlebt hatte. Aber die Leute um mich herum wurden spürbar nervös.
Mmh, ja, das war dann vielleicht wirklich zu lang. Zwanzig Minuten, ja? Ich hatte damals Pete York diesen Raum gegeben, weil er eben ein weltberühmter Schlagzeuger ist. Passt aber dann nicht in meiner Show, zwanzig Minuten Schlagzeugsolo, das geht nicht.

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Womit wir wieder bei dem Punkt Musiker und Band sind.
Ja, das muss schon alles passen. Im Moment ist alles easy, alle sind gut drauf. Das ist gut. Eine Erleichterung.

Du hast in den Siebzigern mit eigenen Konzerten angefangen und im Grunde bis Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger fernab der großen Öffentlichkeit für dich an deiner Karriere geschraubt. Bis dann mit „Katzeklo“ der kommerzielle Durchbruch gelang.
Nee, ich habe nie an der Karriere geschraubt. Ich habe immer so kleine Auftritte gemacht, mal hier mal da, und dann ist das so, puuh, von selber gekommen.

Genau das meine ich, du hast lange für dich geübt. Heute laden Leute ihre Sachen bei YouTube hoch und zwei Tage später sind sie berühmt und müssen dann damit umgehen. Hatte das für dich Vorteile, dass deine Karriere Zeit hatte zu wachsen?
Ja ganz klar. Die Vorteile sind, dass man weiß, was man kann, was man macht und was man nicht kann. Man kann sich besser beurteilen. Man weiß, wo man herkommt. 1983/84, da hatte ich einen Auftritt in München vor vier Leuten. Das habe ich aufgenommen damals, da gibt es noch ein Video von. Da bin ich zweieinhalb Stunden allein aufgetreten. Das war harte Arbeit und natürlich sehr wenig Geld. Da habe ich 16 Mark verdient, aber ich habe trotzdem gespielt. Und ich weiß genau, dass andere Leute das nie gemacht hätten. Aus denen ist aber auch nichts geworden und aus mir ist was geworden! Weil ich das mache, was ich irgendwie kann. Klar, wenn einen keiner kennt, kommt da auch keiner hin! Viele Leute haben trotzdem den Traum, möglichst schnell berühmt zu werden—Deutschland sucht den Superstar ist ein Beweis dafür. Und nach einem halben Jahr verschwinden die wieder in der Versenkung. Es gibt ja gar keine Basis. Ich dagegen bin eben Musiker und war das immer schon und deswegen habe ich einen immense Basis—ich kann machen, was ich will. Nur deshalb kann ich auch Komiker sein, weil ich eben Musiker bin. Und weil ich das auch nur so akzeptiere: Dass ich Musik mache und darüber hinaus komisch bin. Das ist eine starke Verbindung: Musik und Komik. Bei jedem Clown hast du auch Musik. Nur Komik wäre dann Mario Barth. Wie willste das dein Leben lang machen? Ich habe den Vorteil, dass ich Musiker bin. Ich kann immer arbeiten. Ich kann mir auch eine Band zusammenstellen und bis an mein Lebensende Saxophon spielen. Dann verdiene ich vielleicht nicht mehr so viel, aber das ist mir sowieso scheißegal.

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Dann kommen halt wieder nur vier Leute zu deiner Show, wie in München damals.
Ja, das ist ja auch interessant zu beobachten, der Weg nach unten. Das wäre doch eine interessante Erfahrung. Stell dir mal vor, wir würden alles geben und es kommen trotzdem nur zwölf Leute. Vom Tellerwäscher zum Millionär und zurück.

Wenn du weißt, was du kannst, brauchst du keine Angst zu haben.
Ja, als Musiker wirst du ja auch geachtet—als Saxophonist werde ich geachtet. Ich könnte ja überall mitspielen, ich kenne die nicht, aber wenn ich bei den Rollings Stones mitspielen wollte, vielleicht würden die mich ja lassen. Für ein Stück. Bei den Stones ist das übrigens im Grunde wie bei mir, das ist auch deren Beruf: Musiker.

Ja, aber die können die Band nicht wechseln, Mick Jagger muss Keith Richards seit Jahrzehnten ertragen. Und andersrum.
Die Rolling Stones ohne Charlie Watts sind auch nicht zu denken… Bei Tina Turner sieht die Sache anders aus, da kann jeder mitspielen.

Du hast in deiner Karriere extrem viel veröffentlicht: Studio-Alben, Live-Alben, Hörspiele, Bücher, Filme… Wie machst du das?
Indem ich eigentlich total faul bin. Ich bin total faul und mache das alles nur mit links, nebenbei. Inspiration aus Faulheit: Jetzt machen wir mal was—und dann setz ich mich mal kurz hin. Und der Gipfel der Faulheit sind meine Karikaturen. Das dauert immer genau fünf Sekunden, dann ist eine fertig. Und dann kann ich die sofort verkaufen, davon könnte ich auch ganz gut leben. Aber man kann nicht alles machen… Aber um nochmal auf Tina Turner zurückzukommen, ich wollte auf der Bühne immer schon—auch als junger Mann—so sein, wie alte Leute sind. Weil das dann besonders lustig ist. Ein alter Clown sieht besser aus als ein junger Clown. Und bei Tina Turner oder Mick Jagger haben wir von selber inzwischen den Effekt, je älter die werden, desto lustiger werden die auch. Ohne, dass sie das wollen. Aber so ist das Leben. Wenn Tina Turner weiter auftritt, wird sie unweigerlich zum Clown. Und genau da wollte ich schon vor ihr hin. Sie ist jetzt bald soweit und dann sollte man zu ihren Konzerten gehen.

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Und du, hast du den Punkt erreicht?
Ich bin da schon längst (lacht). Ich wollte immer Opa sein auf der Bühne und das gelingt mir auch manchmal.

Aber eigentlich bist du dafür auf der Bühne viel zu agil.
Ja, ein agiler Opa.

Dein letztes Album war dein erstes Nummer eins-Album. Ist das späte Anerkennung, ist das der Opa-Effekt?
Nein, das Album ist gut.

Andere Alben sind ja auch gut.
Aber das war besonders gut für die Zeit vor einem Jahr. Und natürlich hat es auch mit dem ganzen Drumherum zu tun, wie du sagst, ich bin älter geworden, habe lange kein Album gemacht, dann kam die Werbung durch den Film, der auch in der Zeit kam. Eigentlich wollte ich nur eine Platte mit Filmmusik machen, aber dann war mir das zu blöd. Ich bin ja Musiker.

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Das Live-Album Helge Schneider Live At The Grugahalle könnt ihr als CD oder MP3 kaufen.

Helge Schneider live:
16.08.2014 St. Pölten FM4 Frequenzy Festival

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