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Noisey Blog

Hardcore hat jetzt lange Haare und macht wieder Spaß

Give haben nach 10 Jahren ihr erstes Album aufgenommen und kommen damit auf Europatour.

Fotos © Angela Owens

Nordamerikanischer Hardcore-Punk ist derzeit nicht gerade Modemusik #1. Vollkommen verständlich: Was mal als der Soul der weißen Vorstädte galt, wurde wie der klassische Punk auf Dauer zu gemütlich. Schwammbäuchige Fans freuen sich auf die zahllosen Wiedervereinigungen irgendeiner Altherren-Truppe, die vor 25 Jahren ein okayes Album veröffentlicht haben. Als ehrfurchtsvolle Zeugen wohnen sie den Auftritt einer „Klassikerband“ bei, also einer Band, die nachträglich in den eigenen Referenzrahmen aufgenommen werden. Alles für die gute alte Zeit (bei der man selbst noch ein Kleinkind war), alles für den Dackel, alles für den Club.

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Kaum eine neue Genre-Band vermag den Rahmen der Szenevorgaben zu sprengen. Fucked Up waren so eine Hoffnung. Vor rund acht Jahren katapultierten sie sich mit dem diversen Singles und dem Album Hidden World in die englische Musikpresse. Damit kam die Popularität und dieses Jahr das vierte Album Glass Boys. Gewohnte Punk-Operetten. Der gelangweilte Langzeitfan sucht was Neues. Allen, die Hardcore längst als wertekonservatives Hamsterrad im Urschlamm verunglimpfen oder als geschmackliche Jungendsünde längst aufgegeben haben, sei nun Give empfohlen.

Sänger „Crucial“ John Scharbach war 2005 im Irak. „Ich war Sachbearbeiter für die Air Force, habe mich um finanzielle Abwicklung von Bauprojekten gekümmert. Ich hatte schon vor dem Bootcamp mit meinem Kumpel Aaron ein paar Mal geprobt. In Irak war ich zumindest nicht an der Front. Es gab genug Freizeit, um neue Sachen auszuchecken. So ist das Bandprojekt im Kopf ein wenig gereift. Ein großer Einschnitt war, als mir ein Freund aus Belgien ein Vorabdemo vom Justice Album ‚Escapades’ nach Bagdad geschickt hat (Anm. des Autors: die belgische Hardcoreband, nicht die französischen EDM-Stars). Ich musste mir erstmal einen Walkman kaufen, um es zu hören. Meine Meinung nach ist es ein perfektes Album.“

Eine andere Inspiration war die Band Gone, zu dessen Gunsten der Gründer Greg Ginn 1986 seine alte Band Black Flag auflöste „Ihr erstes Album sah einfach cool aus, vor allem der Name und das große G. Also habe ich angefangen, über kurze Wörter nachzudenken, die mit G anfangen und als Bandname zu geeignet wären. Give schien mir die beste Wahl zu sein.“

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Rund zehn Jahre später nun endlich die albumgewordenen Früchte der Inspiration. Für Hardcore-Verhältnisse ist das eine Lebensspanne von zwei Bands. Im besten Fall wäre Electric Flower Circus bei Dischord rausgekommen. Das Label hat nicht nur Straight Edge groß gemacht, sondern auch den Revolution Summer Sound. (Exkurs: gleiche Protagonisten wie bei der 82er Straight Edge Hardcore Welle, aber nun im College, fähig ihrer Musik mehr Melodie zu geben. Es kam zum Emo in Urform). Labelboss Ian MacKaye hat Dischord als lokales Geschäft definiert. Give blitzten als Band aus Washington DC trotzdem ab: „Wie mir Ian erzählt hat, mag er unsere Band und was wir machen, aber ich glaube Dischord veröffentlicht auch nicht mehr viel von aktuellen Bands.“ Beim Stammproduzenten der frühen Dischord-Platten Don Zientra wurde trotzdem aufgenommen.

Give haben Electric Flower Circus dann—wie schon die erste Maxi—in bester dilettantischer DIY-Manier selbst veröffentlicht: im Herbst, obwohl es für den Sommer angekündigt war. Bei zehn Jahren Wartezeit kommt es darauf aber auch nicht mehr an. Statt eines Promosheets ließ die Band seine Song-für-Song Rezension von Matt LaForge zirkulieren. Der Text wird den Großteil kommender Rezensionen (inkl. dieser hier) als läppische Oberflächendiagnostiken strafen: „Wach auf DC!“, schreibt er, „Hier wird die gesamte spirituelle Geschichte deiner Szene vor deinen eigenen Ohren wiederbelebt.“

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Klar, der Sound vom Revolution Summer ist unüberhörbar. Dazu kann man mit den hochgestimmten Gitarren Gun Club assoziieren, der sich im Rhythmusbereich mit dem mantrischen Positivismus der Stone Roses paart. Die lyrische Bierernsthaftigkeit später Youth of Today ist mit der uramerikanischen Theatralik des letzten At The Drive-In Albums vorgetragen. Nur ist Johns Stimme tiefer. Und keiner von Give trägt Hornbrillen und Polohemden. John bevorzugt abgeschnittene Jogginghosen und 80er Jahre Bandshirts, die bei eBay ein Vermögen bringen. Haare und Ästhetik der Konzertphotos sagen unzweideutig: Seattle ’88/’89.

Und wie Sub Pop köcheln Give mit einfachsten Mitteln den kleinen Hype hoch: Sie haben einen Fanclub. Mitglied wird, wer einen Brief an die Flowerheads, 1326 Newton Street NE, Washington, DC, 20017 schreibt. Möglicherweise bekommt man auch mal ein T-Shirt oder ein Demo geschenkt: „Die Flowerheads sind derzeit rund 400 Leute. Ich habe schon immer einen Fanclub machen wollen, der über Postsendungen funktioniert. Das macht es wieder aufregender zum Briefkasten zu gehen. Die kostenlosen T-Shirts haben wir verschickt, als es noch 120 Leute waren. Alles aus meiner Tasche bezahlt. “

Nach jahrelangen Proben ist die Veröffentlichungspolitik von Give—und das verbindet sie wohl mit Fucked Up—inzwischen unüberschaubar: „Wir haben bisher mit über 15 Labels zusammengearbeitet und möchten es unbedingt weiter ausbauen.“ Dem Album sind zwei Maxsingles nachgefolgt. Eine erschient bei Revelation. Somit konnte doch noch ein bekanntes Hardcorelabel der 1980er Jahre gewonnen werden. Die zweite Single erscheint bei Lockin’ Out, das sich einen dankenswert geringen Output von vielleicht ein oder zwei Platten im Jahr erlaubt, dabei aber der Premier League des gegenwärtigen Hardcores zu einer Plattform verhilft. Betreiber Greg Willmott erinnert sich im Moshers Delight Newsletter: „Als ich Give im The Sinclaire am Harvard Square sah, hat es Klick gemacht. Ich stand dort unten und habe mich in dem Set von Give selbst in einer Hardcore/Posthardcore-Performance manifestiert gesehen.“

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„Wir haben keinen der Songs geschrieben um damit ein bestimmtes Publikum anzusprechen. Ich mag es lieber wenn Bands ihre eigene Welt schaffen“, so Crucial John. Oder um mit Matt LaForges Worten abzuschließen: „Nach anderthalb Jahrzehnten des Retro-Sounds scheinen uns Give zu sagen: ‚Es ist noch Benzin im Tank! Lass uns endlich den Schlüssel umdrehen.‘”

Give bei Facebook.

Alle Europa-Termine:
Mi. 05.11.2014 Cologne - Privat
Do. 06.11.2014 Amsterdam - Winston
Fr. 07.11.2014 London - Static Shock Fest
Sa. 08.11.2014 Glasgow - Audio Glasgow
So. 09.11.2014 Sheffield - Lughole
Mo. 10.11.2014 Leeds - Temple Of Boom
Di. 11.11.2014 Southampton - Unit
Mi. 12.11.2014 Antwerp - Het Bos
Do. 13.11.2014 Münster - Cafe Lorenz
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Sa. 15.11.2014 Oslo - Blitz
So. 16.11.2014 Norköping - Kulturhuset
Mo. 17.11.2014 Off Day or show in Copenhagen
Di. 18.11.2014 Flensburg - Luftschloßfabrik
Mi. 19.11.2014 Hamburg - Rote Flora
Do. 20.11.2014 Berlin - Tiefgrund
Fr. 21.11.2014 Leipzig - Zoro
Sa. 22.11.2014 Munich - Kafe Kult
So. 23.11.2014 Vienna - Arena
Mo. 24.11.2014 Budapest - Filter Klub
Di. 25.11.2014 Graz - Sub
Mi. 26.11.2014 Trento - Csa Bruno
Do. 27.11.2014 Schaffhausen - Neustadt
Fr. 28.11.2014 Darmstadt - Öttinger Villa
Sa. 29.11.2014 Wunstorf - Wohnwelt

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