FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

„Mit Pessimismus ist keinem geholfen“—Gerard bleibt der ewige Optimist

Während K.I.Z. dir weismachen, dass die Welt untergeht, glaubt Gerard an eine bessere Zukunft und trotzt dem Alltagsrassismus.

Als wir das letzte Mal mit ihm sprachen, da nannten wir Gerard einen Optimisten ohne Grund. Für ihn als Musiker hat sich diese Einstellung bezahlt gemacht. Auch wenn es nicht zum ganz großen Durchbruch kam, so hat der Wiener sich doch in der deutschsprachigen HipHop-Szene einen Namen gemacht und es sich mit hierzulande einzigartigen Produktionen und nachvollziehbaren Adoleszenz-Texten links vom Mainstream bequem gemacht.

Anzeige

Dieser Tage erscheint nun sein zweites Album Neue Welt, das weder eine radikale Neuerfindung noch ein schaler, zweiter Aufguss von Blausicht geworden ist. Während Gerard bei letzterem jedem Song ein- und dieselbe Farbe zuordnete (blau selbstverständlich), fällt ihm das bei diesem Album schwerer: „Die Platte ist viel vielseitiger als die letzte. Am ehesten würde als Farbe noch irgendwas zwischen gelb und orange passen.“ Schon das Cover ist wesentlich uneindeutiger: Es zeigt in der Draufsicht Fische im Aquarium während der Fütterung. Durch die unruhige Wasseroberfläche ist das Foto kaum als solches erkennbar und erinnert viel mehr an die Action Paintings von Jackson Pollock. Die Draufsicht, die Unruhe—beides passt gut zu Neue Welt. Ein paar Wochen vor Release trafen wir den im Aufbruch befindlichen Gerard an einem heißen Tag im August.

Noisey: Gerard, als wir uns das letzte Mal getroffen haben, hattest du kurz vorher deinen Job aufgegeben. Ein paar Wochen später erschien dann Blausicht, seitdem bist du hauptberuflich Musiker. Hast du also alles richtig gemacht?
Gerard: Doch, das kann man so sagen. Natürlich macht man immer Fehler, wenn man einen Schritt zum ersten Mal geht. Timing-Dinge zum Beispiel: Wir haben in diesem Sommer beispielsweise keine Festivals gespielt, weil ich dachte, ich brauche diesen Sommer vielleicht noch Zeit fürs Album. Allerdings habe ich mittlerweile gemerkt, dass es mir vor zwei Jahren schon einen zusätzlichen Push gebracht hat, dass ich kurz vor Albumrelease eine echte Festival-Saison gespielt habe.

Anzeige

Du bist zu einer Zeit, zu der viele junge Rapper bei Major-Labels untergekommen sind, in einem familiären, geschäftlichen Umfeld geblieben. Das war wiederum eine von deinen richtigen Entscheidungen, oder?

Ja, klar. Auch wenn ich natürlich nicht weiß, wie es gelaufen wäre, wenn ich zu einem anderen Label gegangen wäre. Natürlich haben wir nur ein kleines Marketing-Budget und zum Beispiel nicht die Fernseh-Kontakte, für die man sich in der Regel einen TV-Promoter leisten muss. In manche Sachen kommt man so automatisch nicht rein. Aber andere funktionieren ja auch so, weil in den Redaktionen Fans von mir sitzen, zum Beispiel bei Circus Halligalli. Ohne Major-Budget dauert vieles eben etwas länger, aber das ist auch überhaupt nicht schlimm.

Du bist auch keiner von diesen Rappern, die für ihre Karriere nach Berlin gezogen sind. Dein musikalisches Umfeld war und ist in Wien verwurzelt, nicht wahr?
Definitiv. In Berlin ist wirklich nur mein Management und DJ Stickle halt. Wobei der bei dem Album auch nur einen Beat gemacht hat.

Generell hast du für dieses Album aber schon von mehr unterschiedlichen Leuten Beats gepickt als bei Blausicht.
Ja. Wobei ich nicht einfach Beats „gepickt“ habe. Jedes Instrumental ist in meinem Beisein entstanden und teilweise waren auch mehrere Leute beteiligt. Ich habe mich auch bei jedem Beat kreativ miteingebracht, damit das Ganze einen roten Faden behält.

Wer hat dann am Ende dafür gesorgt, dass trotz der vielen Beteiligten ein rundes Ganzes bei rauskam?
Ich.

Anzeige

Du bist sozusagen dein eigener Executive Producer?
Genau. Patrick Pulsinger hat auch immer noch ein Auge auf den Sound, aber ich selbst stehe auch in den Credits mit drin. Ich bin ja auch mein eigener A&R: Ich erabeite die Videokonzepte mit und schneide manchmal auch. Das ist sowieso das Beste daran, dass ich das momentan hauptberuflich mache: Ich habe 24 Stunden pro Tag Zeit, um mich wirklich überall einzubringen.

A propos Videos: Als der Videoclip zu „Höhe Fallen“ erschien, sprach man mehr über die Deep Dream-Technologie, die ihr dafür benutzt habt als über das Lied selbst. Wie passt Deep Dream, wie passen träumende Maschinen zu der Musik, die du machst?
Das Ding ist: Ich habe mich schon länger gefragt, was die Menschheit in 100 Jahren eigentlich über die heutige Zeit denken wird. Werden die uns für unsere Probleme belächeln? Google Deep Dream ist auf jeden Fall die erste echte künstliche Intelligenz. Ich habe lange gebraucht, um das so richtig zu blicken, aber das ist wirklich krass. Wenn das heute möglich ist, was wird dann in 100 Jahren gehen? Das hat perfekt ins Konzept Neue Welt gepasst. Was für Auswirkungen wird künstliche Intelligenz bis dahin auf unser Leben haben? Dieses Video hat mir auf jeden Fall den größten Kopffick meines Lebens verpasst, weil ich dafür eineinhalb Wochen lang Frame für Frame des Videos durch Deep Dream gejagt habe. Am Ende hatte ich eine Sehnenscheidenentzündung (grinst).

Anzeige

Würdest du mir zustimmen, wenn ich behaupte, du stehst dem Thema Technik mit gesunder Skepsis, aber nicht mit Ablehnung gegenüber?
Na ja, es ist ja schon auch anstrengend, dieses Video zu gucken. Mir war auch zwischendurch mal ein wenig schwummrig. Wie krass wäre es denn bitte, wenn die Computer irgendwann soweit wären, dass sie von sich aus so ein Video auf deinem Bildschirm laufen lassen könnten, durch das Menschen epileptische Anfälle bekommen. Und dann spielen sie das auf allen Computern gleichzeitig aus und töten damit die Hälfte der Menschheit. Natürlich klingt das wie ein dämlicher Gedanke, aber du kannst dich ja schon heute in Autos reinhacken. Hast du gehört, dass sie letztens Range Rover zurückrufen mussten, weil Hacker es geschafft haben, die Kontrolle über diese Autos zu übernehmen? Die konnten dann von ihrem Rechner aus Gas geben und du als Fahrer konntest nichts mehr machen. Letztens wurde auch mal ein vollautomatisches, Computer-gesteuertes MG gehackt. Natürlich gibt es gefährliche Aspekte am technischen Fortschritt, aber wir als Gesellschaft müssen lernen, damit umzugehen und ja, im Großen und Ganzen bin ich trotzdem pro Fortschritt.

Bist du Anhänger der These, dass der technische Fortschritt unumkehrbar ist und immer voranschreiten wird?
Ja. Und nicht nur der technische. Ich glaube daran, dass die Welt sich allgemein zu etwas Besserem wendet.

Glaubst du, dass das momentan tatsächlich der Fall ist? Ist die Welt von heute für dich besser als die von vor zehn Jahren?
Zehn Jahre sind glaube ich ein zu kurzer Zeitraum. Natürlich gibt es immer Schwankungen, genau so wie es auch immer Krisen und Kriege geben wird. Wenn du dir allerdings überlegst, dass mein Großvater den zweiten Weltkrieg noch miterlebt hat, dann betrachtet man die Dinge auch wieder anders. Im Kontext der Geschichte gesehen ist all das noch gar nicht so lange her. Kennst du den Film Das Weiße Band? Der handelt irgendwie auch vom zweiten Weltkrieg, auch wenn er nicht direkt auftaucht. Dort siehst du, wie die Kinder damals aufgewachsen sind, ihre Eltern siezen mussten und so weiter. Das war die Generation, die dann in diesem Krieg landete und natürlich hat der sie alle geprägt und vielleicht auch ein Stück weit zerstört. Ich glaube, dass die Welt und die Menschen sich seitdem Generation für Generation weiterentwickelt haben und seit dem bei immer mehr Leuten die Erkenntnis größer wird, dass man die Welt zum Positiven ändern muss. Eine der wenigen Warheiten, die ich aus meinem Studium mitgenommen habe, ist, dass Gebilde wie die UN und die EU gute Schutzmechanismen sind, auch wenn sie aktuell nicht immer einwandfrei funktionieren. Vielleicht muss man dem noch mehr Zeit geben.

Anzeige

Ich gebe zu, dass ich selbst es momentan eher so wahrnehme, als wäre die Stimmung der meisten jungen Menschen in Deutschland eher von Pessimismus geprägt. Das Flüchtlingsthema, der gefühle Rechtsruck. Viele scheinen wegen der vielen, rechten Gewalt aus allen Wolken zu fallen. Hat man sich vielleicht in Österreich einfach bereits mehr daran gewöhnt, dass eine starke Rechte gibt?
Was den Rechtsruck betrifft: Natürlich ist da auch in Österreich die Frage, in welchem Umfeld du dich bewegst. In meinem Facebook-Feed ist natürlich jeder pro Flüchtlinge und viele rufen regelmäßig zu Spenden auf. Ich nehme also ohnehin eine eher positive Stimmung gegenüber Flüchtlingen war. Auf der anderen Seite gibt es in Österreich auch nicht diese ganzen Anschläge auf Flüchtlingsheime. Am Ende ist es so, wie Farin Urlaub letztens gesagt hat: So lange es dumme Menschen gibt, wird es auch immer Leute geben, die nichts Besseres zu tun haben, als über andere zu schimpfen.

In deiner Musik kommen tagesaktuelle, politische Themen wie die Flüchtlingskrise eher nicht zur Sprache.
Nein. Ich will meine Kunst eher zeitlos gestalten. Ich will, dass man in meinen Texten auch dann noch Aktuelles findet, wenn man sie in zehn Jahren zum ersten Mal hört.

Ist deine Musik nicht dem Zeitgeist unterworfen, ob du willst oder nicht?
Ich glaube, den Zeitgeist triffst du entweder zufällig—im besten Fall beeinflusst du ihn unbewusst selbst ein Stück weit. Ein Interviewer sprach mich gestern auch darauf an, dass bei K.I.Z. die Welt untergeht und MoTrip auf seinem neuen Album auch viel über die Welt spricht. Mein Album heißt Neue Welt und auch, wenn dieser Albumtitel erst zum Ende der Produktion auftauchte, habe ich offenbar so unterschwellig schon eine Art Zeitgeist eingefangen.

Deine Perspektive auf die Welt ist auf jeden Fall zuversichtlicher als die von K.I.Z. und MoTrip. Während K.I.Z. das Thema Welt eher Systemkritik angehen, klingt MoTrips Album melancholisch und von einem eher pessimistischen Menschenbild getrieben. Melancholie hat man auch deiner Musik schon häufiger nachgesagt—Neue Welt ist aber keine schwermütige Platte, oder?
Nein, ich bin aber auch tatsächlich ein recht zuversichtlicher Mensch. Mit Pessimismus ist keinem geholfen. Außerdem waren die letzten zwei Jahre für mich die schönste Zeit meines Lebens. Ich kann zum ersten Mal machen, was ich wirklich will. Natürlich gibt es immer wieder privaten oder beruflichen Trouble, aber im Großen und Ganzen ist in meinem Leben eigentlich gerade alles geil.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.