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Deutschrap in der Gossip-Sackgasse

Der aktuelle Schlagabtausch zwischen Bushido, Kay One, Fler, Farid Bang und Co. droht Gangsta-Rap zu Grabe zu tragen. Wie kann das Genre aus dem Beef-Karussell aussteigen?

Gangsta-Rapper sind immer auch Entertainer. Dennoch lebt von Farid Bang bis Fler jeder von ihnen zu großen Teilen davon, dass er seine wortgewaltige Musik auch verkörpert, dass er dazu stehen kann, was er sagt. Obwohl das künstlerische Phänomen Gangsta-Rap mittlerweile in der Breite der deutschen Masse angekommen ist, hat es eigentlich nur Kollegah geschafft, seine Rap-Persona soweit zu verkünstlichen, dass niemand mehr danach fragt, ob der Boss tatsächlich jemals Kilos getickt hat.

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Fast alle anderen ikonischen Protagonisten des Genres sind dem Joch der Straßen-Rap-Stereotype unterworfen. Das gilt für einen Haftbefehl, der zwar von Liebhabern und Kennern verehrt wird, es beim Durchschnittshörer aber schwer hat, weil er sich nicht an diese ungeschriebenen Gesetze des Genres hält. Egal, ob Aykut Anhan auf seinem überlangen Doppelalbum Blockplatin im Champagner-Wahn aus der Rolle fällt, oder auf seinem Opus Magnum Russisch Roulette melancholische Erzählungen aus der Crack-Küche skizziert, für das Beton-bekopfte Gros der Hörer erlaubt er sich mit sowas zu viele Spielereien.

Dieselbe Realität spürt mit Fler allerdings auch jemand, der deutlich Hörer-orientierter musiziert als der freigeistige Haftbefehl: In einem seiner jüngeren Instant-Interview-Klassiker erklärte der mit nüchterner Businessman-Gelassenheit, dass er sich mittlerweile größtenteils davon verabschiedet habe mit hypermodernen Einflüssen aus dem US-HipHop zu spielen, weil das seine Hörer nicht feiern würden.

Fler ist auf der anderen Seite unter den Gangsta-Rappern derjenige, der das Spiel mit der Aufmerksamkeit der interessierten HipHop-Öffentlichkeit am virtuosesten durchexerziert. Mit großer Zielsicherheit sorgen seine Social Media-Aktivitäten dafür, dass die einschlägigen Gossip-Portale seinen Namen täglich in Schlagzeilen verwursten. Am Bekanntesten bleibt natürlich seine unsägliche rassistische Entgleisung vor einigen Monaten, aber Fler kann auch anders: Mal droht er Farid Bang mit Messerstichen, dann wiederum beschwichtigt er betont süffisant und wünscht seinem Nemesis „einen schönen Fastenmonat“. Oder aber man sieht Fler in einem kurzen Handy-Video, wie er am Steuer seines Autos sitzt und zu KC Rebells Youtube-Gassenhauer „Bist du real“ performt. Darüber hinaus meistert er wie kein Zweiter die, im Angesicht der Aufmerksamkeits-defizitären Rap-Jugend immens wichtige, sechste HipHop-Disziplin nach Rappen, Sprühen, Djing, Breaken und Social Media: Interviews.

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Fler-Interviews sammeln gerne mal innerhalb weniger Tage weit mehr als 100.000 Klicks. Soll heißen: Es gibt knapp drei mal so viele Menschen, die Fler dabei zuhören, wie er zwei Stunden lang seine Meinung über seine Rap-Kollegen, den Fitness-Wahn, Beef und allgemein so ziemlich alles kundtut, wie es Fler-Alben-Käufer gibt. Über die Qualität seiner Kunst sagt das wenig, vielmehr ist dieser Fakt symptomatisch für ein Genre, das in einem nie stoppenden Klischee-Karussell gefangen ist, in dem einer Form von Authentizität hinterhergerannt wird, die viele Künstler zum kreativen Stillstand gebracht hat.

Farid Bang beispielsweise spielt die „authentische“ Rolle als Flers ewiger Kontrahent. Wie Itchy und Scratchy (eigentlich wie Itchy und Itchy) beharken sich die beiden seit Jahren mit harten Bandagen. Im Laufe dieses Beefs, von dem kaum noch jemand weiß warum er damals anfing, landete vor allem Farid irgendwann in einer künstlerischen Sackgasse. Seine größte Stärke war immer sein extrem asozialer Humor, der selbst Fans von „LMS“ und Co. schlucken ließ. Kritiker beschimpfen Farid Bang als primitiv – tatsächlich sind seine eindeutigen, derben Sprüche seine größte Stärke. Als Farid auf die zuvor angesprochene Anfeindung von Fler reagierte, konterte er beispielsweise so humorvoll wie nur möglich („Lange rede, kurzer Sinn… Patrick, du bist ein Hurensohn.") und ließ dessen Provokation damit ins Leere laufen.

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Damit hätte dieser Beef beendet sein können. Hätte. Denn anstatt weiter cool zu bleiben konterte Farid bis zum Erbrechen mit (ebenso wie ausländerfeindlichen Ansagen) unangebrachten Witzen darüber, wie Fler angeblich einst in Berlin von verfeindeten Sprühern mit einer Möhre vergewaltigt wurde. Sein letztes Album schließlich, Asphalt Massaka 3, verkaufte sich zwar gut (wenn auch nicht so gut wie sein Vorgänger Killa), klang aber so uninspiriert, dass man nach ein paar Minuten hören doch lieber das nächste Fler-Interview mit TV Straßensound anschauen wollte.

Tatsächlich machen einige jener Gangsta-Rapper, von denen wir tagtäglich auf Rapupdate lesen, weiterhin solide bis sehr gute Musik. Bushido beispielsweise veröffentlichte 2014 mit Sonny Black eines der spannendsten Straßen-Rap-Alben der jüngeren Vergangenheit. Trotzdem schadet auch ihm die in den letzten Monaten immer offensichtlicher werdende Beef-Misere. Während sein öffentlich ausgetragener Streit mit Kay One seiner Großfamilien-Gangsta-Aura anfangs vor allem zu Gute kam, hat sich das spätestens im Juli 2015 gewendet.

Mit dem aus allen möglichen Perspektiven unangenehmen Austausch der Schuldzuweisungen zwischen Kay One und Arafat Abou-Chaker hat sich dieser Beef endgültig als das entpuppt, was er eigentlich schon seit Monaten ist: Eine Seifenoper voller Lügen, bei der am Ende alle Beteiligten verlieren. Bushido, weil sein Freund und Geschäftspartner seinen Stand als gefährlicher, aber unsichtbarer Don im Hintergrund aufgegeben hat. Kay, weil er durch die nun sehr offensive Kriegsführung mit Arafat und Bushido entlarvt, dass schon sein ängstlicher Auftritt bei Stern TV nichts weiter als eine Farce war. Und wir, die Hörer und Zuschauer, weil wir unsere sinnvolle Zeit seit Monaten damit verbringen, zu verfolgen, wer nun wieder was gegen wen gesagt hat.

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Wer sich ständig an der Deutschrap-Version der Lindenstraße beteiligt, der ist irgendwann mehr Boulevard-Figur als Künstler. Zuletzt sind die meisten Gangsta-Rapper kommerziell sehr gut damit gefahren, sich als dauerpräsente Klatsch-Maschinen zu inszenieren, doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis immer mehr Rapper mit einer solchen Taktik an die Wand fahren. Schon jetzt wird all der Gossip langsam, aber zunehmend belächelt. Sogar die ehemalige Klatsch-Rap-Seite rap.de will sich mittlerweile davon verabschieden, über Beef zu berichten. Und Bonez MC, Chef der 187 Straßenbande, verkündete in einem ausführlichen (und mittlerweile gelöschten) Kommentar auf Facebook, warum er sich für Deutschrap schämt: „Um was geht es dir hier eigentlich noch? Um aufgezeichnete Telefonate? Um 'Realness'? Um Männerkörper? Um 'Beef' von Künstlern, die draußen auf der Straße auf den Boden gucken?“

Besagte Straßenbande liefert auch gleich das ideale Gegenmodell zu all dem HipHop-fernen Unsinn. Wenn man es schafft, einen eigenen Sound zu entwickeln, mittels bewusst authentischer Lo-Fi-Video-Optik außerdem eine eigene, visuelle Ästhetik entwickelt und jede Beef-Falle entspannt umschifft, kann man anno 2015 mit Gangsta-Rap Erfolg haben und viele Platten verkaufen, ohne sich selbst zum Sklaven seiner Rap-Streitereien machen.

Das noch erfolgreichere, wenngleich auch deutlich anders ausgerichtete Erfolgskonzept hat ironischerweise ein Label-Kollege von Farid Bang etabliert: War KC Rebell anfangs noch ein technisch guter Straßen-Rapper, dem es an Profil fehlte, so hat er dieser Tage eines der kommerziell erfolgreichsten Alben des Jahres (Genre-übergreifend übrigens) veröffentlicht. Ob das die furchtbare Entgleisung namens „Bist du real?“ rechtfertig, sei mal dahingestellt. Insgesamt hat KC Rebell jedoch mit Fata Morgana ein Album aufgenommen, dass deutlich im Straßen-Rap verwurzelt ist, aber oft genug aus dessen engem Korsett ausbricht, um gleichzeitig neue Hörer zu erschließen und sich von der ewigen Wiederholung zu lösen. Der Langspieler klingt zerfasert und manche Songs wirken allzu kalkuliert, trotzdem schafft KC Rebell etwas, das dieser Tage kaum ein Rapper vermag: Überraschungsmomente zu kreieren. Auch das ist eine Qualität, die man vermisst, wenn man in seinem Leben mehr als drei, vier Gangsta-Rap-Platten geliebt hat. Wenn ihr schon auf größtmögliche Chart-Erfolge abzielt, dann in Zukunft doch lieber durch Mainstream-taugliche Musik als durch weitere Boulevard-mäßige Schlagzeilen, liebe Rapper. Eine Zeit lang war das alles ja witzig, wer amüsiert sich nicht gerne ab und zu an ein wenig Trash-Talk, aber so langsam reicht es wirklich. Der Bogen ist überspannt.

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