FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Gang of Four verarschen seit 1979 die Popkultur

Sie haben ihr Blut an Fans verkauft und ihre eigenen Songs gecovert, um ihr Label zu verarschen, aber ist die Band in der Welt der PC-Music von 2015 noch relevant? Wir haben Andy Gill interviewt.

„Seine Hauptaussage ist, dass er nicht denkt, dass Musiker bezahlt werden sollen“, sagt Andy Gill und kritisiert damit seinen ehemaligen Bandkollegen Dave Allen. Dieser ist mittlerweile Spezialist für Artist Relations bei iTunes und ein Guru der digitalen Musikwelt. „Er denkt, Musik sollte kostenlos sein. Und wenn du ihn dazu befragst, dann kommt er mit Dingen wie ‚verdien doch Geld durch Klingeltöne‘. Wirklich.“ Andys neue Bandmitglieder kichern. „Wer würde also besser zu Apple passen, als jemand von Gang of Four“, schlussfolgert er in Bezug auf seinen ehemaligen Kameraden, „auch wenn er nur kurz dabei war“.

Anzeige

Wir sind in Andys Haus, wo Gang of Four im Studio für eine US-Tour zu ihrem neuen Album What Happens Next proben, der ersten Platte überhaupt, bei der nur ein Gründungsmitglied dabei ist. Gerade stichelt er gegen den ehemaligen Bassisten Dave Allen. Wenn es um Gang of Four geht, musst du ihre polarisierende Vergangenheit verstehen, bevor du überhaupt über die Zukunft nachdenken kannst.

Um Dave Allen gegenüber fair zu sein, das abschließende „nur kurz“ ist nicht ganz zutreffend. Der Bassist, der 1981 während einer US-Tour plötzlich ausgestiegen ist, hat sowohl auf Entertainment! als auch auf Solid Gold mitgewirkt, den beiden einflussreichsten Gang of Four-Platten. Aber das ist nur die halbe Geschichte. Die Band hat mit ihren brüchigen, vom Funk beeinflussten Klängen dazu beigetragen, Post-Punk zu definieren. Ohne sie gäbe es weder R.E.M. noch Nirvana und (zum Ausgleich des Karmas) auch keine Red Hot Chili Peppers. Wie auch immer. Niemand gibt zu, dass Gang of Four—so entscheidend und radikalisierend ihre besten Sachen sind—als Band nie so gut waren wie als Metapher. Und an dieser Stelle kommt Dave Allen wirklich ins Spiel.

Es begann alles 1977, als zwei aufstrebende Intellektuelle, Jon King und Andy Gill, aus einer Kunstschulen-Clique in Leeds aufgetaucht sind, zu der auch Adam Curtis und der spätere Regisseur der Bourne-Filme Paul Greengrass gehörten. Obwohl die Band zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, nämlich inmitten der aufblühenden Punk-Bewegung, haben sie nie den Erwartungen entsprochen. Selbst vor dem Hintergrund der aufkommenden National Front—die in Leeds Ableger wie die „Punk Front“ hervorbrachte—haben Gang of Four einfache, selbstgefällige Slogans stets vermieden. Stattdessen haben sie mit cleveren Texten im Duktus des italienischen Politik-Theoretikers Gramsci und der sozialrevolutionären Gruppe Situationist International ein Licht auf unsere Komplexität als Konsumenten geworfen,

Anzeige

Das Schlagwort, das ihre Klassiker wie „Damaged Goods“ und „Anthrax“ umgeben hat, war „Entmystifizierung“. Der erste Song handelt von einer Trennung im Sinne von Wandel und Profit, wie sie bei jeder anderen Transaktion auch stattfindet. Mit „Anthrax“ hingegen, bei dem der Sprecher eine scharfe Ode an den Zynismus loslässt, fordert Andy die Hörer auf, die falsche Institution gängiger Liebeslieder zu dekonstruieren: „Diese Gruppen und Sänger denken, dass sie jeden ansprechen, indem sie über Liebe singen, weil anscheinend jeder liebt oder lieben kann“, sagt er trocken. „Oder zumindest wollen sie dich das glauben lassen.“

Aber irgendwann zwischen der Vertragsunterschrift bei EMI 1979 (die die Band als satirische, selbstreferenzielle Metapher dafür sieht, wie Firmen Rebellion vereinnahmen) und des unrühmlichen Abschieds der Rhythmussektion, fingen die Grenzen zwischen der Verspottung der Musikindustrie und simplen persönlichen Verfehlungen an zu verschwimmen. In den letzten fünf bis zehn Jahren scheint der rockige Pfad der Neuformation die Verzweiflung von Revoluzzern mittleren Alters, die ihre Jugend wiederbeleben wollen, zu repräsentieren. Die Band selbst, früher eine kollektive Einheit, hat es geschafft, etwas mehr als den Spalt zwischen kommunistischer Theorie und belangloser menschlicher Natur zu entmystifizieren. Obwohl die Ironie dadurch nicht verloren gegangen ist.

Das Merkwürdigste, was Gang of Four gemacht haben, nachdem sie 2005 wieder auf der Bildfläche erschienen sind, war, Return the Gift zu veröffentlichen, eine sorgsame Auswahl an Covern ihres eigenen frühen Materials. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Die eine ist, dass Andy Gill dank seiner Erfahrungen beim Produzieren von Bands wie The Futureheads in der Lage war, die Songs weniger karg und dafür professioneller erscheinen zu lassen, um dadurch ihre lebendigen Livegigs einzufangen. Wahrscheinlich war es aber hauptsächlich ein cleverer rechtlicher Schachzug: Durch die Veröffentlichung von Return the Gift haben sie sich von der repressiven Plattenfirma EMI, die der Band angeblich Einnahmen vorenthalten hatte, wieder das Urheberrecht zurückgeholt. Fast jeder, inklusive der Band selbst, stimmt zu, dass die Band Return the Gift nur wegen des Geldes aufgenommen hat. Und das ergibt wirklich Sinn.

Anzeige
undefined

Aber so einfach ist es nicht wirklich. Es fühlt sich absurd an, das zu sagen, aber die Tatsache, dass diese Reunion so offensichtlich profitorientiert war, ist genau der Grund, warum man es nicht als pure Geldmacherei abtun kann—selbst wenn das die Intention der Band war. Wir leben in einer Zeit der rückschrittlichen Rekonstruktion: Nicht nur durch Band-Reunions, sondern auch durch 90er-Flashbacks, Instagram-Filter, Jubiläums-Reissues und alle möglichen Formen der kulturellen Wiederholung. Wenn man die schonungslose Sezierung solcher Trends durch Gang of Four bedenkt, dann ist es einfach, Return the Gift von 2005 als eine unverfroren sarkastische Subversion der Popkultur zu sehen. Simon Reynolds sagt in RetromaniaReturn the Gift schien zu sagen: ‚Ihr wollt eine Auferstehung von Gang of Four? Hier habt ihr sie, mit genau dem, was ihr euch heimlich gewünscht habt: den alten Songs.‘“

Die Band ist sich dessen bewusst. Ihr nachfolgendes Album von 2011 hat sie Content genannt, um zu implizieren, dass sie „Content-Creator“ sind. Dafür haben sie sich die „Content Deluxe Can“ ausgedacht, die ein Tütchen mit dem Blut von Jon und Andy sowie ein Rubbelbüchlein mit dem Geruch von Sex, Schweiß und Arbeit beinhaltete und die ultimative Nähe zur Band versprach. Diese Geste geht auf ihr erstes Label Fast Product zurück, das auf der Höhe der Pop-Art-Streichkultur eine Warhol-Phase durchgemacht hat, in der es Beutel mit Kompost für 70 Pfund pro Stück verkauft hat. Die Message war eindeutig: Wenn es um Konsum geht, kannst du die Leute entweder verarschen oder Geld machen. Wenn du aber schlau bist, dann machst du beides. Die heutige Parallele dazu wäre PC-Music, dessen hyperreelle Produkt-Verehrung die Konsumentenkultur parodiert, sie gleichzeitig aber auch aufs Extremste annimmt. Andy Gill erklärt es so: „Es ist fast wie: ‚Okay, niemand bezahlt mehr für Musik, was wollt ihr also? Blut?‘“

Anzeige

Kurz nachdem Content erschien, hat Gründungsmitglied Jon King die Gruppe verlassen. Auf dem bald erscheinenden What Happens Next, sind nur Andy Gill und ein paar Ersatzleute dabei. Ob du es glaubst oder nicht, es ist ihre beste Platte seit Jahren.

Es wird ihr neuntes Album in dreieinhalb Jahrzehnten und obwohl wahrscheinlich nur die Band, ihre Eltern und Simon Reynolds sie alle gehört haben, ist das Interesse an ihnen nie so weit zurückgegangen, dass man sich „Warte, die gibt es noch?“ gefragt hätte, wie zum Beispiel bei Maximo Park. Mit Unmengen an Gastsängern (am Erwähnenswertesten sind vielleicht Allison Mosshart und Herbert Grönemeyer), seziert die kratzige Platte Identität im Zeitalter von Celebritys, Social Media und UKIP-Nationalismus. Du nimmst es vielleicht nicht ganz ernst, wenn Andy darauf besteht, dass es das Beste ist, was er je gemacht hat, aber als politische Platte ist sie ziemlich treffend. Jon Kings Ersatz, John „Gaoler“ Sterry, wechselt zwischen Einschüchterung und Verführung, ohne komplett die textliche Gewandtheit zu verlieren: “False memories / Fake history / Next to talk of racial purity”, heißt es im etwas tollpatschigen Opener „Where the Nightingale Sings.“

Während ich im Keller von Andy bin, kann ich der Band bei der Vorbereitung dieser Tracks für ihre Liveshow zuhören und sie klingen schroff, aber sachlich. Wir gehen zwei Treppen hoch in sein geräumiges Wohnzimmer, eine ziemlich bourgeoise Bude mit durchgesessenen Sofas und noblen Teppichen. Er hat sein Hemd halb aufgeknöpft und nimmt sich der Beantwortung der meisten meiner Fragen an, ohne einen auf Boss zu machen. Die anderen sitzen still da und scheinen mit Fragen über ihren Einstieg bei einer weltweit verehrten Post-Punk-Band so wenig zu rechnen, wie ich mit Fragen danach, wie es ist, Bands für Noisey zu interviewen. Nach einem kurzen Update über das neue Zeug bewegt sich das Gespräch erwartungsgemäß in Richtung der alten Zeiten und da fängt es an, haarig zu werden.

Anzeige

Bei dem Streit scheint es weniger um Geld und mehr um Reputation zu gehen. Anfangs haben die vier Mitglieder jeweils 25 Prozent der Einnahmen bekommen und das Tour-Budget gleichmäßig zwischen Bandmitgliedern und der Crew aufgeteilt. Das war gelebter Kommunismus. Für eine Weile und trotz der ungünstigen und (ungenauen) Charakterisierung der Band als friedliebende Puritaner seitens der Presse hat das ihren Status als generell vernünftige Leute gefestigt. Aber mit der Zeit ist diese ideelle Mikro-Gesellschaft von Gang of Four in sich zusammengefallen. Andys größtes Problem ist die Frage, wie man die Credits, wer was geschrieben hat, aufteilen soll—er sieht sich für den Großteil der guten Sachen der Rhythmus-Sektion verantwortlich, was diese natürlich bestreitet. Zum Ende von Paul Lesters Biografie Damaged Gods von 2008 reibt sich die Band in einem Wirrwarr aus Vorwürfen, gegenseitigem Rufmord und kleinlichen Diskussion um Credits auf. Ich nehme es also nicht ganz so ernst, als Andy auf die Frage, ob es einen Teil von Gang of Fours Geschichte gibt, den er korrigieren möchte, ein Hühnchen mit dem früheren Bassisten Dave Allen rupfen möchte.

Allen wuchs in einer resoluten Arbeiterklassen-Familie in Kendal auf. Obwohl er nicht so ein Außenseiter in der Band war, wie die Presse gerne behauptet, gab es definitiv einen Klassenkonflikt, als er einstieg. Andy und Jons Stipendium-geförderte Uniausbildung führte dazu, dass ihre cleveren, aber nicht intellektuellen Bandmitglieder teilweise auf der Strecke blieben. Wenn die Songwriter bis in die Nacht diskutiert haben, haben Dave und Hugo sie eher in Ruhe gelassen und so entstand eine Kluft. 1981, als Dave die Band verlassen hat, war der Grund wahrscheinlich eine Kombination aus Erschöpfung, intellektuellem Mobbing (so behauptet Dave es später) und seine regelmäßigen Auszeiten aufgrund von Depressionen im Zusammenspiel mit Kokain; was nicht geholfen hat, wie sich alle einig sind.

Anzeige

Heute verdient Dave seinen Lebensunterhalt bei Apple und ist in den Bereich Artist Relations gewechselt, als Beats, sein alter Arbeitgeber, aufgekauft wurde. Laut Andy wird Daves professioneller Einfluss als Gang of Four-Legende übertrieben. „Als wir die Band gegründet haben, war es Jon und mir ziemlich wichtig, eine Art kollektives Modell zu verfolgen“, sagt Andy. „Wir haben die anderen beiden nahezu dazu gezwungen, 25 Prozent zu nehmen. Und wir haben uns mit dem Versuch, uns als gleichermaßen kreatives Kollektiv darzustellen, ziemlich verbogen. Das hat solche Ausmaße angenommen, dass wir total unehrlich waren, weil das überhaupt nicht der Situation entsprach—Dave Allen hat zu keinem Zeitpunkt auch nur eine einzige Idee beigesteuert und du kannst dir vorstellen, was Apple sich gedacht hat, als sie ihn an Bord geholt haben: ‚Wir brauchen jemand wirklich glaubwürdiges von einer wirklich glaubwürdigen Band, damit wir der Öffentlichkeit erklären können, dass es cool ist, Musiker abzuzocken.‘“

Wahrscheinlich hält Andy Daves Teilnahme an der Reunion-Platte Return the Gift dann für ein wenig widersprüchlich oder? „Ja“, nickt er, „diese Reunion der sogenannten ‚Original Four‘ war wahrscheinlich ein wenig vom Geld beeinflusst—und“, fügt er hinzu, „auf Tour zu gehen gehörte nicht zu den angenehmsten Erfahrungen in meinem Leben. Dave ist eine falsche Schlange, eine Nervensäge. Er hat immer Hugo irgendwas ins Ohr geflüstert und ihm gesagt, dass ich schlecht über ihn geredet hätte.“ Er seufzt. „Er hat immer versucht, eine Art unharmonische Stimmung zu erschaffen.“

Andy schaut müde aus seinen verschnörkelten Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichen. Dave Allen hat es abgelehnt, für diesen Artikel mit uns zu sprechen und das kann man ihm auch irgendwie nicht verübeln. Ich denke an die Zeile aus Animal Farm, George Orwells Allegorie auf das Scheitern des Kommunismus, eine utopischen Gesellschaft zu erschaffen: „Und die Lebewesen vor der Tür sahen von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein und wieder von Schwein zu Mensch: aber es war bereits unmöglich, sie auseinanderzuhalten.“

Folgt Jazz bei Twitter.

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.

**