Alle denken immer, das erste Album sei das beste

Es ist, als ob du gegen ein physikalisches Gesetz verstößt und die Welt sich noch in derselben Sekunde aufhört zu drehen, sobald du behauptest, das erste Album wäre NICHT das Beste einer Band. Falls du das jemals getan hast (was bestimmt nicht der Fall ist), bin ich mir sicher, dass du ohne auch nur den Hauch einer Chance zu haben, direkt auf die Fresse bekommen hast.

Es ist doch immer das gleiche, wenn ein Künstler ein neues Album veröffentlicht. Selbst wenn es einfach nur großartig ist, wird auf das erste Album verwiesen, das sicherlich besser war. Das ist erstens schade für den Künstler, dessen Werk dadurch total abgewertet wird und zweitens macht es überhaupt keinen Sinn, dass das erste Album immer das beste sein soll. Wird man denn nicht besser mit der Zeit? Umso öfter du ein Videospiel spielst, desto höher ist dein Highscore. Und umso öfter du dein Instrument spielst, deine Songschreiber-Qualitäten testest oder dein Stimmorgan trainierst, desto besser wirst du, oder nicht?

Natürlich verlieren viele Bands irgendwann an Kreativität, verfallen in einen Drogenrausch oder werden einfach langweilig, und in der Folge verschlechtert sich auch die Musik. Aber mindestens genauso oft müssen sich Bands erst finden und ihren Sound definieren, bis sie ein wirklich gutes Album produzieren können. Das würde nur nie jemand zugeben. Und das hat auch seine Gründe, zum Beispiel folgende:

Wenn eine Band ihr zweites Album veröffentlicht, hat sie eigentlich schon verloren. Die Fans, die das erste Werk abgefeiert haben, schrauben ihre Erwartungen hoch, dass sie unmöglich zu erreichen sind. Zuvor war die Erwartungshaltung gleich null, denn von einer unbekannten Band erwartest du nichts. Du hörst dir das Album an und entweder du vergisst es noch im gleichen Moment oder du bleibst hängen. Danach kann es nur noch bergab gehen. Aber was sollen die Künstler denn machen, um diese Erwartungshaltungen erfüllen zu können? Eine neue Band gründen? Sich komplett neu erfinden? Wir wissen ja wie so etwas endet. Es sind immer noch die gleichen Menschen. Natürlich hören sie sich an wie zuvor.

Wenn die Band, deren erstes Album du gut, geht so oder übermäßig fandest, nun ein zweites Werk veröffentlicht, hörst du es an und … die Musik klingt wie dieselbe Band. Langweilig, oder? Beim ersten Mal wurdest du noch überrascht, mit dem dicken Beat und der langsamen Hook oder dem unerwarteten Gitarrenriff. Und jetzt ist da nur noch der dicke Beat, die langsame Hook und der unerwartete Gitarrenriff. Alles schon mal gesehen, alles schon mal gehört, alles schon mal da gewesen. Wenn du mit dem ersten Album vom Hocker gehauen wurdest, wird dich die Badd mit dem zweiten Album nicht noch mal vom Hocker hauen, weil du ja schon längst auf dem Fußboden sitzt. Verstehst du?

Sobald ein neues Album erscheint, kommen alle aus ihren Ecken gekrochen, um ihren Senf dazu abzugeben – ob der nun positiv oder negativ ist, bei einer Sache sind sich alle einig: das Album davor war besser. Selbst diejenigen, die ihren Senf gar nicht dazu schmieren wollen und höchstwahrscheinlich keine Ahnung haben oder das Album noch nicht einmal angehört haben, werden diesen Spruch bringen – aus Prinzip. Die Aussage, "Das erste Album war besser", ist Common Sense.

Höchstwahrscheinlich benutzt du diese Phrase nur, um ganz geschickt zu vertuschen, dass du keine Ahnung hast, wovon du gerade redest. Wenn du willst, dass dir jemand in einem Gespräch über Musik zustimmt, sag es einfach: "Das erste Album war besser." Wenn du etwas anderes sagst, wird noch in derselben Sekunde aufgehört, mit dir zu sprechen oder dir werden Blicke zugeworfen, die dir das Gefühl geben, du hättest gerade etwas unglaublich Rassistisches und Menschenfeindliches von dir gegeben und nicht so eine harmlose subjektive Meinung.

Indem du in den höchsten Tönen vom ersten und besten Album sprichst, kannst du nebenbei noch zeigen, dass du die Band nicht erst seit heute kennst. Natürlich kanntest du sie von Anfang an, bevor sie cool war, bevor alle anderen sie kannten und noch bevor alle angefangen haben, über dieses Album zu reden.

Ja, was soll ich sagen. Ich bin ja selbst überzeugt, dass viele Bands bei ihrem Debüt das beste Werk abgeliefert haben, aber eben nicht JEDE Band. Mit Sicherheit haben viele ein besseres zweites Album hingelegt, aber durch den ewigen Fluch des zweiten Albums wird das niemals anerkannt. Die Bands sollten das gelassener sehen, ihre Energien für die Folgealben aufsparen und sich beim zweiten Album keine Mühe mehr geben. Sie werden sowieso nur alle enttäuschen, egal was sie tun. Und vielleicht schlägt das dritte dann wieder ein.

Aber jetzt mal Ernst. Hier sind 15 Alben, die besser als ihr Vorgängeralbum bezieungsweise das Debüt des Künstlers waren:

Nirvana – Nevermind
Kanye West – My Beautiful Dark Twisted Fantasy
Caribou – Swim
Radiohead – Kid A
Bon Iver – Bon Iver
Die Ärzte – Die Bestie in Menschengestalt
Foo Fighters – One by One
K.I.Z. – Hahnenkampf
Queens of the Stone Age – Songs for the Deaf
The National – High Violet
LCD Soundsystem – Sound of Silver
Dr. Dre – 2001
Justin Timberlake – FutureSex/LoveSounds
Yeasayer – Fragrant World
Hot Chip – The Warning

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