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Fickt das System

Tony Cadena von der legendären Punkband The Adolescents über Folter an Autisten.

Fallt auf die Knie: Die legendäre Punk-Rock-Formation The Adolescents bespielt wieder die europäischen Bühnen. Zudem ist am 3. August ihre neue EP American Dogs in Europe erschienen. Wir haben uns mit Tony Cadena, dem Sänger und Kopf der Band, zum Interview getroffen und festgestellt, dass er auch als Mann gehobeneren Alters seine Punkrock-Attitüde keineswegs an den Nagel gehängt hat. Tony engagiert sich seit längerem intensiv für die Rechte von Autisten. Ein Thema, das vor Kurzem erst wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wurde, als schockierende Videos über die sogenannte Aversionstheraphie in den amerikanischen Medien aufgetaucht sind, eine Behandlungsmethode, bei der unter anderem Elektroschocks verwendet werden, um das abweichende Verhalten von autistischen Kindern zu regulieren. Uns erzählte Tony, wie und warum er noch immer das System fickt.

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Was war der Moment, in dem dir klar geworden ist, dass die Rechte von Autisten ein so wichtiges Thema für dich sind?
Puh! Ich habe ungefähr 1989 damit angefangen, mich dafür einzusetzen. Da hab ich an einer Sonderschule unterrichtet. Damals wurden Kinder, die sich nicht artikulieren konnten, in die Schublade „geistig zurückgeblieben“ gesteckt. Aber das waren sie nicht und ich für meinen Teil wusste das auch. Sie haben in erster Linie ein Kommunikationsproblem, es fällt ihnen schwer, sich irgendwie anders mitzuteilen, als unruhig oder aggressiv zu werden. Deshalb bin ich aktiv geworden, erstens um herauszufinden, wie man effektiv mit autistischen Menschen kommunizieren kann und auch um ein paar von den Klischees über Bord zu werfen, die über diese Leute kursieren. Und je mehr ich mich damit beschäftigte, umso mehr war ich davon überzeugt, dass das Versagen, nicht auf Seiten der Kinder steht (was ich sowieso nie glauben konnte), sondern auf Seiten der neurotypischen Leute, die mit ihnen nicht wirklich kommunizierten und einfach blind Rückschlüsse zogen, die nicht wahr waren.

Eine andere ausschlaggebende Sache war, dass ich erlebte, wie Kinder aus den Schulen geworfen wurden, weil ihr Verhalten in Zuständen von erhöhter Anspannung und Stress ausfallend wurde. Na ja, sie fangen manchmal an mit Sachen zu werfen oder um sich zu schlagen oder Leute wegzuschubsen. Und weißt du, das System geht mit solchen Leuten um, indem es noch restriktiver wird: „Man muss sie in ihren Schranken halten, sie an einen gesonderten Ort wegbringen“Genau das ist der Grund, warum ich mich irgendwann so hineingesteigert hab, weil ich einfach nicht glaube, das wir das so machen können. Ich finde, dass es die Pflicht der Gemeinden ist, diesen Leuten zu helfen und sie nicht einfach abzuschieben.

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Es gibt ja auch dieses unglaubliche Extrembeispiel davon, wie mit solchen „Problemfällen“ umgegangen wird, nämlich indem Elektroschocks angewendet werden.
Ja, genau! Es gibt zum Beispiel eine Schule in Boston, die die Elektroschocktherapie anwendet, oder zumindest für einige Jahre angewendet hat. Der Schulleiter ist heute noch ein überzeugter Anhänger der Theorie hinter der Elektroschocktherapie und obwohl er dann irgendwann seinen Posten verlassen musste, hat er noch immer mehr oder weniger die Kontrolle über die Schule. Außerdem gibt es eine Satellitenschule in Kalifornien. Dort benutzen sie zwar keine Elektroschocktherapie mehr, aber die Geschichte ist noch immer da und bis heute wurde in keinster Weise eingeräumt, dass einfach die ganze Idee hinter Dingen, wie dieser Therapieform, die es immer noch gibt, Unsinn ist. Es wurde niemals klargestellt, dass man so etwas mit den Kindern nicht machen darf und es ein Fehler war und endlich Schluss sein muss, mit dem Menschenbild, das dahinter steckt. Selbst nachdem man sie vor Gericht geschleppt hat, weigern sie sich noch immer es zuzugeben und der Theorie abzuschwören. Es ist unglaublich! Verstehst du, das ist, was passiert, wenn man Kinder oder Erwachsene mit einer Behinderung in Institutionen steckt, denen man absolut freie Hand lässt und keiner darauf achtet, ob die Rechte der Patienten oder Schüler geachtet werden.

Man hat ja auch so ein grundlegendes Vertrauen in Institutionen und denkt sich „die werden schon wissen, was sie tun“. Damit die Leute anfangen, die ganze Idee dahinter in Frage zu stellen, muss schon etwas passieren—oder eher an die Öffentlichkeit gelangen—, das einfach absolut offensichtlich falsch und menschenverachtend ist.
Absolut. Nicht nur als Familien, auch als Gesellschaft schenken wir diesen Leuten unser Vertrauen, nur um dann herauszufinden, dass sie die Kinder schocken. Das ist Folter!

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Warum benutzen sie diese Methode überhaupt? Ich musste bei Elektroschocks auch sofort an Folter denken. Ich dachte, das sei etwas, das man vielleicht in den 60er oder 70er Jahren gemacht, aber doch nicht mehr in der modernen Medizin. Für mich wirkt das absolut unmenschlich und auch in der Öffentlichkeit wird das als Foltermethode wahrgenommen, also wie kommt man als moderner Heilpädagoge überhaupt auf die Idee, eine derart veraltete und diskreditierte Behandlungsform anzuwenden?
Sie denken, dass sie damit auf einer bestimmten Ebene ihr „Leiden“ behandeln, weil ihr Zustand kurz danach auf gewisse Weise ausgeglichener ist. Sie werden heruntergeholt, ihr negatives Verhalten wird ausgemerzt. Aber Tatsache ist doch, dass man das Verhalten von jedem ändern kann, indem du Medikamente verabreichst oder Aversionstherapien anwendest. Aber auf diese Weise jemanden dazu zu bringen, das zu tun, was du willst, geht nicht klar. Diese Methode wurde wirklich in den 60ern entwickelt und dieser Typ in Massachusetts war daran beteiligt. Diese Behandlungsmethode ist nicht nur veraltet, sie war von Anfang an nicht richtig und hätte niemals angewendet werden dürfen.

Die Sache ist, dass Autisten und psychisch Kranke auf ähnliche Weise behandelt werden. Ich sage jetzt nicht, dass das dasselbe ist! Überhaupt nicht. Aber beide werden in erster Linie mit Einschränkungen behandelt: Zum einen physische Einschränkungen, wenn man sie in Zwangsjacken steckt und zum andern, psychisch, durch Aversionstheraphie, zum Beispiel mit Elektroschocks, um ihr Verhalten einzupegeln und sie „zu entspannen“ oder wie auch immer sie das nennen. Für mich ist auch entscheidend, dass es nicht nur falsch ist, eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe so zu behandeln, es ist generell falsch irgendwen so zu behandeln. Im Moment ist es für eine spezifische Gruppe gesellschaftlich akzeptiert, aber das ist doch eine Frage der Ethik und für mich ist es unethisch eine spezifische Gruppe zu benennen, bei der Folter okay ist. Was soll das denn? Haben etwa Leute, die als sozial akzeptierter gelten mehr Rechte?

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Niemand würde solche Methoden gutheißen, wenn sie sie bei gesunden oder normalen Kindern anwenden würden.
Richtig! Ist das jetzt die Richtung, in die sich die amerikanische Gesellschaft zurückentwickelt hat? Sollen Leute, die das Pech hatten, ein Label aufgedrückt zu bekommen, das sich irgendein Psychologe ausgedacht hat, jetzt für ihre Behinderung bestraft werden? Das ist inakzeptabel.

Was erwartest du denn konkret von der Gesellschaft, was sollen die Leute tun?
Ich will das Elektroschocktherapie komplett eingestellt werden. Jede Art von Behandlung, die mit aversiven Reizen und Bestrafung arbeitet muss aufhören. Das ist, wie wenn man jemandem mit Tourette-Syndrom jedes Mal ohrfeigt, wenn er „fuck“ sagt, damit er damit aufhört. Genau das ist eine aversive Bestrafung für ein unerwünschtes Verhalten. Bei einer Person mit Tourette würde das doch keiner als Behandlung tolerieren. Also darf das auch nicht bei Menschen mit andern Geisteskrankheiten oder Autismus angewendet werden. Diese Menschen wollen nicht bewusst durch ihr Verhalten jemanden angreifen, dazu haben sie überhaupt keine Veranlagung und sie sollten nicht dafür bestraft oder verletzt werden. Wenn zum Beispiel jemand hin und her wippt und dann dafür eine Stromschlag kriegt, wenn auch nur einen leichten, ist das inakzeptabel.

Aber abgesehen davon, dass die Leute, die Autisten oder psychisch Kranke behandeln vielleicht ihre grundlegende Sichtweise auf die Patienten ändern müssen, welche konkrete Behandlungsmethode würdest du vorschlagen?
Ich denke, man sollte einen Positive-Behaviour-Management-Ansatz verfolgen. Natürlich muss man auch intervenieren. Wenn sie eine Episode haben, die anfängt zu eskalieren, darf man sicherlich nicht erlauben, dass sie sich selbst oder andere verletzen. Aber wenn sie das tun, dann muss die erste Frage sein: Aus welchem Grund tun sie es? Man muss erst mal das Verhaltensmuster beobachten, dann den Auslöser dafür finden und dann diesen Auslöser behandeln, nicht das Symptom.

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Ich kannte mal ein Mädchen, das sich selber ständig ins Gesicht geboxt hat, bis sie sogar Ohnmächtig wurde. Das ist fast 25 Jahre her. Damals hat die Schule reagiert, indem sie sie in eine Zwangsjacke gesteckt haben, sodass ihre Hände hinterm Rücken zusammengebunden waren. Irgendwann war sie so weit, dass sie, jedes Mal, wenn sie sich wieder schlagen wollte, ihre Hände stattdessen, hinterm Rücken zusammenhielt. Sie war also so konditioniert, dass sie die physischen Knebel gar nicht mehr brauchte, weil sie gelernt hatte „ich tue mir weh, wenn ich nicht meine Arme hinterm Rücken verschränke“. Trotzdem haben die Leute ihr die Hände immer noch festgebunden. Aber worum es eigentlich geht, ist, dass niemand das auslösende Problem behandelt hat. Als sie mal wieder angefangen wollte sich zu schlagen, habe ich sie festgehalten und dabei gesehen, dass sie überall Löcher in den Zähnen hatte. Also war der Grund, warum sie sich selbst verletzte, dass sie Schmerzen hatte. Sie hatte nicht die Fähigkeit oder die Worte mitzuteilen: „Ich habe Schmerzen im Mund, sie kommen von den Löchern in meinen Zähnen“ und sich selber bewusstlos zu schlagen, war ihr Mittel, den Schmerz unter Kontrolle zu bekommen. Niemandem war das aufgefallen!

Das ist ja schrecklich. Weil die Kommunikation mit solchen Leuten so schwierig ist, versucht man es nicht nicht mal mehr.
Ja, genau. Sie geben die Leute auf. Und keiner will das mitansehen. Alle sagen so: „Ah, das ist so furchtbar, zu sehen, wie sich das Mädchen selber boxt bis es ohnmächtig wird, also lasst sie uns in irgendeine Institution stecken, wo wir nicht mehr zuschauen müssen“.

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Meinst du denn, es würde helfen, wenn es mehr Schulen und Kindergärten mit gemischten Kindern geben würde?
Ja, ich denke, genau das ist die Lösung. Aber oft trifft man da sogar bei den Eltern auf beiden Seiten auf Widerstand. Die einen meinen, das bremst die andern Kinder beim Lernen, die andern, sagen: „Nein, mein Kind ist so anders, es sollte nicht mit typischen Kindern zusammen sein“. Aber die einzige Möglichkeit für eine Person zu lernen, wie sie sich verhalten soll, ist doch, dass sie unter Menschen ist. Und keiner will ausgeschlossen werden, gerade bei Kindern. Niemand will absolute Einsamkeit, auch Leute mir Autismus nicht. Sie haben ja gerade das Bedürfnis zu Kommunizieren, nur nicht das Werkzeug. Und genauso wenig haben sie das Werkzeug um mitzuteilen, wenn sie alleine sein möchten. Solange wir ihnen die Werkzeuge nicht zeigen, wird es keinen Fortschritt geben. Und wenn zum Beispiel Menschen mit Asperger lernen sich mitzuteilen, dann können sie auch Menschen mit schwereren Formen von Autismus helfen zu kommunizieren.

Ich habe von einem Projekt gehört—ich glaube es war in Dänemark—bei dem eine Firma darauf spezialisiert ist, Menschen mit leichteren Formen von Autismus zu engagieren und an andere Unternehmen zu vermitteln. Es geht hauptsächlich um die Arbeit mit Computersystemen, weil das ihren besonderen Fähigkeiten entgegenkommt. Und die Unternehmen lecken sich die Finger nach ihnen, weil das absolute Genies in dem Bereich sind. Aber in einem normalen Vorstellungsgespräch würden sie scheitern, weil sie die soziale Komponente nicht drauf haben.
Das ist ein wirklich gutes Beispiel dafür, wie Leute mit Asperger auch den Unternehmen helfen und einen gesellschaftlichen Nutzen haben. Manchmal geht es einfach nur darum, diese geistige Starre aufzubrechen. Manchmal können Unternehmen, Schulen, Institutionen sehr festgefahren sein in ihren Vorstellungen. Aber wenn man den andern Mitarbeitern erklärt, unter welchen Umständen Leute mit Asperger vielleicht Ausfälle haben und Stress bekommen und wann und wie man sie beruhigen kann, dann ist das durchaus etwas, das man handhaben kann.

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Es ist einfach schade, dass diese Menschen, die ja ganz außergewöhnliche Fähigkeiten haben, irgendwie verloren gehen, bloß weil sie sich sozial nicht richtig integrieren können.
Ja, dabei brauchen sie das. Sie brauchen die Möglichkeit sozialisiert zu werden, sei es in einer Arbeitsgruppe oder sonst wo. Stell dir mal vor die Einsteins, Bill Gates und Steve Jobs dieser Welt, hätten einen Wesenszug, der sie nicht gerade zu den kommunikativsten und einnehmendsten Menschen auf der Welt macht und auf einmal sieht man keinen Wert mehr in dieser Person und steckt sie in irgendeine Klinik, wo ihr Gehirn dann 18 Stunden am Tag mit Elektroschocks gegrillt wird.

Du organisierst Wohltätigkeits-Konzerte und hast einen Blog zum Thema, engagierst du dich sonst noch irgendwie?
Ich gehe regelmäßig zu den Treffen der örtlichen Schulbehörde, wo meine Kinder zur Schule gehen. Mein jüngstes Kind ist Autist und die Leute aus der Stadt haben eine Petition gestartet, um ihn aus der Schule zu werfen.

Mit welcher Begründung?
Wegen aggressiven Verhaltens. Aber sie haben nicht verstanden, dass er einfach ungeschickt war und mit Leute zusammengestoßen ist, außerdem hat der Bezirk ihm nicht das Programm angeboten, das er gebraucht hätte. Er war ziemlich verschroben und sein Verhalten wurde missverstanden, sodass die anderen Eltern ihn nicht besonders mochten. Um ihn aus der Schule zu werfen, haben sie sich an die höchsten Instanzen gewendet. Als wir herausgefunden haben, was sie vorhatten, haben wir zu den Behörden gesagt: „Ihr verletzt seine Bürgerrechte“. Und zu den Eltern: „Ihr verletzt sein Recht auf Bildung. Ihr habt nicht das Recht, über die Bildung eines anderen Kindes zu entscheiden, außer eures eigenen“.

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Dieser Schulbezirk war auch einer der letzten, indem die Rassentrennung aufgehoben wurde und auch nur, weil sie durch eine gerichtliche Verfügung dazu gezwungen wurden. Die Leute haben sich richtig dagegen gewehrt. Da sieht man wie rückwärtsgerichtet die Menschen hier sind. Und das ist, wo mein Kind mit Asperger in die Schule geht. Das ist hier eine sozioökonomisch bessergestellte Gegend und díe Schule, auf die mein Sohn geht, hat regelmäßig sehr gute Ergebnisse bei Tests und als er auf die Schule kam, fingen die Eltern an zu jammern: „Oh nein, er wird die Testergebnisse herunterziehen! Er wir die Ergebnisse alle verschlechtern, wir müssen ihn loswerden“. Und ich habe gesagt: „Fickt euch! Ihr könnt ihn nicht einfach 'loswerden'.“

Das wäre meine nächste Frage gewesen. Hast du nicht mal daran gedacht einfach „ja, dann fickt euch doch“ zu sagen und irgendwo hinzuziehen, wo die Leute nicht so hängengeblieben sind und das Schulangebot besser ist?
Ja doch, die Leute waren ja richtig grausam zu uns, aber genau das ist es was sie von uns wollten, dass wir einfach aufgeben und abhauen. Und manchmal wache ich auch auf und frage mich: „Was zur Hölle machst du hier eigentlich? Die ganze Scheißwelt steht dir offen, du musst nicht hier in Sierra Madre, Kalifornien leben.“ Aber wenn wir abhauen, was passiert dann mit den andern Kids? Mein Kind ist ja nicht das einzige, laut Statistik trifft es einen aus 35 Jungen und eines aus 88 Kindern. Wir können nicht einfach abhauen, weil sich die Leute uns gegenüber so verhalten. Wir können in einer Demokratie einer Gruppe Faschisten, die versuchen uns vorzuschreiben, wie es zu laufen hat, nicht erlauben zu gewinnen. Wir in den USA sollten wissen, was passieren kann, wenn man eine kleine Gruppe von Leuten an die Macht lässt und diese dann allen andern vorschreibt, was zu tun ist. Aus Angst ziehen dann alle mit. Daraus entwickelt sich eine Dynamik, die die Gesellschaft immer repressiver macht. Irgendwann sieht es hier so aus wie im Stalinismus. Das geht einfach nicht. Deshalb müssen wir dagegenhalten und Sprachrohr für die Menschen hier sein, die sich selber nicht wehren können. Wenn wir das nicht tun, geht es mit uns los, dann kommen vielleicht die Homosexuelle an die Reihe, danach die Schwarzen, dann die Asiaten, vielleicht die Latinos, wer kommt als nächstes?

Habt ihr denn schon etwas erreicht? Hat sich schon was geändert?
Ja, doch. Es gab schon Veränderungen.

Also ist es möglich die Leute zu überzeugen? Sie sind nicht lernresistent und festgefahren in ihren Überzeugungen?
Das Problem ist, dass mein Ton ziemlich harsch werden kann. Ich bin sehr überzeugt von dem, was ich kommuniziere und rücke kein bisschen davon ab. Und ich akzeptiere nicht, wenn jemand einfach nur da sitzt und die Klappe hält und Dinge einfach geschehen lässt, ohne einzugreifen. Also kann es ziemlich leicht passieren, dass Leute, die mit mir im Wesentlichen oder auf einer bestimmten Ebene einer Meinung sind, schnell eingeschüchtert werden. Sie sehen dann nicht mehr das Gesamtbild, sondern haben auf einmal Angst, dass ich ihre Schule zerstören werde. Als ob ich ihre Welt zerschmettern würde, indem ich gleiches Recht für alle anbiete! Stell dir mal vor wie fürchterlich: Gleiches Recht für alle!

Vielleicht solltest du dir jemanden suchen, der weniger angsteinflößend ist als du. Dem kannst du dann vorsagen, was er sagen soll und der spült deine Aussage weich und bringt alles ganz gemäßigt rüber.
(lacht) Ja, das wäre wohl ganz ratsam. Ich bin kein besonders geeigneter Wortführer. Die Leute hatten ja auch keine Ahnung wer ich bin. Sie dachten, ich wäre irgendein komischer Kauz, sie wussten nicht, dass ich Musiker bin, dass ich Lehrer bin, das ich ein guter Redner bin und schreiben kann und Leute animieren, und dass ich negative Aufmerksamkeit auf das ziehen kann, was sie tun. Viele der Leute hier sind völlig weltfremd und borniert. Meine beiden älteren Kinder hab ich für die weiterführende Schule auch in eine integrierte Schule in einem anderen Bezirk geschickt, wo die Kinder durchmischter sind und nicht nur Oberschicht-Schnösel.

Ich sehe da noch immer ganz viel Punkrock-Spirit.
(lacht) Ja, die Leute, die sich mit uns anlegten, hatten keine Ahnung, dass ich und meine Frau Aktivisten sind. Sie haben uns für komische, gealterte Punkrock-Spinner gehalten: „Guckt sie euch an, mit den viel zu langen Haaren, die passen doch gar nicht hier her!“

Ja, ja, „macht euch um die mal keine Sorgen“!
Eben, die haben dann auch schön blöd geschaut, als wir auf ihrer Rolls Royce-Party aufgekreuzt sind und Flecken auf dem Teppich gemacht haben. (lacht) Die haben nicht geglaubt, dass wir zurückfeuern würden, als sie sich mit uns angelegt haben. Wir organisieren die ganze Zeit Proteste, hängen nachts in der Stadt Banner auf, wo sowas wie „Integrate Now!“ draufsteht oder ich schreibe mir „Your School Segregates“ auf mein Auto und fucke die Leute damit ab, weil ich als Anwohner das Recht hab, mein Auto überall in der Stadt zu parken und alles drauf schreiben kann, was ich will! (lacht) Auf einem der Treffen der Schulbehörde habe ich mal ein Puppentheater aufgeführt. Ich habe den Leiter der Behörde als Sockenpuppe gebastelt, er war ein echtes Arschloch. Die Ratsmitglieder haben alle versucht, ganz ernst zu bleiben, konnten sich aber kaum das Lachen verkneifen und der Typ, den ich verarscht haben, hatte so einen Hals!