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Interviews

„Wenn du die Leute komplett mit deiner Stimme wegblasen willst, musst du dafür trainieren“

Wir haben mal mit Nico von War From A Harlots Mouth über Stimmenverlust, seltsame Trends und die Schrei-Qualitäten von Parkway Drive, Suicide Silence, Science Of Sleep und Jennifer Rostock geredet.

Für jeden, der sich eher weniger mit der Kunst des Schreiens in so illustren Genres wie Hardcore oder Metal, sowie deren noch sehr viel bunteren Sub-Genres wie Deathcore und Metalcore auskennt, klingt der Gesang immer wie ein schmerzhafter Unfall. Da kreischt eben einer sinnlos rum, kein Wort ist verständlich, das Ganze für die Ohren nur äußerst hässlich. Erst, wenn man sich näher damit auseinandersetzt, erkennt man die Unterschiede, kann sogar irgendwann bestimmte Techniken ausmachen und besonders versierte Schreihälse bewundern. Aber so richtig gesund kann das alles doch nicht für die Stimme sein, oder? Da bekommt man doch sicher im Alter die Rechnung aka eine Stimme wie zerfetztes Sandpapier.

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Schau dir doch nur mal den Sänger von Bring Me The Horizon an. Das ist eine Band, die ihren Sound aus den Untiefen des brachialen Deathcore mit jedem neuen Album weiter bis hoch zum filigranen Pop-Metal gehoben hat. Logischerweise passt da das Gebrülle von Gestern nicht mehr zur zur Schau gestellten Staatstrauer von Heute und so musste Sänger Oli Sykes auch an seiner Stimme arbeiten. Es wird jetzt gesungen, nur noch in Nuancen geschrien. Das mit dem Schreien ist ja eh Geschmackssache und vielen Fans passt der neue Oli nicht so. Gerade bei Live-Videos alter Songs wird immer wieder die schwache Leistung des einstigen Hass-Spuckers bemängelt. Trauriger Höhepunkt war dann ein Video, in dem er einer betagteren Dame zeigen solle, wie das so geht mit dem Growlen. Und siehe da, er schummelte. Wir haben uns mit Nico, dem ehemaligen Sänger von War From A Harlots Mouth und The Ocean getroffen, um mal über Stimmenverlust im Metal und Hardcore, seltsame Schrei-Trends wie Pig Squealing und Krankheiten auf Tour zu plaudern. Denn wenn einer was von der Craft versteht, dann Nico WFAHM.

Noisey: Oli Sykes schreit schon lange nicht mehr so kraftvoll wie früher. Kennst du denn Metal-Sänger, die sich ihre Stimme über die Jahre lädiert haben?
Nico: Klar gibt es diverse bekannte Leute, die viel getourt sind und wo die Stimme verkackt. Aber es gibt aber auch viele Momentaufnahmen, die irrelevant sind. Wir haben 2010 auf dem With Full Force gespielt, da gab es ein Live-Video von uns—leider sehr gute Qualität. Meine Stimme ist so scheiße, aber ich habe kurz davor noch am Tropf gehangen, weil ich eine Lebensmittelvergiftung hatte. Da habe ich mir auch 1000 Sachen anhören dürfen.

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Wenn ich eine Performance einer Band sehe und da die Stimme schlecht ist, würde ich nicht sofort urteilen. Aber wenn jemand kontinuierlich die Kraft verliert, ist das schon eine Sache, die passiert. Ich würde da aber nicht so hart ins Gericht gehen, weil ich das aus einer anderen Sicht sehe. Zum Beispiel Jacob Bannon von Converge: Ich bin ein riesen Fan von ihm, ich liebe Converge, das ist nach wie vor eine der krassesten Live-Bands, aber Jacob hat seit einem Jahrzehnt keine Kraft mehr in seiner Stimme—das hörst du live, das hörst du auf den Alben. Da finde ich es schade, dass er nicht mehr diese pissed-krasse Stimme hat. Aber auf der anderen Seite hat es trotzdem sehr viel Charme, weil er noch trotzdem alles gibt. Es passt trotzdem noch zum Sound.

Zumal er auch rumrennt und das durch Energie wieder wettmacht.
Voll. Ich hab von denen auch nie ein Statement gelesen von wegen „Sorry, meine Stimme ist weg“. Es ist eben so, fuck off. Aber das sind halt Hardcore-Bands—genauso, wie wir es auch waren—, die auch noch metallische Musik und dadurch noch extremer waren als normale Hardcore-Bands, auch was die Stimme angeht. Trotzdem ist man ein Hardcore-Kid, dass auf keine Regeln achtet. Demnach wärmst du dich nicht auf, machst keine Übungen und das geht irgendwann schief. Ich habe irgendwann angefangen, Aufwärmübungen zu machen und zu trainieren. Als ich noch bei The Ocean und WFAHM war, war ich sieben, acht Monate am Stück auf Tour. Da kannst du nicht die Hälfte davon heiser sein. Selbst wenn man Punker ist und denkt „Ey komm, wir gehen auf die Bühne und ballern das jetzt durch!“, hat man trotzdem einen Anspruch. Vor allem, wenn du merkst, dass die Musik sehr anspruchsvoll ist, willst du nicht abkacken. Auf der einen Seite bist du impulsiv und denkst „Scheiß drauf, wir sind Punker“, auf der anderen sind da Leute, die dich sehen und was bekommen wollen.

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Das hat sich in all den Jahren auch erst entwickelt. Als Battery, Turmoil, Earth Crisis oder Chokehold auf Tour waren, da haben die Gitarristen fast gar nicht mehr gespielt, die waren nur am Mitschreien und das Mikrofon war die Hälfte der Zeit aus, aber das war scheißegal. Heutzutage siehst du Bands wie Bring Me The Horizon, Thy Art Is Murder oder Architects, die krasse Alben produzieren, die riesige Shows spielen, wo du erwartest, dass genau wie auf Platte zu hören. Die Fans kommen mit einer anderen Erwartung zum Konzert.

Gerade im Metal hat es sich ja fast zu einer Art Wettstreit entwickelt. Die Sänger von Whitechapel oder eben Thy Art Is Murder werden ja gerade wegen ihrer extrem tiefen Stimme gefeiert, die sie dann natürlich auch live abrufen können müssen. Muss man denn irgendwann zwangsläufig die Technik beherrschen, um das immer so bringen zu können?
Ja, gerade Phil von Whitechapel hat seine Technik ins Maximum getrieben und der muss sich warm machen. Wir haben auch Shows mit denen gespielt, wo er auch eine Weile für sich war. Ich denke mal, er hat sich aufgewärmt—kann aber auch sein, dass er masturbiert oder mit seiner Oma telefoniert hat. Marcus von Science of Sleep hat sich lange nicht aufgewärmt. Ich sehe viel Potenzial in der Band, Marcus ist echt ein Viech und ich habe ihm nahegelegt, dass er trainieren soll. Wenn die großen Touren kommen, will ich vermeiden, dass er nach sieben Tagen die nächsten vier Shows nicht spielen kann, weil seine Stimmbänder durch sind.

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Wenn aber Bands sagen, „DIY! Wir setzen uns in einen Van, fahren dahin und machen“, dann scheiß drauf. Dann passt es nicht zu einem Sänger, der auf die Bühne pisst und auf alles scheißt, sich aber vorher warm macht. Wenn du die Leute aber komplett mit deiner Stimme wegblasen willst, musst du dafür trainieren.

Im Endeffekt ist es dann wie im Pop-Business, wo sich Sänger auch warm machen müssen. Da ist das Schreien dann ja nichts anderes.
Genau. Das Witzige ist, dass Jennifer [Anm.: von Jennifer Rostock] genau das gleiche Warm-up-Pattern benutzt wie ich—sie nimmt nur eine andere Tonleiter. Obwohl wir nie darüber geredet haben. Das ist zum Vorschein gekommen, als wir das erste Mal auf Tour waren: „Ach, nutzt du auch Melissa Cross?“ Die werden viele kennen.

Sound of Screaming oder so?
Zen Of Screaming. Das war glaube 2007 oder 2008, wo sie mir jemand nahegebracht hat. Ich habe das voll verpönt. Ey, da waren diese gesamten gelackten Hardcore-Metalcore-Bands aus Amiland drin, die ich zum Teil überhaupt nicht mag. Aber ich habe schon gemerkt, dass es letzten Endes stimmt. Ich hatte Touren, wo ich nach der Hälfte gestrugglet habe und nachdem ich das gemacht habe, kann ich mich an keine Show erinnern, wo ich mal heiser war. Ich habe eine Tour-Heiserkeit, wo ich eine Whiskey-Stimme wie Freddy Madball habe, aber alles abrufen kann. Auch im Studio hab ich es gemerkt. Wenn ich da vorher richtig hochgegangen bin, ist es immer gekippt. Auch die tiefen Sachen sind immer abgebrochen.

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Kannst du einschätzen, was die Stimme mehr belastet: Singen oder Schreien?
Kann ich nicht zu 100% sagen, weil ich selber nicht singe. Bei Jennifer ist es extrem, weil sie singt und schreit. Die Atemtechnik, die sie hat, ist auch Wahnsinn. Die waren ja auch eine Punkband: Sie war besoffen, ist in die Boxen gefallen, hat die ganze Zeit nur irgendeine Scheiße geredet—konnte ich mir damals live nie ansehen. Aber als wir die erste Tour zusammen gemacht haben und ich sie auf der Bühne gesehen habe … Die hat eine krasse Technik. Ich weiß auch von diversen Rappern, die sagen: „Hey, wenn die rappen würde, könnte die uns dir Stirn bieten.“ Sie ist auch nie heiser.

Beides sind ja Extreme. Wenn du wirklich klar artikuliert singen kannst und alle Töne triffst, ist es auch mega anstrengend, weil du dich konzentrieren musst. Wenn du schreist, growlst, screamst, was auch immer, ist es auch mega anstrengend für den Körper.

Selbst von Größen wie Beyoncé Knowles oder so hört man ja, dass sie Konzerte abbrechen müssen, weil sie ihre Stimmbänder gefickt haben.
Das kann immer passieren, dass sich irgendwas entzündet, durch eine nicht auskurierte Erkältung. Passiert Jennifer auch fast auf jeder Tour, dass ein Konzert gecancelt werden muss. Da kannst du dich nicht davor schützen. Wenn du die ganze Zeit die Stimmbänder belastest, aber eigentlich einen Infekt hast, geht der da drauf. Deswegen passiert das auch den Großen.

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Der Sänger hat echt in der Band die Arschkarte. Wenn sein Instrument kaputt ist, geht nichts mehr.
Das habe ich auch immer gesagt, hat immer keiner geglaubt! Bei uns sieht man es sofort. Wenn ein Gitarrist erkältet ist, steht er eben nur auf der Bühne rum oder sitzt wie der Parkway-Drive-Gitarrist im Rollstuhl, wenn er sich das Bein bricht. Die kriegen das ja immer trotzdem auf die Reihe. Wir sind immer Schuld.

Ich habe mal mit dem Sänger von King810 vor seinem Auftritt gesprochen. Der hat nur noch gekrächzt, später aber eine Leistung wie auf der Platte gezeigt. Ist das nicht ein großes Risiko, wenn man trotz starker Heiserkeit auf die Bühne geht?
Ist es. Also es ist aber auf jeden Fall auch gut, dass er das so hinbekommt … Das ist ein schwieriges Ding. Auf der einen Seite bist du krank, auf der anderen weißt du, dass der Laden voll ist. Wenn du eine authentische Band sein und 100% geben willst, ist das immer unschön. Wenn du wie wir an einem Abend vor 17 Leuten in Rom und am nächsten vor 800 in Budapest spielst, dann lieber die eine Show canceln, ruhen und am nächsten Abend ballern. Wenn du aber krank bist und trotzdem alles abrufen kannst, wirst du überheblich. Wichtig ist, dass man den Körper runterfährt, dann eine Stunde auf der Bühne alles abruft. Aber wenn du danach feiern gehst, kannst du das vergessen. Sänger haben oftmals ein Ego. Du willst es erst recht allen zeigen, dass du es kannst. Das darfst du aber nicht, du musst allen zeigen, dass du damit richtig umgehst und die Tour auch trotz Erkältung schaffst.

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Wie ist das eigentlich, kann man sich seine Stimmbänder nicht auch komplett zerstören, wenn man trotz Husten und Heiserkeit rumschreit?
Ja, aber wenn du die Technik hast und weißt, was du tust, dürfte das nicht passieren. Ich kann da mal aus dem Nähkästchen erzählen: Es gibt da Songs und Parts, wo du weißt, dass es gefährlich wird, wenn du den bringst. Dann bringst du ihn zur Hälfte oder gehst ins Publikum und lässt es die Leute machen. So schön das auch ist, du kannst nicht die ganze Zeit den Kopf aus haben.

Es gibt aber einige Bands, die immer alles abrufen und nur ein paar Shows scheiße spielen. Ich fand zum Beispiel bei Parkway Drive—ist aber auch nicht meine Mucke—seine Stimme live nicht gut. Er macht immer das Gleiche, hat keine Kraft, immer die gleiche Tonart und klingt für mich sehr heiser. Aber ich habe auch seine Platten nie gehört, ich weiß nicht, ob es da nicht auch genauso ist. Dafür spielen die zehnmal so viele Shows, wie wir gespielt haben, unter krassesten Bedingungen. Von daher ist das legitim und eine der geilsten Bands, mit denen man touren kann. Die sind mega herzlich und fair—großartige Band, an sich. Deswegen war es cool für mich zu sehen: Der hat heute einen schlechten Abend, die Stimme ist nicht da, aber trotzdem scheißt er drauf und rockt.

Es gibt ja immer wieder gewisse Trends. Vor ein paar Jahren waren es die Inhales oder die Pig Squeals. Was hast du davon gehalten?
Ich fand es immer scheiße. Bei der Transmetropolitan, wo noch der alte Sänger dabei war, gab es Pig Squeals, die hat aber unser Gitarrist Simon eingescreamt. Ich habe aber gleich gesagt, dass ich das nicht mache. Ich habe ab und zu Gore-Grind-Sachen gehört, weil ich es mega lustig fand. Das gab es schon vor 15 Jahren, aber war eine superkleine Nische. Dann kam durch Despised Icon dieser ganze Pig-Squeal-Kram. Ich habe die damals gesehen und die gingen mir voll auf den Sack. Technisch mega gut, aber diese beiden Typen mit den krassesten HipHop-Posen und ihrem *Schweinequieken*, da dachte ich: „Warum kann die niemand mal von der Bühne kicken?“ Mittlerweile ist der eine Sänger Alex ein guter Freund und das alles macht Sinn.

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In der Wahrnehmung war es noch viel schlimmer: Auf jedem Konzert, wo wir gespielt haben, waren immer so Kids, die *Schweinequieken* gemacht haben. Dann kamen die so zu mir an den Merch und haben mir ihre Inhales und Exhales gezeigt. Das war ein kleiner Trend, der auch schnell wieder weg war—weil es dämlich war.

Wie dieser Wechsel von hohem Kreischen und tiefen Growlen?
Ich fand das irgendwann nervig. Da kamen eben Bands wie Suicide Silence raus—zu der Zeit waren wir viel aktiv—und alle meinten, dass man jetzt hier hoch, da dunkel machen müsse. Ich war nie so. Auch bei The Ocean habe ich variiert, aber nie so extrem. Ich fand das von vielen Metalbands ein bisschen aufgesetzt. Mitch Lucker—Gott habe ihn selig, lieber Mensch, mega zuvorkommend und ruhig—fand ich live unterirdisch. Ich fand sein Gekeife scheiße. Mir wurde immer wieder auf unseren Konzerten gesagt, dass Mitch das aber so oder so macht. Dann sehe ich ihn und dachte, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Er macht eine krasse Show, aber abgesehen davon, dass er wirklich hell und tief gehen konnte, fand ich ihn von der Artikulation her nicht gut. Er leiert das ziemlich durch. Einzelne Wörter kann man da nicht verstehen.
Das wurde immer mit Donald Duck verglichen, haha. Wir waren mal hinten auf einem Festival, als sie gespielt haben und einer hat das nachgemacht. Es ist krass, als würde er wirklich nur „lalalala“ machen.

Wenn du die alten Deathmetal-Bands anhörst, verstehst du, was die sagen—egal, ob das jetzt Morbid Angel oder Obituary ist. Heutzutage hörst du nicht mehr, was die singen. Da gab es ja diese Interpretationsvideos von vielen Bands, die fand ich mega unterhaltsam. Auch viele über WFAHM—ab der In Shoals aber nicht mehr, weil man uns dann verstehen konnte (grinst). Aber das war sehr den Nagel auf den Kopf getroffen, weil man zu extrem rumgekreischt und gegrowlt hat. Das Verstehen ist gerade bei diesem ganzen Deathcore verloren gegangen—abgesehen von Whitechapel. Finde ich schade.

Julius ist auch bei Twitter: @BackToSchoolius

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