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Warum so viele Künstler ihre Majorlabels verlassen wollen

Künstler haben früher bei einem Indielabel unterschrieben, wenn sie cool sein wollten und bei einem Major, wenn sie Geld machen wollten—aber in den letzten Jahren hat sich das verändert.
Ryan Bassil
London, GB

Am 14. April war Childish Gambino richtig angepisst. Sein Label Glass Note—seines Zeichens Teil der Universal Music Group und Heimat einiger gefälliger Indiebands wie Mumford and Sons und Two Door Cinema Club—hatte die Veröffentlichung seines letzten Videos versaut. Es war das neueste Ärgernis einer ganzen Reihe von Scherereien zwischen Gambino und dem Label, woraufhin er auf Twitter eine einfache Beschwerde formulierte: Er verstehe das Internet, wie man Musik rausbringt und was seine Fans wollen, sehr viel besser als sein Label. Er wollte aus seinem Vertrag freigekauft werden.

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Gambino ist nicht der einzige, der sich öffentlich über einen schlechten Plattenvertrag aufregt. M.I.A. drohte, ihr Album Matangi kostenlos ins Netz zu stellen und eine neue Platte fertig zu haben, bevor Interscope endlich mal in die Gänge kommen würde. Angel Haze ging sogar einen Schritt weiter—im Dezember twitterte sie ein beherztes „Fuck You“ an Island/Republic Records und leakte ihr Debütalbum Dirty Gold. Azealia Banks „bettelte wortwörtlich“ darum, von Universal gekickt zu werden, weil sie dort „nicht einmal wissen, was oder für wen sie sich etwas anhören“ und Sky Ferreira gab kürzlich bekannt, dass ihre Zeit bei EMI—wo sie drei Alben aufgenommen hatte, von denen kein einziges veröffentlicht wurde—davon bestimmt war, dass „55 Jahre alte Männer mir sagen, was die Leute in meinem Alter hören wollen.“ Ein einzelner Künstler lässt sich vielleicht noch als ungeduldige Dramaqueen darstellen, wenn sich diese Art der Beschwerden allerdings häufen, scheint eindeutig ein Problem vorzuliegen—all diesen Künstlern ist gemein, dass sie bei Majorlabels unter Vertrag sind und sie alle sind unglücklich über fehlende künstlerische Kontrolle.

Diese Art von Frustration ist keineswegs neu. Seit den Anfängen des Rock’n’Roll haben Majorlabels, früher kleine Ableger von Haushaltsgeräteherstellern oder Rundfunkanstalten, alle Mühe, um mit den Dynamiken der Musikindustrie mitzuhalten. Für jeden wegweisenden Künstler der 50er- oder 60er-Jahre gab es hunderte Trittbrettfahrer, die oft die gleichen Songs gespielt haben, in der Hoffnung auf der Erfolgswelle der großen Künstler mitreiten zu können. Die Majorlabels haben sich stur geweigert, sich Neuerungen zu öffnen oder diese gar zu fördern. Sie haben darauf gewartet, wie sich Indielabels wie Motown und Stax machen, um sie dann gegebenenfalls aufzukaufen. Auch jede Art von technischer Neuerung wurde abgelehnt und die Labels kamen erst dann auf den Trichter als andere Start-Ups und Firmen wie MySpace, iTunes und Soundcloud bereits Alternativen ausgelotet hatten.

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Die verkrampfte Bürokratie der Majorlabels wurde lange Zeit toleriert; Künstler haben sich auf den Einfluss ihres Marketings und das Monopol großflächiger Vertriebe verlassen. Mittlerweile hat sich das geändert; Indie-Künstler können heutzutage genauso erfolgreich—wenn nicht sogar erfolgreicher—wie solche auf Majorlabels, sein und haben angefangen zu hinterfragen, ob die künstlerischen Opfer, die man durch einem Vertrag bei einem Major bringen muss, sich immer noch auszahlen.

Ein Knackpunkt ist die Frage, ob die Künstler sich nicht selbst besser vermarkten können als die großen Labels. Majors helfen einem Künstler in eine Radioplaylist, auf Musikkanäle und zu TV-Auftritten zu kommen—Dinge, mit denen Indielabels bislang Probleme hatten. Heutzutage haben die Musiker aber ein besseres Gespür für ihr Publikum—sie können ihre Musik im Austausch mit den Fans und direkt veröffentlichen. Ein Blick auf die britischen Single-Charts zum Beispiel zeigt, dass vor allem Künstler wie SecondCity (momentan auf Platz 1), Mr. Probz (momentan auf Platz 4) und Kiesza (die die sich am drittschnellsten verkaufende Single von 2014 veröffentlicht hat) dadurch Hits gelandet haben, dass sie schnell auf die positiven Reaktionen in den Clubs reagiert und zusammen mit Independent-Labels für eine schnelle Veröffentlichung gesorgt haben. Die Majors tendieren dazu, sich an strikte Release-Pläne zu halten—in denen allzu oft das Firmenwohl über dem der Künstler steht. Die Albumveröffentlichung eines Künstlers wird dann zum Beispiel nach hinten verschoben, damit sich das Label voll und ganz auf ein größeres Projekt mit höherer Priorität konzentrieren kann.

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Majors stecken eine Menge Kohle in Onlinemarketing und PR, um den Künstlern eine Fanbase zu verschaffen, bevor ihre Songs überhaupt im Radio laufen. Das Problem dabei ist, dass der Effekt davon sie unvorbereitet treffen kann. Nimm Soundcloud zum Beispiel, das von seinen Gründern dazu gedacht war, „eine der Sachen zu beheben, die im Internet falsch laufen“: auf einfache Weise Tracks zu teilen. Soundcloud bietet den besten Weg, um auf neue Künstler zu stoßen; der Social-Network-Algorithmus der Seite hilft unbekannten Musikern, hunderttausende Plays zu sammeln und Soundcloud-Links sind die meistgeteilten Musiklinks auf Twitter—Spotify liegt mit fast 30 Millionen Shares weniger auf einem abgeschlagenen zweiten Platz. Es ist gleichzeitig der eleganteste Weg für Blogger und Journalisten, Musik einzubetten, von der sie wollen, dass du sie dir anhörst—es ist aber kein Ersatz für das Streamen oder Kaufen einer ganzen Platte.

Trotzdem verweigern Majorlabels die Nutzung von Soundcloud, weil die Plattform im Gegensatz zu Spotify, iTunes und YouTube nicht die Möglichkeit bietet, nach dem „Pay-Per-Listen“-Modell Geld zu verdienen. Island Records hat sich zum Beispiel dagegen entschieden, Soundcloud zu benutzen, um neue Künstler wie Nina Nesbitt und Woodkid sowie größere Künstler wie The Weeknd und Angel Haze zu promoten. Stattdessen entschied sich das Label für wesentlich schlechter zu teilende Lyric-Videos, [Audio Only]-Videos und Spotify-Exklusivitäten. Für neue Künstler, die sich erst eine Hörerschaft aufbauen müssen, ist das geradezu fahrlässig. Spotify-Vorschläge für neue Musik—du hast DMX gehört, hier hast du ein Album von Will Smith—funktionieren schlicht und einfach nicht. Genauso stellt sich die Frage, wann du das letzte Mal einen neuen Künstler über YouTube kennengelernt hast, der dir nicht von einem Freund oder einem Blog empfohlen wurde.

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Soundcloud hat zu Beginn des Jahres 60 Millionen Dollar eingenommen und möchte Deals mit Majorlabels aushandeln, was einen großen Zuwachs an Musik für den, unstrittig besseren, Anbieter bedeuten würde. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Majors es dieses Mal nicht verpassen, auf den Zug aufzuspringen.

Viele Künstler schlagen sich immer noch mit den großen Labels rum, denn wenn diese es mal hinbekommen, dann funktioniert es. Beyoncés visuelles Spektakel—das, wenn auch innovativ, nie riskant war, weil es, naja, halt Beyoncé ist—hat eindrucksvoll demonstriert, was man mit dem Budget eines großen Labels im Rücken so alles machen kann. Das Album verkaufte sich so schnell wie kein anderes in der Geschichte von iTunes und zeigte wie Majors für die Art von Künstler, für die aufwändige Produktionen, aufwändige Touren und intensives Marketing wichtig sind, weiterhin ihren Zweck erfüllen. Niemand behauptet hier, dass Olly Murs besser bei Ninja Tune aufgehoben wäre.

Es gibt aber eine wachsende Gruppe an Künstlern, vor allem in den Bereichen HipHop, Elektro und Indie (was ironischerweise immer noch so genannt wird), die nach und nach der Meinung sind, dass sie bei einem Independent-Label erfolgreicher wären, als bei einem Major.

Die Präzedenzfälle haben AM von den Arctic Monkeys und Adeles 21 geliefert, ein Album, das gleichermaßen von meiner Großmutter geliebt, wie auch von meinem Mitbewohner totgespielt wird, dessen Freundin ihn erst vor Kurzem verlassen hat. 21 ist das vierterfolgreichste Album der britischen Geschichte. Es hat Adele einen festen Platz in der Musikgeschichte eingebracht und das Bankkonto des Indielabels XL innerhalb von 12 Monaten von 3 auf 32 Millionen Pfund aufgestockt.

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Wie der Guardian 2011 herausstellte, war das Vertrauen von XL Recordings in Adele ein wichtiger Punkt für ihren Erfolg.

Ihr wurde die Freiheit gegeben, sich selbst auszusuchen, mit wem sie arbeiten will, welche Lieder als Single veröffentlicht werden sollten und sie hatte auch ein Mitspracherecht dabei, wie ihre Alben vermarktet werden sollen. XL vertraute ihr dabei sogar, so vermeintlich schädigende Entscheidungen zu treffen, wie nicht bei Musikfestivals aufzutreten. Wenngleich Adele zu Beginn Probleme hatte, aus der Masse herauszustehen, war ihre Entscheidung, einen Vertrag mit XL zu unterschreiben, wahrscheinlich die Entscheidung, die ihr dabei half, sich als glaubwürdige Künstlerin zu etablieren. Es muss wohl nicht gesagt werden, dass man sie wahrscheinlich nie in einem Fernsehstudio rumturnen und über Cola Light singen sehen wird.

Dieses Vertrauen—Künstler so arbeiten zu lassen, wie sie wollen—hat seit dem Erfolg von Adele mehr und mehr Resultate hervorgebracht. London Grammar, die ebenfalls bei einem Independent-Label unter Vertrag sind, haben ihr Debütalbum letztes Jahr herausgebracht und sind damit auf Platz zwei der Charts geklettert—eine Erfolgsgeschichte, die sie mit einem Major-Label nicht für möglich gehalten hätten, da es ihnen dort nicht möglich gewesen wäre, ihrem Songwriting über eine lange Zeit den nötigen Feinschliff zu verpassen. Jazz Summers, der Mitbegründer der Managementfirma der Band, hat ebenfalls gesagt, dass die Tatsache, dass sie nicht bei einem Major-Label unterschrieben haben, geholfen hat, ihre internationale Reputation zu verbessern—und ihnen die Zeit gegeben hat, auf natürliche Weise eine Anhängerschaft aufzubauen. Die Band hat in diversen europäischen Ländern die Charts erobert und sowohl in Deutschland als auch in Australien, Belgien und Frankreich die Top-Ten erobert. Auch ihre Herangehensweise war erheblich anders, als die bei einem Major-Label—das Album gibt es nicht bei Spotify, aber sie haben ein paar Veröffentlichungen auf ihrer Soundcloud-Seite.

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Ich habe mit David Dollimore gesprochen, Geschäftsführer von Ministry Of Sound, und ihn gefragt in welche Richtung sich die Musikindustrie seiner Meinung nach verändert.

Noisey: Viele der großen Platten aus den letzten paar Jahren sind auf Indielabels erschienen (Adele, Arctic Monkeys, London Grammar, Radiohead). Inwiefern verlagern sich die Kräfte zwischen Major- und Indielabels im Moment?
David: Independent-Labels können viel schneller reagieren als Majors—man kann das mit einem Schnellboot und einem riesigen Tanker vergleichen, bei dem letzterer ewig braucht um den Kurs zu ändern. Künstler haben plötzlich kapiert, dass einen GROSSEN Deal mit einem Major-Label abzuschließen nicht immer bedeutet, dass du immer „oberste Priorität“ hast. Du hast ein maßgeschneidertes Team an Leuten, das dein Projekt steuert. Druck wird auch bei einem Indie-Label dabei sein, aber zumindest bist du dort nicht Teil einer großen Liste an Künstlern, die alle um die Aufmerksamkeit des Labels konkurrieren.

Inwiefern war dein Ansatz bei London Grammar ein anderer als der eines Majors?
Wir haben das richtige Team um sie zusammengestellt und dem Projekt dann—und das war am wichtigsten—Zeit gegeben und eng mit ihnen an ihrer Entwicklung gearbeitet. Den meisten Künstlern ist nicht klar, wer sie sind oder was ihr Sound ist, wenn sie einen Plattendeal unterschreiben—das braucht Zeit, sich zu entfalten, und besonders London Grammar haben wir den notwendigen Freiraum gegeben, sich zu entwickeln. Ministry kann neuen Künstlern eine „À la Carte“-Liste an Optionen und Raum zur Entwicklung anbieten, wir sind nicht wie andere Labels.

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Eine Menge Künstler auf Majorlabels sind mit der Art, wie sie behandelt wurden, unglücklich. Wann muss ein Label einschreiten und einem Künstler sagen, dass das, was sie tun, falsch ist?
Du musst sowohl Vertrauen als auch gegenseitigen Respekt zwischen dem Label und den Künstlern aufbauen. Wenn eins davon fehlt, wie soll das Projekt dann funktionieren? Ministry versucht sein bestes, um seine Künstler ehrlich zu beraten und ihnen dann größtmögliche Unterstützung zukommen zu lassen. Ich glaube, wir bekommen die Balance richtig hin. Ja, es ist fast unausweichlich, dass es irgendwann Unstimmigkeiten geben wird, aber das ist Teil des Weges, den man zusammen geht. Wir wollen, dass der Künstler eine Stimme hat und etwas zu sagen hat!

Wie wichtig ist Soundcloud?
Wir benutzen Soundcloud als eine Art Mittel zur Entdeckung unserer neuen Künstler und Singles. Wir erlauben ihnen, bearbeitete Versionen einiger ihrer Tracks für die Promotion und zur Entdeckung dort einzustellen. Soundcloud ist ein Problem, es ist ein kostenloser Streaming-Service und niemand sieht Geld davon! Aber wir glauben auch nicht, dass diese Songs als Alternative zum Kaufen oder Hören bei rechtmäßigen Anbietern wie iTunes dienen.

Es sind nicht nur London Grammar, die großen Erfolg bei einem Independent-Label haben. Andere Künstler vertrauen auf einen Ansatz, von dem sowohl der Künstler hinsichtlich der Präsentation als auch das Label hinsichtlich der Verkäufe profitiert—Route 94, der eine riesige Anzahl an Soundcloud-Followern hat, hat mit einer Single, die bei Rinse FM veröffentlicht wurde, einen Nummer-Eins-Hit gelandet. Kiesza, Mr Probz und SecondCity haben wir bereits erwähnt. Der Independent-Sektor wurde durch eine Reihe jüngerer Erfolgsgeschichten gestärkt und die Künstler haben bewiesen—mehr als an jedem anderen Punkt in der Geschichte—dass sie nicht nur verstehen, was ihre Fanbase will, sondern dass sie immer mehr in der Lage sind, das selbst zu liefern.

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Indem sie Platten zurückhalten, versuchen, die Marketing-Ästhetik der Künstler zu kontrollieren und ihre Musik nicht an den richtigen Orten platzieren, bringen Major-Labels die wechselhafte Zielgruppe oft dazu, dass diese das Interesse an ihren Künstlern verliert. Künstler haben früher bei einem Indielabel unterschrieben, wenn sie cool sein wollten und bei einem Major, wenn sie Geld machen wollten. Aber in den letzten Jahren wurde das auf den Kopf gestellt und es gibt eine neue Generation an Künstlern, für die Integrität, Unabhängigkeit und ein gesunder Kontostand sich nicht ausschließen müssen.

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