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You Need to Hear This

Glaubt uns, es gibt auch guten Folk!

Mumford & Sons, Of Monster and Men, The Lumineers—alle stehen für unerträgliche, einfältige Radiomusik, die sich neuerdings als Folk ausgibt. Aber es gibt auch guten Folk.

Israel Nash, Foto: Tim Underwood

Du kriegt eine Krise, wenn Mumford & Sons im Radio laufen? Der Hype um die Mighty Oaks hängt dir schon jetzt zum Hals raus? Mehr als verständlich. Und ärgerlich, denn solche Bands sind auf dem besten Weg, den Ruf des Folk zu ruinieren. Doch es gibt Hoffnung.

Möchte man im Jahr 2014 Folk für sich entdecken, heißt das noch lange nicht, die Back-Kataloge namhafter Musiker oder Musikerinnen durchstöbern zu müssen. Auch Papas Plattensammlung kann verschont bleiben. Mit anderen Worten: Die Platten Bob Dylans, Joni Mitchells, Nick Drakes oder meinetwegen auch die von Simon & Garfunkel müssen nicht wieder rausgekramt werden. In den letzten fünf bis zehn Jahren haben sich nämlich etliche Künstler—meist amerikanische und britische—hervorgetan, die eindrucksvoll beweisen, dass der „echte“ Folk immer noch lebt.

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Wichtig zu verstehen ist: Folk geht musikalisch nicht nach vorne—oder zumindest nur ganz, ganz selten. Folk ist musikalisch nicht unbedingt catchy, schon gar nicht hip. (Vorausgesetzt, dass hip nicht von Hippie abgeleitet wird.) Warum soll man sich bitteschön mit so einer Musik abgeben?

Weil so was wie Catchiness kein Kriterium für guten Folk ist, ganz einfach. Mumford & Sons und andere Übertäter haben zuletzt keine Mühen gescheut, radiotauglich zu sein. Und was ist dabei rausgekommen? Überzüchteter Gitarre-Banjo-Mandoline-Pauke-Brei, kurz: Après Ski-Folk. Dabei gibt es viele aktuelle und gute Beispiele dafür, dass Folk viel mehr ist.

So haben sich beispielsweise die Fleet Foxes aus Seattle mit nur zwei LPs bereits eine breite Fanbase im Folk-Sektor erarbeitet. Das vielleicht markanteste Markenzeichen der Band um Mastermind Robin Pecknold: Sonnige Midtempo-Songs, angereichert mit komplexem, mehrstimmigem Gesang, mit dem die 5er-Truppe quasi auf der Welle der Beach Boys weiterreitet. Dabei gelang es den Fleet Foxes, mit den einfachen Mitteln des Folk sogar einen Hit zu landen („White Winter Hymnal“). Ein Hit, der musikalisch so gestrickt war, dass er sich dem Hörer nicht billig anbiederte.

Auch der Ex-Drummer der Fleet Foxes hat unter dem Namen J. Tillman in nur sieben Jahren sieben puristische Folk-Platten veröffentlicht, will heißen: Als er sich von seinem Schlagzeug erhob und seine weiche, hauchige Stimme auf akustische Gitarre traf, war die Sache schon geritzt. Tillman schien sich jedoch selbst anzuöden, schnitt sich Haare und Bart ab, kreiierte ein Alter Ego namens Father John Misty und reicherte die Songs auf Fear Fun, eine der besten Folkplatten 2012, nicht zu knapp mit Pop-, Rock- und Country-Elementen an.

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Zwei weitere, die durch ihren Ausstieg aus dem Mumford & Sons-Umfeld von vornherein sympathisch wirken, sind Laura Marling (Marcus Mumfords Ex-Freundin) und Johnny Flynn, beide Briten. Sie brachte bislang vier LPs raus, er drei. Die preisgekrönte Laura Marling, dessen Gesang dem Joni Mitchells streckenweise ähnelt, steht für großes Storytelling—einer der wichtigsten Faktoren im Folk, der auch in anderen Genres mehr Gehör finden sollte—bestes Beispiel der Titeltrack ihres letzten Albums („Once I Was An Eagle“). Johnny Flynn überzeugt seinerseits mit einem engelsgleichen Bariton und Blues- und Reggae-Anleihen in manchen seiner Songs. Für sein zweites Album Been Listening nahmen Laura und er—ganz in der Tradition Bob Dylans und Joan Baez'—ein klassisches Folk-Duett auf.

Neuester Trend im Folk-Sektor: Neo-Hippies à la Israel Nash oder Jonathan Wilson, beide US-Amerikaner. Wilsons zweites Album Fanfare, Ende 2013 erschienen, wurde von der Fachpresse einstimmig als ein frühes Meisterwerk gefeiert. Nachvollziehbar schließlich kommt die Platte einer abwechslungsreichen musikalischen Zeitreise gleich, welche das Referenzspektrum des Folk erheblich ausweitet: Die Songs oszillieren zwischen den Harmonien der Beatles, der Psychedelik Pink Floyds, dem Country-Rock Neil Youngs und der „On the road“-Aura eines Jackson Browne- oder Tom Petty-Songs. Und es ist genauso gut, wie es in deinen Ohren gerade klingt.

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Es lohnt sich, dem Traditionsbewusstsein des „echten“ Folk zu vertrauen, sich auf dieses einzulassen. Denn so lässt sich ein Kapitel Musikgeschichte unmittelbar erfahren: Im Folk wird die Grenze zwischen dem Damals und dem Heute aufgehoben. Legt man also im stillen Kämmerlein die Platten der hier genannten Folk-Musiker auf, blüht einem das gleiche wie Marty McFly: Die Musik beginnt, man reist in die Geschichte. Irgendwann ist die Platte vorbei, man reist zurück in die Zukunft. Denn im guten, „echten“ Folk sind—mal mehr, mal weniger modifiziert—auch heute noch die gleichen musikalischen Werte und Muster präsent wie vor 50 Jahren. Und das ist kein Zufall: Folk-Musikern ist die musikalische Vergangenheit heilig. Genau das ist vielleicht das gewisse etwas dieser Musik—das Überzeitliche des Folk. Klar, für so eine Musikerfahrung ist eine Prise Nostalgie, ein Hauch Geschichtsbewusstsein und natürlich auch Ruhe erforderlich, aber das sollte doch kein Problem sein. Wie gesagt, es lohnt sich!

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