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Eine kurze Schweigeminute für HipHop, bitte

Rap ist nicht Autotune, Pop oder Trap, Rap ist „Früher war alles besser“.

Ihr seht das also wie folgt: Rap ist, wenn Samy Deluxe und Toni-L zusammen in der Cypher flexen. Rap ist „Grüne Brille“ und „Reimemonster“. Oder wenn Torch einen grünen Adler mit einem goldenen Pass drauf in die Kamera hält, oder so. Each one, teach one. Rap ist nicht Autotune, Rap sollte nicht zu poppig sein (guten Pop gibt es ja eh nicht) und der ganze neumodische Mist ist eine Vergewaltigung eurer heißgeliebten Musik. Rap ist diese Zeit, als ihr auf eurem Bett davon geträumt habt, aufs Splash! zu fahren und die türkischen Jugendlichen aus der Nachbarschule noch Ginuwine und Toni Braxton gefeiert haben. Und diese Zeit war gut, das lasst ihr euch jetzt nicht kaputt machen von irgendwelchen dahergekommenen Menschen, die auch noch jünger sind als ihr. Denn Rap ist bei euch irgendwie auch „Früher war alles besser“ und „Die Kids (sic!) von heute wissen gar nicht mehr, was Rap ist“. Vor allem aber wird man bei euch Rap-Nostalgikern ein ganz bestimmtes Gefühl nicht los: Rap ist für euch offensichtlich vor allem: Stillstand. Hauptsache nichts verändert sich. Vollkommen in Ordnung, wenn ihr das so seht und euch gemütlich euren D'Artagnan-Bart kraulen wollt, während ihr Absolute Beginner hört (aber nur Flashnizm und Bambule, dann wurde es zu kommerziell), dann tut das. Das ist ja auch ganz wunderbare Musik. Niemand wird euch aufhalten (nur die Weibaz).

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Aber behauptet doch nicht, das Stillstand und das krampfhafte Festhalten an alten und zu ihrer Zeit auch vollkommen berechtigten Idealen irgendetwas mit HipHop oder Musik an sich zu tun haben. Niemand zwingt euch, mit drei Litern Hustensaft im Kopf Cloud-Rapper wie Yung Hurn zu pumpen, während ihr gefälschte Versace-Bandanas unter der Fischermütze tragt. Ihr habt eh andere Hobbys. Ihr regt euch lieber auf, weil Zugezogen Maskulin es gewagt haben, euer Super-Duper-Lieblingslied „Füchse“ neu zu vertonen. Ihr meckert, weil Trap eigentlich Techno ist und sowas hat auf dem Festival-Zeltplatz eures Vertrauens nichts zu suchen. Ihr rümpft die Nase, weil die 187 Strassenbande in Wirklichkeit vielleicht gar keine Mafia-Paten sind. Behaupten sie zwar auch nicht, aber bei diesem Gangster-Zeug macht ihr ja eh keine Unterschiede. Ist doch alles das Gleiche. Denn Rap ist für euch auch ganz bestimmt nicht, wenn jemand „Isch“ statt „Ich“ sagt. Dann kichert ihr nämlich. Rap sollte sowieso eher von so privilegierten Mittelstand-Dudes gemacht und gehört werden. Weil so Typen oder Weiber, die nicht mal richtig Deutsch können, das ist einfach nur Niveaulos. Und diese Azzlack-Texte, die versteht man ja nicht mal. Und ihr merkt bei all dem Schaum vor dem Mund überhaupt nicht, dass ihr irgendwie genauso klingt wie mein Musiklehrer, als ich 1995 ein Rödelheim Hartreim Projekt-Album mit in die Schule brachte. Nur die Begriffe haben sich etwas verschoben. Der Ton ist der Gleiche.

Nur damals waren es die uncoolen Erwachsenen, die haben eh nichts gepeilt und ihr hattet den Dreh raus. Heute seid ihr diese Erwachsenen, ohne es zu realisieren. Aber das ist nicht alles. Zusätzlich assestiert ihr, mit mildem Lächeln, auch noch jedem Künstler Dummheit, der sich nicht so ausdrückt, wie ihr es in euren Kreisen gewohnt seid. Das hat auch gar nichts mit Sprache als Mittel der Distinktion zu tun. Nein, nein. Dagegen wehrt ihr euch entschieden. Es hat natürlich auch nichts mit einem merkwürdig verschobenen Rassismus zu tun, wenn ihr alles was nach Straße oder Migrationshintergrund klingt, ablehnt, aber von Public Enemy über Jeru the Damaja bis Ice-T alles abfeiert was aus der schwarzen Kultur Amerikas so rüber kam. Die sind nämlich wirklich krass. Das ist „realer“ Gangsta-Rap. Und wir alle wissen: Vor allem soll Rap nicht von so Pseudo-Gangstern verballhornt werden. Weil im deutschsprachigen Raum gibt es ja eh keine Ghettos. Ist ja alles quatsch, hier hat jeder die gleichen Chancen und niemand muss hungern. Ihr lauft zwar trotzdem ungern nachts durch Frankfurts Bahnhofsviertel oder Berlin-Moabit, aber ihr habt gehört, in Südafrika ist es noch schlimmer. Das sind richtige Ghettos. Fraglich, ob das in den vergammelten und vergessenen Hochhaussiedlungen dieses Landes irgendwen interessiert. Ihr aber wisst das. Ihr habt darüber gelesen und euer Studienkollege war auch schon mal da, im Rahmen eines Hilfsprojekts.

Ich höre es bereits vor meinem geistigen Ohr: „Das hat einfach nur was mit guter oder schlechter Musik zu tun, das ist alles.“ Das sind so Dinge, die ihr sagen werdet. Aber genau darum geht es: Es wird Zeit einzusehen dass das nicht stimmt. Das hat viel mehr was damit zu tun, dass ihr damals einfach zum ersten Mal nach 22 Uhr bei den Klassenkameraden abhängen durftet, alles voll cool war und ihr—wenn ihr Glück hattet—sogar mal Körperflüssigkeiten zu dieser Musik ausgetauscht habt. Ob durch Geschlechtsverkehr oder die Restspucke am Bong-Rand sei jetzt mal dahin gestellt. Und jetzt kommen seit Jahren diese Leute, die gar nicht reden wie ihr und nehmen euch eure schöne Freundeskreis-Mucke weg. Skandal, dafür habt ihr damals kein Backspin-Monatsabo gehabt oder im Jugendclub legale Graffitis mit den Sozialarbeitern gesprüht! Eine kurze Schweigeminute für HipHop, bitte. Und jetzt, wo wir alle mitbekommen haben, wie schön ihr jammern könnt und wir alle gemeinsam getrauert haben, heißt es: Schnauze halten! Ihr bestimmt nicht, was gut oder schlecht, real oder unreal ist und es würde sich durchaus lohnen, sich auf neue Stile und Movements einzulassen. Das einem vieles nicht gefällt, liegt in der Natur der Sache. Aber man sollte sich darauf einlassen, wenn man HipHop doch angeblich so sehr liebt, statt einfach alles abzulehnen, was keinen Joghurt im Rucksack trägt und eurer bildungsbürgerlichen, studentischen Sicht auf Rap nicht entspricht. Denn ab und zu lohnt es sich. Realtalk!