FYI.

This story is over 5 years old.

dj

Eine ganze Generation von DJs hat mehr Ahnung von Marketing als von Musik

Wenn manche Leute nur so viel Zeit mit Logic wie mit Photoshop verbringen würden ...
Kjetil Korslien

Es ist der Traum eines jeden Schlafzimmer-DJs: Wenn er zum ersten Mal das neu erworbene Equipment in den Laptop einstöpselt, sieht er vor seinem geistigen Auge tausende Menschen, die sich tanzend und schwitzend der Musik hingeben. Wenn er dann aber die Augen wieder öffnet, sieht er nur die von den Postern seiner Lieblingskünstler bedeckte Wand—und sein versifftes Zimmer. Was muss der Schlafzimmer-DJ jetzt also tun, um seinen Tagtraum irgendwann mal wahr werden zu lassen?

Anzeige

Viele entscheiden sich dazu, die ganze Sache über Marketing und Social Media anstatt über die Musik ins Rollen zu bringen und befolgen folgende einfachen Schritte. Auf den ersten Blick scheinen diese sie vielleicht näher in Richtung Star-Olymp zu bringen, doch am Ende entfernen sie sich weiter denn je von ihm.

Schritt 1: Erfinde einen Bühnennamen und werde Model

Die unbändige Kreativität der neuen DJ-Generation verwundert mich immer wieder—jedenfalls, was ihre Design-Fähigkeiten angeht. Sagen wir, ein junger DJ entscheidet sich für den Namen „A5tro", dann wird er alles in seiner Macht dafür tun, dass das nicht bloß ein Name sondern auch eine Marke wird. Viele junge Menschen lernen heutzutage schon früh, wie man Grafiken, Logos und Banner erstellt—und was sie optisch alles tun können, um den Anschein zu erwecken, dass sie über mehr Fans verfügen, als sie eigentlich haben (ich habe keine Ahnung davon, weil mir im College nie beigebracht wurde, Photoshop derartig zu benutzen). Sie überreden ihre Eltern, ihnen ein professionelles Fotoshooting zu bezahlen und verbreiten die retuschierten Hochglanzbilder dann wahllos auf allen Social-Media Kanälen.

Schritt 2: Werde Social-Media Experte

Neue DJs erstellen sich Profile bei Facebook, Twitter, SoundCloud, YouTube, Instagram, Snapchat und was es sonst noch so alles gibt. Es gibt momentan nicht gerade wenige unter ihnen, die für Facebook-Kampagnen gutes Geld ausgeben, damit sie einem Millionenpublikum bekannt werden—auch wenn sie bis jetzt nur vor Menschenmengen im zweistelligen Bereich gespielt haben. Jeder kann Facebook dafür bezahlen, dass die Posts in viele Teile der Welt verbreitet werden, aber plötzlich haben DJs, die keine Sau kennt, 60.000 Likes. Wenn jemand aus der Industrie auf so einen stößt, fragt sich diese Person natürlich: „Was habe ich verpasst? Warum kenne ich den nicht?"

Anzeige

Schritt 3: Werde, was auch immer du willst—nur nicht das, was du eigentlich bist

Eine der größten Schwächen des globalen DJ-Geschäftes ist der, dass alle Anwärter etwas sein wollen, was sie eigentlich nicht sind. Nehmen wir doch mal unseren guten Freund A5tro. Sollte er Mexikaner sein, dann wird er wohl kaum erwähnen, dass er eigentlich aus Mexiko stammt. Schließlich sind die meisten Top DJs entweder Holländer, Schweden, Franzosen oder Kanadier. Viele DJs, die nicht aus diesen Ländern stammen, glauben, dass es für sie von Vorteil ist, eher zu verheimlichen, woher sie eigentlich kommen. Aber warum?

A5tro wird eine Lawine von Tweets und Facebook-Updates lostreten—natürlich alle auf Englisch. Es kann schon eine gute Idee sein, zwei Versionen von einigen Informationen zur Hand zur haben—dazu gehört zum Beispiel die Biografie auf der Facebook- oder SoundCloud-Seite. Wenn der täglicher Feed aber voll mit englischen Tweets ist und jemand diese Sprache noch nicht mal richtig beherrscht, dann ist das schon ziemlich peinlich.

Als Journalist sehe ich es als unerlässlich an, den Menschen um mich herum meine Sicht der Dinge zu zeigen. Wenn ich aber in einer Sprache schreibe, die viele in meinem Land nicht verstehen, dann stellt sich doch schon die Frage, wen ich damit eigentlich informieren bzw. erreichen will. Wir geben uns viel Mühe zu verstehen, was DJs aus anderen Ländern eigentlich so treiben, weil wir ihre Musik unglaublich gut finden—in der Regel sind die aber genau so daran interessiert, was hier (oder überall) passiert. Tiësto wird jetzt natürlich nicht unbedingt Spanisch lernen, um sein mexikanisches Publikum besser verstehen zu können, aber ihm wird ein Künstler, der im eigenen Land geliebt und verehrt wird, eher auffallen, als irgendein komischer Vogel, der so tut, als wäre er Holländer [oder ein Holländer, der so tut, als wäre er Spanier].

Anzeige

Schritt 4: Keine Zeit für eigene Musikproduktionen verschwenden

Viele DJs träumen davon, auf den großen Festivals und in den angesagten Clubs der Welt zu spielen. Wenn sie diesem Privileg dann nahe kommen, wollen sie natürlich auch damit angeben—zum Beispiel mit dem Posten von Bildern aus der ersten Klasse im Flugzeug mit dem Zusatz, „Next gig: Miami!" Natürlich sind die meisten von ihnen nicht auf dem Weg zu einem Headliner-Gig, sondern spielen das Warm-Up vor einem Publikum, das sich zu 99% nicht für ihre Tracks interessiert—insofern sie denn überhaupt welche haben.

Viele Möchtegern-DJs sind nämlich zu faul, um sich die paar Stunden, die es eben braucht, in ein Studio zu setzen und selber zu versuchen, etwas Musik zu fabrizieren.

Stattdessen posten sie dann ein paar Bilder aus einem gemieteten Aufnahmestudio mit der Beschreibung „Cooking some surprises"—auch wenn es diese Überraschungen am Ende nie auf den Esstisch schaffen werden. Das ist ein Social Media-Trend, der EDM-Teenager jeglicher Art befallen hat. Der Durst danach, in Privatjets in die großen Metropolen dieser Welt zu reisen, mit den anderen Superstar-DJs einen zu heben und immer mehr Selfies mit Promis hochzuladen, ist größer als der Durst, seine eigenen Gefühle in einem Song auszudrücken.

Die schlechte Nachricht für solche Menschen lautet allerdings: Ohne eigene Musik wird das mit dem Ruhm und Promistatus nie was werden.

Anzeige

Jedes auch nur halbwegs ernstzunehmende Plattenlabel oder jeder auch nur halbwegs ernstzunehmende Veranstalter hält nach Künstlern Ausschau, zu denen Menschen eine Bezug aufbauen können; nach Künstlern, die Menschen mit ihrer Musik bewegen—egal ob EDM, Techno, House, Jungle oder Trop-House. Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin keinen kreativen Output hat, wird er oder sie ein Opening-DJ für andere DJs bleiben—und immer nur die Musik anderer Leute spielen.

Jetzt sagst du vielleicht, „Hey, aber die ganzen DJs beim Ultra spielen auch nur die Musik anderer Leute." Da stimme ich dir zu: Jeder spielt gerne die Musik anderer Leute, aber es gibt immer auch dieses Momente in Sets, in denen DJs ihre eigenen Remixe oder Tracks präsentieren. David Guetta mag vieles sein, aber er schafft es immerhin, die Leute eine Stunde lang seine Songs mitsingen und mitklatschen zu lassen. Richie Hawtin wiederum legt stundenlang in den Clubs von Ibiza auf, weil Menschen seine Sets hören wollen. Niemand im Publikum schert sich um seinen Instagram-Feed—man weiß viel mehr zu schätzen, dass er ständig auf der Suche nach der besten Musik für seine Fans ist.

Als aufstrebender DJ musst du aufhören, dich zu sehr vom Marketing leiten zu lassen. Vergiss nicht, dass der altbackene Spruch „Qualität statt Quantität" auch auf DJs zutrifft. Strebe nicht sofort eine große, globale Fanbase an. Wenn dein Nachbar 100.000 Facebook Likes hat, du ihn aber von Montag bis Sonntag bei sich zu Hause sitzen siehst und er zwischendurch vielleicht mal auf den Partys von ein paar Kumpels spielt, dann weißt du auch ziemlich schnell, wie viele Fans er wirklich hat.

Wenn sich die Leute so viel mit Logic, FL Studio und Konsorten auseinandersetzen würden, wie sie das mit Photoshop, Twitter oder Facebook tun, dann würden viel mehr Bedroom-DJs zu echten Stars werden. Du willst doch auch, dass deine Fähigkeiten als DJ ernstgenommen werden und nicht deine Skills als Designer oder im Marketing. Überlasse das den professionellen Marketing- und Designmenschen—konzentriere dich derweil auf die Musik.

**

Folgt THUMP auf Facebook und Twitter.