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Ein feministischer Lobgesang auf Kendrick Lamars Schwanz

Wollen wir nicht alle die Welt 72 Stunden lang ficken?

Ab einen bestimmten Zeitpunkt im Leben eines jeden Mädchens, wird sie erfahren, dass ihre Rolle in der Gesellschaft stark vom körperlichen Ausdruck ihrer Weiblichkeit geprägt sein wird. Im Alter von 12 oder 13 lernen wir ziemlich plötzlich, dass wir in unserer eigenen Sexualität gefangen sind. Die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Gefangenschaft fühlen sich meist wie ein harter Judokick an, der uns mitten ins Gesicht trifft. Jede Frau verarbeitet das auf ihre eigene Weise. Aber irgendwann entdecken die meisten von uns das große F, den Feminismus. Hin und her gerissen zwischen Verwirrung und einem wohlig warmen Gefühl, entdecken wir gemeinsam unsere Geschichte—die man eigentlich auch schon vor ungefähr zwei Jahrtausenden hätte erzählen können.

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Aber dann gibt es da noch dieses widerliche Element des Feminismus, das dich dazu veranlasst, all deine Bikini Bill Platten verbrennen zu wollen, oder dich zumindest schuldig und verstörend zu fühlen, weil du auch nur im Entferntesten irgendetwas, das ein bisschen mit „Girl Power“ zusammen hängt, gut findest. Die herablassende Haltung gegenüber Männern ist einfach ekelhaft, schon allein deswegen, weil Männer einfach super sind.

Das einzige Problem an der ganzen Sache ist dieses Machogehabe. Kein anderes Genre der Musik wird hinsichtlich dieser Machonummer so stark angegriffen wie HipHop. Und auch wenn einige Kritikpunkte gerechtfertigt sein mögen, so verfehlt man doch auch da, immer mal wieder den (eigentlich Streit-) Punkt.

Um des Feminismus Willens, werde ich euch hier im Folgenden eine feministische Kritik von Kendrick Lamars „Backseat Freestyle“ geben. Ich bin nicht gerade ein Experte in Sachen Feminismus, eigentlich nur eine Frau, die für ein paar Jahre am Randes dieses Lagers verweilte. Zudem bin ich auch nicht gerade ein Profi im HipHop, lediglich ein selbsternannter n00b, wenn man die immense Geschichte und die reiche kulturelle Komponente dieses Genres bedenkt.

Aber als ich dann diesen Typen rappen hörte, der wünschte, sein Schwanz wäre so groß wie der Eiffelturm, da dachte ich nur daran, was wohl Frauen dazu nur sagen würden – Also hier:

Eine Akademische Analyse zu Kendrick Lamars Song über seinen Schwanz, versetzt mit feministischen Randbemerkungen.

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Martin had a dream, Martin had a dream/ Kendrick have a dream.

Zuerst sollten wir uns dem Aspekt nähern, dass es Herr Lamar ganz offensichtlich mit seinem anfänglichen Freestyle schafft, eine Anspielung auf den großen Martin Luther King Jr. zu ziehen. Feminismus ist ja bekannt für seine Einmischungen und Forderungen in andere Minderheits-Gruppen. Wenn’s um Sklaverei / Rassismus / Rekonstruktion geht, was wahrscheinlich die größte Anhäufung von Mist ist, und Feministen ganz offensichtlich wütend über so was sind, so kann man die dann mit diesem MLK-Bezug absolut für sich gewinnen.
Falls Du es vergessen haben solltest, King wollte ein Land, das gegen ein dem Untergang geweihten und auf einer desillusioniert Existenz basierenden wirtschaftlichen System ausgerichtet war, und in dem sich niemand von verblödeten rassistischen Idealen unterworfen fühlen sollte. Es gibt sicher nur wenige andere Dinge, die MLK besser gefallen würden, als die Idee, dass ein Typ aus Compton in den Vordergrund gelangt, indem er sein gesprochenes Wort, seine hervorragende Sprachtechnik und seine künstlerischen Fähigkeiten dazu benutzt, seine Story zu erzählen. Die Geschichte zeigt uns, das MLK wahrscheinlich ziemlich einverstanden damit wäre. Nicht nur weil Kendrick sich die Freiheit nimmt, über etwas sehr triviales wie seinen Schwanz zu rappen, sondern vielmehr, weil er es über dieses Medium, das Rappen, macht. Klar war auch MLK ein tragendes Mitglied des Aufreißerclubs, also wenn du dich jetzt über diese Tatsache aufregen willst, dann denk einfach daran wie oft er, nachdem er eine seiner eleganten Reden geschwungen hat, irgendein Mädchen flachgelegt hat. Tut mir echt leid, dir den glamourösen MLK-Traum ruiniert zu haben, aber das ist nun mal die Wahrheit. Bis zu diesem Punkt sollten alle Feministinnen noch einverstanden sein. Denn wenn es etwas gibt, für was sich Feministen so richtig stark machen, dann ist es doch vor allem das Recht der Gleichberechtigung. Die, die für alle unterdrückten Gruppen kämpft, sich von der Untergrabung, von sittenstrengen, veralteten moralischen Regeln der Gesellschaft, die einer offenen sexuellen Diskussion im Wege steht, emanzipieren.

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All my life I want money and power/ Respect my mind or die from lead showers.

Mhhh, das klingt fast so als sei es aus einem feministischen Handbuch entnommen, oder? „Money and Power“ klar, das klingt ein bisschen blasiert, aber wenn man daran denkt, dass eine Frau eigentlich oft gegen dieses gesellschaftliche Konzept, welches sie ausgrenzen will, ankämpfen muss, erscheint es dennoch plausibel. Geld bedeutet finanzielle Absicherung und Macht steht für ihre gesellschaftliche Position. Man muss sich als „Stimme“ etablieren und das wiederum sichert ihr zu, dass sie von anderen gehört wird. Ihr kultureller Kreis stabilisiert sie, und zwar so sehr, dass sie es schafft, Reichtum, finanziele wie körperlich, als Macht auszubauen. Macht bedeutet, dass Leute auf dich hören. Macht bedeutet das Gegenteil von Versklavung oder Gefangenschaft. Macht bedeutet Freiheit und gibt dir eine Plattform zum Sprechen. Kendrick wollte Macht und durch seine Kunst (Rappen) fängt er auch an, welche zu bekommen. Aber damit nicht genug, Lamar verlangt vor allem auch, dass wir seine Meinung respektieren. Oder sterben. Noch verlangt er von uns nicht, dass wir sein Geld oder seine Macht respektieren, da – gerade in diesem Song, bei dem er wortwörtlich von dem Rücksitz aus dem Auto eines Freundes freestylt – er sich das ja noch gar nicht verdient hat. Stattdessen will er einfach nur, dass wir seine Absicht, seinen Willen, den Schlüssel zu seinem künftigen Erfolg, respektieren sollen.

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Respekt für den Intellekt, die geistige Gesinnung aufzubringen, der sich gegen die Objektivierung des Körperlichen, jeglichen Besitzes und der äußerlichen Werte hinwegsetzt, ist ja ein äußerst feministischer Grundsatz. Ich denke nicht, dass ich das noch jemanden erklären muss.

Auch wenn er dann später einige Körperteile (seinen Schwanz!) anspricht, müssen wir uns daran erinnern, dass das in einem hyperbolisch-metaphorischen Rahmen eingebettet ist. Im Gegensatz dazu ist die Forderung, seinen Geist zu huldigen eine ziemlich einfache, ja schon fast peinlich formulierte transparente Darlegung seiner Wünsche.

I pray my dick get big as the Eiffel Tower/ So I can fuck the world for 72 hours. Yeah, das ist die große Line. Auf diesen Abschnitt werden mindestens zwei verschiedene feministische Denkansätze folgen. Zum einen gibt es da die Ansicht jener, die wir in Fachkreisen „Die eingeschnappten/frigiden Feministinnen“ nennen, die davon überzeugt sind, dass alles, was mit einem Penis zu tun hat, ihre Fähigkeit, um ihre feministische Ader ausdrücken zu können, erheblich beeinträchtigt. Jede lyrische Propagierung mit der expliziten Verwendung des Wortes ‚Penis’, oder gar Schwanz (ooops, wie schlimm) führt ihrer Meinung dazu, das diese Art von Kunst, und jeden dem das gefällt, in einen weltuntergangsähnlichen Zustand versetzt wird.

Dann gibt es aber noch die anderen Feministinnen, die lassen sich zwar in immer kleiner werdende Zweige unterteilen, aber die überwiegende Mehrheit dieser Gruppen findet das alles eigentlich völlig okay. Die sehen absolut kein Problem, auch nicht wenn Frauen in Verbindung mit Typen, deren Schwänzen und der Kunst, die das alles miteinander verbindet, zusammen gebracht werden.

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Allerdings ist die Art, wie Kendrick das rüberbringt ähnlich wie die zweideutige Anspielung bei ‘Ye and Jay's „Niggas in Paris“. Die Gebetsform der Line scheint sich auf die unsinnigen Träume von pubertierenden Jungs lustig zu machen, die eigentlich an nichts anderes denken, als die Größe ihres Schwanzes, was für sie ja die Antwort auf alles ist. Irgendwie hat mich die Argumentation ein bisschen beeinflusst, denn obwohl ich diesen Song unglaublich gern gehört habe, habe ich mich dennoch ein bisschen schlecht gefühlt weil ich diese Hookline unbedingt laut mitgrölen wollte.

Das kann man doch nachvollziehen, oder? Als ob es kein Mädchen gibt, was nicht ab und zu daran denkt wirklich gut beim Sex zu sein oder sich richtig sexy zu fühlen. Ja, das ist korrekt, wir reden hier wirklich über Sex als Metapher. Sexuelle Macht ist gleichzusetzen mit dem großen Wunsch, es im Leben zu etwas gebracht zu haben. Im Grunde geht man hier gegen das Unmögliche vor und verweist auf Chancen, die Leute, die in Compton (Kendrick) aufwuchsen, oder Frauen, die sich an der kulturellen Grenze zwischen Sexsymbolen und Müttersein befinden, nutzen können.

Also mal ganz ehrlich, was ist denn bitteschön eine noch ironischere Gegenüberstellung zu Kendricks Schwanz, als diesen mit einem europäischen Machtsymbol einer der stolzesten Kulturen zu vergleichen und damit das Tabuthema seiner Compton-Erektion gebührend Ausdruck zu verleihen!?

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Wie könnte jemand, egal ob Mann oder Frau, der vorgibt an die Gleichheit aller Menschen und Geschlechter zu glauben, ein so eklatantes Statement nicht unterstützen? Immerhin rebelliert er mit dieser Zeile gegen die bürgerliche und bedeutungslose Darstellung von kultureller Überlegenheit durch den Eifelturm!

Was den Wunsch, einen großen Schwanz zu haben, anbelangt, da teilen sich meiner Meinung nach die Feministinnen wieder in zwei unterschiedliche Lager.

Da gibt es wieder mal die einen, die das als große Verunsicherung und all sowas wahrnehmen und dann gibt es da noch die anderen, die der Sache mit gemischten Gefühlen gegenübertreten. Die gehen da ganz kategorisch vor: (a) Es gibt viel wichtigere als das. / Männer sind blöd!, (b) die Vorstellung eines großen Schwanzes kann mich ziemlich fertig machen und schließlich (c) es gibt sicher auch einige, die das Ganze auf die weibliche Äquivalent umwälzen wollen, und sich dann vorstellen, wie es sich mit dem Wunsch nach großen Brüsten oder in Sachen Schlankheitswahn verhält.

Fühlen sich denn Frauen wirklich angegriffen, wenn Typen über ihren Wunsch, einen Schwanz zu haben, der so groß wie das größte französische Denkmal ist, zu rappen? Ich kann mir sowas einfach nicht vorstellen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich diesen Vergleich schon mal von einem Mädchen bei einem Brunch 2011 gehört habe. Also lange bevor Kendrick daran gedacht haben könnte.
Das sagt noch lange nichts darüber, dass der Song auch ein paar richtig sexistische Sachen enthält. Ich denke nachdem ich den Song nun ca. 208 mal gehört habe, tut er das wahrscheinlich schon.

„Und genau das macht der ganze Rest des Rapgenres und deswegen sollten wir ihn doch boykottieren, oder?“ So oder so ähnlich klingt die Aufforderung vieler Feministinnen. Ich kann das hier nicht für alle beantworten, aber ich denke es gibt uns mehr Macht, wenn wir Möglichkeiten finden, diese Themen auch für uns beanspruchen zu können, oder? Mmh, irgendwie so, wie ich das mit diesem Essay hier versucht habe.

Ist es möglich, dass eine Frau aus einem schwanzbeladenen Song ihre eigenen Schlüsse zieht und den Song auch für sich selbst beanspruchen kann? Ich glaube das habe ist soeben passiert!