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Interviews

Ein Interview mit dem größten Festival-Crasher der Welt

Marcus Haney hat sich Zugang zu fast jedem Festival auf der Welt verschafft, war mit Bands auf Tour und hat jetzt einen Film darüber gemacht.
Ryan Bassil
London, GB

Marcus Haney hat noch nie Eintritt für ein Festival bezahlt. Er macht Repliken von Einlassbändchen, schleicht sich an der Security vorbei und geht dann selbstbewusst auf das Festivalgelände. Sicher, manchmal fliegt er wieder raus, aber meistens endet er auf der Hauptbühne, hängt mit Bands rum und hält seine Erlebnisse mit der Kamera fest.

Über einen Zeitraum von vier Jahren war Marcus bei fast fünfzig Festivals auf der ganzen Welt. Auf seinem Weg hat er sich mit Bands wie Mumford & Sons angefreundet, sich unter den Toilettenwagen eines Festivals festgeklammert und wurde von dem Typen, der das Coachella veranstaltet, bedroht. Das Ganze ist allerdings nicht sein Job—er filmt für HBO und macht Musikvideos. Aber irgendwie hat er, neben dem Trampen durch die USA und seinem Dasein als einer der gefragtesten Fotografen der Musikwelt, auch noch die Zeit gefunden, seine vierjährige Festivalerfahrung in einer Dokumentation festzuhalten.

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Der Film heißt No Cameras Allowed und den Trailer kannst du dir oben ansehen. Marcus sagte mir, es sei wichtig anzumerken, dass der Trailer geleaked wurde—der Film wurde unter Praktikanten herumgereicht, Chris Martin von Coldplay gezeigt (von dem er hofft, dass er ihn wiederum Michael Eavis zeigt)—und deshalb nicht repräsentativ für das finale Produkt ist. Er sagt mir, dass im Abspann des Trailers ein paar Namen fehlen, die eine Erwähnung verdienen—am bekanntesten davon sind The Naked and Famous, mit denen er sich vor ein paar Jahren angefreundet hat und die Songs für den Soundtrack zur Verfügung gestellt haben.

Ich habe Marcus gestern Abend angerufen, um mehr über den Film, über sein Leben herauszufinden und darüber, ob er sich dafür entschieden hat, die Universität zu beenden oder mit einer weltbekannten Band auf Tour zu gehen.

Noisey: Wie fing das alles an? Was war das erste Festival, zu dem du dir unerlaubt Zugang verschafft hast?
Marcus: Das war das Coachella 2010. Das war auch das erste Festival, auf dem ich jemals war.

Hast du jemals Eintritt für ein Festival bezahlt?
Bis jetzt habe ich noch nie bezahlt, nein. Es war einfach so, dass das Coachella wirklich nah war und wir schon monatelang darüber gesprochen hatten—außerdem war dieses Mädchen aus der Schule dort, das ich wirklich mochte.

Es fing also alles mit einem Mädchen an; der Klassiker. Als du aufs Coachella gegangen bist, hattest du da drinnen irgendjemanden, der dir geholfen hat, oder musstest du dich alleine reinschleichen?
Ich bin zusammen mit meinem Freund Adam dort hin. Wir hatten kein Geld für Sprit und haben diesen Typen namens Acid Chris über Craigslist getroffen, der uns geholfen hat, Sprit für unser Auto zu beschaffen. Wir haben uns Freitagmorgen um 4 Uhr reingeschlichen, alle komplett in Schwarz, sind über den Zaun gesprungen und haben unter den Anhängern und mobilen Klos geschlafen, bis das Festival mittags losging.

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Im Trailer zum Film sieht man euch dabei, wie ihr gefälschte Pässe druckt und Einlassbändchen nachmacht. Welche Techniken hast du benutzt, um auf die Festivals zu kommen?
Wir haben alles gemacht. Alles von über den Zaun springen und falsche Einlassbänder machen bis uns als Security, Künstler oder Presse ausgeben oder durch Einfahrten für LKWs rennen und unter Zäunen durchkriechen.

Was hat am meisten Spaß gemacht?
Immer das, wo du rennen und springen musst—das ist zwar die altmodische Variante, aber wenn dir jemand auf den Fersen ist und du durch ein Meer von Menschen rennst, dann ist das wie eine rasante Verfolgungsjagd, allerdings mit Zuschauern, die dich anfeuern.

Ich habe einmal eine Story über einen Typen gelesen, der sich beim Glastonbury reingeschlichen hat—er hat drei Tage gebraucht, um über den Zaun zu kommen.
Beim Glastonbury kommt es immer zu den verrücktesten Geschichten, da es das am besten bewachte Festival ist. Es ist das Kronjuwel unter den Musikfestivals. Als ich es geschafft habe, mich reinzuschleichen, hatte ich wirklich Glück—ich bin zur richtigen Zeit durch die LKW-Einfahrt gegangen, als die Security gerade mit anderen Leuten zu tun hatte, die sich ebenfalls reinmogeln wollten.

Glück gehabt.
Selbst wenn du mit dem Headliner unterwegs bist, ist es schwierig. Letztes Jahr, als Mumford & Sons Headliner waren, mussten wir jemanden hineinschmuggeln. Wir haben ihn auf dem Boden des Busses von Mumford versteckt und sie haben ihn trotzdem fast geschnappt.

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Das Beste, was ich je gehört habe, ist, dass jemand mit einem Drachen auf das Gelände geflogen ist. Es ist allerdings ziemlich riskant, aus den USA nach Europa zum Glastonbury zu fliegen, ohne ein Ticket dafür zu haben… Wie kam es dazu?
Ich machte einen Job für HBO—beim Stierrennen in Spanien. Der ging vier Tage und ich habe meine Reise dann verlängert. Ich bin rumgereist, habe auf Sofas gepennt und bin getrampt. Durchs Trampen habe ich einen Typen namens Grim Grim getroffen, den man auch im Trailer sieht.

Ist das der Typ, der sagt: „Wenn du jemals die Chance hast, jemanden wie Marcus zu treffen und er die absurdeste, irrationalste, unmöglichste und unlogischste Idee hat—mach es“?
Ja—Grim Grim ist ein spezieller Typ. Er hat mich mitgenommen, als ich zum Glastonbury getrampt bin; wir sind in Kontakt geblieben und seitdem ist er Teil meiner Abenteuer auf der ganzen Welt. Ich habe das Albumcover für Mumford and Sons fotografiert und wenn du genau hinsiehst, siehst du ihn auf dem Cover im Hintergrund.

Das ist großartig. Im Trailer konnte ich das Bonnaroo, Glastonbury und Coachella erkennen. Auf welchen Festivals warst du?
In den Film haben es das Coachella, Bonnaroo, Glastonbury, Ultra und die Railroad Revival Tour geschafft—was meine erste Tour war. Aber der Abspann gefällt mir am besten, dort schleiche ich mich bei den Grammys rein.

Wie zur Hölle bist du in die Grammys reingekommen?!!
Es war schwer. Du musst die Gelegenheit genau abpassen, um an der Security vorbeizukommen, an den Scannern, Metall-Detektoren, bis zu dem Bereich, wo die ganzen Nominierten sitzen. Die Mumford-Jungs saßen dort. Ich habe ihnen nicht erzählt, dass ich mich reinmogeln werde—ich bin in einem Anzug aus dem Second-Hand-Laden dort aufgekreuzt—und sie sind ausgeflippt. Sie haben mich bei ihnen sitzen lassen. Es war verrückt und ziemlich surreal.

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Wo wir schon davon sprechen—wie hast du Mumford & Songs eigentlich kennengelernt?
Das war nach dem Coachella. Ich hatte mich reingeschlichen, einige Bands fotografiert, die ich mochte, und einen kurzen Film mit dem Titel Connaroo gemacht, in dem es darum geht, sich beim Coachella und Bonnaroo reinzuschmuggeln. Ich habe den Film bei einer ihrer Shows einem Roadie gegeben—weil die Band da drin zu sehen ist—und sagte: „Hey, wenn du es magst, gib es doch der Band. Wenn nicht, schmeiß es weg.“ Ich hätte nie gedacht, dass er es sich überhaupt anschaut, aber das hat er getan. Er gab es der Band. Die Band gab es dem Manager. Der Manager gab es Edward Sharpe. Edward Sharpe hat es sich angesehen und sie haben mich zusammen zur Tour eingeladen.

Die einzige Sache war, dass diese Tour mit dem Zug zur selben Zeit wie meine Abschlussprüfungen an der Uni war. Ich musste mich zwischen meinem Abschluss und der Zug-Tour entscheiden.

Du hast dich für den Zug entschieden. Was war dein Fach?
Filmproduktion. Ich habe den Abschluss immer noch nicht.

Im Trailer sieht man auch, wie du bei einem Festival rausgeschmissen wirst. In was für Situationen warst du schon, in denen Leute dich rauswerfen wollten, und wie bist du damit umgegangen?
Du wirst sehr oft rausgeworfen. So lange du dein Shirt auf links ziehst und verschiedene Methoden nutzt, ist es aber in Ordnung. Am schlimmsten war es 2010 beim Bonnaroo. Ich wurde am Sonntag rausgeworfen, sie haben mich mit einem Wagen für Farm-Equipment und Heuballen vom Gelände gefahren und mich ungefähr sieben Kilometer entfernt mitten im Nichts abgesetzt und sind abgehauen.

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Aber das war das Schlimmste. Ich bekam zwar schon Handschellen verpasst, aber wurde nie verhaftet.

Nachdem du es aufs Coachella geschafft hast, was hat dich dazu angespornt, dich auf andere Festivalgelände zu schleichen? Die Tatsache, dass du umsonst rein konntest?
Zum einen hat mich das Coachella total gepackt. Ich hatte so eine großartige Zeit dort. Also eine wirklich, wirklich großartige Zeit. Ich habe meine Fotos vom Coachella bei Facebook hochgeladen und eine gemeinsame Freundin, die beim Bonnaroo Praktikum gemacht hat, sah sie. Sie hat sie ihrem Boss gezeigt, sie haben ihm sehr gefallen und er hat sich bei mir gemeldet.

Richtig.
Er hat im Prinzip gesagt: „Wir mögen dieses Foto von Jay Z. Macht es dir was aus, wenn wir es für Promozwecke nutzen oder so?“ Ich antwortete ihm: „Nein! Das ist so cool! Macht das!“ Sie sagten, dass sie mir nichts dafür bezahlen, mir aber zwei Pässe zum Bonnaroo geben könnten. Ich habe einen davon verkauft und davon den Flug bezahlt. Leider war der Pass kein Pressepass, sodass ich keine Kamera mit reinnehmen durfte. Ich habe ihn dann nicht benutzt und habe mich stattdessen reingeschlichen.

Kommt daher auch der Name des Films—No Cameras Allowed?
Den Satz hört man sehr oft: Bei Konzerten, am Rand der Bühne, überall darf man nicht fotografieren.

Im Trailer sprichst du auch über moralische Fragen bei dieser Sache. Fühlst du dich jemals schlecht? Oder denkst du dir: „Scheiß drauf, ich gehe umsonst zu Festivals. Das ist super“? Ich persönlich halte das für keine schlimme Sache—es gehen sowieso genug Leute zu diesen Festivals, die bezahlen.
Das erste, was ich denke, ist, ich tue niemandem weh. Stehle ich irgendwas? Stehle ich ein Ticket oder beraube ich das Coachella der Möglichkeit, Geld zu verdienen? Nein, das Coachella ist sowieso ausverkauft. Und dann frage ich mich, gibt es einen Weg, wie ich das drehen kann und das Gefühl habe, der ganzen Sache zu helfen?

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Im Trailer sieht es so aus, als gehe es um einen Typen, der sich auf Festivals schleicht, aber eigentlich ist es eine Geschichte über das Erwachsenwerden, die in der Welt der Musik spielt. Es ist in gewisser Weise eine Liebeserklärung an diese Festivals. Und er zeigt sie in so einem großartigen Licht und mein Ziel ist, dass die Leute meinen Film sehen und dann selbst Livemusik erleben wollen. Du kannst das Erlebnis von Livemusik nicht durch einen Film wiedergeben.

OK. Letzte Frage—was ist dein Lieblingsfestival?
Glastonbury.

Gute Antwort.
Die Amerikaner gehen aufs Coachella und denken es ist der glücklichste und schönste Ort der Welt. Aber wenn du jemals die Chance hast und etwas wirklich Besonderes erleben willst, dann musst du zum Glastonbury fahren. Du kannst acht Tage dort bleiben, wenn du willst, und die Zeit deines Lebens haben; so verrückt ist das. Die Leute verstehen das nicht—wenn du zum Coachella gehst, dann kannst du nichts anderes tun, als dich vor eine Bühne stellen. Glastonbury hingegen ist ein verdammtes Alice im Wunderland…

Ich bezeichne es gerne als Disneyland für Erwachsene.
Alter, es ist wahnsinnig. Ich will nichts tun, was das, was sie machen, gefährdet; ich will sie feiern. Gottseidank gibt es die Eavis-Familie.

Danke Marcus.

Alle Fotos in diesem Artikel stammen von Marcus. Ihr könnt euch all seine Arbeiten hier ansehen.

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