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Die zerbombte Gedankenlandschaft auf Burials neuer EP

Mit der neuen EP schlägt Burial bisher unbekannte Wege in seiner Diskographie und seiner (und deiner) Gedankenlandschaft ein.

Hyperdub wird am Montag Rival Dealer veröffentlichen—eine in drei Tracks unterteilte EP des schwer greifbaren Post-Rave-Produzenten Burial, den höchstens noch die deutsche Wikipedia als Dubstep-Musiker bezeichnet. So wie schon seine vergangenen Veröffentlichungen überwindet Rival Dealer das Konzept einer EP als Aneinanderreihung separater Tracks auf einem Tonträger und erhebt die Form zu einem visionären künstlerischen Statement.

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Wenn Leute über die Musik von Burial reden, kommen sie nicht um inzwischen eingefahrene Metaphern und Deutungsmuster herum. Und auch wenn ich den Fakt einer Endlosrille an ewig gleichen Interpretationen von Burials Musik anerkenne, so bleibt es schwierig aus den etablierten Schemen beim Schreiben über seine Musik hinauszukommen.

Jede neue Veröffentlichung von Burial bedeutet gleichermaßen neue aufregende Musik, wie die unvermeidlichen Spekulationen über seine Künstleridentität. Der Kult um den Musiker, über den kaum mehr Informationen als sein bürgerlicher Name existieren, erinnert an die Anonymität eines Thomas Pynchon. Nach dem großen Erfolg seines ersten Romans schottet sich der postmoderne Schriftsteller von der Öffentlichkeit ab und befeuerte so einen anonymisierten Personenkult, der den Leser dazu zwingt, das Werk für sich selbst sprechen zu lassen. Und wie Pynchon, so ist auch Burial ein Genie in dem Medium seiner Wahl. Das ist nicht ganz unwesentlich, denn wenn die Arbeiten einfach nur durchschnittlich wären, dann würden sie auch ohne das Ausbleiben ablenkender Deutungen der Künstlerpersönlichkeit (schwere Kindheit und weiteres für den Sound unwesentliches) niemanden interessieren.

Burial arbeitet auch mit einer umgekehrten Verschleierungstaktik wie der mysteriöse Autor B. Traven, Verfasser von Das Totenschiff und Der Schatz der Sierra Madre. Traven wurde schon für vieles gehalten: anarchistischer Herausgeber, deutscher Prinz, Schauspieler, Journalist, Fotograf und vieles mehr.

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Anders als der radikaler Schriftsteller und Globetrotter zieht Burial dagegen kaum konkrete Ideen auf sich, die erklären sollen, wer er denn eigentlich wirklich ist. Seine DJ-Sets lässt er von seinem Label-Chef Kode9 erledigen, den du für gutes Geld buchen kannst, damit er Burial-Sets spielt. Kaum jemand kann sich vermutlich vorstellen, was er tut, wenn er nicht gerade Musik produziert. Außer vielleicht R'n'B-Schnulzen hören und Metal Gear Solid daddeln, um Samples für seine Tracks zu finden. Die Motivation hinter der Erschaffung anonymisierter R'n'B-Zombie-Welten durch radikale Stimmenverfremdung, scheint dagegen schon wieder unerklärlich bzw. noch besser: unwichtig.

Alles, was wir sicher sagen können, ist, dass Burial wie sein anonymisiertes Alias klingt. Alles darüber hinaus ist Spekulation.

Burial-Fans sprechen häufig davon, dass seine Musik die Stimmung verlassener Lagerhallen und die Atmosphäre fallender Regentropfen auf menschenleere Straßen oder Bahnhöfe zusammenbringt. Aber über diese alltäglichen Assoziationen hinaus beschwört sein Sound eine simulierte Form von Psychogeographie herauf—ein Ort wo entgrenzte Gedanken auf geographische Räumlichkeiten treffen. Die Orte existieren nicht wirklich, aber du kannst sie trotzdem hören. Der Klang von künstlichem Raum.

Und dann wird diese Simulation in einem magischen Prozess plötzlich Realität, wenn du Burial in einem Bahnhof auf deinen Kopfhörern hörst. Oder wenn du in der Hoffnung auf Regen durch verlassene Straßen wanderst, damit du der Atmosphäre der Platte zumindest für einen Moment näher kommst.

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Rival Dealer hat all die bewährte Simulations-Sehnsucht. Im Titeltrack vermischt Burial Jungle, Garage und Ambient stärker als je zuvor und der futuristische Klang früher Jungle- und Drum’n’Bass-Tunes pulsiert durch den gesamten Track. Aber wie zu erwarten bietet Burial auch abrupte Wechsel und so bricht der Track nach zwei Drittel Laufzeit zusammen, nur um sich für eine verwandelte wunderschöne Klanglandschaft wieder aufzubauen.

Im letzten Part wird es Burial-typsich wieder stürmischer; ein gepitchtes, fast außerirdisches Vocalsample, sich ausbreitende Ambient-Felder, die flackern und die Dunkelheit erhellen. Auf diesem Track wird Burial so cineastisch wie noch nie zuvor, fordert M83 heraus und überholt ihn sogleich, während die gesampelte Stimme in femininen Tönen wiederholt: „Come down to us.“

Auf „Hiders“ versucht sich Burial mit Ambient-R'n'B, bevor er einen flüchtigen Blick darauf zulässt, wie der Track hätte klingen können, wenn er New Wave machen würde. Nach diesem Energieschub kommt Burial zurück zum Cyberpunk und beschwört Blade Runner herauf, umdann in den abschliessenden Track „Come Down To Us“ überzugehen. Hier hörst du eine Person sagen „Excuse me, I'm lost“.

Es gab schon immer eine Art hymnischen Unterton in Burials Musik. Etwas halbwegs Spirituelles—ein Mantra trifft es wohl am besten. Elektronisch gesehen schließt „Come Down To Us“ die Lücke zwischen dem musikalischen Osten und etwas, das beinah wie eine aktuelle John Taveners-Komposition klingt. So ein Move könnte in den falschen Händen nach hinten losgehen, aber Burial beherrscht ihn mühelos, ohne dabei seinen Sound zu verlieren.

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Zum Ende des Tracks lässt Burial ein Vocal-Sample einer transexuellen Person auftauchen, die darüber spricht, liebenswert zu sein und einen Raum zu besitzen, der einen Zugang zu anderen bisher unvorstellbaren Welten hat. Dieser Moment ist gleichermaßen politisch, persönlich und konzeptionell—von einem Künstler erschaffen, der voller Selbstvertrauen ist. Dadurch, dass er den Zuhörer für einen kurzen Moment alleine sinnieren lässt, schafft Burial einen Track—und darüber hinaus eine ganze EP—der neue Wege in seiner Diskographie eröffnet. Es ist sein Statement zu seiner Vision.

Während die Stimme über den Zugang zu Orten, die außerhalb unserer Vorstellbarkeit liegen, spricht, weden wir daran erinnert, dass Burial ein Produzent von Welten im großen Stil ist. Er ist der Schöpfer dieses Raums und er hat den Schlüssel zur Tür. Burial ist ein Zauberkünstler der mentalen Landkarten und von Orten, die Raum und Zeit überschreiten, um in Sciene-Fiction-Welten abzutauchen. Rival Dealer ist der Beweis, dass der Eremit zum Alchemisten geworden ist.

Die Rival Dealer EP erscheint am 16. Dezember bei Hyperdub. Hier könnt ihr sie bestellen.

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