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Die zeitlose Kunst der Pornomusik

Lerne den Typen kennen, dessen Musik du hörst, während du dir einen runterholst.

Pornografie ist heutzutage in den USA, und eigentlich auch in allen anderen Ländern der westlichen Welt, ein fester Bestandteil der Kultur. James Deen, dessen Allgegenwärtigkeit in den Medien ihre entscheidende Wende mit der Hauptrolle in The Canyons erlangt hat, ist so etwas wie der Ron Jeremy dieser Generation – abgesehen von der Tatsache, dass er nicht wie ein unförmiger Troll aussieht. Pornodarstellerin Jessie Andrews hat ihren Lebenslauf um die wesentlich verruchtere Tätigkeit als EDM-DJ erweitert und Sasha Grey… nun ja, sie existiert und sogar deine Mutter weiß, wer sie ist.

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Seiten wie Xvideos, PornHub und YouPorn dominieren mit mehreren hundert Millionen Besuchern jeden Monat die Traffic-Ranglisten des Internets und lassen Seiten wie CNN, SPON und Reddit weit abgeschlagen zurück. Ganz einfach gesagt: Du siehst dir Pornos an und alle, die du kennst, tun das auch.

Selten allerdings nehmen wir diesen einen Aspekt in Pornos zur Kenntnis, der der Branche zufolge die einzelnen Mise en Scène miteinander verbindet: die Musik. Das ist in gewisser Weise auch verständlich: Wer hat schon Zeit, den atmosphärischen Aufbau zu würdigen, wenn immer direkt zum Geschnacksel vorgespult wird? In einer Welt, in der man Fetischpornostückware auf seinem iPhone streamen kann, bevorzugen nur noch die Wenigsten unter uns High-Budget Liebesspiele, die von einem Bow-Chicka-Bow-Wow-Soundtrack begleitet werden, gegenüber einer pixeligen Handyaufnahme einer Bukkakesession in einem Partykeller irgendwo in Iowa.

Aber doch, es gibt sie noch. Komponisten, die richtige Musik für Pornofilme produzieren, Regisseure, die Bedarf dafür haben, Experten, die sie analysieren, und ein Publikum, für das die Musik noch immer einen wichtigen Teil der ganzen Erfahrung ausmacht.

"Bei jedem, der Pornos schaut, ist meine Arbeit wohl das letzte, an das sie dabei denken… Niemand wird jemals sagen, 'Alter, die Musik in dem Porno war wirklich gut! Die hat mir wirklich dabei geholfen, bei dieser Szene zu kommen. Ich habe das richtig gefühlt!’"

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Als James Lynch, Komponist für Pornosoundtracks, mir das erzählt, klingt er gleichermaßen deprimiert und erleichtert. Lynch und ich haben uns an einem erfrischend kühlen Dienstag in Brooklyn getroffen, wo die Band, für die er gerade Tourmanager ist, Night Terrors of 1927, an diesem Abend im Rough Trade NYC als Support spielen wird. Vor der Show sind wir ins Shag gegangen, einem Sexshop in Brooklyn. Während wir mit prüfendem Blick Masturbationsgeräte für Männer beäugeln, die wie Shampoo-Flaschen aussehen, erzählt mir Lynch von der zeitlosen Kunst der Pornomusik.

Großgewachsen, mit kurzgeschnittenen Haaren, tiefliegenden Augen und auffälligen Portät-Tattoos auf seinem Bizeps sieht er aus wie eine Rockstarversion von Michael Shannon. Der 32-jährige spielt sechs Instrumente (inklusive Ukulele) in The Uncluded, einer Band mit seinen Freunden Aesop Rock und Kimya Dawson. Diese und noch ein paar weitere Bands managt er auch von seinem Zuhause in Los Angeles aus. Er ist einer dieser rastlosen Menschen, fast immer auf Tour mit dieser oder jener Band, als Soundtechniker oder Manager – und oft als beides zur gleichen Zeit.

Um seine lange Liste an Tätigkeiten abzurunden, ist er obendrein noch professioneller Komponist für Pornofilmmusik. Er hat in den letzten zehn Jahren die Soundtracks solcher Filme wie Evil Head (einer Parodie von Evil Dead) und Not Another Porn Movie (eine Meta-Parodie, die ihrer Zeit weit voraus war) mit eigenen Songs, Parodien und Instrumentalstücken unterlegt. Wenn man ihm die lange Liste seiner Tätigkeiten vor Augen hält, kann er es selbst nicht ganz glauben.

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"Alleine mich darüber sprechen zu hören, ist verdammt komisch", sagte Lynch in dem ungläubigen, freundlichen Ton, den er unsere Unterhaltung hindurch beibehalten sollte. "Das alles auf einmal zu sehen – weil das ja über mein ganzes Leben verteilt geschehen ist – aber ja, es erinnert mich daran, dass das alles passiert ist."

"Es hat sich irgendwie alles von selbst entwickelt", sagte Lynch über seine Begegnung mit den schlüpfrigen Seiten des Musikschreibens. "Es war nie eine bewusste Entscheidung oder irgendetwas in der Art. Es war so, dass ich ein paar Horrorfilme und ein paar andere kleinere Projekte gemacht hatte und dann plötzlich riefen die mich an, ‚Hey, wir machen gerade einen Porno und wir benutzen schon die Musik, die du für dieses andere Teil gemacht hast. Willst du nicht einfach noch mehr Musik dafür machen?’ Es hat sich einfach ergeben."

Lynch ist so in der Branche gelandet, wie auch die meisten Pornoregisseure, Schreiber und Cutter, die er kennt: Sie haben Indie-Filme produziert und dann eines Tages, haben sie einen Pornofilm produziert. Einige von ihnen haben nie damit aufgehört.

"Es ist schwer, jedes Projekt mit Herzblut zu machen, aber Pornos verschaffen einfach Arbeit", sagte Lynch über die Einstellung der DIY-Filmemacher. "An jedem beliebigem Nachmittag werden in jeder amerikanischen Stadt um die zehn Pornofilme gedreht."

In den frühen 2000ern hat Lynch mit einem Kollektiv namens Troma Entertainment zusammengearbeitet, einer B-Movie Firma aus New York, zu der auch der bekannte Pornodarsteller Tommy Pistol gehörte, wo er zwischendurch als Statist auftrat und für die er viel Musik komponierte. Ein paar Monate nachdem er die Musik für einen DIY-Horrorfilm komponiert hatte, rief ihn einer der Troma-Typen an, um ihm mitzuteilen, dass sie den gleichen Soundtrack für einen Pornofilm verwendet hatten.

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Dieser Film war Re-Penetrator, eine von Burning Angel produzierte Pornoparodie des Films Re-Animator. (Burning Angel ist ein Titan in der Welt des Alternative-Pornos, wo die Darsteller blasser, tätowierter und generell etwas mehr auf dem Boden geblieben zu sein scheinen als in den gängigen Pornofilmen.) Seitdem produziert Lynch regelmäßig für Burning Angel und hat schon alles von aufwändigen, digitalen Orchesterstücken bis hin zu Verwurstungen des berühmten ‚Porno-Grooves’ komponiert, der seine Bekanntheit im goldenen Zeitalter der Pornografie der 1970er erlangt hatte.

Auf den ersten Blick erwecken Musik und Pornographie den Eindruck, eigenartige Bettnachbarn zu sein (oder, wenn du drauf bestehst: merkwürdige Fickfreunde). Warum sollte es dich überhaupt groß kümmern, was bei deinen Ohren ankommt, während du dir einen rubbelst? Aber tatsächlich können Dinge wie Berührung, Geruch und Geschmack – abhängig von deinen Vorlieben – den sexuellen Genuss noch mal verstärken und so eben auch Musik.

Dr. Chauntelle Anne Tibbals, eine Soziologin, Autorin und Pornographie-Expertin sagte, dass die richtige aurale Stimulation für den Genuss anzüglicher Streifen entscheidend sein kann.

"Wie bei jeder Art gefilmter Medien kann Musik jegliche Stimmung, Story oder Ton verstärken, der vermittelt werden soll", so Tibbals. "Sei es eine Romanze, ein epischer Blockbuster oder ein harter Gonzostreifen, Musik kann die Stimmung entscheidend transportieren – oder auch ruinieren. Gerade für einen Titel, der Intimität verstärken möchte, kann die angemessene Musik sehr viel ausmachen. Das gilt allerdings auch für jede andere Art von Film." Lynch ist der weitverbreiteten Ansicht, dass die Musik in Pornofilmen, wie auch bei jedem anderen Soundrack, gehört und nicht gesehen werden sollte.

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"Ich würde es mit dem Mainstreamfilm gleichsetzen", sagte Lynch. "Vielleicht lässt mich das wie einen Arsch klingen, aber wenn der Score gut ist, dann fällt er dir nicht auf. Er ist einfach nur Teil der Atmosphäre, Teil des Films als Ganzes. Wenn er dir aber auffällt, ist er richtig schlecht."

"Ich glaube, die Rolle von Musik in Pornofilmen ist einfach nur die, die Stimmung zu unterstützen und ansonsten unbemerkt zu bleiben. Also mit allem, was du dort siehst, zu verschmelzen – dem Aneinanderklatschen von Fleisch und solchen Sachen."

Die momentane Übersättigung mit Pornographie – die die ganze Bandbreite von privaten Webcam-Aufnahmen aus dem Studentenwohnheim bis hin zu hunderttausend Dollar teuren Drehs in gemieteten Anwesen in den Hollywood Hills umfasst – hat sich tatsächlich als wahrer Segen für die Musiker der Branche erwiesen. Für jedes Amateur-POV-Filmchen aus den Flitterwochen gibt es eine abendfüllende Großproduktion – und während im ersten Fall kein großer Bedarf zur Stimmungsuntermalung besteht, wird dieser im Fall der aufwändigen Großproduktion immer da sein.

"So lange ich in (der Branche) bin, sagen die Leute immer, dass die Zeit der Features vorbei ist", so AVN Senior Editor Peter Warren, der seit 11 Jahren über Pornographie schreibt. "Das Feature ist tot, das Feature ist tot, das Feature ist tot. So lautetet seit eh und je das Mantra. Trotzdem werden haufenweise Features produziert, also muss es auch Menschen geben, die sie sich anschauen. Und natürlich brauchst du auch Musik für einen richtigen Film. Musik ist ein essentielles Element dieser Filme. Du kannst das eine nicht ohne das andere haben."

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Lynch stimmt dem zu und sagt, dass er trotz des vorherrschenden Verlangens des Publikums nach direkter Abrufbarkeit, schrumpfender Budgets und persönlich zugeschnittener Videos zuversichtlich sei, dass es immer ein Publikum geben wird, das mehr will.

"Vielleicht bin ich auch einfach einer von diesen Menschen, die gerne alles durch die rosarote Brille sehen, aber ich denke, dass es da draußen immer noch irgendwo irgendjemanden gibt, der sagt: ‚Ich will eine Sexszene auf Film drehen und ich will, dass es gut ausgeleuchtet ist, ich will, dass die Einstellung gut wird.’", so Lynch in einem Anfall gespielter Empörung, die Mitt Romneys berühmt-berüchtigter 47 Prozent-Rede nicht unähnlich ist. "Ich will wunderschöne Menschen, die gute Arbeit leisten, und ich will gute Musik. Ich will, dass es gut geschnitten wird. Wenn es dann veröffentlicht wird, werden vielleicht zehn Prozent der Leute, die sich das anschauen, das überhaupt zu schätzen wissen. Es ist wahrscheinlich nicht das, was die meisten Menschen wollen, aber mir gefällt allein die Tatsache, dass es sie gibt."

Es waren auch die leidenschaftlichen Unterstützer der Pornofilm-Musik, wer auch immer sie sind, die die AVN Awards, ihres Zeichens die Porno-Oskars, 2009 überzeugten, die Kategorie Best Original Song hinzuzufügen. Bis dahin war jegliche Musik – Originalkompositionen, sowie digitale Aufnahmen – unter der Kategorie Best Music zusammengefasst worden. Das bedeutete, dass Lynch, der 2008 für seine Arbeit für Not Another Porn Movie nominiert war, gegen einen Film verlor, der einen Teil aus Eddie Van Halens Oeuvres verwendete.

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"Ich bin mir nicht sicher, ob Eddie Van Halen überhaupt wusste, dass er für einen Award nominiert worden war", sagte Lynch. "Sie haben sich einfach die Rechte für irgendeinen verdammten Eddie Van Halen-Song besorgt. Es ist jetzt nicht so, dass er den Score für den Film geschrieben hat, sie haben einfach nur seinen Song rein gepackt und einen Award dafür eingeheimst. Ich weiß gar nicht, ob er das mitbekommen hat, aber ich werde das nicht so schnell vergessen!"

Während sich Lynch über die Verwendung von existierender Musik auslässt, muss man sagen, dass diese Praxis schon immer ein Mittel des improvisierten Stils pornographischer Filme war. Sogar in den goldenen Zeiten der 1970er, als Erwachsenenfilme auf 35mm gedreht wurden und Porno-Regisseure als Autoren angesehen wurden, wurde die Musik benutzt, um Pornographie möglichst mainstreamfähig zu machen.

"Es gab diesen Versuch, das Genre in gewisser Weise dadurch zu legitimieren, dass Produzenten Dinge hinzufügten, die sie als elegant erachteten", so Dr. Joseph Slade, ein Dozent für Medienwissenschaften an der Ohio University. "Ich kann mich jetzt nicht an die genauen Titel erinnern, aber ich erinnere mich daran, Filme gesehen zu haben, in denen klassische Musik verwendet wurde. Zum Teil aus dem Grund, dass es dafür keine Urheberrechte gab, und zum Teil, weil es die Filme anspruchsvoller aussehen ließ."

"Es war eine Art, um dem, was ansonsten reiner Geschlechtsverkehr war, etwas Romantik beizufügen."

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Eigens angefertigte Scores waren immer noch rar gesät und beschränkten sich auf die Branchengrößen wie Regisseur Gerard Damiano ( Deep Throat) und Schauspieler/Regisseur Jon Leslie ( Talk Dirty To Me). Die große Mehrheit entschied sich für das, was heutzutage unter dem Begriff ‚Porno-Groove’ bekannt ist – diesem Sound mit reichlich Wah-Wah-Pedal und Bow-Chicka-Bow-Wow, was selber ein Derivat beliebter Funkmusik aus der Zeit war.

Mit der zunehmenden Verbreitung digitaler Aufnahmetechnik in den folgenden Dekaden, begannen die Filme, Musik anhand der Thematiken auszuwählen. Mit der Aufspaltung in verschiedene Sub-Genres multiplizierte sich auch die Variation der von ihnen verwendeten Musik.

Seine Tätigkeit hat Lynch auch einige unvergessliche Erinnerungen beschert, von denen die meisten mit dem Komponieren von Musik zu tun haben, während Menschen vor der Kamera, nun ja, es miteinander treiben.

Mitte der 2000er lebte Lynch zusammen mit dem Kultrapper P.O.S. in Minneapolis. Burning Angel hatte gerade die Dreharbeiten zu Joanna’s Guide 2 Humping fertiggestellt, einer Parodie von Dangerous Minds, und Lynch entschied sich, in dem kühnen Vorhaben der Weird Al Yankovic der Pornomusik zu werden und für den Film eine Parodie von Coolios berühmten "Gangsta’s Paradies" zu schreiben.

"Wir haben eine versaute Version von "Gangsta’s Paradise" gemacht", sagte Lynch, strahlte dabei so etwas wie Stolz aus, "und wir haben den ganzen Text zu fürchterlichen Pornosachen umgedichtet."

Die Lyrics quellen wirklich über vor fürchterlichen Pornosachen und so gut wie keine Zeile kommt ohne eindeutige Anspielungen auf Geschlechtsverkehr aus.

"Ich musste alle Lyrics (in P.O.S.’s Studio) aufnehmen und dann Joanna (Angel, Pornostar und Kopf von Burning Angel) dazu bringen, Sachen wie ‚Anus’ und ‚Penis’ zu reimen. Ich war mit ihr im Studio und gab ihr Tipps wie, ‚Sag einfach Pay-Nus!!’ Mir erschien das alles total einfach. Deswegen mache ich so etwas ja auch."

Am Ende, so Lynch, sind Pornos einfach nur Indiefilmproduktionen. Es ist harte Arbeit, aber du willst es auch nicht zu ernst nehmen.

"Ich gebe mir dabei wirklich Mühe", sagte Lynch, "(aber) ich bekomme auch einen Kick. Ich finde nicht, dass es jetzt irgendjemanden total umhauen muss, aber ich will, dass sie darüber lachen – so in der Art von, ‚Du hast die Lyrics dafür geschrieben? Du hast das aufgenommen? Du hast damit deine Zeit verbracht?’"

"Es ist mehr so, ‚Hey, schau dir diesen bekloppten Kram an, den ich gemacht habe!‘"

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