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Die Wiederauferstehung der Lauryn Hill

Wir haben mit Ms. Hill während ihrer Haft gesprochen. Jetzt, wo sie wieder frei ist, ist sie wohl stärker als je zuvor.

[Anmerkung der Redaktion: Die Zitate in diesem Artikel stammen aus einem Telefongespräch, das VICE im Oktober 2013 mit Ms. Hill geführt hat, um sich über die Notlage der Frauen, mit denen sie inhaftiert war, zu informieren. Das Gespräch wurde zu Protokollzwecken aufgezeichnet.]

Letzte Woche, bevor sie ein Konzert im Boston House of Blues spielte, besuchte Lauryn Hill das Haley House, eine gemeinnützige Einrichtung im Stadtteil Roxbury, die sich auf die Integration von ehemaligen Häftlingen in die Gesellschaft spezialisiert. Roxbury, bekannt für seine afrikanisch-muslimische und haitische Bevölkerung, ist das Zuhause von Menschen, die abfällig als „Fugees“ oder „Refugees“ bezeichnet werden—wahrscheinlich noch viel länger als Lauryn Hill so genannt wird. Man könnte sagen, dass es eine Willkommen-Zuhause-Party für die Mehrfach-Platin-Künstlerin war, bei der Tausende Hardcore-Fans ihre Twitter-Timeline nicht aus den Augen ließen, um herauszufinden, wann sie genau ankommen würde.

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Eine Schlange formierte sich um den ganzen Block vor dem kleinen Cafe Haley’s. Einige der Wartenden trugen Tattoos von Lauryns Gesicht auf dem Körper. Es war ihr erster Besuch in Boston, seit sie ihre Haft im Federal Correctional Institute of Danbury, Connecticut, einem Gefängnis mit niedriger Sicherheitsstufe nur für Frauen, antreten musste.

Die Stimmung war angespannt—die Crew hinter der Theke merkte an, dass sie erst in letzter Minute von dem Zusammentreffen erfahren habe. Etwa 40 Menschen zwängten sich in einen Raum, der vielleicht für ein Dutzend Platz hatte und warteten auf Ms. Hill. Als sie ankam, durchströmte den Raum eine Welle der Energie. Mit baumelnden Ohrringen aus Gold, die zu ihrem goldenen Halsband passten, einem Anzug komplett aus Jeans und einem schräg auf dem Kopf sitzenden Filzhut, ließ Ms. Hill die Veränderungen in ihrem Leben so easy wie möglich aussehen.

Als ich zum ersten Mal mit Ms. Hill sprach, war sie noch im FCI Danbury inhaftiert. Sie hatte vor, ein Projekt ins Leben zu rufen, das die Ungerechtigkeiten im Industriekomplex des Gefängnisses aufdecken und auf die massiven Diskrepanzen zwischen den Strafen von Männern und Frauen aufmerksam machen sollte.

Ms. Hill erklärte mir, wie sehr ihre Geschichte denen der anderen „Wirtschaftskriminellen“ glich, die mit ihr zusammen inhaftiert waren:

„Als Kind war mir nicht klar, dass die Fähigkeit, einen Hit zu schreiben, eine seltene Gabe ist. Ich dachte einfach, dass das jeder könnte, es wirkte so natürlich. Und die Frauen, die ich hier kennengelernt habe, haben zum Beispiel die Fähigkeit, Muster an der Börse zu erkennen. Manche Männer haben das erkannt und sie ausgenutzt“, sagte sie. „Bei den Geschichten, die ich hier höre, denke ich mir ‚Oh mein Gott, da sind Mädchen in ihren Zwanzigern, die lebenslänglich für Drogenmissbrauch bekommen.‘“ Sie erzählte weiter: „Viele dieser Frauen hier in Danbury kommen aus schlechten Verhältnissen, aber streben auf ihre Art und Weise nach Erfolg. Ihr brillanter Verstand ist in anderen Dingen vielleicht unterentwickelt, aber dieser brillante Verstand wird nicht ruhen.“

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Wenn jemand wegen eines Wirtschaftsverbrechens verurteilt wird, lautet die Faustregel, dass die Strafe härter wird, je mehr finanzieller Schaden entstanden ist. Laut Hill waren die Frauen, die sie im FCI Danbury getroffen hat, oft der Sündenbock eines Vergehens, bei dem opportunistische Männer involviert waren, von denen viele ungestraft davonkamen. „Es geht um die Auswirkungen auf das echte Leben, über die Kriminalisierung von Drogenabhängigkeit, die Kriminalisierung von psychischen Erkrankungen, sogar die Kriminalisierung von Missbrauchsopfern,“ sagte sie. „Ich meine, wirklich? Du siehst nicht, dass diese Person ganz offensichtlich ein Opfer ist?“

Während sie sich damit zurückhielt, zu sagen, dass der Strafvollzug rassistisch oder sexistisch sei, nannte sie ihn „exzessiv abgeklärt“, bezogen darauf, wie dort Benachteiligte, Missbrauchte und Arme auf unfaire Weise kriminalisiert werden.

Das FCI Danbury wies meine Anfrage ab, die Verhältnisse der dort inhaftierten Frauen zu dokumentieren, die oft aus schlechteren Verhältnissen kommen und dort unter schlimmeren Zuständen hausen als ihre männlichen Zeitgenossen. Ms. Hill selbst verfasste trotzdem noch eine handschriftliche Anfrage, die von ihrem Management gescannt und mir geschickt wurde. Es war ein Akt der Güte und Hingabe für soziale Gerechtigkeit, die man selten bei einer Prominenten findet, besonders bei jemandem, der so viel Kratzbürstigkeit nachgesagt wird wie Ms. Hill.

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Das letzte Jahrzehnt von Lauryn Hills Karriere wurde leider von Gerüchten über ihr persönliches Verhalten dominiert. In seiner Rezension ihres MTV Unplugged-Albums hat Robert Hilburn, Kritiker bei der New York Times, Worte wie „verstört“ benutzt. „Sie war schon immer eine Perfektionistin und ein Star“, sagt Toningenieur Gordon Williams (auch als Comissioner Gordon bekannt). „Sie war bereits ein Star, bevor sie ihren Durchbruch hatte, seit dem ersten Tag im Studio hat sie die Aufmerksamkeit auf sich gezogen.“

Man bekommt den Eindruck, dass das ihr nachgesagte „fordernde“ Verhalten von vielen ihrer männlichen Kollegen, deren Style sie offensichtlich geprägt hat, akzeptiert werden würde—wie bei, sagen wir, Kanye West. Selbst von Musikfans habe ich eklige, ganz klar geschlechtsspezifische Sachen gehört wie „sie ist verrückt“, „sie ist herrisch“ oder „sie ist irrational.“ Trotz ihrer Popularität und ihres Einflusses—Drake hat ihr noch letztes Wochenende bei seinem Auftritt beim OVO-Fest Bühnenzeit überlassen—haben sich viele skeptisch über Ms. Hills mögliche Rückkehr in die Musikindustrie geäußert. Aber wenn du sie fragst, ist sie nicht verrückt, sondern nur echt.

„Ich schwatze nicht oder quatsche blöd rum“, erzählt sie mir. „Ich reagiere sehr instinktiv und ich kann Bullshit meilenweit riechen. So was kann ich echt nicht leiden.“

Abgesehen von ihren Live-Auftritten im Fernsehen ist Lauryn Hill nicht besonders präsent in den Medien. Sie gibt keine Interviews. Ihren letzten kurzen, öffentlichen Auftritt hatte sie vor vier Jahren im öffentlichen Radio. Während unserer Unterhaltung hat sie sich darauf konzentriert, über ihr Doku-Projekt zu sprechen und war nicht sonderlich daran interessiert, über sich selbst zu sprechen.

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Nachdem sie die Fugees verlassen hat, war ihr Solo-Output alles andere als konstant. Außer ihrem MTV Unplugged-Album und ihrem mehrfach mit Platin ausgezeichneten Debüt hat sie nicht viel veröffentlicht. Aber muss sie das überhaupt? Bei ihrem Konzert im House of Blues letzten Donnerstag hat sie ein langes Set gespielt, in dem sich perfekte Interpretationen eines jeden Songs, den man sich wünschen kann, wiederfanden. Zum Beispiel eine ausgedehnte Version von The Clashs „Guns of Brixton“, bei dem Ms. Hill, begleitet von den Riffs ihrer Rhythmussektion, gefreestylet hat.

Das Set kam ohne Geplänkel und lange Vorträge aus. In der Mitte des Sets spielte sie mit Akustikgitarre einige ihrer halb-fertigen Songs aus dem Unplugged Album, so wie „Adam Lives in Theory“. Zusammen mit dem Auftritt im Hayley House wirkte die Show wie ein Zeichen der Dankbarkeit, sogar wie ein Friedensangebot an ihre Fans, die ihr auf ihrem langen Weg nach Hause treu geblieben sind. Ihre Überschwänglichkeit erinnerte mich an etwas, das sie mir vor Monaten gesagt hat: „Diese Frauen, die hier inhaftiert sind, könnten da draußen sein und der Gesellschaft ihre Schulden zurückzahlen, sie könnten Geld verdienen, statt in einem Käfig zu hausen“, sagte sie. Ihr Auftritt kam ohne Schnickschnack aus; sie gibt etwas zurück. Das war Lauryn Hill in bester und unmittelbarster Form.

Basim Usmani ist Journalist und lebt in Boston. Er ist bei Twitter—@BasimBTW

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