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Die schrecklichen Qualen eines Wohnzimmer-Konzertes

Mangelnde musikalische Qualität, unangenehme Nähe, Ekel und Langeweile. Was zur Hölle soll an einem Wohnzimmerkonzert cool sein?

Foto: Thorsten Krienke | Flickr | CC By 2.0

In der Regel beginnt es mit einer Facebook-Einladung: Der Hobbybooker aus der Provinzstadt nebenan meint, das Wohnzimmer-Konzert irgendeines drittklassigen Singer-Songwriters oder irgendeiner prätentiösen Indie-Band sei genau das Richtige für mich. „Am Arsch! Da gucke ich mir lieber Nickelback in der O2-Arena an“, murmel ich vor mich hin. Und beginne fast zeitgleich—zu meiner eigenen Verteidigung, denn ich weiß ganz genau, was ich gerade von mir gegeben habe—darüber nachzudenken, was an Wohnzimmer-Konzerten so langweilig, prätentiös, beklemmend und teilweise auch eklig ist.

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DIE LANGEWEILE

Hast du dich mal gefragt, warum Musiker oder Bands bei deinem Bekannten (oder einem Bekannten deines Bekannten) im Wohnzimmer aufspielen? Weil sie nirgendwo anders auftreten dürfen. Punkt. Weil der rothaarige, bärtige, softe Singer-Songwriter aus Irland—„der neue Damien Rice quasi“—mit seiner Akustikgitarre nirgendwo sonst auf die Bühne gelassen wird. Noch nicht einmal in den dreckigen, fiesen Kellerclub nebenan, wo sonst eigentlich jede Schülerband rumeiern darf. Das Kriterium, das Musiker oder Bands ins Wohnzimmer platziert, lautet nämlich: musikalische Qualität. Mangelnde musikalische Qualität, wenn du es genau wissen möchtest. Dieses Kriterium versammelt 90% aller Wohnzimmer-Konzert-Acts: Peinliche Mando Diao-Ableger mit Playmobil-Frisuren und Plastik-Lederjacken, fiese Folk-Verschnitte à la Mumford & Sons und—natürlich—abertausende, unterdurchschnittliche Singer-Songwriter. Gerade diese Jammerlappen, die für Wohnzimmer-Konzert am häufigsten gebucht werden, haben eine Sache mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Gepäck: Langeweile.

Die übrigen 10% der Wohnzimmer-Konzert-Acts sind entweder Newcomer mit einem Majorvertrag, die in den sauen Apfel beißen und bei irgendwelchen hippen Tastemaker-Fans in der WG spielen müssen, damit die ihren zigtausend Instagram-Followern davon berichten, wie „intim“, „berührend“ und „beautiful <3 <3="" <3“="" der="" scheiß="" war.="" oder,="" was="" fast="" noch="" schlimmer="" ist,="" sie="" sind="" richtig="" große="" stars,="" die="" auf="" befehl="" ihres="" labels="" oder="" managements="" ihren="" langjährigen="" fans="" „etwas="" zurückgeben“="" müssen="" und="" daher="" ein="" konzert="" im="" wohnzimmer="" verlosen—schon="" passiert="" mit="" toten="" hosen,="" jennifer="" rostock,="" silbermond,="" kraftklub="" und… die="" wg="" ist="" neue="" plattenladen="" sozusagen.="" das="" natürlich="" den="" promotion-mist="" des="" gewachsen="" kein="" vernünftig="" tickender="" musiker="" mensch="" hat="" bock="" darauf,="" sich="" eine="" stunde="" aus="" 20cm="" entfernung="" augenhöhe="" anglotzen="" zu="" lassen,="" nur="" um="" in="" kitschig-kuscheliger="" atmosphäre="" „intimität“="" „authentizität“—die="" zwei="" schlimmsten="" wörter="" kontext="" von="" musik="" ever!—heraufzubeschwören.="" resultat:="" act="" fühlt="" extrem="" unwohl.="" publikum="" wiederum="" unwohl,="" weil="" merken,="" dass="" unwohl="" fühlt.="" ganze="" potenziert="" sich.="" nicht="" schön!="" sogar="" authentisch="" schön.

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DIE PRÄTENTIÖSITÄT

Die Erde dreht sich, Trends kommen und gehen. Normalerweise zum Glück! Wenn du stattdessen einen Ort aufsuchen möchtest, an dem sich Trends von vor fünf bis zehn Jahren immer noch stolz behaupten—an dem die Zeit quasi still zu stehen scheint—dann bestätige die Facebook-Einladung zum Wohnzimmer-Konzert. Einfach „Teilnehmen“ anklicken und los geht's. Im besagten Wohnzimmer präsentieren die Indie-Boys ihre Hornbrille und die Indie-Mädels ihren Tipp-Kick-Dutt nämlich noch so, als hätten sie eben jene Trends den Tag zuvor aus New York, London oder Paris importiert. Die Röhrenjeans ist für ihn die Messlatte—Röhrenjeans mit Chucks. Mit Pünktchenkleid und Ballerinas ist sie ziemlich weit vorne. Die Prätentiösität, von der ich spreche—ihrerseits dem mehr oder weniger latent Provinziellen geschuldet—manifestiert sich in den Stereotypen, die man eigentlich längst überwunden oder überlebt geglaubt/gehofft/gewusst hatte. Die Rede ist von den Zooey Deschanels und Kate Nashs, den Zach Brachs und Jason Schwartzmanns. Kannst du dir etwas Schlimmeres und Prätentiöserers vorstellen, als mit Möchtergern-Zooey Deschanels und Zach Brach-Imitaten in einem Raum zu hocken? Ich nicht.

DIE BEKLEMMUNG

Bei Wohnzimmer-Konzerten wird rumgehockt. Dieser Umstand wird dir vom Hobbybooker und/oder dem schrecklichen Klischee-Publikum selbstverständlich als „intim, entspannt und überhaupt voll schön“ verkauft. Mir schmerzt indessen aber gehörig der Arsch und meine mir noch nie so lang vorgekommenen Beine lassen sich in der Hocke auch nicht so wirklich koordinieren. (Den obligatorischen Schneidersitz habe ich mir zudem spätestens beim Lagerfeuerkonzert zu Jugendzeiten abgewöhnt.) Die körperliche/physische Beklemmung wird noch getoppt von der nicht minder psychischen. Alles vermeintlich Nebensächliche und niemals zu Unterschätzende, was ein perfektes Club-Konzert dem Gast bieten kann—Licht/Dunkelheit, Nebel, Platz, Rückzug zur Bar—bleibt beim Wohnzimmer-Konzert schmerzlich auf der Strecke. Der Raum ist hier nur einmal ausgeleuchtet, und das ist immer. Das hat zur Folge, dass ich nicht herumkomme, meinen Mitmenschen beim Musikhören zuzugucken. Was mir und vermutlich auch jedem anderen gescheiten Menschen rein gar nichts bringt. Den geruchsneutralisierenden Nebel vermisse ich spätestens dann, als meinem Nachbar—mit dem ich unfreiwillig Schulter an Schulter kuschel—ein Furz aus seiner Röhrenjeans gekrochen kommt. Aufstehen kann ich nicht, das würde die Intimität zerstören und eine Bar werde ich hier sowieso nirgendwo finden. Scheiße, ich bin gefangen!

DER EKEL

Der Grundstein für ein ekliges Wohnzimmer-Konzert wird an der Türschwelle der Wohnung gelegt: „Schuhe bitte ausziehen!“, heißt es begrüßend. Einen vereinzelnder Furz kann man unter Umständen noch verkraften—mehrere dutzend Käsefüße, die fröhlich vor sich hin dampfen, ganz bestimmt nicht. Denn man muss eins bedenken: Die geschilderte körperliche sowie seelische Beklemmung kann oder wird den Schweißfluss ordentlich ankurbeln. Und der Typus Fußschwitzer ist bekannt! Der musikalische Genuss tendiert indessen gegen Null, schließlich kann sich niemand Gescheites auf die inbrünstigen Herzergießungen eines ganz bestimmt aufstrebenden Singer-Songwriters konzentrieren, wenn die wenigen Quadratmeter der Wohnzimmer-Location wie eine Molkerei mit Hygienemängeln duften. Scheiße, hier stinkt's! Wohnzimmer-Konzerte: Einmal und nie wieder!

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