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Diese R'n'B-Tussis pfeifen auf den Windschatten ihrer männlichen Kollegen

Dieser Tage gibt es so viele tolle Frauen, die dabei sind, sich das Genre R'n'B zurückzuerobern. Es wird also höchste Zeit, euch mit der neuen, weiblichen Avantgarde des R'n'B bekannt zu machen.

Das Dasein weiblicher R'n'B-Künstlerinnen war seit jeher vor allem von einer Rolle bestimmt: jener, des höchst attraktiven, aber musikalisch relativ belanglosen Feature-Beiwerks auf den Songs männlicher R'n'B- oder Rap-Kollegen. Klar, es gab Aaliyah. Sie war die Ikone des amerikanischen Rhythm and Blues der frühen Tausender Jahre und unvergessenes Vorbild unzähliger Nachfolgerinnen. Doch sie starb bekanntlich 2001 bei einem Flugzeugabsturz. Viel zu früh, mit gerade mal 22 Jahren und bevor auch nur irgendjemand ansatzweise genug gehabt hätte von ihr. Sie galt als die große Erneuerin des Genres, als Ikone eines selbstbewussten und unabhängig von männlichen Protz-Bling-Bling-Gesten funktionierenden Musikstils. Doch mit ihrem Tod kam auch wieder Leere, die nur stellenweise zufriedenstellend von Gruppierungen wie TLC oder Destinys Child gefüllt wurde. Andere Künstlerinnen reihten sich viel zu häufig neben Goldkette und Glock wieder in ihre Rolle als Rapper-Accessoires ein, von der sich eine Aaliyah oder selbstredend Beyoncé (in ihrer Zeit nach Destiny's Child) gelöst hatten.

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Sängerin Ashanti bleibt beispielweise bis heute in Erinnerung als die, die auf Fat Joe's Hit „What's Luv“ den weiblichen Part geträllert hat. Genau wie Nivea (ja, die hieß echt so!), die vor gefühlten 100 Jahren auf Mystikals (stimmt, den gab's auch mal) Song „Danger (Been So Long)“ den Feature-Part sang und außer ein paar kleinen Hits nie den großen Durchbruch als Solo-Künstlerin schaffte, bis sie irgendwann wieder in der Bedeutungslosigkeit versank. Und Brandy hören nicht mal mehr die New Yorker U-Bahnfahrer zu, wenn Brandy ihre Gesangskünste präsentiert.

Über eine Dekade liegen die mehr oder weniger gescheiterten Karrieren dieser Künstlerinnen und deren Hits nun zurück. Eine Zeitspanne, die scheinbar notwendig war, damit sich neues Leben auf dem Planeten R'n'B entwickeln konnte und langsam den Schritt vom Wasser aufs Land, beziehungsweise von der Unbekanntheit in die Öffentlichkeit, wagt. Wir korrigieren: neues, weibliches Leben. Dieser Tage gibt es so viele vielversprechende, starke Frauen, die im Begriff sind, sich das Genre R'n'B wieder zurückzuerobern, wie selten zuvor. Es wird also höchste Zeit, euch mit der neuen, weiblichen Avantgarde des R'n'B bekannt zu machen. Auf glänzenden Motorhauben oder an den schmuckbehangenen Armen irgendwelcher Rapper werdet ihr jedoch vergeblich nach der neuen Spezies suchen. Der Lebensraum der neuen R'n'B Ladies ist nämlich ausschließlich an der Spitze der Charts—und dort ist bekanntlich nur Platz für einen.

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Abra

In die ganz klassische R'n'B-Kategorie will sich die Sängerin, deren echter Namen und ihr Alter bisher unbekannt blieben, nicht stecken lassen. In einem Interview mit dem Dazed Magazine sagte die New Yorkerin mit haitianischen Wurzeln: „Wenn du schwarz bist, denken alle, dass du in diese Schublade passt.“ Dennoch ist ihr alternativer Pop mit einer Portion Freestyle House, wie sie ihre Musik selbst gern beschrieben sieht, im Grunde doch versehen mit jener Art hauchzartem R'n'B, den man dank seiner sexy Harmonien und ihrer süßen Stimme nicht so schnell vergisst. Sorry, Bra!

Bibi Bourelly

Die 21-Jährige stammt aus Berlin und gehört zu den wenigen, wirklich sehr wenigen europastämmischen Musikerinnen, die tatsächlich „Big in America“ sind und das auch verdient haben. Bibi war es, die Rihanna ihren Über-Hit „Bitch Better Have My Money“ bescherte und so in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Sie steuerte außerdem Songs für Rihannas gerade erschienenes, und großartiges neues Album Anti bei. Und Bibi macht vor allem selbst verdammt gute Musik. Am Debütalbum schreibt sie gerade noch, ihr Song „Ego“ ist aber schon mal ein richtig gutes Brett zur Einstimmung auf mehr Solo-Stuff der mittlerweile in Los Angeles lebenden Sängerin und Songwriterin.

Tinashe

Sie ist am ehesten die klassische R'n'B-Tussi, wie sie auch von jeher gut funktioniert hätte. Optik: Lolita. Stimme: süß mit der gewissen Note „Komm, lass rummachen“ im Timbre. Und dennoch ist Tinashe vor allem erfolgreich, weil sie sich als starke und autarke Kämpferin in ihren Texten und den Videos präsentiert. Ihr größter Hit war bisher wohl „2 On“ zusammen mit Schoolboy Q vom ersten Album Aquarius. 2016 soll mit ihrem zweiten Album Joyride nachgelegt werden. Bis dahin gönnt sie ihren Fans auf Soundcloud neue Mucke, wie das smoothe „Ride Of Your Life“.

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Sevdaliza

Sie ist ein bisschen die Feministin mit einem Hauch Extravaganz unter den neuen R'n'B-Queens, die das Genre dringend gebrauchen kann. Sevdaliza sieht aus wie eine orientalische Göttin, den iranischen Wurzeln sei Dank. Göttlich inszeniert sie sich auch in ihrem konzeptuellen, wie aus einer Cyberspace-Heldensaga entstammendem Video zum wunderschönen Song „That Other Girl“. In ihrem Sound treffen orientalische Klänge auf minimalistische HipHop- und Elektro-Beats. Und Pianoeinsätze gibt's ab und an auch noch. Ihre Stimme klingt dabei immer geheimnisvoll. Die Sängerin lebt mittlerweile in Holland, wird von Modemagazinen und Kritikern weltweit für ihren Look und Sound gefeiert

Kehlani

Der derzeitige US-Shootingstar der Szene ist unangefochten Kehlani. Radio-Intreviews mit allen wichtigen Stationen in den Staaten, Cover-Star auf Indie-Zeitschriften wie dem Crack Magazine, 1,7 Millionen Follower auf Instagram. Die 20-Jährige ist in ihrer Heimat Amerika auf dem besten Weg, ein Superstar zu werden. Szenegrößen wie Chance the Rapper und G-Eazy featurten sie und umgekehrt, was ihren Erfolg nur noch mehr befeuert. Ihr Sound mischt klassischen R'n'B mit Trap-Anleihen. Beim aktuellen Hit „Did I“ samplet sie dann aber auch mal einen Song wie „Intuition“ der komplett Genreunverwandten kanadischen Pop-Künstlerin Feist und macht daraus ein R'n'B-Brett. Checkt selbst:

Kelela

Storytelling ist die große Gabe von Kelela, die mit ihren 32 Jahren schon zu den Grown Ups der neuen Riege an R'n'B-Highlights gehört. Mit Solange Knowles, Beyoncés kleiner Schwester, hat sie ebenso schon zusammengearbeitet, wie mit dem gefeierten, venezuelanischen Produzenten Arca (u.a. Kanye West). Seit jahren haut sie gutes Zeug raus, ihr Sound mischt Dubstep, UK Grime, HipHop und eben R'n'B, wie auf ihrer starklen EP Hallucinogen, die auch der Soundtrack einer Fashion-Show vom Modelabel Fendi wurde 2015. Auch sie plant ihr großes, echtes Debüt für 2016, bis dahin kann man sich mit dem großartigen Video zu „The Message“ trösten, das unsere I-D Kollegen vergangenes Jahr exklusiv als Premiere zeigten.

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Kali Uchis

Der amerikanische Traum in 60s-Optik trifft auf sexy Trash-Appeal der heutigen Generation Internet. Dabei klingt die gebürtige Kolumbianerin Kali Uchis stets so unfassbar smooth, zuckersüß und verführerisch, als wäre ihr Gesang der Soundtrack einer Kitsch-Romanze von 1962. Ihre Songs sind deswegen aber keine kulleräugigen Püppchen-Reime, sondern die Worte einer selbstbewussten erwachsenen Frau Töne. Auf ihrem Freedownload-Debütalbum Por Vida singt sie zum Beispiel „Know What I Want“, denn genau das tut sie auch. Ihre Kunst beschränkt sich nicht nur auf den Gesang, der an eine Latina-Version der großen Amy Winehouse erinnert. Ihre Videos sind das andere Highlight. So wie das von „Ridin Round“, dass in ihrer kolumbianischen Heimatstadt Pereira gedreht wurde. Ganz offensichtlich nicht umsonst die Lieblingssängerin von Rapper und Homie Tyler, the Creator.

Little Simz

Rythm and Blues Straight Outta UK: Little Simz pfeift nicht nur auf Tussi-Klischees was ihre Optik angeht, (ihr Look erinnert an den einer Skaterdudette mit Rapper-Klamotten, aber schon auch mal in bauchfrei!), sondern auch was die Genregrenzen angeht. Ein Bestandteil ihres Sounds ist Grime—was auch sonst? Immerhin stammt sie aus der Grime-Haupstadt London. Dann kommt Trap dazu. Und Rap-Beats mit R'n'B-Versatzstücken. Bäm, fertig ist der spannende, schon sehr Richtung HipHop gehende Klang der 21-Jährigen.

Noname Gypsy

Sie ist eine der besten Freundinnen von Chance the Rapper, jenem großen Hoffnungsträger des klugen, gewitzten, neuen US-Raps abseits der Protz-Pose anderer Kollegen. Auf seinen zahlreichen Mixtapes war sie Feature-Gast, ihre eigenen Stücke sind aber nicht minder beachtenswert und ähneln in gewisser Weise auch seinem Stil. Ein Debüt ist seit längerem angekündigt, dieses Jahr sollte es endlich soweit sein. Bis dahin begnügen wir uns mit ihren aktuellen Soundcloud-Songs, wie dem bezaubernd unaufgregten „All I Need“ featuring SPZRKT.

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Doja Cat

Über Doja Cat ist noch nicht allzu viel bekannt, außer, dass sie aus Los Angeles kommt, sehr jung aussieht und einen großen Hang zu psychedelischen Videos besitzt. Ihr Stil ist ziemlich schwer greifbar. Mal mischt sie minimalistische elektronische Beats mit Sprechgesang-Fetzen, bis dann ein härterer Rap-Beat einsetzt („Magic Pink Capsule“). Dann wieder klingt es nach klassichem R'n'B mit einer Portion Dub outta Jamaica. Fest steht: solche extravaganten Sounds tun dem Genre gut und verhelfen ihm zu der coolen Attitüde, die auch in Zukunft Maßgabe sein sollte. Go Doja!

Nao

Nao ist die zweite Britin, genauer Londonerin, unserer Who is Who-Liste der großen, hoffnungsvollen Sterne am R'n'B-Himmel. Im Vergleich zu anderen Vertreterinnen dieser Liste ist sie wohl die unprätentiöseste, was den Look angeht. Die 26-Jährige trägt gern Latzhose und ihre Haare zum künstlerisch, egalitären Whatever-Zopf. Dafür spielt sie musikalisch frei mit R'n'B-Referenzen der 90er, die sie mit Neo-Soul verwebt. Ihre EPs So Good (2014) und February 15 (2015) haben mächtig Bock auf's Debütalbum gemacht, das in diesem Jahr kommen soll. Ebenso wie die soulige Hymne „Bad Blood“, der ersten Single des Albums.

The Internet

Syd Bennett aka Syd the Kid ist nicht nur das einzige weibliche Mitglied der Odd Future-Gang (dessen Ober-Babo bekanntlich Tyler, the Creator ist), sondern auch Sängerin der unfassbar guten R'n'B-Soul-Band The Internet. Mit ihr hat Syd vergangenes Jahr ein großartiges, drittes Album namens Ego Death veröffentlicht, dessen erster Song „Get Away" auch perfekt die Richtung aufzeigt, in die sich die Band entwickelt hat. Syd ist zudem bekennend lesbisch und setzt sich auch durch ihre Musik stark für ein Umdenken innerhalb der amerikanischen Gesellschaft in Bezug auf die Gleichstellung der Homosexuellen ein. So ist dank der neuen R'n'B-Tussis, die natürlich dieses Prädikat längst überholt haben, R'n'B so relevant und innovativ, wie nie.

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