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Interviews

„Die Massen scheinen ihre Musik so zu wollen wie ihr Fast Food“—Interview mit Lagwagon

Lagwagon-Sänger Joey Cape hat sich mit uns über seinen Zorn, die Gefahr, die von Konservenmusik ausgeht und die Schönheit des menschlichen Fehlers unterhalten.

Lagwagon sind alt geworden. Das heißt aber nicht, dass die Herren um Sänger Joey Cape deswegen ein lahmes Pop-Punk-Junk-Album gemacht haben, um eben beim gerade grassierenden 90s-Revival auch noch etwas mitzuverdienen. Im Gegenteil: Hang, so der vielschichtige Titel der neuen Scheibe, ist die schiere Wut. Wut auf die Zerstörung des Planeten, Wut auf menschliche Kälte, Wut auf den überall aufkeimenden Narzissmus, Wut auf überproduzierte tote Mainstream-Unmusik, Wut auf die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen. Aber das kannst du dir im Album-Stream selbst anhören. Hang wird am 31.10. bei Uncle M Music veröffentlicht. Joey hat sich mit uns über seinen Zorn, die Gefahr, die von Konservenmusik ausgeht und die Schönheit des menschlichen Fehlers unterhalten.

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Noisey: Hey Joey, wie geht’s dir? Wieso habt ihr denn ein neues Album gemacht? Wolltet ihr beim allgemeinen 90s Revival mitmachen, das gerade grassiert?
Joey Cape: Wir haben die neue Platte aufgenommen, weil wir dazu bereit waren. Lagwagon haben nie aufgehört zu touren oder zusammen zu spielen—seit es uns gibt. Wir hatten nur mehrere Jahre kein neues Album aufgenommen, sind aber immer aktiv geblieben. Vor ein paar Jahren dann fühlte es sich richtig an wieder gemeinsam neue Musik zu schreiben. Es ist schwer das zu erklären, aber der Sound einer jeden Band entwickelt sich zusammen innerhalb der Gruppe, gleichzeitig jedoch entwickelt sich jedes einzelne Mitglieder in jeweils verschiedene Richtungen. Das macht es schwierig, die Gruppenidentität zu definieren. Das macht es zudem schwierig gemeinsam Musik zu schreiben, die wirklich den Kern der Band, wie sie gerade ist, auszudrücken. Lagwagon wollen keine schlechten Platten machen. Es ist immer wert zu warten und ein Album zu produzieren, auf das wir als Band stolz sind. Hang ist genau das Album, das wir machen wollten. Es ist zudem das weitaus kollaborativste, das wir je aufgenommen haben und wir alle lieben es. Das war in der Vergangenheit nicht immer so.

Wie fühlt es sich denn an, so lange in einer Band gemeinsam zu spielen und immer wieder gemeinsam aufzunehmen?
Großartig. Wir lieben unsere neue Platte so sehr. Wir werden sie auf Tour live am Stück spielen. Früher haben wir immer nur ein paar neue Stücke gespielt. Aber dieses Mal sind wir so überzeugt davon, dass wir es als Ganzes präsentieren wollen. Wir glauben, dass es bis dato unser bestes Album ist.

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Warum habt ihr den Titel Hang gewählt?
Also ich hole mal etwas aus: Das Wort Hang ist im Englischen ein sehr mächtiges Wort. Es hat viele Konnotationen und ist voll von imaginärem Spielraum. Ich fand, dass es ein Begriff ist, der sich in den Songs widerspiegelt. Ich wollte einen Titel wählen, der die Lyrics in nur einem Wort insgesamt fasst. Ich habe Hang mehrmals in allen Songs verwendet, um so einen Zusammenhang herzustellen. Das ist wohl ein literarisches Stilmittel. Das Albumcover ist ein Bild, das mir irgendwann durch den Kopf schoss. Es symbolisiert den Selbstmord, den die Menschheit gerade in Bezug auf ihre Umwelt begeht. Ich stellte mir vor, dass die Bienen und die Schlinge eine dunkel schöne Anspannung schaffen würden. Als ich meiner Band und anderen von meiner Idee erzählte, meinten die jedoch, sie sei ein bisschen irre. Haha. Vielleicht war es zu ehrgeizig, doch ich wollte das Cover in einem echten Foto realisieren. Kein Photoshop. Ich habe eine Freundin angerufen, die im ländlichen Montana wohnt. Es war fast übernatürlich. Ich habe ihr von meiner Idee erzählt und sie meinte nur, „Ja, das wäre cool“, und nur drei Tage später hatten wir das Foto. Wir finden es großartig. Es macht nachdenklich.

Wovon handeln denn dann die Lyrics?
Hang ist grundsätzlich von der Enttäuschung und der gleichzeitigen Bescheidenheit geprägt, die mit dem Alter kommen. Ich verstehe die Texte als eine Serie von Wutreden über die beschissene Welt, in der meine Tochter leben muss. Die zentralen Themen handeln davon, was uns in der Zukunft alles bedrohen wird. Unser Verhalten und das absolute Fehlen jeglicher Verantwortung und Empathie machen mich wütend. Wir müssen uns ändern, um unser Überleben zu sichern. Mich verängstigt das wirklich. Wir scheinen immer apathischer zu werden. Ich sehe immer mehr Narzissten, die keinerlei Verantwortungsgefühl, Sympathie oder Mitgefühl für ihre Mitmenschen haben. Empathie und Feinfühligkeit sind uns zu viel, wir können damit nicht umgehen, also ziehen wir uns in uns selbst zurück. Manchmal glaube ich, dass unsere Kinder angehende Psychopathen sind. Aber was können sie dafür? Denn wir geben ihnen ja jede denkbare Rechtfertigung, sich nur um sich selbst zu scheren. Es ist zynisch, dass älter werden bedeutet, dass du einerseits mehr Verständnis und Empathie für alte Mitmenschen, deine Eltern und Großeltern hast, aber andererseits keine Ahnung hast, wie du es aufhalten könntest, deine Nachkommen mit dieser egoistischen Doktrin zu füttern. Gleichzeitig verlierst du zudem den Blick dafür, was sie wirklich interessiert. Wenn wir alt werden, werden wir auch verletzlicher. Wir sollten uns dazu veranlasst fühlen, junge Menschen auf die Geschichte hinzuweisen und aus ihren Fehlern zu lernen. Und vielleicht noch einmal nachzudenken, ob das wirklich alles so optimal ist, wie wir den Planeten zerstören und uns gegenseitig.

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Euer Motto ist: „Putting Music in its Place.“ Wie meint ihr das?
Ich glaube, wir haben das von einem alten Sticker aus Deutschland. Es hatte irgendwas mit Rassismus zu tun. Kann es sein, dass es da ein Logo gibt, wo jemand ein Hakenkreuz in eine Tonne wirft?

Ja.
Gut erinnere ich mich da richtig. Auf jeden Fall hat unser ehemaliger Drummer Derrick Plourde [der 2005 leider verstorben ist, Anm.] dieses Logo etwas modifiziert: Statt eines Hakenkreuzes hat er eine Schallplatte eingesetzt. Für uns bedeutet der Slogan mittlerweile eigentlich nur, dass wir uns und unsere Musik nicht zu ernst nehmen sollen. Aber das hat sich irgendwie verändert, seit wir älter geworden sind.

Was geht eigentlich gerade bei deinem eigenen Label One Week Records?
Es läuft fabelhaft. Ich nehme sehr gerne Alben auf, aber eine ganze Band zu producen dauert ewig und es wird auch zu technisch gemacht heute. Bei One Week Records haben wir ja nur einwöchige Sessions, innerhalb derer wir schreiben und aufnehmen. Also kannst du nicht ewig rumprobieren und ändern. Es muss sitzen. Ich versuche den eigentlichen Charakter eines Songs und seines Autors zu finden und in den Vordergrund zu stellen. Die reine Performance sozusagen. Die Leute, mit denen ich aufnehme, müssen also gut singen und spielen können. Ich tune die Stimmen nicht, es gibt nur wenige Overdubs und kaum Bearbeitung. Ich glaube immer noch, dass es viele Leute wie mich gibt, die die reine Performance hören wollen und nicht eine quantifizierte, überproduzierte und leblose Aufnahme.

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Dazu fällt mir ein, dass du letztes Mal, als wir uns unterhalten haben, meintest, dass manche Arten von Musik dir in den Ohren wehtun. Glaubst du, dass die Musik irgendwie in Gefahr ist? Ich meine das in etwa so, dass alles immer ähnlicher klingt und dadurch vielleicht irgendwann nur noch das, was im Grunde genau so klingt wie alles andere, als Musik wahrgenommen wird (vorausgesetzt es kommt zum Schlimmsten.)
Das ist eine wichtige Frage. Es ist in gewisser Weise auch schon wahr. Im Mainstream ist das schon die Realität. Die digitale Technik ermöglicht es, jeden so klingen zu lassen, als könne er singen oder ein Instrument zu einem Beat spielen. Der Producer kann auswählen, wie es klingen soll und egal wie eingespielt wird, es kommt gut und stimmig raus. Die meiste Musik, die ich heute höre klingt unfassbar kopiert von anderen. Ihr fehlt jegliche echte Kreativität oder Originalität. Es gibt schon noch viele Ausnahmen, aber die sind schlicht in der Minderheit und vor allem nicht einflussreich genug. Konservenmusik ist keine unfaire Bezeichnung.

Die Massen scheinen ihre Musik so zu wollen, wie ihr Fast Food. Ein banales, schnelles Konsumding. Aber vielleicht war es auch schon immer so, seit es Popmusik gibt. Manchmal entsteht etwas wirklich Originelles und Schönes und das beeinflusst die musikalische Landschaft dann nachhaltig und im Guten. Es gibt noch ein anderes Problem mit moderner Musik: Sie achtet nicht mehr genügend auf Genres im Sinne der Herkunft. Wahrscheinlich wie bei allem anderen auch, werden die Wurzeln weniger geehrt und beachtet. Es entstehen wilde Mischungen aus allerlei Richtungen, ohne zu wissen, woher zum Beispiel Punk oder so kommt. Klar ist es wichtig, experimentierfreudig zu sein. Aber wir müssen auch wissen, woher wir kommen, um zu wissen wohin wir gehen. Letztendlich wird es einerseits immer Nachmacher, andererseits aber wirklich kreative Geister geben. Und auch die reine Performance, die mir so wichtig ist. Hoffe ich zumindest. Haha.

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Was müsste sich denn ändern, um die Entwicklung zumindest zu bremsen?
Live-Performance ist schon immer die Antwort gewesen. Video- und Tonaufnahmen von wirklich komplett unbearbeiteten Auftritten sind der Schlüssel. Wir Menschen haben eine Sehnsucht, menschliche Schwächen zu sehen und zu hören. Das ist nicht negativ gemeint. Ich meine damit überhaupt nicht Schadenfreude. Im Gegenteil. Es ist genau das, was jede Performance schön, eigenartig und faszinierend macht. Das ist also essentiell für das Überleben der Musik als Kunst. Wir müssen uns nach Musik sehnen, die von uns Menschen erschaffen wird und nicht einfach nur durch Nullen und Einsen und Tastenanschlägen erstellt wird.

Ich will diese Frage schon lange stellen: Was ist Musik?
Musik ist unsere wundervollste universelle Sprache. Wir müssen sie pflegen und in Ehren halten.

Hang erscheint am 31.Oktober bei Uncle M Music. Ihr könnt es euch auf Amazon oder iTunes bestellen.

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