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Interviews

Die Manic Street Preachers hören niemals auf

James Dean Bradfield über die gute alte Rock'n'Roll-Zeit, öffentlichen Nahverkehr und darüber, was in der britischen Musikszene falsch läuft.

Foto von Christoph Voy

Manic Street Preachers, die Band, die sich bereits der Diktatur der Kunst unterworfen hatte, als Jonathan Meese noch einen Milchbart trug. Die Band, die mal so groß werden wollte wie Guns’n’Roses und es im Prinzip auch wurde, nur dass es nicht jeder mitbekommen hat. Die Band, die sich in die Räder der großen Musikindustrie warf und es trotzdem irgendwie überlebte. Die Band mit der rätselhaften Bandgeschichte—das plötzliche Verschwinden des früheren Kopfes der Band, Richey James, im Jahr 1995 ist bis heute nicht aufgeklärt. Die Band, die ist wie keine andere und auf unnachahmliche Weise schaffte, künstlerischen Anspruch und politisches Bewusstsein mitsummbar zu machen. Die Band, die am 13. September ein neues Album namens Rewind The Film veröffentlicht. Es war klar, dass nicht irgendjemand James Dean Bradfield von den Manics treffen sollte, also baten wir den größten uns bekannten Manics-Fan, jemanden mit Manics Tattoo, jemanden, der sozusagen mal in der deutschen Ausgabe der Manics gespielt hat, ja, jemanden, der den Namen für seinen grandiosen Versuch, so was wie die Manics auf deutsch zu machen, auch gewissermaßen von den Manics geklaut hat—Schulzky von Aim of Design Is To Define Space.

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Schulzky: Ein Freund von mir war Studioassistent als Du Dein Soloalbum The Great Western in Berlin aufgenommen hast. Er meinte, Du konntest Deinen Gesang nur aufnehmen mit einer Gitarre um den Hals.
James Dean Bradfield: Das war damals so meine Stimmung. Es hat sich einiges verändert seitdem. Ein tolles Studio ist das in Ostberlin. Ich hab gehört, die machen da jetzt Wohnungen draus. Die ganze Welt scheint mitbekommen zu haben, dass Berlin eine offene Stadt ist. Du kannst Teil des kosmopolitischen Bullshits sein, den diese Stadt ausmacht, aber Du kannst auch Platz für Dich haben.

Du meinst das Funkhaus Studio in der Nalepastraße in Köpenick? Ich bin da in der Nähe aufgewachsen.
Wie alt bist du?

37.
Dann erinnerst Du Dich natürlich an pre 89?. Ich war das erste Mal 1991 in Berlin. Für mich war die Zweiteilung der Stadt immer sehr abstrakt. Ich glaube, man muss dabei gewesen sein um das richtig zu verstehen.

Es ist so absurd. Ich kenne Dein Gesicht seit zwanzig Jahren.
Es wird langsam alt.

Ich moechte mich herzlich für Eure Musik bedanken. Sie bedeutet mir sehr viel.
Thank you Sir! Glaub mir, jetzt mit 44 bedeutet mir das mehr als je zuvor. Es ist ein bisschen lächerlich 44 zu sein und immer noch in einer Rock´n Roll Band zu spielen, glaub mir. Jede erfolgreiche Rock´n Roll Band hat eine dekadente Phase. Ich und Richey (Richey Edwards, seit 1995 verschwundener Gitarrist und Texter der MSP) waren die Party-Fraktion der Manics.

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Wie dekadent wart Ihr denn?
Ach, naja. Ziemlich. Nick und Sean nicht so sehr. Ich war ein Whisky and Beer Boy.

Jameson und Coke?
Jamesons, Bushmills. Wir haben nächtelang durchgemacht. Heute nicht mehr. Ich bin verheiratet und bin Vater geworden.

Wie alt ist Dein Kind?
Sie ist zwei geworden. Diese Rock´n Roll Definition 'eine Nadel aus dem einen Arm, eine Flasche Jack Daniels in dem anderen Arm, Groupies etc' spielt fuer mich keine Rolle mehr. Bei der Holy Bible Tour (1994) war das damals 24 Stunden Vollgas. Das kann man aber nur bringen, wenn man jung ist. Ich habe 2001 aufgehört, auf Tour zu trinken. Rock´n Roll Momente gibt es bei mir heutzutage nur noch, wenn ich im Stadion bin.

Was denkst Du darüber, dass Gareth Bale (walisischer Nationalspieler; wechselte für 100 Mill € von Tottenham zu Real Madrid) zu Real geht?
Er läuft wie eine Gazelle! Wirklich! Er ist bei mir in der Nähe aufgewachsen. Ein guter walisischer Junge. Gutes Eltenhaus. Ich hoffe, dass die 80 Mill Pfund ihn nicht abfucken. Mich würde das abfucken sag ich Dir! Ich mag Real nicht.

Wie ist es ein MSP zu sein nach so langer Zeit?
Seit ich 15 war wollte ich in einer Band spielen. Nicht mit irgendjemandem, sondern mit Nick, Richey und Sean. Denn diese Jungs waren meine Freunde, meine Brüder eher. Mit ihnen bin ich aufgewachsen. Wir teilen Ideale, Erfahrungen, Politik, Geschichte, Identität. Die Band war das Beste, was uns passieren konnte. Natürlich sind über die Jahre auch schlimme Dinge passiert, aber trotzdem, ich möchte mit niemandem tauschen. Es war für das neue Album auch gut herauszufinden, woran wir eigentlich glauben, bzw was uns eigentlich wichtig ist. Einige Ideen von damals waren einfach nicht realistisch. Als wir anfingen, basierte unsere Bandphilosophie auf Narzismus und Nihilismus. Wir wollten die Welt zerstören, um sie dann wieder aufzubauen. Die Thatcher Politik hat in den Achtzigern die walisische Working Class buchstäblich zerstört, unsere gesamte Motivation als Band basierte auf dieser Tatsache. Stücke wie "Faster" oder "Archives of Pain", ein Lied über die Todesstrafe, waren unsere nihilistischen Antworten auf diese entsetzliche Ungerechtigkeit der britischen Regierung. Wir waren naiv genug zu denken, mit solchen Songs etwas zu erreichen. Später haben wir versucht, nicht ganz so mit der Brechstange zu arbeiten, z.B. mit "If You Tolerate This Your Children Will Be Next" (This is my Thruth, tell me yours, 1998)

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Von dem Gitarrensolo bekomme ich immer noch Gänsehaut.
Du solltest die Heizung höher drehen! Wenn jemand dabei gewesen wäre als ich das damals aufnahm, dann hätte der sich gefragt: 'was ist mit dem Typen los!' Ich finds schon immer schlimm, wenn Schauspieler über Ihre Motivation sprechen. Shut the Fuck up! Und genauso bin ich an dieses Solo gegangen. (verändert seine Stimme) Ich stelle mir einen Kometen vor, der alle schlimmen historischen Momente des 20. Jahrhunderts zusammenfasst, dann kommt der Komet 2030 zurück zur Erde, explodiert und verbreitet Peace and Love und alles ist wieder gut. Und das habe ich gesagt, BEVOR ich überhaupt die Gitarre angefasst habe. Bescheuert. Das Solo einspielen hat dann nur fünf Minuten gedauert.

Was ist dein Geheimnis als Gitarrist?
Jetzt machst Du Dich über mich lustig! Im Ernst, für mich ist die Gitarre immer noch eines der ausdruckstärksten Instrumente. Sie kann schwermütig klingen, aggressiv, heartbreaking, inspirierend, transzendental. Oder sie kann dich an die Vergangenheit erinnern. Ich sitze stundenlang im Studio auf der Suche nach der einen Idee, wenn ich sie dann habe, dauert es drei Minuten, um es aufzunehmen. Ich habe immer noch Vertrauen in dieses Instrument, auch wenn ich weiß, dass das Image des Guitar Heros mit einem Fuß auf der Monitorbox längst obsolet ist. Als ich das erste Mal Pete Townsend gehört habe, dachte ich, ich könnte ihm für immer zuhören. Als ich das erste Mal Johnny Marr gehört habe, als ich das erste Mal eine Smiths Platte gehört habe, hatte ich so etwas noch nie zuvor gehört. Ich war unglaublich beeindruckt. Morrissey gibt dir drei Grundfarben, Johnny Marr gibt dir drei Grundfarben, die dir einfach die ganze Welt erklären. Von neueren Gitarristen habe ich dieses Gefühl schon lang nicht mehr erfahren.

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Wie geht’s British Rock Music?
Gibt’s nicht mehr. Punkt.

Es scheint so, dass alle Eure alten Kollegen aus den 90ern, abgesehen von Radiohead, verschwunden sind. Oder auf Reunion Tour.
Ja, wir sind verflucht zu Beständigkeit. Ich verstehe das auch, dass man sich darüber freut, Pulp noch einmal zu sehen. Das ist ok. Oder Suede, ich freue mich für sie. Sie waren eine tolle Band damals. Bei uns gibt es dieses Excitement natürlich nicht, weil die Leute denken, die Manics wird’s für immer geben.

Der Vorteil, den ich in konstantem Arbeiten wie bei Euch sehe, ist der, dass Ihr Euch in Ruhe entwickeln konntet, daher klingen Eure Alben auch alle so verschieden.
Kennst Du die amerikanische Vorstellung der Notion of closure? Die Faszination der Psychoanalyse? Ich glaube da eigentlich nicht wirklich dran, aber wenn es die Manics nicht mehr geben würde, wäre die Hälfte von mir nicht mehr existent. Nick ist mein bester Freund seit ich fünf bin, Sean ist mein Cousin aber eher wie mein Bruder. Richey ist immer noch ein sehr großer Teil von uns. Wenn ich also diese Band nicht mehr hätte, müsste ich wohl erst mal in Therapie gehen. Warum also darüber nachdenken aufzuhören?

Aber es wird eine Oasis Reunion geben?
Es wird auf jeden Fall keine Smiths Reunion geben.

Ich habe heute den ganzen Tag mit Rewind The Film verbracht. Es ist wieder ein Album, das sehr anders klingt als jedes Manics Album bisher.
Es ist sicher nicht unser unmittelbarstes Album. Nicky´s Lyrics kreisen bei dieser Platte sehr um den Komplex Vergänglichkeit, den Verlust von Menschen aus unserer Kindheit. Für uns waren ältere Menschen immer sehr wichtig, wir sind auch immer sehr gut mit unseren Eltern ausgekommen. Wir haben sie immer sehr bewundert. Aber auch Freunde, Minenarbeiter, Wirte - alles sehr besondere, intelligente Menschen. Eine Zeit lang sind wir ständig auf Beerdigungen gewesen. Die Frage, die sich für uns gestellt hat, was machst Du wenn Du Deine ´guiding stars´ verloren hast. Wenn einige Dinge nicht rückgängig gemacht werden können.

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Die Platte klingt sehr natürlich.
Das liegt an den Lyrics. "3 Ways To See Despair" z.B., handelt von einem Selbstmord. Ich hätte dazu keine Gitarrenhymnen schreiben können. "This Sullen Welsh Heart" beginnt mit ´i dont want my children to grow up like me'. Nicky war sehr sehr introspektiv. Deswegen eben auch soviel Akustikgitarre auf dem Album.

Es gibt ein zweites Album?
Die andere Platte ist eher eine Gegenreaktion zu diesem eher walisischen Album. Sie ist viel experimenteller und beschäftigt sich thematisch sich sehr obsessiv mit Europa. Ein Stück ist halb auf Deutsch gesungen "Europa geht durch mich", ein Stück beschäftigt sich mit der Stahlindustrie in der Ukraine. Ein Lied behandeltRussland und eines die Tschechische Republik. Liegt wahrscheinlich daran, dass wir so viel touren. Andere Bands versuchen Amerika zu knacken, wir touren lieber Osteuropa.

Ich war mit meinem Bruder bei Eurer O2 Show in London. (MSP Show 2011, bei der jede Single gespielt wurde, ca. 4 Stunden lang)
Echt? Hat's Dir gefallen?

Sehr, Du hattest wieder Dein Matrosenshirt an.
Ja, ich musste mir allerdings ein neues kaufen, das alte hatte ich einem Fan geschenkt. Die O2 Show hat mir auch viel Spaß gemacht. Die Manics haben immer so viel selbstgemachte Regeln, dass wir uns dachten, wir können auch mal ein wenig Spaß haben.

In der O2 kündigte Nicky "Empty Souls" mit den Worten: This is from the mighty beast which is LIFEBLOOD an. (Lifeblood, 2004) Was ist Euer Problem mit Lifeblood?
Auf Lifeblood hatten wir uns irgendwie entfremdet. Wir haben nicht wirklich zusammen gespielt und hatten unser Selbstvertrauen verloren. Es ist eine sehr kalte Platte und ich kann Dir sagen, neben der Zeit als Richey verschwunden war, war das die schwierigste Zeit für uns als Band.

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Ein Manics Fan zu sein, war für mich auch immer eine Art Bildung in alle möglichen Richtungen. Ich erinnere mich, Martin Kippenberger kenne ich vom Faster-Artwort (1994) Kann Kunst tatsächlich etwas bewirken?
Das war Nicky, ich hatte von Kippenberger vorher auch noch nie gehört. Ich denke, Kunst kann nur verändern, wie sie auch mich verändert hat. Ich hätte nie von Arthur Rimbaud oder Jean Paul Sartre gehört wenn ich es nicht bei Matt Johnson von The The gehört hätte. Ich hätte nie von Yukio Mishima gewusst, wenn ich es nicht bei Nick Cave gelesen hätte. Ich hätte auch nie von den Situationisten gehört wenn ich es nicht bei Greil Marcus gelesen hätte. In meiner Jugend waren das die Eckdaten, in denen ich mich bewegt habe. Über The Clash habe ich vom spanischen Bürgerkrieg gehört, was dann wieder If You Tolerate inspiriert hat. Wenn also ich so sehr durch Musik inspiriert wurde, vielleicht bringt das andere auch weiter und inspiriert sie.

Bei eurer Tour zu Everything Must Go 1996, gab es Backscreens mit Zitaten. Ein Zitat war the aim of design ist o define space. Von wem war dieses Zitat?
Das war Le Corbusier glaube ich.

Du hast ein bisschen meinen Fahrplan durcheinandergebracht. State of British Music hatten wir schon. ähm…
Weißt Du, wir sind in einer Zeit von ökonomischen und politischen Krisen, aber junge britische Bands schreiben nicht darüber. Ich verstehe es nicht.

Mochtest Du die Savages Platte?
Ich mag die Platte. Aber ich hatte irgendwie mehr von den Lyrics erwartet. Es ist hauptsächlich über Gender, was natürlich wichtig und richtig ist, aber ich dachte, es gibt noch mehr Themen. Nach den Riots in UK letztes Jahr hat Plan B ein Album über die Situation in South London herausgebracht, hat keinen interessiert. Ich verstehe das nicht.

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Woher kommt eigentlich Deine Faszination mit Public Enemy? War das deren Attitude oder warst Du wirklich mal into HipHop?
Ende der 80er war ich sehr into Ultramagnetic MC´s. Oldschool Rap mit sehr skurrilen Lyrics. So etwas kannte man damals in unserem Dorf Blackwood in Wales nicht. Wir lebten in einer Art Vakuum. Anfang der 90er kam ich darüber dann zu NWA und Public Enemy. Sicher haben wir Stone Roses und The Smiths gehört, aber beide hatten nicht wirklich politische Lyrics. Klar habe ich die politischen Inhalte von NWA u Public Enemy nicht wirklich verstanden, weil wir aus einer ganz anderen Welt kamen, aber die Energie und auch der Glamour Faktor, besonders bei Public Enemy, hatte eine großen Einfluss auf mich. Sie waren aggressiv, sie waren cool, in etwa so wie The Clash.

Liest Du noch Bret Easton Ellis?
Ich habe nach The Informers aufgehört

Fährts Du Auto in Cardiff? Oder Fahrrad?
Public Transport mein Freund!

Manic Street Preachers Rewind The Film erscheint am 13.09. bei Columbia, ihr könnt das Album hier vorbestellen.

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