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Die geheime Macht der Turbojugend

In Jeansjacken ziehen sie in der Welt des Rock’n'Roll die Fäden. In der Schweiz, in Europa und auf der ganzen Welt!

Wacht auf! UNO, EU und nationale Regierungen: Alles Marionetten! Dunkle Kräfte sind es, die im Geheimen unsere Welt lenken und leiten, über Gut und Böse, Erfolg und Untergang entscheiden. Doch handelt es sich dabei nicht um Bilderberger, Rothschilds oder Freimaurer, wie die selbst ernannten Infokrieger rund um den Globus in zweifelhafter Orthographie, dramatischen Videos, an Friedensmahnwachen und PEGIDA-Demos verkünden. Die wahre Bedrohung von Gesellschaft und System, von Sitte und Ordnung, trägt nicht Anzug und Krawatte. Ihre Uniform sind Jeansjacke und Matrosenmütze. Denn die (gar nicht so geheime) Weltmacht ist die Turbojugend. Zumindest in der Welt des Rock'n'Roll.

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Es war vor zwei Jahren, als mir zum ersten Mal bewusst wurde, wie weit das Netz der Turbojugend reicht. Ich besorgte gerade die wöchentlichen Einkäufe fürs Coq d'Or, meinem Konzertschuppen in Olten (Früchte, Eis, Strohhalme, Gummibärchen für die Team-Motivation etc.), als ich vom Präsidenten der Turbojugend Olten „Ex-Rowdy“ (jedes Mitglied hat einen „Warrior Name“, zu lesen über der rechten Brusttasche der berüchtigten Jeansjacke, genannt „Kutte“) einen Anruf erhielt. Er erzählte mir, dass er Nick Oliveri für eine exklusive CH-Show und zum Freundschaftspreis buchen könne. Seine lapidare Erklärung dafür, wie er zu dem Deal kam: „Er ist auch in der Jugend.“ Und so ergab es sich, dass der Rock-Rabauke und Ex-Bassist der Queens Of The Stone Age Oliveri (Warrior-Name: Moisty Mangler) an einem sonnigen Montagabend im August meine Bar aus allen Nähten platzen liess.

Ok, ich hätte Oliveri auch selber buchen können. Doch 1. wohl nicht exklusiv, 2. wohl nicht zum Freundschaftspreis und vor allem hätte ich 3. wohl kaum so viele Leute in meinem Laden gehabt. Wenn die Turbojugend nämlich einen Event mitorganisiert, dann kann man sich zumindest einer Grundanzahl Kutten, dem entsprechenden Barumsatz und einer rauschenden Party sicher sein. Was man oder zumindest ich dabei hin und wieder gerne in Kauf nehme: Dass zum Beispiel ein österreichischer Turbojugendlicher noch vor 22 Uhr auf der Bühne die Hosen runterlässt und der spielenden Band seinen Allerwertesten, den Zuschauern sein bestes Stück zeigt, so geschehen am legendären „Torpedo Festival“, das jährlich von den Sektionen Olten und Luzern (aka „Leuchtenstadt“) an eben diesen Orten organisiert wird.

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1614 dieser Sektionen zählt die Turbojugend weltweit laut ihrer offiziellen Homepage. In den USA und Europa vornehmlich, aber auch in exotischeren Orten wie Lima, Bangkok und sogar Abu Dhabi. Rund 20.000 Mitglieder beider Geschlechter, jeglichen Alters, jeglicher Hautfarben, jeglicher sozialer Herkunft. Die Turbojugend als Global Player des Rock'n'Roll? „Das kann man schon so sagen“, lacht Ex-Rowdy, der eingangs erwähnte Präsident der Turbojugend Olten, der mir Insiderinformationen liefert, „Dank der Turbojugend kenne ich Leute auf der ganzen Welt, Musiker, Veranstalter und einfach gute Leute. Wenn dann jemand wo hinreist, dann hilft man sich gegenseitig. Death Punk Tourism nennen wir das. Wir lassen einander bei uns pennen, machen Ortsführungen, besorgen Konzertkarten. Und für Bands auf Tour stellt man die nötigen Kontakte und Promotion her.“

Als Schweizer Beispiel nennt Ex-Rowdy dann niemand Geringeres als die Basler Bitch Queens (deren aktuelles Video ihr euch hier anschauen könnt): „Letztes Jahr haben die Garage Rocker The Hip Priests aus England an den Weltturbojugendtagen gespielt. Darauf hab ich sie mit den Bitch Queens, die ja ebenfalls in der Jugend sind, bekannt gemacht und so konnten die im Februar ein paar Shows in England spielen.“ Wäre die Turbojugend die Fifa, wären die jährlichen Weltturbojugendtage in St. Pauli, wo in den 90ern alles begann, ihre WM. Ein verlängertes Wochenende lang Bier, Konzerte und blaues Denim, wohin das Auge reicht.

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Gehört man einmal dazu, dann hilft die international operierende Jugend jedem: Den Bands mit Auftrittsmöglichkeiten, den Locations mit dem Vermitteln eben jener Bands. Und die Jugend stellt dann noch selbst ein feier- und trinkwütiges Publikum für ein rauschendes Rock'n'Roll-Fest. Doch, wie wird man Teil dieser Riff-Internationalen? „Jeder und jede kann Mitglied werden. Am einfachsten ist es aber, wenn du mit ein paar Kumpels deine eigene Jugend gründest. Dann könnt ihr selber über eure Aktivitäten entscheiden. Das Einzige, was wir nicht tolerieren sind rechtes Gedankengut und Rassismus. Und Patches von Biker-Clubs auf der Kutte, das sorgt nur für unnötigen Ärger.“

Echt jetzt? Keine Nazis, keine MC's und gut ist? „Im Prinzip ist das alles, ja. Wir sind ja keine Sekte oder so.“ Aber Turbonegro, eure Lieblingsband, wegen denen es euch ja überhaupt erst gibt, die muss ich schon vergöttern und von jedem einzelnen Bandmitglied die Schuhgrösse wissen, oder? „Natürlich mögen die meisten von uns Turbonegro. Aber nötig ist das eigentlich nicht. Die Turbojugend ist kein typischer Fanclub und wurde auch nicht von der Band gegründet. Eine Regel hab ich aber noch vergessen: Deine Kutte darfst du niemals waschen.“ Also doch! Schöne neue Rock'n'Roll-Welt!

Zugabe:

Neben Nick Oliveri sind viele weitere Musiker wie etwa Bela B. Mitglied bei der Turbojugend. Mein persönliches Highlight aber ist Jasmin Wagner, besser bekannt als „Piep Piep kleiner Satellit“ Blümchen. Ihr Warrior-Name: Denim Girl. Und es kommt noch besser: Zusammen mit Bela B. hat Wagner für das Turbonegro-Tribute-Album „Alpha Motherfuckers“ eine Cover-Version von „Are You Ready For Some Darkness?“ eingespielt. Enjoy!

Bereit für die Jugend oder einfach neugierig? Hier die offizielle Homepage.

Und wer mal unter richtig vielen Jeans-Jacken feiern will, der geht ans nächste Torpedo Festival in der Gewerbehalle Luzern. Line-up: Natürlich The Hip Priests und die Bitch Queens.

Der Weltmacht-Herold Kissi auf Twitter.