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Interviews

Aus dem kathartischen Exorzismus in die durchdachte Isolation—Die Entwicklung der Zola Jesus

Zola Jesus hat für ihre neue Platte isoliert gelebt und versucht, keine andere Musik zu hören.

Fotos: Gergana Petrova

Man mag von Zola Jesus’ Musik halten, was man möchte—Die zierliche, stimmgewaltige Nika Roza ist ohne Frage eine interessante Erscheinung, die ihr lautes Organ nicht nur zum Singen nutzt, sondern ebenso um Geschichten zu erzählen und auszusprechen, was sie denkt. Mit ihrem neuen Album ist die gerade erst 25-Jährige in neue Gebiete vorgedrungen, produktionstechnisch, stimmlich, geografisch. Taiga ist einer bewussten Isolation auf einer Insel vor Washington entsprungen und in einem ganz bewusst anderen Prozess als ihre vorigen Arbeiten wie Versions oder The Spoils entstanden. Das wird schon in den ersten Tracks hörbar: Das Düstere, Organische ist dem Mächtigen, nahezu Aufgeblasenem gewichen. Auch davon mag man halten, was man möchte. Aber der echte Künstler entwickelt sich eben weiter, und zwar bewusst. Zola Jesus hat uns in einem Gespräch durch ihren Prozess vom ersten Album bis zur heutigen Platte geführt, der in einem größeren Selbstbewusstsein und einem kleineren Ego endete und schlussendlich sogar David Lynch aus seiner Zola Jesus-Isolation holte.

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Noisey: Dein neues Album klingt mächtiger als deine vorigen, auch produktionstechnisch. Wie ist das gekommen?
Zola Jesus: Ich wollte einfach etwas machen, das lebendig und vollblutig klingt. Also habe ich es einfach gemacht. Ich habe jetzt mehr Selbstbewusstsein.

Was denkst du, wie das Album aufgenommen wird, vor allem in deinem Stammpublikum?
Ich bin sehr stolz darauf. Es ist eine Weiterentwicklung zu dem, was ich schon immer tun wollte, aber wofür nie das Selbstbewusstsein hatte. Deswegen hoffe ich, dass meine Fans das genau so aufnehmen und sich darüber freuen, wie ich.

Abgesehen davon, dass du über die Jahre selbstbewusster geworden bist, was hat sich noch verändert?
Durch meine Auszeit habe ich die Chance bekommen, alles, was in den letzten Jahren passiert ist, zu reflektieren. Ich schaffe es jetzt, meine Fähigkeiten als Musikerin, Produzentin und Sängerin wirklich auszuschöpfen und fühle mich, als hätte ich eine starke, künstlerische Stimme. Das brauchte Zeit.

Am Anfang hast du dich nicht so gefühlt?
Mein erstes Album The Spoils kam 2009 raus, und ich wusste nicht, was ich da tat. Das Album war einfach eine Art Reflex— aber das war vielen Hörern gar nicht bewusst. Dann kam Stridulum II raus—ich habe diese Songs in vielleicht zwei Wochen geschrieben. Womöglich sogar noch kürzer, in vielleicht fünf Tagen. Auch bei Conatus fühlte sich alles, was ich tat, wie ein Exorzismus an. Ich habe nie darüber nachgedacht. Bei der Entstehung des neuen Albums hatte ich endlich Zeit, aktiv über dei Musik nachzudenken.

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Ich hätte nicht geahnt, dass du als Sängerin anfangs so wenig Selbstbewusstsein hattest.
Singen war für mich immer eine Erleichterung. Aber auf der neuen Platte wollte ich wirklich singen. Das ist ein großer Unterschied für mich.

Ist es also seltsam für dich, wenn du zurückblickst oder deine alten Platten hörst?
Ja, total. Ich würde ganz anders singen, einfach weil meine Stimme jetzt an einem anderen Punkt ist. Meine Stimme hat sich komplett verändert. Aber ich habe dieses automatische Gefühl des Schreibens nichts desto trotz geliebt. Damals hat sich einfach alles organischer angefühlt.

Glaubst du, du kannst wieder zurück zum Organischen gehen?
Ich weiß nicht. Ich glaube eher nicht—weil ich jetzt einfach zu viel weiß. Ich weiß zu viel darüber, wie man Musik schreibt. Ich weiß zu viel darüber, was ich will. Ich weiß zu viel darüber, wie ich eine Vision verwirkliche. Damals hatte ich nur ein beschissenes Keyboard und einen 4-Track-Rekorder, und damit habe ich herumprobiert. Trotzdem bin ich stolz auf das alte Zeug.

Es hat seinen Charme.
Ja, ich liebe das Zeug auch. Tatsächlich ist The Spoils auch immer noch mein Lieblingsalbum. Es war immerhin mein erstes.

Du bist jetzt erst 25?
Ja.

In welchem Alter hast du dann angefangen, Texte zu schreiben?
(überlegt) Mit sieben Jahren.

Kannst du in dem Bereich auch einen Entwicklungsprozess beobachten, wenn du zurückblickst?
Ja, ich habe meistens erst gesungen und dann erst versucht herauszufinden, was ich eigentlich sagen will. Es ist heute immer noch so automatisch. Ich lasse Dinge einfach raus, und oft haben sie irgendeine Message, von der ich in dem Moment noch gar nichts weiß. Es ist wie eine Katharsis. Aber auf dieser Platte habe ich versucht, in jedem Song eine starke Message zu verpacken.

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Du findest also die Message deiner Songs erst im Nachhinein heraus?
Das kommt auf den Song an. Den Song „It’s not Over“, zum Beispiel, habe ich 2011 geschrieben. Ich habe einfach irgendwelche Worte geschrieben. Ich wusste nicht, was ich damit sagen will. Ich meine, ich wusste ungefähr, was ich mit dem Song ausdrücken will, aber ich hatte nicht wirklich eine Message, deswegen habe ich ihn damals nicht auf das Album genommen. Dann bin ich nochmal darauf zurückgekommen, habe die Lyrics überarbeitet und versucht, die Message zu vervollständigen, die ich zuvor auf Papier zu bringen wollte, aber es nicht konnte. Und das ist schon wichtig.

Für diese Platte bist du in ein Studio fernab der Zivilisation gegangen.
Ja, ich war in einem Haus auf einer Insel in Washington. Ich hatte bis dahin in Los Angeles gewohnt, aber war bereit umzuziehen und von dort wegzugehen. Also bin ich nach Vashon Island gezogen.

Und dort warst du alleine?
Naja, ich bin verheiratet, mein Mann war da.

Wie verändert das alleine sein dich und deinen Prozess?
Es gibt mir die Freiheit zu kreieren, ohne zu verurteilen. Zu kreieren, ohne eine Ahnung davon zu haben, was in der Welt gerade vor sich geht. Zu fühlen, als ob alles miteinander verbunden und organisch ist. Ich hatte nicht all diese Musikszenen um mich herum, ich hatte keine Musiker um mich herum, ich hatte kein Radio. Es war sehr rein. Deswegen hat sich alles, das herauskam, intimer angefühlt.

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Hast du andere Medien konsumiert?
Ja, ich habe Filme angeschaut und auch ein bisschen Musik gehört. Aber wenn ich an einem Album arbeite, macht es mir fast Angst, andere Musik zu hören. Deswegen habe ich versucht, einfach keine Musik zu hören (lacht).

Hast du Angst, dass sie deine eigene Musik beeinflusst?
Ja, auch weil sie mich an andere Dinge erinnert. Ich habe auch Angst, dass sie meine Musik beeinflusst. Das ist wie, wenn du ein Buch schreibst, währenddessen ein anderes Buch liest, und du fängst an, dich selbst zu kritisieren, weil dein Buch nicht so gut wie das andere ist. Aber ich mag Filmmusik. Ich liebe Michael Nymans Musik. Ich habe auch viel klassische Musik gehört, und Opern. Denn aus irgendeinem Grund hat sich das nicht wie musikalische Konkurrenz angefühlt (lacht). Ich meine, ich weiß, dass ich nicht so gut wie Donizetti bin, also habe ich es gar nicht erst versucht.

Dein Infotext sagt, dass deine Vorfahren von irgendeinem „komischen deutsch-russischen Stamm“ abstammen? Warum war der so komisch?
(lacht) Weil sie Russen sind, aber deutsche Wurzeln haben und sie sehr isoliert lebten. Selbst, als sie vor 600 Jahren in Deutschland gelebt haben, waren sie immer nur in ihrer Gemeinschaft.

Und auch du magst die Isolation.
Ja, und das ist das Thema des Albums. Ich habe über viel nachgedacht und eben auch über meine Vorfahren. Ich finde es total interessant, dass ich von dieser Gemeinde abstamme. Erstmal ist ihre Identität sehr verwirrend—wegen all der Orte, an denen sie gelebt haben. Sie haben sich also nirgendwo zugehörig gefühlt. Ich kann das immer noch in meiner Familie sehen. Sie sind alle sehr unabhängig und wollen von niemandem gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Sie wollen einfach ihr Ding machen und in ihrer Welt leben.

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Du magst keine Remixe, richtig?
Ich bin jetzt offen dafür. Für diese Platte habe ich „Ja“ gesagt.

Warum plötzlich?
Ich bin jetzt bereit. Seit ich die Platte Versions mit dem Komponisten J. G. Thirlwell gemacht habe. Er hat alle meine Songs neu für Streicher arrangiert. Das hat die Musik auf eine Art belebt, die ich nie erwartet hatte. Das hat mir gezeigt, wie interessant es ist, wenn jemand anderes sein Können und seine Erfahrungen einfließen lässt. Deswegen bin ich jetzt offener. Vorher hatte ich so viel Stolz und so viel Ego, wenn es um meine Musik ging. Ich wollte nicht, dass jemand anderes sie anfasst. Aber bei allen Themen, zu denen ich eine sehr starke Meinung habe, komme ich irgendwann an den Punkt, an dem ich das Gegenteil machen möchte. Weil ich Angst bekomme, dass ich engstirnig werde.

Zuvor war David Lynch der einzige, der einen Remix machen durfte.
Ja, er war der einzige.

Wenn du zu diesem Punkt zurückdenkst und du dir eine Person hättest aussuchen dürfen—egal welche—die einen Remix macht, wem hättest du es noch erlaubt?
Aphex Twin wahrscheinlich. Er würde es vermutlich niemals tun. Wenn er es aber doch tun würde, würde ich wahrscheinlich zusammenbrechen.

Taiga ist bei Mute Artists Ltd (Goodtogo) erschienen. Bestelle es bei Amazon oder iTunes.

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