FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Die beste Art, ein Album zu veröffentlichen, ist es einfach rauszubringen

Von U2 bis Wiley verzichten immer mehr Künstler auf Marketing-Kampagnen. Warum?
Emma Garland
London, GB

Gestern ist etwas geschehen, was lange Zeit als vollkommen undenkbar galt und nun fast schon zum guten Ton gehört: Ein Künstler hat ohne die geringste Ankündigung ein Album rausgehauen. Dass es in dem Fall der Musiker D'Angelo war, der allgemein als Genie gilt und vor dem gestrigen Tag 14 lange Jahre nichts veröffentlicht hat, machte den sofort eintretenden Internet-Buzz nur noch größer. Interessant ist dabei nicht nur das Album selbst, sondern vor allem wie normal eine solche unangekündigte Album-Veröffentlichung geworden ist—und dass diese Normalität in so kurzer Zeit eingetreten ist. Noch vor zwölf Monaten war das ganz anders.

Anzeige

Am 12. Dezember 2013 ist Beyoncé aus dem Nichts aufgetaucht und hat ein gigantisches Album abgeliefert, ohne dass es vorher einen Hinweis auf die Veröffentlichung gab. Die Platte sollte ursprünglich nicht auf diese Weise erscheinen, aber während ihrer ausgiebigen Tour im Jahr 2013 veränderte sich der Charakter des Projekts und der visuelle Aspekt wurde immer wichtiger. Beyoncé bevorzugte eine unerwartete Veröffentlichung und hat das Album letztendlich in Form einzelner Videos an einem Tag komplett veröffentlicht. Natürlich wurde mit totaler Hysterie darauf reagiert, da es nunmal Beyoncé ist. Es ist auf Nummer Eins der Billboard 200 eingestiegen und hat weltweit 828.773 Exemplare in drei Tagen verkauft, was es zum sich am schnellsten verkaufenden Album in der Geschichte von iTunes macht.

Wenn wir ein bisschen vorspulen, dann wissen wir, dass es dieses Jahr eine ganze Reihe an Künstlern gab, die ihr Album aus dem Nichts veröffentlicht haben, von U2 bis Wiley. Und wir reden hier nicht über beiläufige oder kleine Veröffentlichungen; das ist nicht Michael Cera, der ein Album bei Bandcamp hochlädt, das so klingt, als würde er gerade alle Instrumente auf einmal lernen—dies sind vollwertige Platten, hinter denen viel Geld und derselbe lange kreative Prozess wie wie bei Taylor Swifts 1989 steckt (was Monate vorher angekündigt wurde und eine riesige Promo-Kampagne hinter sich hat).

Was sagt uns das also über die Industrie? Können Künstler es sich in einem Klima, in dem Branding und Social Media als wesentliche Werkzeuge zum Erfolg angesehen werden, erlauben, diese Werkzeuge überhaupt nicht zu nutzen?

Anzeige
undefined

Offenbar wird das Standard-Geschäftsmodell einer langen Promokampagne, gefolgt von einer Single, noch einer Single, dann dem kompletten Album und dann weiteren Singles langweilig. Da wir heute schnellen Zugang zu jedem Künstler aus jeder Zeit haben, wird es für einen Künstler immer schwerer, herauszustechen. Aus der Perspektive eines Künstlers ist die unerwartete Veröffentlichung eines Albums aus dem Nichts also ein Versuch, direkt viral zu gehen und wieder Kontrolle über die Art, wie das Material vermarktet wird, zu erlangen.

Außerdem leben wir in einem Zeitalter des Konsums, das durch eine immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne gekennzeichnet ist. Für alles entsteht sofort ein Hype und es wird sichergestellt, dass jeder weiß, wie heiß wir auf die Sache sind. Dann vergessen wir es innerhalb von ein paar Tagen wieder, wenn es etwas anderes gibt, das gehypt werden muss. Wenn so viele Informationen verloren gehen—und im Twitter-Feed immer weiter nach unten rutschen—zahlt sich die „langsame Enthüllung“ vielleicht nicht mehr aus. Künstler müssen neue, innovative Wege finden, um die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen.

undefined

Eine Art, auf die man es nicht machen sollte, ist, sein Album auf jedes Apple-Gerät dieser Welt zu schmuggeln, wie eine Art trojanischen Virus. Auch wenn eine nette Intention dahinter steckte, U2s „Geschenk“ von Songs Of Innocence an 500 Millionen iTunes Nutzer war bestenfalls unheimlich und schlimmstenfalls eine komplette Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Trotzdem hat sich das Album in der ersten Woche 28.000 Mal verkauft—95 Prozent davon waren physische Verkäufe—und es in dieser Woche unter die 40 meist verkauften Alben der Welt geschafft. Die etwas weniger aufdringliche Veröffentlichung von Thom Yorke über jedermanns Lieblingsplattenlabel „Bit Torrent" hat es auf eine Million Verkäufe in den ersten sechs Tagen gebracht. Und Skrillexs Recess, das ursprünglich per App veröffentlicht wurde, stieg auf Nummer Eins der Dance/Electro-Albumcharts ein. Die plötzliche Veröffentlichung hat also bereits ihre erfolgreichen Fallstudien.

Anzeige

Es bestreitet jedoch niemand die Effekte von gutem Marketing. Daft Punks Random Access Memories wurde bei Amazon nicht zufällig zur am besten verkauften Vinyl-Platte aller Zeiten, sie wurde durch die „taktischste und innovativste Marketing-Kampagne in der Geschichte des Musikgeschäfts“ enorm unterstützt. Aber Beyoncé, U2, Thom Yorke und Skrillex haben allen gezeigt, dass Leute über Monate mit einem bevorstehenden Projekt vertraut zu machen nicht mehr das A und O der Albumveröffentlichung ist. Und obwohl jeder dieser Künstler sein oder ihr Album auf verschiedene Weise und unter verschiedenen Umständen veröffentlicht hat, war der Grund dahinter immer der gleiche: Sie alle waren desillusioniert von dem derzeitigen Modell, Musik verfügbar zu machen und die Beziehung zwischen Künstler und Fan auszuschöpfen.

undefined

Für andere Künstler, wie Wiley, Azealia Banks und Angel Haze ging es bei der plötzlichen Veröffentlichung ihres Albums weniger um ein einzigartiges Marketing-Experiment, sondern mehr darum, die Verbindungen zu Majorlabels abzubrechen, die ihre Interessen nicht vertreten haben. Sie haben nicht versucht, einen neuen, innovativen Weg zum Konsumenten zu finden, sie wollten einfach nur ihr verdammtes Album veröffentlichen und diese Methode ist symptomatisch dafür geworden, wie Künstler in den letzten zwölf Monaten die Trennung von ihren Majorlabels begründet haben. Die ganze Routine von Vorab-Marketing und PR ist so rigoros und unflexibel, dass sie unglaublich frustrierend sein kann, besonders wenn du mit größeren Künstlern um die Aufmerksamkeit des Labels konkurrierst. In einem Video, in dem sie erklärt, warum sie Island Records umgangen und Dirty Gold selbst geleakt hat, hat Angel Haze betont, wie wichtig der Aufbau einer Plattform, die du nutzen kannst, um dein eigenes Ding zu machen, ist, wenn dies aber dem in die Quere kommt, was du eigentlich machen willst, dann ist es das nicht wert.

Anzeige

Trotzdem, bei der Entscheidung, etwas ohne Ankündigung zu veröffentlichen, geht es grundsätzlich darum, in einem turbulenten Kreativ- und Konsumklima wieder ein Stück weit die Kontrolle über die eigene Arbeit zu erlangen. Offensichtlich ist der Vorteil davon, auf einem Majorlabel zu sein, der, dass dies viel Geld hat, das es in die Promo einer Veröffentlichung stecken kann, um sicherzugehen, dass es so gut wie möglich läuft (damit sie ihr Geld wieder reinbekommen). Im Fall von Beyoncé ging diese finanzielle Unterstützung in die Produktion des Albums und der Videos. Natürlich dachte ihr Team, sie wäre verrückt, dies überhaupt vorzuschlagen (seien wir mal ehrlich, wer will schon an 14 Videos gleichzeitig arbeiten), aber letztendlich war es ein Risiko, das alle eingehen konnten. Das ist Beyoncé.

undefined

Abgesehen davon, hat sogar Queen Bey gesagt, dass sie aufgrund der Art, wie wir Musik heute erleben, eine mangelnde Verbindung zwischen ihr und den Fans spürt. Sie sagte, sie würde es bevorzugen, dass ihr Album erscheint „wenn es fertig ist und zwar von mir für meine Fans“ und nicht wenn das Label entscheidet, wann die Deadline sein sollte und mit monatelanger vorausgehender Promo. Wenn du es wie ein Weihnachtsgeschenk von jemandem, den du magst, siehst, dann ist der Unterschied, dass du nicht im Juli gesagt bekommst, was genau du bekommst und dann ein paar Monate warten musst, sondern dass du eine unerwartete Überraschung bekommst. Dann gibt es natürlich auch diese beschissen lahme Post und niemand bekommt rechtzeitig das, was er zu Weihnachten bestellt hat, sondern erst zwei Jahre später—weißt du, was ich meine, Azealia?

Der Punkt ist, dass wir 2014 haben und es mehr als einen Weg gibt, ein Album zu veröffentlichen, und das kann vom guten alten „promote and release“ zu etwas Innovativerem reichen, wie ein eigenes Tinder-Profil zu erstellen und nur den Leuten Download-Codes zu geben, die zu dir passen. Die plötzliche Veröffentlichung mag impulsiv erscheinen, aber für viele Künstler ist es die relevanteste und plausibelste Art und Weise.

Folgt Emma bei Twitter: @emmagarland

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.