FYI.

This story is over 5 years old.

dein sound andere ära

Die 70er—Das Ende und der Anfang des Rock’n’Roll

Hier ist die Geschichte, wie sich der Rock'n'Roll in den 70ern entwickelte, bevor ihm die Punks mit hedonistischer Brutalität die Eier abschnitten.

Man muss nur hoch genug stapeln und breit genug ausbauen, dann wird es auch nicht langweilig. Zumindest so lange nicht, bis die totale Sättigung eintritt. Vieles von dem, was in den 60ern im Rock angedacht, ausgedacht und formvollendet wurde, haben die 70er anschließend breit getreten, ausgebaut und bis zur Superlative über- und getrieben. Das geht eine Weile gut. Doch spätestens Mitte der 70er kippt die Stimmung. Der Rock mutiert, zerfasert in immer neue Unterkategorien. Es wird unübersichtlich, die Kanten werden abgeschliffen, der Blues zum Feind, das Größer zur Maxime und das Radio zum Ziel. Hier nun die ungemein verknappte Geschichte wie der bluesgetränkte Heavy Rock der späten 60er zum saturierten Bombast-Prog-Art-Rock müder Dinosaurier wird, bevor ihm die Punks mit hedonistischer Brutalität die Eier abschneiden.

Anzeige

Proto my ass

Die späten 60er sind ein Sammelbecken der Inspiration. Neue Aufnahmetechniken, ein Mehr an Möglichkeiten und von psychedelischen Drogen getriebene Musiker, die noch die irrste Idee umsetzen, führen zu einem fantastischen Durcheinander an Stilen, Platten und Songs, die viel von dem erfinden, was in kommenden Dekaden immer wieder kopiert und variiert wird. Wenn es in den 60ern neu ist, hängt der Klugscheißer Jahre später das Präfix „Proto-“ dran. Es entsteht Proto-Punk, Proto-Metal, Proto-Electronica… Die 70er scheißen auf das Präfix. In diesem Jahrzehnt angekommen, ist nichts mehr „Proto“. Alles ist jetzt Gegenwart. Genres sind etabliert oder bekommen neue Namen und feiern sich und ihre wachsenden Subkulturen.

Groß, größer, Led Zeppelin

Ins letzte Jahr vor der symbolträchtigen Dekadenwende quetschen Led Zeppelin noch schnell ihre ersten zwei Alben I und II. Das erste wird von der Kritik verrissen. Wieder so ein Album von ein paar überambitionierten Studiomusikern aus England, die nicht genug vom US-Blues bekommen. Braucht kein Schwein. Es gibt doch schon Jimi Hendrix, Cream, Taste und Ten Years After. Irgendwann muss auch mal Schluss sein damit, sich am Erbe von Willie Dixon, Chuck Berry und Howlin’ Wolf abzuarbeiten. Aber: Damit ist es noch lange nicht Schluss. Led Zeppelin sind klüger. Im Oktober 1970 erscheint – Überraschung – III. Und mit dem Immigrant Song (Trent Reznor covert ihn zusammen mit Karen O 2012 für David Finchers The Girl With The Dragon Tattoo) nehmen sie viel von dem vorweg, was Anfang der 80er die New Wave Of British Heavy Metal auszeichnen wird: schriller Gesang, ein galoppierender Rhythmus, erhabene Melodien und ein schwerer Groove. Sicherlich haben Zeppelin auf III den Blues nicht verloren, aber sie reichern ihn mit allerhand Folk an und beweisen, dass bei ihnen noch viel mehr geht – bisher haben sie schließlich noch nicht Stairway To Heaven geschrieben. Ihre Platten verkaufen sich wie geschnitten Brot, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass sie (fast) keine Singles veröffentlichen. Ihr fetter Mega-Manager Peter Grant formt seine Jungs zu einer Album-Band. Wer die Hits haben will, muss die LP kaufen. Was die Leute auch tun – millionenfach. Vor allem kaufen sie Tickets für die immer enormer arrangierten Touren der Band. Am 30 April 1977 – auf Platte sind Led Zeppelin längst nicht mehr so relevant – spielen die Briten im Pontiac Silverdome in Michigan vor 76.229 Menschen, das ist Weltrekord für ein Indoor-Konzert.

Anzeige

Heavy, heavier, Black Sabbath

Die ganz genauen Bescheidwisser behaupten ja immer wieder gerne, dass Sir Lord Baltimore den Heavy Metal erfunden hat. Kingdom Come, das Debüt des Power-Trios (ja, so nennt man laute Dreimannbands) aus Brooklyn erscheint im Dezember 1970, zehn Monate nachdem Black Sabbath ihr erstes Album auf der anderen Seite des großen Teichs veröffentlichen. Als „America’s Only Rock’n’Roll Magazine“ Creem Kingdom Come Anfang 1971 rezensiert, fällt endlich und schwarz auf weiß dokumentiert der Begriff Heavy Metal, um dem krachig-einfältigen Rock von Sir Lord Baltimore gerecht zu werden. Den teils hysterisch intonierten, teils stumpf vor sich hinpolternden Sound haben so oder so ähnlich auch schon Blue Cheer gespielt, aber auch UFO und Cactus, die ihre Debüts ebenfalls ins Jahr 1970 quetschen. Es beginnt die große Heavy-Rock-Welle, die fantastillionen obskurer Krachschläger ins Leben spuckt, von denen die meisten im Schatten von Led Zeppelin, Deep Purple und Black Sabbath jedoch ein mickriges Dasein fristen. Immerhin: Rare Vinyl-Pressungen von Warhorse, Warpig, Jericho, Road, Granicus, Budgie, Tiger B. Smith, May Blitz, The Master’s Apprentices, Buffalo, Hard Stuff, Steel Mill, Necromandus oder Stray sorgen auch Jahrzehnte später noch bei Sammlern für Schnappatmung und feuchte Höschen. Doch egal wie heavy und obskur, düster und wild deine Band ist, sie ist ein Fliegenschiss im Vergleich zu Black Sabbath. Das macht die Band aus Birmingham, der Arbeitermetropole im Black Country des Vereinigten Königreichs, direkt mit dem Intro zu ihrem ersten Song klar. Es ist Black Sabbath von Black Sabbath auf dem Album Black Sabbath. Es ist Regen, Donner und dann eine Geröllwand von Rock. So ein nach unten ziehendes Etwas hat die Musikwelt bis 1970 noch nicht gehört. Deshalb nennen ein paar Spezialisten die Chose auch Downer Rock. Sabbath jedenfalls erfinden fast alles, was den Heavy Metal und seine ganze, große Familie später einst auszeichnen wird. Die Texte – fast immer von Bassist Geezer Butler geschrieben – behandeln Themen wie Satanismus, dunkle Bräuche, schwarze Magie, das Ende der Welt und die atomare Gefahr. Da Riff-Ikone Tony Iommi eine Fingerkuppe fehlt und er deshalb mit einer niedrigen Saitenspannung spielt, stimmt auch Geezer seinen Bass um drei Halbtonschritte nach unten. Heute ist die tiefe Stimmung common sense im Metal. Die düsteren Artworks tragen ihr Übriges zum Instant-Kult-Potenzial der Band bei. Wobei an diese Stelle klar gestellt werden darf, dass Black Sabbath fantastische Songschreiber sind. Sie sträuben sich von Anfang an vor den üblichen, totexerzierten Blues-Schemata und kochen mit einem melancholisch bellenden Ozzy Osbourne und dem groovenden Swing von Bill Ward ihr ganz eigenes Ursüppchen. Machen wir heute Sabbath für das Gros des Metal-Genres verantwortlich, sind ihre Nachfahren doch vor allem im Doom Metal und Stoner Rock vertreten. Von Pentagram, Witchfinder General und Saint Vitus über Kyuss, Sleep und Fu Manchu haben ganze Legionen von Bands die Riff-Kultur von Iommi studiert, kopiert, perfektioniert und rudimentalisiert, um sie bis zur monotonen Ekstase durchzuexerzieren. (Höre: Sleeps 63-minütige Weed-Meditation Dopesmoker von 1996.)

Anzeige

Art & Prog

Man darf sich nicht täuschen. Black Sabbath sind damals zunächst nicht die angebeteten Superhelden, die sie heute sind. Gerade zu Beginn ihrer Karriere sind sie Underdogs, denen vorgeworfen wird, plumpen Höhlenmenschenrock zu spielen. Wahrscheinlich und vor allem von den Arschgeigen, die sich der progressiven Virtuosität hingeben. Bands, die diesem Jieper Futter geben, gibt es immer mehr. Denn wo sich Amateure in der Garage treffen, um mit minimalen Fähigkeiten Musik zu machen, gibt es immer auch die Streber, die Nerds und Geeks, die sich um maximale Fingerfertigkeit und monumentale Songkonstrukte kümmern. Yes entstehen Ende der 60er – ebenfalls wie Black Sabbath – in Birmingham und feiern mit Fragile 1972 ihren stilistischen Durchbruch. Die ebenfalls britischen Genesis um Schlagzeuger Phil Collins und Sänger Peter Gabriel haben im gleichen Jahr mit Foxtrot ihren ersten echten Höhepunkt. In Manchester entstehen Van Der Graaf Generator und ihr Experimental- und Prog-Rock und in der Hauptstadt London stehen King Crimson bereits 1969 mit ihrem Debüt In The Court Of The Crimson King in voller Blüte. Progressiv nennen das Kritiker und Hörer. Und während der Begriff für den schlichter gestrickten (Blues-)Rock-Fan zum roten Tuch wird, erfreut sich die Szene bis heute ungebrochener Beliebtheit. Was man etwa daran erkennen kann, dass für das grauenerregend öde Pink-Floyd-Album The Endless River 2014 viel zu viele Menschen ihr Geld ausgeben. Aber hey, egal wie egal das Album ist – es ist schließlich die erste Floyd-Platte seit dem beschissenen Pulse von 1995. Die Prog-Attitüde lebt heute vor allem – nun ja – in den modernen Prog-Bands fort, die eigentlich nicht viel anders machen als die Großen von einst. Allen voran wohl Steven Wilson, der neben seinen zig Projekten wie Porcupine Tree oder No-Man auch die Alben der alten Helden remastert (Jethro Tull, King Crimson etc.). The Mars Volta, der Ableger der At-The-Drive-In-Afroköpfe Cedric Bixler-Zavala und Omar Rodriguez-Lopez wiederum, klingt wie Santana auf einer Überdosis Soft Machine, während am Wegesrand immer neue experimentelle Abarten wie etwa Drone oder die übertechnisierte Metal-Seuche Djent entstehen und in den 90ern vor allem der Postrock seinen Siegeszug antritt. Er ist etwas weniger verkopft, oft instrumental, doch nehmen die Bands oft einen konzeptuellen Faden auf, den eigentlich noch niemand fallen gelassen hat, da Bands wie etwa Rush und King Crimson seit Anfang der 70er mehr oder minder unablässig existieren.

Anzeige

Kraut, Kommunen, Kunst und Betonmischmaschinen

Und während vor allem England sich der großen Ambition hingibt, dreht Deutschland völlig frei. Keimzelle ist Düsseldorf mit seinen Bands Kraftwerk, Can, Cluster und Neu! – doch eigentlich entstehen im ganzen Bundesgebiet Bands, die dem Blues den Mittelfinger zeigen, die den improvisierten Jam im eigenen Studio zur Königsdisziplin erheben und notfalls auch den scheppernden Maschinensound eines Betonmischers auf Band bringen. Im eigenen Land weiß man das oft gar nicht zu schätzen. Die Briten jedoch nennen es Krautrock. Mit dafür verantwortlich ist natürlich BBC-Radio-Guru John Peel. Seine Gier nach immer neuer, interessanter Musik führt dazu, dass sich der tatsächlich interessante Kraut-Sound im englischsprachigen Raum verbreitet. Amerika und Japan schließen sich an, den Weirdo-Sound aus Western Germany kultisch zu verehren. Auch Julian Cope, Sänger und Songschreiber der Post-Punk-Band The Teardrop Explodes erliegt dieser Faszination. 1996 veröffentlicht er das brillante Nerd-Werk Krautrocksampler, in dem er sich detektivisch mit der Szene auseinander setzt. Auch das 2009 erschienene Krautrock – Cosmic Rock And Its Legacy (Black Dog Publishing) widmet sich der Armada an Bands, die in Deutschlands Scheunen, Kommunen, besetzten Häusern und Studenten-WGs gegründet werden: Amon Düül, Embryo, Ash Ra Tempel, Tangerine Dream, Witthüser und Westrupp, La Düsseldorf, Popol Vuh, Agitation Free, Faust, Harmonia… Ausgerechnet Herbie „Bochum, ich komm aus dir“ Grönemeyer hat sich mit seinem Label Grönland in den vergangenen Jahren darum verdient gemacht, alte Schätze zu heben, Veröffentlichungen aus der Obskurität zu retten und die wahrscheinlich wichtigste Geschichte deutscher Rockmusik für die Gegenwart aufzubereiten. Völlig zu recht, denn die Halbwertszeit von Krautrock ist wesentlich höher als bei anderer Rockmusik, da sie kaum auf Althergebrachtem aufbaut und teilweise gar nicht einzuordnen ist. Oft steht das Experiment der elektronischen Soundgewinnung im Mittelpunkt, was Minimal, Techno, House und sonstigen Pillenschmeißer-Sounds den Weg ebnet. Bemerkenswert ist auch der wegweisende D.I.Y.-Gedanke der Kraut-Community und die Punk-Attitüde dem deutschen Wirtschaftswunder- und Nachkriegschlager-Irrsinn gegenüber. Heute fühlt sich fast jede Band, die auf den Kunstanspruch ihrer Musik Wert legt, vom Krautrock beeinflusst – von Sonic Youth bis Stereolab. Und die Typen von Kasabian haben Noel Gallagher für Oasis einst mit dem Wissen um den Kraut-Schatz angefixt. Dank Bands wie Maserati, Camera, Fujiya & Miyagi, The Secret Machines, Holy Fuck und dem LCD Soundsystem irrlichtert der Kraut-Sound mal mehr, mal weniger deutlich seit Jahren durch diverse Platten zwischen Rock und Dance. Endlich mal ein Erbe, auf das man als Deutscher stolz sein kann.

Seek & Destroy

Irgendwann muss es so weit kommen. Auf (Über-)Ambition und künstlerischer Hybris muss eine Gegenkultur folgen, die mit dem Establishment bricht. Es sind genug Stadien in Rage gespielt, genug LP-Seiten-füllende Songs geschrieben worden und es wird schon lange genug in Dekadenz geschwelgt. Punk muss her, um den gockelhaften Rock-Lackaffen das Handwerk zu legen. Natürlich ist Punk nicht neu – er hat sich vor 1977 jedoch nicht zur ernstzunehmenden Untergrund-Kultur entwickelt. Mit The Stooges und MC5 bekommt der Punk zunächst mal wieder das Präfix „Proto“ drangepappt. Beide Bands kommen aus Michigan, die Stooges aus Ann Arbor, MC5 aus Detroit. Sie hieven den Garagen-Krach der 60er auf ein neues Level. Sie etablieren sich als gefährliche Bands mit gefährlicher Live-Show und gefährlicher Message. Es ist physisch mitreißende, wilde Musik, die das Establishment mit allen vorhandenen Mitteln ficken will – vor allem Feedback und Lautstärke. „Kick out the jams, motherfuckers!“ Als die Ramones 1976 ihr erstes Album veröffentlichen, transportieren sie mit ihrer Kampansage „Hey! Ho! Let’s go!“ aus Blitzkrieg Bop die Attitüde von Iggy Pop & Co. weiter. Ihr großes Talent besteht darin, die geile Dummheit und Simplizität des neugeborenen Punk-Genres aus klassischem Rock’n’Roll, Surf, Do Wop und Girlgroup-Sounds zu generieren. Der US-Punk-Bewegung zimmern sie damit ein Sprungbrett. Mit Young Loud And Snotty liefern dann die Dead Boys 1977 die bis dato wohl asozialste Ansage ab, während in den UK das Punk-Fieber die Queen nicht sonderlich amused. Schuld daran haben vor allem die Sex Pistols, die mit Never Mind The Bollocks dem Gesicht des Rock damit eine ansehnliche Narbe zugefügt haben. Die Rotzbengel treffen sich in der Mode-Boutique Let It Rock von Malcolm McLaren in London, der die Band fortan managt und sich – mit Hilfe von Vivienne Westwood – vor allem den bis dato gültigen Punk-Look ausdenkt: militärische Klobigkeit, faschistoide Insignien, wild frisierte Haare, Nieten, Leder und martialischer Tand.

Man darf die Welle an Bands, die nun entsteht, als Antibewegung zum etablierten Rock der 70er sehen. Bewusst haben sich die wenigsten gegen den Sound der Dinosaurier positioniert. Doch die Häutung ist so oder so vonnöten. Denn was in den 70ern immer überkandidelter wird, wird durch den sterilen Studio-Exzess der 80er nicht besser. Aber immerhin gibt es endlich einen florierenden Underground, eine Gegenkultur, die Identifikation stiftet oder wenigstens schockierenden Nihilismus predigt. Eine Geschichte nimmt hier ihren Anfang, die in der folgenden Dekade weitererzählt wird – dann etwa, wenn Ende der 80er mit dem Grunge die nächste Kratzbürsten-Welle losgetreten wird, wenn in den 90ern der Punk die Charts anführt und aus Provokation und Politik vor allem flacher Spaß und Infantilität wird.