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Deutschpop ist einfach so kacke, was zur Hölle ist los mit euch?

Das Grauen hat viele Namen: Mark Forster, Joris, Glasperlenspiel, Philipp Dittberner, Gestört aber Geil.

Bild via Screenshot

Hat einer von euch in den letzten vier Wochen mal Radio gehört? Und damit meine ich nicht irgendeinen Hipstersender oder den russischen Techno-Äther, den ihr im Internet gefunden habt. Ich meine gutes, deutschsprachiges Durchschnittradio: Ö3, Krone Hit und wie sie nicht alle heißen. Solcherlei Formatradios brüsten sich in letzter Zeit damit, vermehrt ihren Einheitsbrei aus Avicii/Calvin Harris/Jason Derulo und Martin Solveig mit deutschsprachiger Popmusik zu unterbrechen. Ja wow, könnte man da meinen, endlich wird mal wieder deutschsprachige Musik gespielt und damit die hiesige Musiklandschaft gefördert. Da will man doch nicht meckern, oder?

Oder doch. Denn was da im Radio läuft sind nicht SSIO, Fjørt und Fatoni, sondern Mark Forster, Joris, Glasperlenspiel, Philipp Dittberner, Nisse und Gestört aber Geil. Oder auch Robin Schulz featuring irgendwas. Oder Felix Jähn featuring irgendwas. Oder neuerdings Topic featuring irgendwas.*

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Alles klingt gleich und alles klingt gleich beschissen. Es ist eine größere Kunst, die Songs auseinanderzuhalten, als sie zu schreiben**. Das stellt das Verhältnis Künstler zum Rezipienten vollkommen auf den Kopf.

Angefangen hat die Welle mit Mark Forster. (Eventuell hat sie auch schon mit Clueso angefangen, aber wenn das so war, war zwischenzeitlich eine ganze Weile Ebbe, die sich jetzt in einem unkontrollierbaren Tsunami entlädt.) Forster ist der Allgemeinheit bekannt, weil er Ende 2013 aus dem Nichts gleich in zwei Songs auf Sidos Hausfrauen-Album 30-11-80 auftauchte. Ich frage mich bis heute: Woher hatte Sido diesen Kerl? (Spekulative Antwort: Vermutlich wurde er ihm von der Plattenfirma aufgedrückt.) Seit dem Sido-Hype singt Forster jedenfalls darüber, wie toll es sein kann, schon drei bis vier Jahre mit jemandem zusammen zu sein und wie sein Kopf zum Bauch nein sagt. Musik gewordene Spießigkeit. Unfassbar langweilig.

Als Philipp Dittberner über Wolke vier sang, war wenigstens die lyrische Grundidee noch einigermaßen kreativ. Die Fiesität der Aussage, lieber mit der Alten ein Leben auf Wolke vier zu verbringen, als irgendwann wieder von Wolke sieben zu fallen, erschuf so etwas, wie ein extrem gemeines Liebeslied und führte damit die Idee des Schlagers ad absurdum. Dessen Konzept ist schließlich, dass immer alles geil, geil, geil ist und nicht mal Engel mit Harfen es vermögen, der Begehrten klarzumachen, wie groß die Liebe ist. Oder so.

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Dittberner drehte dieses also schon seit Jahrhunderten für das deutschsprachige Liedgut gültige Konzept um—lyrisch—unterlegte das dann aber dank der fleißigen Unterstützung eines Nachwuchs-Produzenten namens Marv mit nichts anderem als dumpfer Schlagermusik: einfach, eingängig, langweilig, anspruchslos, dumm. Ergo: definitiv massentauglich. Seit diesem Charterfolg singt Dittberner darüber, wie das Leben so ist und dass sein Bauch zum Kopf ja sagt. Immer schön flach, eingängig und voller „echter“ Gefühle. Zurück zum Schlager.

Apropos Gefühle: Joris’ großer Hit heißt „Herz über Kopf“. Er geht musikalisch eher in die folkige Richtung und nicht in die housige, basiert ansonsten aber auf demselben Schlagerprinzip: möglichst einfach, möglichst eingängig, möglichst dumm. Ergo: absolut massentauglich. Bei Joris fehlt zudem auch noch der lyrische Kniff, der Text ist hohl und austauschbar „genau wie früher“ reimt sich auf „genau wie früher“ und der Wein ist übrigens auch schon halbleer. Phrasengedresche ohne Sinn und Verstand.

Die gute Nachricht für Joris: Es geht noch dümmer. Wer kennt Glasperlenspiel? Dieses Duo gibt es schon mehr als zehn Jahre, wirklich erfolgreich war es nie. Na gut, 2011 erreichte Glasperlenspiel den vierten Platz bei Raabs Bundesvision Song Contest, mit dem weit über die Fremdscham-Grenze herausreichenden Lied „Echt“. Danach hätten sich Carolin und Daniel guten Gewissens zur Ruhe setzen können, aber nein! Im letzten Sommer veröffentlichten sie das Lied „Geiles Leben“ und zack ging’s hoch bis auf Platz drei in den Austria Top 40. „Geiles Leben“ ist ein astreiner Elektroschlager der Marke von einem zynischen Produzenten in drei Minuten zusammengeschissen. Das Reizwort „Geil“, bei dem die Hausfrau aus Alhaming immer so ein bisschen rattig wird, fällt nicht nur im Titel, sondern insgesamt 15 Mal im Liedtext. Hui, frech, denkt sich da der Tribal-tätowierte Maurermeister auf dem Sommerfest der Freiwilligen Feuerwehr Frastanz, und kriegt einen Halbdicken. Und die Sängerin ist auch noch blond, geil die Alte, geil, geil, geil!

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Fast so geil wie Gestört aber Geil. Wenn ein schlechter deutscher Stand-Up-Comdian ein DJ Team aus der ostdeutschen Provinz erfinden würde, kämen diese beiden raus: Nico und Marcel aus Sangerhausen. Stand Dezember 2015 gab es von GAG exakt einen Hit, der dafür aber schon seit mehr als zwei Jahren die Dorfdiskos der Republik zum Taumeln gebracht hatte: „Unter meiner Haut“. Als wäre dieser Song nicht schon gruselig genug, haben die beiden vor kurzem tatsächlich ein ganzes Album veröffentlicht. Alle darauf enthaltenen Titel klingen wie billige Variationen von „Unter meiner Haut“. Lieblingszeile: „Jetzt steh’ ich hier allein im Regen, und hab’ schon lange aufgegeben, denn du bist nicht mehr hier. […] Ich wollt’ mit dir noch im Sommerregen tanzen, ich wollt’ mit dir noch die noch die Sterne glühen sehen.“ Oh. Mein. Gott.

Man fragt sich ernsthaft, warum, warum, warum all dieser Musiker gleich klingen? Gleich flache Reime, gleich inhaltsleere Lyrics, gleich gezupfte Gitarre, gleicher Schema-F-Housebeat, gleiche Themen, gleich langweilig. Warum? Es ist doch nicht so, dass es bei uns keine guten Musiker geben würde. Habt ihr euch schon mal im Deutschrap umgesehen? Es ist ja auch nicht so, dass es nicht möglich wäre, Deutschpop mit Anspruch zu produzieren. Habt ihr schonmal Bilderbuch gehört?

Was ist also hier los? Wo beginnt die Spirale des schlechten Geschmacks? Sind es die Plattenfirmen, die möglichst unkompliziert Geld verdienen wollen? Sind es die Musiker selbst, denen nichts besseres einfällt? Ist es der tief in unserer Kultur verankerte Hang zum Heititeiti-Liebe-Herz-Funkelnde-Sterne-Schlager? Oder sind es die Fans, die Glasperlenspiel-Singles geil finden, denen Gestört aber Geil-Songs unter die Haut gehen, die sich bei Joris denken, Herz geht definitiv über Kopf oder bei Mark Forster, Bauch sagt zu Kopf ja? Ist es ein spießige Sehnsucht nach einer Welt, in der alles einfach, verständlich, unkompliziert und lieb ist?

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Bitte, Leute, das muss aufhören. Echt.

*Honorable non-mentions, aber genauso beschissene Beispiele für die musikalische Armut des deutschsprachigen Pops: Andreas „Es wird niemals vorbeigehen“ Bourani, Tim „147 Emails“ Bendzko, Johannes „Ich habe ZM den Albumtitel geklaut“ Oerding, Namika „Ich bin die einzige Frau hier“ Lieblingsmensch und Revolverheld.

**Hier könnte irgendein Arschloch-Künstler, der gerade „früher“ auf „früher“ gereimt hat, einwerfen, dass ich doch erstmal so einen Flachperlen-Song komponieren solle, bevor ich solche Dinge öffentlich behaupte. Jaha, da magst du Recht haben, mein Freund. Dann beweise du mir doch erstmal, dass du Philipp Dittberner und Joris auseinander halten kannst!***

***Wer zur Hölle liest eigentlich Fußnoten?

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