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Deutsche Rapper müssen endlich aufhören, nach dem Engel unter tausend Huren zu suchen

Jeder Orgi-Track ist feministischer und ehrlicher als die Liebeslieder, in denen Rapper das Bild ihrer idealen Traumfrau zeichnen.

Frauen, Sex und kalkulierte Provokation: Dafür steht Farid Bang mit seinem Namen. Spätestens wenn Leute empört zischen, dass etwas "jetzt nicht mehr lustig ist", ist es für Farid Bang an der Zeit, auf die Zunge beißend loszugiggeln und sich auf die Schenkel zu klopfen. Wir stimmen meistens mit ein. Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht, und Farid besitzt und tut beides in rauen Mengen. Umso bemerkenswerter sein neues Musikvideo, in dem der emotionale Farid zum Vorschein kommt. Hier werden keine Mütter penetriert, Körperöffnungen einer Zerreißprobe unterzogen, oder Oden auf das dritte Bein (er meint den Penis) des Rappers besungen. Vielmehr wird Farids ernsthafte Suche nach wahrer Liebe und die Erfüllung in einer festen Beziehung thematisiert. Völlig ironiefrei. Das ist an sich cool—schließlich ist uns bewusst, dass auch der größte Mutterficker eben im realen Leben nur eine Mutter ficken will: die seiner eigenen Kinder. Paradoxerweise ist "Nicht Vergessen" hinsichtlich der darin propagierten Geschlechterrollen aber um einiges fragwürdiger als jeder Mutterficker-Track davor.

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So rappt Farid nachdenklich über seine Einsamkeit, seinen Wunsch nach einer ernsten Beziehung und vor allem über oberflächliche Frauen, die ihm seine Zeit stehlen. Dabei fällt auf, dass er ganz genau weiß, wie das Mädchen seiner Träume zu sein hat. Loyal muss sie sein. Absolute Treue und bedingungslos unterstützend muss sie sein. Anti-matrerialistisch und bescheiden. Prinzipiell alles Eigenschaften, die durchaus erstrebenswert sind—bei Frauen wie bei Männern. Jedoch—und das ist der Punkt, wo Farids scheinbar völlig gerechtigfertigtes Bild eines idealen Partners zu schwanken beginnt—darf die Frau auf gar keinen Fall von ihm unabhängig sein oder gar ihr eigenes Leben leben. Als ob sich diese beiden Dinge gegenseitig ausschließen würden! Die Entwicklung der Frau, die brav am Herd steht, zu dem Partygirl, das im Club auf den Tischen tanzt, wird als absolute Horrorvorstellung des Girlfriend-Materials gezeichnet.

Ein Muster, das sich bei vielen vermeintlich ernsten, ehrlich wirkenden "Liebesliedern" im Deutschrap wiederholt: Der Rapper beschwert sich vehement, dass alle Frauen die wahren Werte vergessen haben, nur scharf auf Geld sind, dauernd hinter dem Rücken des Partners mit fremden Typen abhängen und jeden Abend wie besessen Party machen. Hier wird der klassische Madonna-Huren-Komplex propagiert. Eine Frau kann immer nur eines von beidem sein. Wirklich menschlich oder realistisch (und somit gerecht), ist keine der beiden Kategorien. SXTN beschrieben diese teilweise auch gelebte Doppelmoral ihrer männlichen Kollegen mit einigen sehr treffenden Zeilen in ihrer Orgi-Hommage "Hass Frau", wenn Juju beispielsweise rappt "Meine Sidechick sieht wie ne Hure aus / Doch mit dir kann ich des nicht machen, du bist eine gute Frau" oder "Jede Frau macht immer Faxen, wenn sie trinkt / und du darfst nicht kacken, weil das stinkt."

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Die sich beklagenden Rapper haben es aber auch wirklich schwer. In was für einer Welt muss ein Mann heutzutage leben? In der Generation ihrer (und unser aller) Eltern waren Frauen doch schließlich auch nicht so! Diese Frauen haben damals das traute Heim nie verlassen und waren auch nie in zwielichtigen Clubs und haben auch nie gekackt. Die daraus folgende mehr oder weniger logische Konsequenz ist, dass man als Rapper leider einsam sterben muss und nie wieder eine Frau in sein Herz lassen kann. Denn es gibt keine echten Frauen mehr, nur konsumgeile InternetbitcheZzz. Diese Thematik wird dann gerne mit dramatischer Geigen- und Klaviermusik unterlegt und trägt aussagekräftige Titel wie "Schlampe".

Wir erinnern uns unweigerlich auch an das Jahr 2007, als Bushido den Song "Gibt es dich?" veröffentlicht hat. Der Song erregte Aufmerksamkeit, weil sich darin ein sensibler Bushido über die verhurte Frauenwelt beschwerte. Der Typ, der Beton in seiner Brust hat und deshalb nicht weinen kann, fragt sich plötzlich, wo er denn nur bleibt, sein Engel unter tausend Huren. Ich erinnere mich an Mädels, die sich bei MSN “###€nGeL uNtER 1000 hUr€n****“ nannten und Typen schrieben auf YouTube unter das Video Dinge wie "Ja man, wo bleiben die echten Frauen, die nicht dauernd auf Partys gehen?! Überall nur Schlampen, Bruder!11".

Und das ist vermutlich das, was diese Form des Sexismus so nervig macht. Unter dem Deckmantel der pseudo-Emotionalität und Verletzlichkeit wird ein völlig fehlerhaftes Frauenbild kritisiert. Jeder Orgi-Track ist feministischer und ehrlicher, als diese Art des vermeintlichen Slutshamings.

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In den darauffolgenden Jahren veröffentlichten diverse Rapper immer wieder Lieder, in denen sie sich alle überraschend einig darüber waren, wie eine Frau zu sein hat und was sie auf keinen Fall tun darf, falls sie nicht als ehrenlos abgestempelt werden will. Und diese Gesetze klingen erschreckend nach Generation Höhlenmenschen und Dingen, die unsere Oma uns eingebläut hat, wenn wir mit zu kurzem Rock zu Besuch bei ihr waren. Diese inoffiziellen Gesetze haben wir für euch in drei Kategorien unterteilt.

Eine Frau mit Ehre hat keinen Internetzugang

"Mit jedem deiner Abonnenten sinkt dein Wert bei mir / Bitte rede nicht und behalte dein Herz bei dir / Als ob du dein Profil nur für die Familie brauchst / Wir beide wissen doch: Du bist keine reale Frau" —PA Sports "Ich würde gerne lieben".

Frauen, die sich auf sozialen Netzwerken herumtreiben, sind Frauen, die Aufmerksamkeit von fremden Männern benötigen und den ganzen Tag damit verbringen, das perfekte Selfie von sich zu schießen. Denn der einzige Grund, warum Frauen ihr Äußeres pflegen ist, damit Männer sich sabbernd nach ihnen die Finger lecken—ob online oder auf der Straße. Das ist schlecht. Natürlich soll die eigene Freundin geil aussehen, nur darf das bitte kein anderer Mann mitbekommen, das wär ja sonst voll anstrengend für einen selbst. Am besten ab in den Keller ganz tief unter der Erde mit ihr, wo sie einem nicht gefährlich werden kann mit ihrem sündhaften Selbstbewusstsein. Außerdem: Die Zeit, die sie vor dem Internet verschwendet ist Zeit, in der sie ihren Mann bewundern, bekochen oder unterstützen könnte.

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Ist dem nicht so, bedeutet das also im Umkehrschluss, dass besagte likegeile Selfiebitch ihren Rapperfreund gar nicht wirklich lieben kann, weil sonst würde es ihr ja reichen, dass er ihr immer mal wieder sagt, dass sie hübsch ist. Außerdem heißt das auch, dass sie ja nur mit ihm zusammen ist, weil er berühmt ist und sich dadurch ihre Abonenntenzahl auf Instagram verdoppelt. Solche Frauen sind miese, berechnende Social-Media-Monster und man muss leider so schnell wie möglich mit ihnen Schluss machen.

Eine Frau mit Ehre hat keinen Spaß mit Anderen

"Ich weiß, dass du an dem Tag in einer Disco warst / Wie eine Ehrenlose sagst, dass es nicht so war / Weißt du eigentlich, das ich an dem Tag dein Blut verlangte? Doch ich wollt nicht in den Bau rein wegen einer Schlampe“"—Saad, "Jamila".

Wie eine Ehrenlose im Club rumhängen. Frech. Jeder weiß, dass Frauen die in Clubs rumhängen, solche sind, die auch mit anderen Männern flirten und ihren Freund betrügen. Das geht alles Hand in Hand und ist leider nicht zu vermeiden. Wie steht der Rapper denn dann da vor seinen Jungs, wenn er das einfach so zulässt? Reicht er der Frau etwa nicht? Warum geht sie auf Partys, wenn sie zu Hause auf ihn warten könnte, um ihn zu begrüßen, wenn er von der Arbeit kommt? Mies. Undankbar. Typisch Frauen.

Eine Frau mit Ehre interessiert sich nicht für materielle Dinge

"Wir hatten Aldi-Cola, konnten Pizza in meinem Ofen backen / Doch du wolltest mehr Parfüm, Schmuck und Modemarken / Ich wollte Kohle machen, hab etwas Gras verkauft / Wegen dir wurde ich kriminell, ich hab dir hart vertraut"—Seyed, "Bessere Welt Slut".

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Eine Frau, die sich nicht zufrieden gibt mit Aldi-Cola und Pizza ist eine Frau, die nach Prada-Taschen lechzt, wie ein Heroinjunkie nach seinen nächsten Schuss. Aus der wird keine gute Hausfrau und sie kann nichts lieben, was kein fünfstelliges Preisschild an sich kleben hat. Deshalb ist die auch mit diesem einen Rapper zusammen. Weil er reich ist und sie aushält. Das ist am Anfang nicht aufgefallen, aber nach dem zehnten Essen, dass man bezahlt, fällt es einem irgendwann wie Schuppen von den Augen: Die Frau liebt mich nicht, sie liebt nur mein Geld. Trauer.

Wer diese drei Grundsäulen beachtet, bekommt den Titel "Heiratsmaterial" und hebt sich automatisch ab von "schlechten Frauen." Wieso diese offensichtlich veralteten und völlig überzogenen Wertvorstellungen und Meinungen immer noch von so vielen Männern Zuspruch bekommen, ist nicht ganz nachvollziehbar. Wieso anscheinend so gut wie jeder Rapper sich immer die falsche Frau zur Freundin nimmt, ebenso. Es KANN einfach nicht sein, dass ausnahmslos alle Frauen geldgeile Schlampen sind—die es zweiflohne bestimmt gibt. Aber hey, dafür haben wir einen Lifehack für euch, Jungs: Wenn ihr keine geldgeilen, oberflächlichen Bitches am Arsch kleben haben wollt, dann nehmt sie doch einfach nicht mit in euren Backstage. Oder ihr fragt eine Frau vielleicht auch mal die ein oder andere Frage über ihr Leben, wenn ihr sie kennenlernt.

Tatsächlich wirkt ein Mann, der so panische Angst davor hat, dass seine Frau ohne ihn feiern geht oder von ihrer Umwelt als begehrenswert wahrgenommen wird, ziemlich unsicher. Selbstsicherheit und Stolz sind durchaus zwei Charakterzüge, die auch durchaus als ehrenwert gewertet werden können. Vielleicht sollte hinsichtlich dieser beiden Eigenschaften also der ein oder andere Mann mal an der eigenen Ehre arbeiten, statt einer Frau ihre abzusprechen.

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