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Sollten andere Festivals die Drogentoten des Electric Daisy Carnivals ernster nehmen?

Weltweit steigt die Zahl der Drogen-Todesfälle auf Festivals—unrühmlicher Spitzenreiter sind amerikanische EDM Events. Wie ist die Situation in Deutschland?
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Foto: Flickr | Eva Rinaldi | CC BY-SA 2.0

Schon mal vom Electric Daisy Carnival gehört? Das ist eine unvergleichliche US-Musikfestival-Institution, die seit 1997 in verschiedensten Locations der USA und Großbritanniens gefeiert wird. Dieses Jahr kamen in drei Tagen 340.000 Raver (also in etwa die Einwohnerzahl Wuppertals) nach Las Vegas, um auf wild blinkenden Karussellen das Leben zu genießen und sich drei Tage lang zu den Sets von Armin van Buuren, Avicii, Calvin Harris und Tiësto die Füße blutig zu tanzen. Über die letzten Jahre mussten sich die Veranstalter oft erklären. Nicht etwa dafür, dass sie solche Acts buchen, sondern weswegen seit 2010 so viele Menschen auf ihrem Festival gestorben sind. Besonders schlimm war es im Falle der 15-jährigen Sasha Rodriguez. Sie hatte sich 2010 aufs Gelände geschlichen und verstarb noch am selben Tag im Krankenhaus. Sie hatte MDMA eingeworfen, stundenlang getanzt, daraufhin eiskaltes Wasser getrunken und kollabierte kurze Zeit später. Die Wolken der Entrüstung zogen sich über Veranstalter Insomniac, Inc. zusammen und entluden sich in einem Sharknado der Vorwürfe und Anklagen, nicht genug für die drogenfreie Sicherheit der Besucher getan zu haben.

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In den folgenden vier Jahren sind noch sechs weitere Menschen beim Electric Daisy Carnival gestorben. Die Ursachen sind jedes Mal auf den unbedachten Genuss von Partydrogen zurückzuführen. Dieses Jahr ist ein 24-Jähriger nach Drogenkonsum auf dem Parkplatz zusammengebrochen und im Krankenhaus gestorben, ein 25-Jähriger wurde tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Doch auch bei anderen Festivals gab es dieses Jahr schon Tote. Beim Future Music Festival Asia in Kuala Lumpur sind im März sechs der 75.000 Besucher nach dem Einnehmen von Meth gestorben, im April brach eine 24-Jährige auf dem kalifornischen Coachella zusammen. Sie starb fünf Tage später im Krankenhaus. Kürzlich wurde der Tod einer 19-Jährigen Besucherin des kalifornischen Hard Summer 2014 gemeldet. Sie hatte verschiedene Methamphetamine eingenommen.

Auf Festivals dieser Größenordnung kommt vieles zusammen: Zehntausende feierwütige Menschen treffen sich auf relativ engen Raum, leiden unter extremen Temperaturen, Schlafmangel und durch wummernde Musik bedingten psychischen Stress. Natürlich gönnen sich einige auch verschiedene Lustigmacher. Die meisten genügen sich aber mit Bier, Sangria-Eimern und Longdrinks. Keine Party ohne Rausch, für die überwältigende Mehrheit der Besucher bedeutet das, sie erleben ihr auserwähltes Festival als einen dreitägigen Endorphinkarneval. Wer leichtsinnig und respektlos auf harte Drogen zurückgreift, geht ein Risiko ein, das auch nicht durch ein geschrienes „YOLO!“ gemindert werden kann. Besoffen stundenlang bei 30°C zu tanzen lässt deinen Körper austrocknen. Das zusätzliche dippen von MDMA sorgt dafür, dass die eigene Körpertemperatur noch weiter ansteigt. Resultat: Dehydration. Ohne, dass du wirklich checkst, was gerade mit dir passiert, weil MDMA auch dein Durstempfinden betäubt. Deswegen besteht bei diesen unnatürlichen, nur über ein verlängertes Wochenende existierenden Kleinstädten immer die Möglichkeit, dass es tödliche Unfälle gibt.

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Oliver Vordemvenne, stellvertretender Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur i-Motion, fasst es trocken zusammen: „In den letzten zwei, drei Jahren boomt EDM in den USA. Da ist es reine statistische Wahrscheinlichkeit, dass mehr Unfälle passieren können.“ i-Motion ist Veranstalter der deutschen Elektro-Festivals Mayday, Nature One und Ruhr in Love. 2013 erregte der Tod einer 29-Jährigen beim Ruhr in Love mediale Aufmerksamkeit. Sie hatte Ecstasy und Speed genommen, brach auf der Heimreise zusammen und verstarb im Krankenhaus. Hätte der Unfall nicht durch scharfe Kontrollen verhindert werden können?

Wohl kaum. Die Forderung nach verstärkten Kontrollen verfehlt die Realität. Es wird immer Drogen auf Festivals geben oder wie es Vordemvenne sagt: „Wo junge Leute sind, gibt es auch Drogen.“ Es ist ja nicht einmal möglich, den Drogenhandel in Gefängnissen zu unterbinden, wie sollte dies also bei einem Festival klappen, wo die Security von externen Firmen gebucht wird und es schlicht unmöglich ist, mehrere Tausend Menschen, ihre Taschen, Zelte, Habseligkeiten und ihre Autos gründlichst zu filzen? Nein, wer MDMA, Speed, Ecstasy, etc. aufs Gelände schmuggeln will, wird dies auch schaffen. Die Veranstalter können nur auf ihren Homepages und in der öffentlichen Kommunikation an die Besucher appellieren, illegale Substanzen zu Hause zu lassen und klar darauf hinweisen, dass Drogen bei ihnen nicht Bestandteil des Festivalalltags sind.

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Seltsamerweise wird dies aber auf den wenigsten Seiten getan. Dabei machen es das Highfield und Hurricane doch charmant vor: „Das Beschaffen und Konsumieren von Drogen auf dem Festivalgelände ist nicht nur illegal, sondern auch hochgradig dumm und gefährlich.“ Auf den Seiten des Wacken, FUSION, Ruhr in Love, Nature One, With Full Force, SonneMondSterne und Melt! steht überraschenderweise dazu kein Wort. Immerhin gilt: Wer auf den Festivals beim Konsum erwischt wird, verliert in der Regel seinen Stoff. Wer dealt, fliegt vom Gelände. Vielleicht sollte aber auch damit begonnen werden, präventiv Gefahren wie Dehydration zu begegnen. Etwa, für eine kostenlose Wasserversorgung auf dem Konzertgelände zu sorgen. Wenn auf Festivals ein Becher Wasser nur unwesentlich billiger ist, als ein Becher Bier, unterschätzen die Veranstalter aus Profitgier den gesundheitlichen Wert von alkoholfreien Getränken an einem Wochenende, auf welchem tagsüber Sommerhitze herrscht und Bier Hauptnahrungsmittel ist.

Kern des Problems sei nach Vordemvenne jedoch oftmals schlicht fehlendes Wissen. Auch er hat von den Unfällen des Daisy Carnivals gehört und ist sich bewusst, dass auch bei seinen Festivals Drogen ein Thema sind: „Klar gibt es bei uns Drogen, aber nicht überproportional, sondern in normalen Verhältnissen.“ Viele dieser US-Fälle seien eben auf unbedachten Mischkonsum verschiedener Drogen in Verbindung mit Alkohol und einer nicht zu unterschätzenden körperlich geschwächten Verfassung zurückzuführen. Ein weiteres großes Problem sei das Einnehmen verunreinigter Drogen. Wenn du dir auf einem Festival Speed von einem zwielichtigen Typen kaufst, musst du dir immer bewusst sein, dass du dir mit etwas Pech gleich deine Nasenschleimhäute mit Rattengift verätzt. Die Wirkung solcher, durch andere Chemikalien, gestreckter Drogen richtig einzuschätzen, ist in etwa so leicht, wie dir selbst den Ellbogen zu lecken. Viele denken, dass genau sie es schaffen und scheitern dann doch kläglich.

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Um Zwischenfälle zu vermeiden, gibt es auf den Festivals von i-Motion immer „Eve-Rave“-Infostände. Dort kannst du dich sowohl mit Sozialpädagogen, als auch Ex-Usern über alles Rund um das Thema Drogen informieren. Tatsächlich gibt es immer eine große Frage der Interessierten: Was passiert, wenn ich zu der bereits eingeworfenen Pille X noch Droge Y nehme? Außerdem kannst du an den Ständen deine Drogen testen lassen, um zu sehen, was tatsächlich drin ist. Ohne, dass ein Polizist um die Ecke springt, dir Pfefferspray ins Gesicht sprüht und dich zu Boden prügelt. Nein, der Kontakt findet hier auf Augenhöhe statt. Natürlich arbeiten die Veranstalter auch eng mit der Polizei zusammen, so Vordemvenne. So spazieren etwa Polizisten in Zivil und Security-Streifen übers Gelände, um mögliche Deals zu unterbinden.

Beim diesjährigen Nature One waren laut Vordemvenne 72.000 Besucher vor Ort, um drei Tage lang zu feiern. Der Bericht des DRK zeige, dass die meisten Behandlungsfälle alltäglicher Natur waren. Es hätte viele Bienenstiche, Fuß-Verstauchungen, aber auch Dehydrierende gegeben. Nur selten wären Leute wegen übermäßigen Alkoholkonsum oder leichtsinnigen Drogenkonsum in Behandlung gewesen. Und überhaupt: Karneval-Veranstaltungen hätten bedeutend größere Probleme, den Alkoholmissbrauch zu unterbinden, weil sich da 13- bis 15-Jährige ins Koma saufen würden. i-Motion hätte dagegen mit Alkohol keine Probleme, da die meisten Besucher eh nur Mixgetränke trinken würden: „Da bekommen sie eher einen Zuckerschock, bevor sie besoffen werden.“.

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Ende August findet das Electric Zoo Festival (EZF) in New York statt. Es werden über 100.000 Gäste erwartet, um bei den Sets von David Guetta, Paul van Dyk und Gesaffelstein zu einer gierig tanzenden Meute zu verschmelzen. Als Reaktion auf die beiden Drogentoten (beide hatten MDMA konsumiert) des vorigen Jahres, aufgrund dessen das Festival am Sonntag abgebrochen wurde, riefen die Veranstalter die Kampagne „Come To Life“ ins Leben. Die Festivalbesucher sollen schließlich der Musik und den positiven Vibes wegen nach New York kommen, nicht um sich geistig (und im Ernstfall auch körperlich) ins Nirvana zu befördern. Das Promo-Video bringt das Anliegen anschaulich auf den Punkt: „Don’t miss the moment. Be present. Avoid the risks.“.

So ein Video kann wohl leider die wenigsten Swagger davon abhalten, sich vergnügt die Zähne einzureiben. Dafür ist Generation EDM dann doch zu hedonistisch. Das wissen auch die Veranstalter des EZF, darum haben sie vorbildlich vorgesorgt. Auf dem Bühnengelände gibt es Wasserstationen, an denen jeder schnell und vor allem gratis Trinkwasser und Elektrolyte tanken kann. Die Sani-Zelte wurden aufgestockt und mit Sport-Drinks ausgerüstet. Wenn du Drogen-beschwingt endlos tanzt, hilft es eben irgendwann nicht mehr, nur literweise Wasser in dich reinzuschütten, dein Körper braucht auch Nährstoffe. Am Einlass werden Flyer ausgeteilt, die über die Symptome einer Dehydration aufklären, damit die Leute auch ihre Freunde rechtzeitig zum nächsten Medic schleifen können und nicht ins Zelt stecken, damit sie ihren vermeintlichen Rausch ausschlafen (und nie wieder aufzuwachen). Zudem laufen auf dem ganzen Gelände „ZooKeeper“ herum, die Wasser und Electrolyte an Betroffene verteilen.

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Es bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen dieses Jahr Menschenleben retten werden. Vielleicht wäre es aber auch sinnvoll, mit den Leuten über ihren Drogenkonsum zu reden, sie aufzuklären. Nach Vordemvenne sei in Europa die Rave-Kultur einfach schon weiter, immerhin bestehe sie seit über 20 Jahren: „Die Leute haben ein besseres Know-How, was Drogen angeht.“

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