FYI.

This story is over 5 years old.

dein sound andere ära

Der versunkene Klangschatz der 00er Jahre: New Weird America

Alle haben New Weird America vergessen. Dabei haben viele aktuelle Bands ihre Existenz dem NWA-Phänomen zu verdanken.

Alle haben New Weird America vergessen. Ja, es war ein Haufen weißer Pseudohippie-Hipster aus Portland. Aber dahinter verbirgt sich mehr. NWA war der Sammelbegriff für so unterschiedliche Bands wie die völlig verschollenen Animal Collective, Free Folk-Freaks wie Sunburned Hand Of The Man, eher songorientierte Vertreter wie Six Organs Of Admittance, aber auch ein begriffliches Sammelbecken, in dem fast schon Pop zu nennende Acts wie Devandra Banhart, Antony & The Johnsons oder Ariel Pink Platz fanden. Obwohl die meisten von ihnen mit dem Ende der 2000er verschwanden, üben sie nach wie vor großen Einfluss aus, allerdings im Untergrund—besonders in der Drone- und Noiseszene.

Anzeige

Aber was ist mit jenen NWA-Bands passiert? Selbst wenn sie heutzutage noch aktiv sind, tauchen ihre Namen normalerweise nicht mehr in der Presse auf. Dabei haben viele aktuelle Bands ihre Existenz dem NWA-Phänomen zu verdanken. Denn in den Neunzigern war Noise eine sehr ernsthafte Angelegenheit, für die man entweder Japaner oder schwer depressiver Ami sein musste. Damit war bei New Weird America Schluss. Die spielerische Inklusivität, den Mangel an Ernst und die Lust am Jammen, eigentlich doch in der Rockmusik zuhause, gab es in der experimentellen Musik natürlich hier und da schon immer. Aber all das wurde von der Bewegung, oder sagen wir besser: Quasi-Bewegung, da sie wie alle “Bewegungen” seit den späten Neunzigern journalistisch erfunden ist, programmatisch ausgeschlachtet.

Wenn man sich den Film People Who Do Noise anschaut, der sich nicht um die erste oder zweite Noisewelle, sondern um die Portland-Szene in den 2000er Jahren dreht, sieht man, dass es vielen dieser Künstler neben der Musik um gewisse esoterische Glaubenssysteme ging. Es ging mit anderen Worten um spirituelle Popmusik. Für Free Improv gilt das Gleiche. Freie Improvisation, die ihre 60er-Wurzeln ihrerseits im Spirituellen hat, wurde wieder aus dem entweder akademischen oder konterkulturellen Ernst geholt, sie wurde „dilettantisiert“ im besten Sinne des Wortes. Das öffnete die Tür für die aktuellen, kleinen „Noise“-Szenen: zumeist nur eine Ansammlung von Leuten mit sehr wenig historischem und musikalischem Verständnis, die zufällig fünf Gitarrenpedale besitzen.

Anzeige

Im Gefolge von New Weird America gab es ferner natürlich New Weird Australia, New Weird Finland etc. Im gleichen Zug wurden Kompilationen obskuren Ursprungs beliebt, also so etwas wie Surfrock aus Thailand in den 70er Jahren. Beides, der Aufstieg von NWA und dieses ganz und gar nicht musikwissenschaftliche Interesse an nichtwestlicher Musik, geschah aus dem gleichen Interesse: einem sehr simplen Verständnis davon, was weird und damit cool war. So werden Sun City Girls, obwohl sie eigentlich nichts damit zu tun hatten, oft mit NWA in Verbindung gebracht. Wir verdanken es ihrer Popularität und damit der Popularität von Alan Bishops Sublime Frequencies-Label, dass man heutzutage in Plattenläden gehen und dort indische elektronische Musik erwerben kann.

In diesem riesigen Meer von NWA-Namen gibt es natürlich auch eine Menge schnell produzierte Scheiße, aber wir stellen euch die beste Scheiße daraus vor, damit die Leute New Weird America nicht für immer nur mit Devendra Banhart und Ariel Pink in Verbindung bringen, sondern auch mal die guten Acts kennenlernen.

Steven R. Smith

Unter dem Namen Hala Strana machte Steven R. Smith Folk, der sich anhört, als käme er aus einem nicht existierenden Land irgendwo zwischen Osteuropa und einem bis dato unentdeckten Kontinent. Das Werk unter seinem bürgerlichen Namen ist zumeist droniger, Soundtrack-ähnlicher, immer irgendwie seltsam verklärt - da steckt System hinter, auch wenn die Musik völlig unangestrengt klingt.

Anzeige

Pocahaunted

Pocahaunted waren ein weibliches Duo. Eine der beiden, Amanda Brown, hat Not Not Fun mitgegründet—nach wie vor ein bedeutendes Label, das heute auch Retro-Elektronik herausbringt. Sie nannten sich the Olsen Twins Of Drone und kombinierten unkonventionelle Mengen von Reverbeffekten mit einer Atmosphäre, die man im Englischen mit dem diffusen Begriff “tribal” umschreibt, bis Bethany schließlich das Weite suchte und Amanda daraufhin eine ganze Menge neuer Leute in die Band aufnahm, die daraufhin begannen, etwas enttäuschend Songähnliches zu spielen. Unbedingt das Frühwerk hören.

Yellow Swans

Wer natürlich heraussticht, und immer herausstechen wird, sind Yellow Swans. Sie waren eine der erfinderischsten Noise-Jam-Bands aus Portland und machten wesentlich detailliertere Musik als man das normalerweise vom Reverb-getauchten NWA-Zeug erwarten würde. Sie sind unter anderem in „People Who Do Noise“ zu sehen, wie sie mit Fahrrädern Musik machen. Pete Swanson ist auch einer der wenigen, für den es ein Leben nach NWA gibt, er war in den vergangenen Jahren wiederholt FACT-Favorit, und hat unter anderem die gefeierte Punk Authority-EP herausgebracht. Yellow Swans sind farbenfroh, irgendwo an der Schwelle zwischen Noise und dem, was man in den 70er Jahren „kosmische Musik” nannte.

Kemiallisät Ystävät

Um nicht nur bei amerikanischen Bands zu bleiben, das hier ist Free Folk Schrägstrich psychedelische Musik, die auch heute noch originell und irgendwie spannend klingt. Hängt vielleicht damit zusammen, dass Spielzeug und Samples ebenso zum Arsenal gehören wie Instrumente, deren Herkunft der Wissenschaft bislang unbekannt geblieben ist. Wem das gefällt, weiterhören mit Jackie-O Motherfucker und Sunburned Hand Of The Man.

Anzeige

The Goslings

Noch nicht genug gehabt von Drone/Noise? Versucht es mit den Goslings. Teils gibt es hier Überschneidungen mit dem experimentellen Metal der Nuller, auch wenn Goslings in diesem Zusammenhang kaum je erwähnt werden. Dabei ist Between the Dead so heavy, wie man sich das nur wünschen kann.

Hochenkeit

Ein Geheimtipp. Avant la lettre nennt sich Hochenkeit und hat nur zwei Alben rausgebracht, die man mit etwas Glück wohl bei Discogs erwerben kann. Hochenkeit haben Free Folk/Psych gespielt, lange bevor es zu einem Hype wurde.

Wolf Eyes

Irgendwie gehören auch Wolf Eyes zu New Weird America, wenn auch eher als Außenseiter in ihrem eigenen kleinen Universum. Sie sind eine der wirklichen, zentralen Jam Noise Bands und haben so viele Nebenprojekte, dass man eigentlich fast von einem eigenen Genre sprechen kann. Aaron Dilloway hat musikalisch alles Mögliche ausprobiert und er hat immer noch sein eigenes Label, Hanson Records.

Religious Knives

Religious Knives sind ursprünglich aus Brooklyn. Sie definiert abwechslungsreicher Neopsych mit Lärmelementen, außerdem sind sie ziemlich programmatisch für das, was diese Zeit ausmacht.. Wenn Animal Collective, wie böse Zungen sagen, eine Band für die sind, die Sun City Girls nicht verstehen—sozusagen der Popexponent von New Weird America—, dann zeigen RK, was der eigentliche Kern von NWA ist: Es müssen Freaks sein, oder zumindest Leute, die sich als Freaks verstehen, ob das nun gerechtfertigt ist oder nicht.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.