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Es tut uns Leid, aber wir können die Musikvideos von Youtubern nicht einfach so hinnehmen

Wie du deinem 12-jährigen Kind erklärst, dass es lieber K.I.Z. als Joyce hören sollte.

Joyce macht jetzt auch Musik. Wer ist das, fragt ihr? Dann schaut ihr offensichtlich kein Yotube. Mit dem Viva-esken TV-Sender hat sie nichts am Hut, dafür hat sie auf ihrem eigenen Kanal bald eine Million Abonnenten und neben „witzigen“ Videos über Hipster-Klischees und Kurzdokus aus ihrem letzten Urlaub findet man dort seit Kurzem eben auch das Musikvideo „Summerhill“ mit mittlerweile einer halben Million Klicks.

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Als der Clip in meiner Timeline auftauchte und ich auf Play drückte, wurde mir schnell ein wenig flau. Als es dann vorbei war, dachte ich mir, wie ich das hier finden würde, wenn ich noch mal 12 wäre, mit den ersten Pickeln im Gesicht und so. Bestünde dann die Chance, dass ich diese 31-Jährige als ziemlich cool wahrnehmen würde, weil sie in dem Lied „Fuck“ sagt, keine Schminkvideos macht und sich als Avril Lavigne der Youtube-Welt inszeniert? Und, einen Schritt weiter: Wenn ich selbst Vater eines 12-Jährigen wäre, was würde ich ihm dann sagen, wenn er mich fragt, ob er meinen iTunes-Account benutzen kann, um „Summerhill“ runterzuladen? Es folgt: ein fiktiver Monolog, gerichtet an meinen ebenso fiktiven Sohn.

Sohnemann, tu's nicht! Du darfst das nicht gut finden. Aber die Joyce, die ist doch cool, sagst du? Nein, ist sie nicht! Warte, ich erklärs dir: Das, was dieses Video, was diese Figur dir verkauft, ist eine Lüge. Warum ich von einer Figur spreche, wenn ich von Joyce spreche? Weil diese Echtheit, die sie dir und den anderen Kids seit zwei Jahren vorgaukelt, natürlich gespielt ist. Oder sagen wir es so: Sie präsentiert dir eine ausgewählte Echtheit, bei der du nur die schönen, sympathischen und fröhlichen Seiten und Zeiten dieses Menschen begleitest. Eine wie Joyce Illg ist natürlich mit allen medialen Wassern gewassen, schließlich gehört sie meiner Generation an und hat Fernsehen und Internet früh genug nutzen können, um unterbewusst bereits zu verstehen, wie man seinem Zuschauer das gibt, was er glaubt zu wollen, ohne dass ihr das jemand beibringen musste.

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Nimm nur dieses Lied „Summerhill“. Das Offensichtlichste zuerst: Natürlich leben Joyce und ihre coolen Freunde nicht, wie das Video vormacht, im sonnigen Kalifornien, aber das wusstest du bestimmt bereits. Die richtige Frage an dieser Stelle wäre: Woher haben die das Geld, um nach Kalifornien zu fliegen und eine Villa mit Pool zu mieten? Die einfache Antwort darauf: von dir und deinen Freunden. Das muss ich jetzt genauer erklären, oder?

Natürlich verdient Joyce mit deinen Klicks auf ihre Videos Geld, weil sie Werbung davor schalten lässt. Aber sie macht immerhin keine Videos, in denen sie Schminktipps gibt, sagst du? Das stimmt, das macht sie auf jeden Fall weniger sch…, also auf jeden Fall weniger gierig. Dennoch ist Joyce Teil eines funktionierenden Geschäfts und es verdient nicht mal nur sie selbst daran. Die Macht, die sie, Dagi Bee und so haben, hat längst die Geschäftsmänner in ihren Anzügen auf den Plan gerufen. Was bedeutet: Sie können so viel Geld mit ihrer Arbeit verdienen, dass andere an ihnen mitverdienen wollen. Bei Joyce ist dieser jemand ein gewisser Sascha Rinne. Der führt eine offenbar größere Management-Firma, die unter anderem die Karrieren von Oliver Pocher, Boris Becker und Cindy aus Marzahn im Griff hat. Die findest du doch auch blöd, oder? Gut verdienende, aber am Ende seelenlose Marionetten sind das, lass dir das gesagt sein. Und eine aus dieser Riege findest du cool?

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Schau mal, wie passt es denn zusammen, dass Joyce auf „Summerhill“ erklärt, dass sie Business-Pläne hasst und lieber mit ihren Freunden den ganzen Tagen chillt, weil sie das, was die Erwachsenen ihr sagen wollen, nicht mag, wenn sie mit neben ihrem Manager auch noch einen Schauspielmanager hat. Ja, Schauspielmanager. Die ist eine Schauspielerin! So mit Schauspielunterricht und allem, was sonst dazu gehört. Sie hat sogar unter anderem in Unter Uns und Alles was zählt mitgespielt. Offenbar will sie am Ende offenbar einfach gutes Geld mit einer jungen Zielgruppe verdienen, so wie die Männer mit den fahlen Gesichtern, die hinter ihr stehen und daran arbeiten, dass dabei auch möglichst viel bei rumkommt (natürlich auch für sie selbst). Und wie tut sie das? Indem sie dir ein rebellisches Ich verkauft, dass aber eigentlich gar nichts wirklich in Frage stellt. Glaub mir, Skateboard fahren und Chucks tragen ist längst nicht mehr rebellisch. Vielleicht war es das mal, als ich jung war, aber heute haben das alles längst wohlhabende Anzugträger unter Kontrolle!

Und dieser Liont, von dem du letztens diese Box haben wolltest? Das ist ja noch mal schlimmer als Joyce, die ihr Lied bei iTunes verkauft. Wie viel war das? Dreißig, vierzig Euro für ein paar wertlose Kinkerlitzchen und ein Album, bei dem er nicht mal die Texte geschrieben hat. Und rappen kann der auch gar nicht, glaub mir. Und überhaupt: Weißt du, als ich so alt war wie du, da habe ich nicht mal dreißig Euro Taschengeld bekommen! Gott, jetzt klinge ich alt. Warte, lass uns lieber mal die neue K.I.Z.-CD auflegen. Die sagen zwar böse Worte, sind erfolgreich und stehen bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag, aber die sind wirklich politisch und klug. Warum die jetzt bessere Menschen sind als diese Joyce? Ach, ich werde müde. Lass uns vielleicht doch lieber bisschen Netflix schauen.

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