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Der Tag, an dem Kurt Cobain drohte, meine Freundin umzubringen

Ende 1992 hinterließ Kurt Cobain Drohnachrichten auf dem Anrufbeantworter meiner damaligen Freundin

Erinnerst du dich noch an die Dokumentation, die VICE über einen Typen namens Steve gemacht hat, der sich zum Spaß Schlangengift spritzt? Wie sich herausstellt, ist er einer der interessantesten Menschen, die wir je kennengelernt haben und hat mindestens 200 Storys über die Musikindustrie zu erzählen, von der jede einzelne besser ist als das, was du in deinem ganzen Leben erleben wirst. Vor ein paar Monaten hat Steve darüber geschrieben, wie er auf das Cover des NME gekackt und einen millionenschweren Plattenvertrag verloren hat. Dieses Mal: Der Tag, an dem Kurt Cobain drohte, Steves Freundin umzubringen.

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Es ist klingt immer arrogant, sowas zu sagen, wenn man nach so vielen Jahren darauf zurückschauen kann, aber Nirvana waren wirklich diese eine Band, auf die alle gewartet hatten—ein dürrer Sänger, der um einiges besser aussah als Frank Black von den Pixies und eine Energie mit sich brachte, die die Band unglaublich faszinierend und explosiv machte. Die Wurzeln meines Rockstammbaums bilden ganz klar Nirvana. Kurt und Courtney waren allerdings ziemliche Sonderlinge und verdammt unberechenbar. Ende 1992 hinterließ Kurt Cobain Morddrohungen auf dem Anrufbeantworter meiner damaligen Freundin.

Da ich mich 1987 dazu entschlossen hatte, nach Großbritannien zu ziehen, um dort meine Musikerkarriere zu verfolgen, hatte ich das Glück, während der Schrecken der Reagan/Bush-Ära nicht in Amerika zu sein. Bizarrerweise bestand meine erste Verbindung zu Kurt über eine Singer-Songwriterin aus Boston mit dem Namen Mary Lou Lord, mit der ich mir für sechs Monate in Nordlondon ein Haus teilte. Sie war ein hübsches, blondes und cooles Mädchen, das mir beibrachte, Akustikgitarre zu spielen. Mary Lou hatte später eine kurzlebige Beziehung mit Kurt, bevor Courtney auf der Bildfläche erschien und sie wegdrängte, als Nirvana im September 1991 die Charts hochschossen.

Ich habe Nirvana zum ersten Mal am 3. Dezember 1989 live gesehen, als sie (noch mit ihrem alten Drummer) bei Sub Pops Lame Fest zusammen mit ihren Labelkollegen Tad und Mudhoney im Londoner Astoria spielten. Mudhoney waren zwar offiziell der Headliner, aber Nirvana stahlen ihnen die Show—spätestens als Krist Novoselic seinen Bass zu einem Schläger umfunktionierte, um die Gitarre wegzuschmettern, die Kurt ihm zugeworfen hatte. Es war ein wahrer Home Run. Ihr Auftritt hatte etwas derartig Pures und Reines, dass jeder den Eindruck bekam, diese Band sei noch für Größeres bestimmt. Ich hatte das große Glück, Nirvana fünfmal im Rahmen normaler Konzerte gesehen zu haben, sowie beim Reading Festival, wo sie ihren bis dahin noch nicht veröffentlichten Überhit „Smells Like Teen Spirit“ spielten. Ich erinnere mich noch vage daran, wie ich laut ausrief: „Verdammte Scheiße, die haben die Pixies abgezogen. Die werden noch richtig groß!“

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Backstage traf ich auf eine junge Courtney Love. Meine erste Band, die den Namen Some Have Fins hatte, hatte einen Newcomer-Artikel im Melody Maker bekommen, der auf der gegenüberliegende Seite eines Berichts über Hole abgedruckt worden war. Beide Bandfotos, unseres und das von Hole, waren von Charles Peterson geschossen worden, der sehr bekannt für seine Arbeiten für Nirvana und andere Sub Pop-Künstler war. Courtney und ich verstanden uns richtig gut und verabredeten uns daraufhin für ein Date in dem berühmt berüchtigten Club Syndrome auf der Oxford Street. Ich weiß, dass viele Menschen über Courtney herziehen, aber damals war sie wirklich sehr freundlich, extrem intelligent und unglaublich sexy obendrein. Sie war eine sehr belesene Feministin und ich kam mir sehr schlecht dabei vor, wie ich jedes Mal beim Anblick ihres Slips anfing zu sabbern, wenn sie bei den Konzerten einen Fuß auf die Monitorbox stellte.

Einige Monate später traf ich Kurt nach Nirvanas Auftritt im Kilburn National ebenfalls im Club Syndrome, was inzwischen von der Musikpresse als „die sich selbst feiernde Szene“ betitelt wurde. Jede Woche trafen sich dort sehr bekannte Indie/Shoegaze-Bands und feierten und tanzten die ganze Nacht durch. Ich erinnere mich noch daran, wie ich mit Krist Novoselic und Dave Grohl zu Sonic Youths „Kool Thing“ headbangte. Als der Laden an dem Abend dann dicht machte, bin ich rüber zu Kurt und bedankte mich bei ihm. Ich erzählte ihm, dass meine Band gerade einen Deal bei Polygram unterschrieben hatte, weil Nirvana die Szene momentan so zum Explodieren brachte. Er lächelte und sagte nur: „Auf dem Spielplatz war noch reichlich Platz für neue Kinder!“ Wie verdammt cool ist das bitte? Die Nacht endete damit, dass wir auf der Oxford Street mit zwei Mädchen von einer Grunge-Band aus Camden abhingen. Ich sprach mit Kurt über unsere gemeinsame Liebe für Devo und Danny Elfmans Band Oingo Boingo. Er war allerdings interessierter daran, mit den Mädchen zu flirten und so verabschiedete ich mich. Ich hörte später, dass es in dieser Nacht wohl noch zu einem Dreier gekommen war.

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Das nächste Mal, als Nirvana auf dem Reading Festival spielten—1992—war eine der aufregendsten Zeiten in meinem Leben. Nirvana waren Headliner und meine damalige Band war ebenfalls im Line Up vertreten—außerdem spielten Bands wie L7, The Melvins, Smashing Pumpkins, Ride, Cardiacs und Levitation. Bei Letzteren sollte ich später als Sänger einsteigen und wir nahmen ein Album auf, das von Andy Gill, der bei Gang Of Four spielte, produziert wurde—einem von Kurts Lieblingen überhaupt. Ich habe einige Jahre später sogar zusammen mit Kurts Songwriter-Kumpel, dem The Vaselines-Frontmann Eugene Kelly, im Auftrag von Island Records ein paar Songs für die Gothpopperin Betty Curse geschrieben.

Es war eine wirklich romantische Zeit—die Sommer waren lang und heiß, die Musikszene sprühte nur so vor Energie und London war der aufregendste Ort auf Erden. Ich hatte meine damalige Freundin Britt Collins (Inhaberin der Musikzeitschrift Lime Lizard) dazu ermutigt, das erste Buch überhaupt über den Aufstieg unserer gemeinsamen Lieblingsband Nirvana zu schreiben. Zusammen mit ihrer besten Freundin Victoria Clarke (Shane MacGowans Freundin) landete sie einen Vertrag für ein Buch und flog nach Seattle, um dort Familie, Freunde und Bands zu interviewen. Ihre Probleme begannen kurz nachdem Lynn Hirschberg für Vanity Fair die reißerische Titelstory über Courtney Love gebracht hatte. Darin behauptete die Journalistin, dass Courtney während der Schwangerschaft Drogen genommen hatte. Dazu war dort auch das berühmte Foto von Courtney abgebildet, auf dem sie nackt und hochschwanger mit einer Zigarette in der Hand zu sehen ist, die man nachträglich entfernt hatte. Noch lange vor dem Internet machte die Story weltweit die Runde und es war einfach unmöglich, sie zu ignorieren. Plötzlich wurden meine Freundin und ihre Partnerin auf Kurt und Courtneys Abschussliste gepackt und ihnen alle Interviews mit der Band untersagt, obwohl sie nichts falsch gemacht, oder auch nur ansatzweise vorgehabt hatten, ein reißerisches Buch zu schreiben. Die Paranoia wurde zur Norm. Ihrem Verlag wurde mit Klagen gedroht, sollte das Buch veröffentlicht werden. Die Angelegenheit wurde so schlimm, dass ich sogar mitten in der Nacht Drohanrufe von Courtney und Kurt bekam, die mich dann fragten, wie ich überhaupt mit so einer beschissenen Journalistin ausgehen könne und ob ich ihnen zur Seite stehen würde, sollte die Sache vor Gericht gehen.

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In einer Nacht hinterließ Kurt auf dem Anrufbeantworter meiner Freundin eine Nachricht nach der anderen, in denen er drohte, dass er sie „vernichten“ würde, sollte irgendetwas in dem Buch erscheinen, was seine Frau schlecht dastehen ließe. Ich bewahrte die Kassette davon auf, weil ich es einerseits ziemlich lustig und andererseits extrem emotional fand. Kurt wird nicht wirklich als Komiker wahrgenommen, aber der Typ war einfach zum Schreien. Einige Monate später, nachdem sie erfolgreich das Nirvana-Buch meiner Freundin zunichte gemacht hatten, tauchte Courtney auf dem Cover des Melody Maker auf. Daneben stand die Überschrift geschrieben: „Eine Sache, die uns dieses furchtbare Jahr gelehrt hat: Wenn du Lügen über uns verbreitest, werde ich dir eine verpassen, Kurt wird dich erschießen und dann verklagen wir dich.“ Oh, immer diese Anspielungen auf Waffen …

Nachdem Kurt seiner Schusswunde erlegen war, wandelte sich die Welt mit Sportmetal und kanadischem Christengrunge zum Schlimmeren. Einige Wochen nach seinem Tod wurden mir von einem Boulevardmagazin 40.000 Pfund angeboten. Sie wollten Kurts Todesdrohungen über eine kostenpflichtige Hotline abspielen lassen. Als echter Connecticut-Punk, der ich nun mal bin, brauchte ich kein zweites Mal darüber nachzudenken und versteckte das Tape auf meinem Dachboden. Etwa 22 Jahre später entschied ich mich dafür, mir die Aufnahme wieder anzuhören. Zu seinem 20. Todestag holte ich die Videokamera raus und begann, das Tape um 3:33 Uhr in der Früh abzuspielen. Ich wollte mal sehen, ob irgendetwas „Interessantes“ passieren würde. Mit Hilfe eines Ouija-Bretts und Kerzen mit Hanfgeruch begann ich mich zu fühlen, als wäre ich vom Grunge-King persönlich besessen und begann, seine Worte nachzusprechen. Ich verlor die Kontrolle über meinen Körper, meine Augen drehten sich nach innen und ich begann, der Welt eine Nachricht zu schreiben, während Nirvanas 45er Single und ein umgedrehtes Kreuz um mich herum im Raum baumelten. War es tatsächlich Kurts Geist, der versuchte, uns dort vor den Gefahren des 21. Jahrhunderts zu warnen, oder war es doch nur ein kognitiver Aussetzer in meinem Reptiliengehirn?

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Alles, was ich in besagter Nacht auf Video festgehalten habe, muss gesehen und gehört werden. Ja, es ist wirklich unheimlich und die Nachricht am Ende ist ziemlich verstörend—aber gleichzeitig voller Weisheit. Verträgst du die blutbesudelte Wahrheit des Club 27 oder wirst du im Angesicht des Himmels einfach nur kotzen? Lang lebe Nirvana.

Hier ist besagtes Video.

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