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Der Tag, an dem ich auf den NME schiss und einen millionenschweren Plattenvertrag verlor

Unser Autor hatte in den 90ern einen Plattenvertrag mit einem Majorlabel und tat alles dafür, es sich mit der Presse und dem Label zu verkacken.

Erinnerst du dich noch an die Dokumentation, die VICE über einen Typen namens Steve gemacht hat, der sich zum Spaß Schlangengift spritzt? Wie sich herausstellt, ist er einer der interessantesten Menschen, die wir je kennengelernt haben und hat mindestens 200 Storys über die Musikindustrie zu erzählen, von der jede einzelne besser ist als das, was du in deinem ganzen Leben erleben wirst, und jede einzelne mehr Drogen beinhaltet, als du in deinem ganzen Leben zu dir nehmen wirst. Natürlich spielen die Storys hauptsächlich in den 90ern—dem goldenen und verkoksten Jahrzehnt der Musikindustrie.

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Es kommen alle darin vor: Kurt Cobain, Slash, Kevin Shields, Shane Macgowan und viele mehr. Fangen wir doch mit der einen Geschichte an, wie er sich seine Karriere ruinierte, in dem er auf eine Ausgabe des NME kackte.

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Carrie war eine vierköpfige Rockband, die 1996 von Island Records und EMI unter Vertrag genommen wurde. Ich war der Sänger und Songwriter. Seit 1988 hatte ich in verschiedenen Indiebands gespielt, aber das hier war meine erste Erfahrung mit einem Majorlabel, das mich mit tonnenweise Geld überhäufte. Damals galt ich als totaler Sellout, weil ich bei einer großen Plattenfirma unterschrieben hatte, aber mir war das scheißegal. Ich kaufte mir meine erste Wohnung, einen riesigen Berg Gras, und da Kurt Cobain zu der Zeit schon lange tot war, drückte sowieso jeder ein Auge zu.

Der Überfluss und die Gier der späten 90er hatte uns voll eingenommen und meine Band war berüchtigt für maßlose Verschwendung, exzessiven Drogenkonsum und ausgefallene Sexpraktiken. Jedes Mal, wenn uns die Firmen zum Essen ausführten, bestellten wir so viele Hummerschwänze und Kaviar wie nur möglich. Nicht, um sie zu essen, sondern um sie unter dem Tisch zu stapeln und die Rechnung zum Spaß in astronomische Höhen zu treiben. Wir waren schlimmer als alle Investmentbanker zusammen. Ich erinnere mich noch, wie ich damals meinen Labelkollegen Jarvis Cocker im Proberaum traf und ihm erzählte, dass wir jetzt bei Island Records unterschrieben hatten. Er antwortete nur: „OK, jetzt habt ihr euren ersten Fehler gemacht. Jetzt seid ihr im Arsch.“

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In einem Interview mit dem Melody Maker prophezeite ich, dass meine Band in drei Jahren ausgebrannt sein würde. Ich sollte mit dieser Aussage auch vollkommen richtig liegen, allerdings aus einem Grund, den niemand von uns vorhergesehen hatte.

Als Carrie den Vertrag bekamen, hatte ich lange, mädchenhafte Haare und ein sehr androgynes Image. Ich experimentierte etwas mit Crossdressing und MakeUp herum und die Songs handelten von Entfremdung und Girl-Power. Sobald ich merkte, dass Placebo genau die gleiche Schiene fuhren, schnitt ich meine Haare ab und änderte mein Image komplett—ich wollte einfach mit niemandem verglichen werden. Später sollten Brian Molko und ich zusammen eine Placebo-Single schreiben.

Das alles geschah zu einer Zeit, zu der es Jackass noch gar nicht gab und mein versauter Protestfilm wurde von einem Tourbus zum nächsten weitergereicht. Langsam aber sicher bekam ich das Image eines Underground-Rebells, der sich gegen die Arschlöcher von der Musikindustrie und die beschissenen Schmierenblätter zu Wehr setzte. Carries erste Radiosingle war „Molly“, ein Song in dem es darum geht, wie du von deiner Freundin mit einem Umschnalldildo gevögelt wirst. In seiner Aussage sehr subversiv klang das Lied selbst dabei wie ein eingängiger, Beach-Boys-beeinflusster Popsong. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand die Mühe gemacht hatte, den Text zu überprüfen.

Heroin und viel Geld im Voraus sind selten eine gute Mischung für eine Band und das war auch die Kombination, die meinen Bassisten Zac Foley umbrachte—ja genau, der Typ, der mit EMF und „Unbelievable“ einen riesen Hit gelandet hatte. Zac war außerdem weltberühmt für seine unglaublich lange Vorhaut, in die er mit Freude große Früchte steckte, oder sie so zusammenpresste, dass sie wie eine quakende Ente klang. Bis heute ist er das lustigste menschliche Wesen, das mir je über den Weg gelaufen ist, und die Hälfte von dem Video, das ich gemacht habe, besteht aus seinen durchgeknallten Aktionen. Ich weiß noch, wie wir nach einer Show durch die Menge gegangen sind und den Fans erzählten, dass wir Spenden für die Antilandminen-Organisation der kürzlich verstorbenen Prinzessin Diana sammeln. Zac hatte zu diesem Zweck seinen Schwanz aus der Hose geholt und formte seine Vorhaut zu einer Art Schlauch, in den die ganzen Fans dann 1 Pfund Münzen warfen. Als sein Schwanz, angefüllt mit 33 Pfund in Hartgeld, aussah, wie eine vollgestopfte Weihnachtssocke, ging er zur Bar und leerte dort unseren Gewinn aus, um noch mehr Drinks zu kaufen. Zac holte sich auch öfter mal im Tourbus einen runter und versuchte dann aus Spaß seine vollgewichsten Hände an einem von unseren Gesichtern abzuwischen. „Was hast du? Bist du schwul, oder was?“ sagte er dann immer, wenn du versuchtest, seinen klebrigen Pranken zu entkommen. Einmal schrieb ein Journalist in einer Konzertreview: „Wären seine Eltern jüdisch gewesen, ihm wäre wohl sein einziges Talent genommen worden!“

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Wir gingen auf eine koksgetriebene Verwüstungstour durch Großbritannien und Europa und spielten alle wichtigen Sommerfestivals. Sogar der Kerrang! und andere Rockbands hatten Respekt vor Carries Vorliebe für Blut, Sperma und Zerstörung. Jeden Abend in einer blutgetränkten Erwachsenenwindel auf der Bühne zu stehen, wurde aber irgendwann langweilig und deswegen hatte ich Ende 1998 die Schnauze voll von dem Lotterleben, das mir die Major Labels ermöglichten, und schmiedete einen Plan, meine Karriere zu sabotieren.

Meine große Leidenschaft für kubanische Zauberpilze, Schlangen, Stoner Rock und Gras inspirierte mich zu dieser Idee für ein Video, das mir bei dem geplanten Dolchstoß in das kalte Herz der Plattenfirmen behilflich sein sollte! Sie hatten mich kurz zuvor noch damit gekränkt, dass sie meiner damaligen Freundin Geld dafür angeboten hatten, mir beim Abnehmen für ein Fotoshooting auf Costa Rica zu helfen—eine Sache, die ich wirklich persönlich nahm. Eines Morgens, nach einem wirklich intensiven Chemiekater, wachte ich voller Tatendrang auf, eine ausgeflippte Hasstriade gegen den NME zu drehen, in der ich mich selber schneiden, Schlangengift verabreichen und auf dem NME erleichtern würde, der damals für mich ein beschissenes Kommerzblatt war. Ich zog sexy Unterwäsche an, legte etwas klassische Musik auf und nahm ein paar tiefe Züge besten Marihuanas. Dann drückte ich den Play-Knopf auf der alten Sony Videokamera.

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Über die nächste viertel Stunde verwandelte ich mich mehr oder weniger in Jeff Goldblum in David Cronenbergs Die Fliege. Das alles musste in einem Take gemacht werden und ich bin wirklich kein gelernter Schauspieler. Ich lies mich in Dennis Hopper-Manier über den NME aus und bezeichnete die Zeitung als das äquivalent zu Coca-Cola und als Kommerzhure! Lustig, oder? Dann zog ich meine Hose runter und kackte auf das Cover, auf dem Marilyn Manson abgebildet war (den ich damals verehrte und von dem ich fand, dass er nicht in das Magazin gehörte).

An das Ende des Videos packte ich dann noch ein par bescheuerte Touraktionen und verschickte vier VHS Tapes mit der Bezeichnung „Carrie Home Porn“ an verschiedene Autoren des Kerrang!, Melody Maker und NME. „Die Kacke war am Dampfen“ beschreibt allzu akkurat, was daraufhin geschah. Was für mich selber nur eine artsy Horrorkomödie darstellte, sah für andere Menschen ganz anders aus. Tatsächlich dachten einige verstörte Personen bei den besagten Magazinen, dass sie da gerade die Aufzeichnung eines Selbstmordes gesehen hätten. Ich war nicht wirklich auf die ganzen Anrufe und Artikel vorbereitet, die kurz darauf folgen sollten. Das Management sagte allen nur, dass ich zuhause wäre und mich erholen würde. Einige Wochen später wurde meine Band wegen des Videos und wegen geschäftlicher Verwicklungen von Island und EMI fallen gelassen. Über eine Millionen Pfund waren für meine Musik verschwendet worden und ich war wirklich zufrieden, dass ich sie so verarscht hatte. Noch zwei Jahre später kamen Journalisten zu mir und fragten, ob ich OK bin. Ich schaute dann immer nur betreten zu Boden und sagte ja. Ich spielte das Brian-Wilson-Spiel und hatte wirklich Spaß dabei.

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Jahre später begann ich, meinen guten Freunden zu beichten, dass ich alles nur inszeniert hatte und niemals wirklich auf den NME gekackt habe. Ich bin einfach einer von diesen reinlichkeitsversessenen Amerikanern, die nicht im Traum daran denken würden, sich so im eigenen Wohnzimmer zu erleichtern. Der wirklich witzige Teil bei der Geschichte ist, dass ich einen Mars-Riegel so zusammenschmolz, dass er aussah wie ein Kackhaufen, und ihn mir dann in den Hintern schob. Ich weiß noch genau, es war zehn Uhr morgens, und während ich mir das Teil unten reindrückte, kam mir dieser komische Gedanke in den Sinn: „Was zur Hölle treibst du hier eigentlich?!“ Ich war aber so high, dass ich einfach weitermachte, und das, was du da am Ende des Videos aus meinem Arsch kommen siehst, ist nur Karamell und Schokolade. Guck mal Mama! Es stinkt gar nicht und schmeckt sogar lecker. Eine andere lustige Sache war, dass ich mit meiner misanthropischen Band, mit dem Namen Little Hell, im NME etwas später wirklich tolle Reviews bekommen habe. Anscheinend zahlen sich Kackverbrechen aus.

Inzwischen habe ich gemerkt, dass mir diese Teenage-Angst-Sache nicht so liegt, und jetzt bin ich 47 Jahre alt und gelangweilt. Ich frage mich oft, ob dieser Kurzfilm von 1998 wirklich eine so gute Idee war. Vielleicht hätte ich auch einfach auf Nummer sicher gehen und wie die ganzen anderen Kackbands zu der Zeit auf den Coldplay-Ripp-Off Zug aufspringen sollen, um irgendwelchen Christen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ich lebte aber immer streng nach der Devise „Freunde lassen Freunde keine christlichen Rockplatten kaufen“. Während ich hier also aus den Slums von Highbury and Islington schreibe, frage ich mich, wer eigentlich wirklich reich ist? Chris Martin mit seinen riesigen Anwesen, erster Klasse Reisen und seiner wunderschönen Hollywoodfrau oder ich mit meinem ……?

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Die Antwort ist er, oder?

Hier zum ersten Mal für die Öffentlichkeit: DAS Video. Es tut uns (ein bisschen) leid.

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