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„Ich wünschte, ich wäre wieder jung“—Chino von den Deftones im Interview

Die Deftones waren schon immer die eine Band, auf die sich alle Musiknerds einigen konnten. Wir haben mit Sänger Chino darüber geredet, warum das so ist.

Wer sich mitten in den 90ern mit der Hormongewalt Pubertät rumschlagen musste, weiß wie mächtig das mysteriöse Wesen Körperchemie sein kann. Plötzlich tanzt man in Klopapier eingewickelt „Backstreet's Back“ und erlebt einen massenhaft mitgelittenen Eurodance-Rausch. Manche haben den Absprung nicht geschafft, andere haben die Tiefe ihrer Sinnkrise erkannt und frühzeitig die Droge Trash gegen Kunst getauscht. Weise Entscheidung, nur leider führte das geradewegs in die eine Ecke des Schulhofs. Da stand man nun als verschriener Punk, Emo, Metaller oder Hopper und ließ sich mit Zigarettenstummeln beschnipsen. Schwere Zeiten, doch plötzlich gab es da extreme Bands wie Slipknot und Szene-Aliens wie Linkin Park und Limp Bizkit, die Welten miteinander verschmelzen ließen. Ja, auf einmal war da Nu Metal und das Blatt wendete sich. Die coolen Kids fingen an, das Red Cap von Fred Durst zu tragen, einstige Verlierer wurden gefeiert.

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Immer im Hintergrund: die Deftones. 1988 gegründet, nie viel Wirbel um sich gemacht, aber immer da für die stillen Denker, die sich selbst zur Crossover-Hochphase lieber mit Nietzsches Zerworfenheit auseinandersetzten, als die nächste Baggy Pants Gassi zu führen. Die Deftones sind geschickt vorbeigeschifft am Nu-Metal-Hype und haben sich bis heute als Institution im Metal und Rock manifestiert, während andere untergingen. Wenn du eines dieser verlorenen Kinder der 90er bist, dann sind die Deftones die Quintessenz deiner Musiksozialisierung. Konsens und Ästhetik, das Supermodel in der alternativen Härte. Keine andere Metalband kann ein so breites Publikum mit so viel Glück berauschen. Wobei „Metal“ ihnen nicht gerecht wird, schwimmen die Deftones doch so angriffslustig durch Genres wie Alligatoren durch die Everglades. Sie festzunageln, das traut sich kaum einer. Sie nachzuahmen schon gar nicht. Entweder ist der Respekt zu groß oder die musikalischen Schlüssel zur Lösung des Rätsels liegen noch vergraben.

Was einen so fertig macht an der Faszination Deftones, ist Chinos einfühlsames Organ. Eine Stimmgewalt, die sich tief in die wundesten Stellen der Seele schraubt. So locker wie sie da im verletzlichen Innenleben rumfuhrwerkt, so lässig schwingt sie auch über die schwerfällig bis depressiven Riffs von Stephen Carpenter. Marode Kunst, die jederzeit auseinanderzubrechen droht, dann aber wie ein farbenfroher Schmetterling davonflattert; völlig unbekümmert von all der Angst, die man eben noch empfand. Das ist beschämend, man fühlt sich benutzt und ausgeschlachtet, unwohl in seiner Haut und gleichzeitig so lebendig. Musik, die dich küsst und sich dann aus dem Staub macht. Weg von all der Misere, die dich auch weiterhin erwartet.

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Wie Chino das macht, warum es—Fakt!—keine andere Bands wie die Deftones gibt und wie er das Drama um den verstorbenen Bassisten Chi Cheng durchlebt hat, erklärt der Meister bescheiden im Interview.

Noisey: Ehrlich jetzt: Wie seltsam sind Interviews heute noch für dich? Sich mit fremden Leuten hinzusetzen…
Chino: …und den ganzen Tag nur über sich selbst zu reden? Es ist schön, ich liebe es, über Musik zu reden—ob meine eigene oder allgemein. Das könnte ich stundenlang tun.

Wie oft kommen Journalisten an und outen sich als riesige Deftones-Fans?
Das passiert schon öfter mal. Ich hoffe dann immer, dass das ernstgemeint ist. Ich mag es, mit Menschen inhaltlich in die Tiefe zu gehen. Man kann leicht erkennen, ob die Leute die Musik wirklich gehört haben und eine ehrliche Meinung abgeben.

Wie sind Deftones-Fans so?
Sehr loyal. Wir machen Platten seit über 20 Jahren und haben noch so viele Fans, gewinnen sogar neue, junge dazu. Das ist unbezahlbar. Die meisten sind auch so cool. Wenn sie mich in einer Mall sehen, zündet es erst spät bei ihnen und sie starren erstmal. Dann gehe ich rüber und frage: Was geht?" Sie sind fast immer nett, springen nicht auf mich rauf und reißen mir auch keine Kleider vom Leib. Sie sagen, dass sie meine Musik mögen, ich danke ihnen und das war es.

Lieber rede ich ewig über Musik, als ein Foto mit ihnen zu machen. Ich hasse das. Für mich sind Gespräche viel bewegender als ein Foto. Ich war letztens im Museum, dort haben Leute Fotos von der Kunst gemacht. Warum schauen sie sich nicht etwas direkt an, dass so wunderschön und altehrwürdig ist? Wie auf Konzerten … Das war eins der letzten Sachen, die ich genießen konnte, als ich ein Kind war: Wir hatten diese Technologie nicht. Also wir hatten schon Kameras, aber nicht allzeit in unseren Taschen.

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Ich kenne keinen Musiknerd, der die Deftones nicht mag. Wie kommt es, dass ihr so eine Konsensband seid?
Es gibt da keine Formel für. Uns bewundern Leute, schätze ich, weil wir keine „in-your-face“-Band sind. Wir waren nie überhypt, standen nie im Mittelpunkt, haben uns nicht frontal den Fans angeboten. In gewissen Rahmen sind wir immer unaufdringlich gewesen. International bekannt, ja. Aber eine Band, die man für sich selbst entdecken muss. Wir hatten nie die Hitsongs, die man im Radio gehört hätte. Keine Explosion des Interesses, die dich dazu gezwungen hätte, uns zu hassen. Leute, die sich mit uns beschäftigt haben, hatten Zeit, sich dabei mit sich selbst auseinanderzusetzen. Wenn du etwas auf eigene Faust entdeckst, ist das keine Zwangsernährung. Wenn du es magst, magst du es wirklich. Es ist mehr eine persönliche, organische Erfahrung als ein Markenbewusstsein.

Stimmt, ihr wart nie wirklich im Radio vertreten.
Immer noch nicht, haha. Wir haben das Fenster irgendwie oft verpasst. Weil es in den Staaten ja auch kein Musikfernsehen mehr gibt. Als ich gerade in Deutschland ankam, liefen Musikvideos im Fernsehen—ich war voll aufgeregt! Wir haben YouTube, aber das ist ja etwas ganz anderes, da kann sich ja jeder im Schlafzimmer filmen.

Kommen Backstage oder auf Festivals auch andere Bands auf dich zu und teilen dir ihre Bewunderung mit?
Manchmal. Ich habe viele getroffen, von denen ich nicht erwartet hätte, dass sie unsere Musik mögen. Sängerinnen wie Ke$ha zum Beispiel. „Du machst diese Musik und magst die Deftones, wirklich?“ Das ist großartig, ich liebe unsere Universalität, die Leute zusammenbringt. Ich weiß nicht genau, warum das so ist. Aber als Musikfan stöbere ich ständig nach Musik und finde vor allem etwas im Underground. Wenn ich da etwas entdecke, ist es wie Diamanten oder Gold finden.

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Ob groß oder klein: Keine Band würde es wagen, sich mit den Deftones zu vergleichen.
Jap. Aber ich bin mir sicher, es gibt einen Weg, so zu klingen wie wir. Nur nicht auf die „Malen nach Zahlen“-Art. Weil fünf verschiedene Charaktere unsere Band ausmachen. Wir sind zwar zusammen aufgewachsen, aber komplett verschieden. Steph, unser Gitarrist, und ich sind zwei total unterschiedliche Musiker. Manches von dem, was er so hört, verstehe ich einfach nicht. Und genau das macht uns einzigartig, wir werden nicht angeführt von mir oder ihm. Es ist eine Kollaboration, das macht es so schwer zu kopieren.

Ist dir selbst bewusst, wie talentiert du bist?
Weil ich es nun schon so lange mache, bin ich besser mit meinem Handwerk geworden. Als ich anfing, wusste ich nicht mal, wie man singt. Ich habe das nur gemacht, weil ich eigentlich Drums spielen wollte, aber Abe [Cunningham] war einfach besser. Um zur Band zu gehören, musste ich also was anderes finden. Ich habe zu Hause bei Alben mitgesungen, aber war nie im Chor und habe nie Unterricht genommen. Ich habe meinen eigenen Stil entwickelt, weil ich es mir selbst beigebracht habe. Und weil meine Einflüsse so eigenartig sind: Ich hörte Pantera, Morrissey und PJ Harvey. Ich wollte nicht so und so klingen, durch meine Einflüsse bin ich so einzigartig geworden. Jetzt bin ich schon stolz, was wir alles über die Zeit erschaffen haben. Ich will aber natürlich immer weiter lernen.

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Was noch entrückend an Interviews sein kann: Ständig wirst du zu sehr persönlichen und emotionalen Dingen gefragt. Wie hast du den Tod eures Bassisten Chi Cheng 2013 aufgenommen, nachdem er sieben Jahre im Koma lag?
Mein Herz wurde ganz schwer. Irgendwie war es aber auch eine Art Erlösung, zu wissen, dass er nicht mehr leiden muss. Fünf Jahre befand er sich in einer sehr traurigen Situation. Größtenteils war er wach, aber konnte nicht sprechen. Das muss die größte Angst im Leben eines jeden sein—gefangen zu sein in einem Fegefeuer voller Schwerter. Du bist da, aber du bist nicht da. Es war wirklich hart, ihn so zu sehen. Auch wenn wir optimistisch waren, dass er irgendwie da hätte rauskommen können. Ihn noch einen Tag so zu sehen oder daran zu denken, was er durchmachte … Dann waren wir endlich fähig zu trauern und zu akzeptieren, dass wir nie wieder mit ihm reden können.

Wollt ihr immer noch euer mit Chi fast vollendetes Album Eros veröffentlichen?
So viel Ambition steckt da nicht dahinter. Es ist ein unvollendetes Album, also müssten wir erst dahin zurückfinden und erneut daran arbeiten. Ehrlich gesagt, ist die Musik da drauf mittelmäßig, es ist nicht meine liebste Platte. Während der Aufnahmen dachte ich kein einziges Mal, dass wir da etwas Großem hinterher jagen würden. Es fühlte sich eher so an, als würden wir versuchen, etwas nachzubauen. Es war schwierig, alles kam nicht so gut zusammen. Diamond Eyes war dann so eine erfrischende Zeit. Es ist nicht leicht, daran zu denken, diese Zeiten wiederzubeleben. Aber ich weiß, dass es etwas Besonderes ist, weil es das letzte Mal war, dass Chi auf Band spielte. Jedenfalls wird der Ehrgeiz nicht sehr bald kommen. Eros hat etwas Heiliges. Einen Song [„Smile“] habe ich ja schon zum Todestag von Chi veröffentlicht. Den mag ich, ich finde, das war der beste Song auf Eros. Und der einzige fertige.

Was ist eigentlich dein Lieblingsalbum von den Deftones?
Around The Fur. Ich mag es, weil wir es echt schnell aufgenommen und nicht überdacht haben. Wir waren noch sehr jung, da steckt so viel Seele, Aufgeregtheit, Reaktion und dieses „Im-Moment-leben“ drin. 1998 [ein Jahr nach Release], das war wohl die beste Zeit meines Lebens, ich war 22 Jahre alt oder so. Ich fühlte mich wie auf dem Gipfel der Welt, die Zeit meines Lebens. Wenn ich mir das Album anhöre, ist dieser Geist total prominent für mich. Ich wünschte, ich wäre wieder jung.

Gore erscheint am 08. April. Den neuen Song „Doomed User“ kannst du dir hier anhören.

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